gebildeten Welt erregen? Liegt nicht hinter ihnen selbst eigentlich der Punkt, mit dem sie die bisher schlummernde Theilnahme geweckt haben? Und haben sie ihre wahre Bedeutung erst durch den Boden, auf dem sie erstanden, durften wir ja darf der Leser sich dann an sie als das eigentliche Wesentliche halten? Ich stehe nicht an, eine Behauptung auszusprechen, die Manchem vielleicht zu gewagt erscheinen wird. Die Zeit der rein politischen Bewegungen in Frankreich ist vorbei. Es bereitet sich eine andre vor, nicht weniger ernst und gewaltig. Wie sich am Ende des vorigen Jahrhunderts ein Stand des Volkes gegen den Staat empörte, so sinnt jezt eine Clafse desselben darauf, die Gesellschaft umzuwälzen, und die nächste Revolution kann schon jezt nur noch eine sociale sein. Keine tiefere Bewegung eines europäischen Volkes gehört ihm allein; daß sie aber ihre Kreise weit über die Gränzen der einzelnen Nation ausdehnt, ist keine bloß zufällige Erscheinung. Dieselben Lebenselemente finden sich bei allen großen Geschlechtern der germanischen Welt; alle fühlen daher zugleich den Anstoß, der auf einem Punkte cine neue Entwicklung ins Leben rust. Ist daher jene sociale Richtung des französischen Lebens eine wahre und durch die Geschichte selbst begründete, so ist sie, wenn auch nur als eine ferne Zukunft, gleichfalls in dem unfrigen enthalten. In diesem noch schlummernden Bewußtsein liegt das Interesse, mit dem wir das betrachten, was in dem Nachbarvolke sich gestaltet und bedingt, und vielleicht ohne daß wir es uns gestehen, ist uns selbst schon jene Aufmerksamkeit auf die socialistische und communistische Richtung nichts Anderes, als das Suchen nach dem gemeinsamen Elemente, dem dieselbe auch in unserer Heimath begegnen wird. Für das, was über unsre besondre Aufgabe hinausgeht und nur dafür soll eine Vorrede geschrieben werden -war hier die erste Frage zu lösen. Eben indem jenes gemeinsam europäische Element, das den Boden der socialen Bewegungen bildet, sich uns im Proletariat als ein eigenthüm - liches herausstellte, mußte es klar werden, daß jenes selber nur einen Theil eines allgemeineren Ganzen, nur eine Classe in der Gesellschaft bildet. Und hier haben wir einen Begriff bezeichnet, dessen Mangel wir vergeblich mit einem bloßen Worte zu verdecken suchen. Haben wir im Bereich unsrer Wissenschaft wirklich eine Antwort auf die Frage: Was ist denn jene sociale Bewegung, deren Dasein uns das socialistische und communistische Treiben und Drängen andeutet? Was ist eine sociale Revolution? Was will sie, und wohin wird sie führen? Wie unterscheidet sie sich von der politischen? Kurz, was ist die Gesellschaft, und wie verhält sie sich zum Staate? 3 Als wir vor nunmehr fünf Jahren die erste Ausgabe dieser Schrift den Händen des Publikums übergaben, da waren es vor Allem eben diese Fragen, die uns zur genaueren Bearbeitung unsres Gegenstandes angespornt hatten. Wir hatten schon damals die Ueberzeugung und wir haben sie noch mit derselben Entschiedenheit, daß der Kampf in der Gesellschaft, den jene Erscheinungen andeuten, Deutschland nicht ferne bleiben wird; wir waren. und sind ferner auf das Innigste davon überzeugt, daß ein solcher Kampf bei Weitem ernster und gefährlicher sein müsse, als jede politische Bewegung. Es war uns klar, daß dasjenige, was wir gewöhnlich mit dem höchst ungenauen Worte der Gesellschaft zu bezeichnen pflegen, nicht bloß eine selbständige, machtvolle und unendlich wichtige Form menschlichen Lebens, sondern zugleich durch seinen Umfang wie durch seinen Inhalt der gewaltigste Hebel der politischen Bewegungen selber sei, die das Innerste der europäischen Zustände erregen. Wir haben endlich damals wie jezt unsre feste Ueberzeugung ausgesprochen, daß man wesentlich in der Erkenntniß der Gesellschaft die Erkenntniß der gewaltsamen Erschütterungen und die Lösung der so unendlich tief greifenden Fragen suchen müsse, die unserm Zeitalter auferlegt sind, und wir haben die eigentliche Bedeutung des Socialismus und Communismus, die nur Symptome allgemeiner Verhältnisse sind, eben darin gefunden, daß sie unsrer Zeit den Anstoß geben sollten, jenen Begriff und jenes Wesen der Gesellschaft zu erforschen. Denn die Gesellschaft hat ihren Begriff und hat ihre Gewalt, und wenn die Gruppe der Wissenschaf- Man mißverstehe uns hier nicht. Wir machen aus jenem Mangel des Das ist der Gedanke, der uns den Muth gab, in der Einleitung zum der einer tiefen und durcharbeiteten Entwicklung bedarf. Wir gestehen es offen; wir wagen die Berechtigung dazu nicht in dem Gegebenen selbst, sondern nur darin zu finden, daß es nicht das Zweite in diesem Felde ist. Und von diesem Standpunkt möchten wir es aufgefaßt wissen. der Was nun das besondre Verhältniß des ersten Theiles zu den folgenden betrifft, so ergiebt sich dasselbe aus der Darstellung selbst. Ueber den Socialismus im Besondern haben wir vorzüglich die Schrift von Louis Reybaud:,,Études sur les réformateurs contemporains ou socialistes modernes, Saint-Simon, Charles Fourier, Robert Owen“ (2te Ausgabe 1841, 3te 1842, 4te 1844) benußt. Louis Reybaud ist ein gewandter und geistreicher Schriftsteller; er hat ein entschiedenes Talent, Persönlichkeiten aufzufassen und Charaktere zu zeichnen. So weit unsre Aufgabe daher in dieses Gebiet hinübergreift, haben wir nicht angestanden, ihn zum hauptsächlichen Führer zu nehmen, und es ist unzweifelhaft jener Vorzug, ihm die Preisertheilung von Seiten der französischen Akademie erworben hat. Denn was den rein industriellen Inhalt des Buches betrifft, so verdient dieser bei Weitem weniger Auszeichnung; ja man kann seine Darstellung Fourier's ohne Bedenken, wenn nicht geradezu eine mangelhafte, so doch eine arme nennen. Wesentlicher aber ist es, daß er überhaupt über den Socialismus nicht hinausgeht, und das bedingt seine einseitige Auffassung dieser Erscheinung. Er kommt nicht zu dem Gedanken der Gesellschaft und ihrer Geschichte, ja nicht einmal zu dem des Proletariats, und daher sieht er St.-Simons Theorie sowohl wie die Fourier's nur als zwei neue Utopieen an, die in der Geschichte der utopischen Weltanschauungen neben Thomas Morus, Campanella u. A. ihren Plaß erhalten. Hierin liegt sein größtes Unrecht, das er gegen den tieferen Inhalt seiner Zeit sowohl wie gegen den jener Schriftsteller begeht; aber es ist, wenn man ihn aufmerksam durchlieft, nur zu klar, daß er ihnen eigentlich eine Bedeutung abläugnen möchte, die er sich doch im Grunde selber nicht verhehlen kann. — Läßt sich nun dies gleich recht wohl erklären, so läßt es sich doch nicht rechtfertigen. Jedenfalls aber hat Louis Reybaud das Verdienst, zuerst die Socialisten zusammengestellt, und zu einem geschmackvollen Ganzen verarbeitet, dem Publikum übergeben zu haben. Wie groß das Interesse desselben an diesen Erscheinungen in Frankreich ist, und wie wenig sich selbst die gebildete Welt verhehlt, daß in ihnen eine sehr ernste Frage zum ersten Mal auf ernstem Wege behandelt ist, zeigt der Erfolg seines Buches, das in sechs Jahren schon die vierte Auflage erlebt. Man darf gegen solche rein thatsächliche Bemerkungen auf keine Weise gleichgültig bleiben; sie deuten stets ein tieferes Verhältniß des Stoffes zu der Richtung des allgemeinen Bewußtseins an, und dieses beginnt langsam aber bestimmt, sich von der rein politischen Bewegung loszusagen, und sich der gesellschaftlichen zuzuwenden. Außer dieser Schrift L. Reybaud's aber giebt es keine andre in der französischen Literatur, die sich mit dem ganzen Umfange des Socialismus beschäftigte. Die beiden Rapports à l'Académie von Jay und Villemain über jenes Werk, der dritten und vierten Auflage voraufgefandt, sind nur Anzeigen desselben. Es ist bemerkenswerth, daß L. Reybaud in den neue= ren Auflagen so gut als gar keine Veränderungen gemacht hat; er hat nicht einmal die neuere Literatur, selbst nicht die neuere französische hinzugefügt; seine Arbeit ist ihm vollendet, und für unsre gegenwärtige Auflage haben wir daher nichts Neues in ihm zu finden oder über ihn zu urtheilen Gelegenheit gehabt. Auffallend, und nur aus der vorherrschend demokratischen Tendenz erklärlich ist es dagegen, daß L. Blanc in seiner Histoire des dix ans, cin Werk, von dem bei der ersten Ausgabe nur der erste Theil erschienen war und das gerade in Beziehung auf die Geschichte der Gesellschaft zu bedeutenden Erwartungen berechtigte, den Socialismus als Nebensache behandelt. Allerdings kommen einzelne abgerissene Darstellungen aus dem St. Simonismus und Fourierismus vor, aber sie bringen erstlich nichts Neues, und zweitens ist es offenbar, daß er beide nur als merkwürdige, nicht als wirkliche bedeutende Erscheinungen betrachtet. Es ist hier nicht der Ort, eine Kritik dieser ganzen dem deutschen Publikum nunmehr durch Uebersezungen wohl |