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Mangel des Begriffs, der Wissenschaft und der Geschichte der Gesellschaft keinen Vorwurf, sondern eine Forderung; eine Forderung, die schon die thatsächliche Wirklichkeit erheben müßte, wenn das wissenschaftliche Bewußtsein sie zur Seite schieben sollte. Und diese Forderung ist es, vor der wir die folgende Arbeit einen Beitrag genannt haben. Ein Blick auf jenes weite Gebiet genügt, uns seinen unendlichen Reichthum anzudeuten; wie dürften wir es wagen, ihn auch nur entfernt in der Einleitung zu dem befonderen Inhalt unsrer Schrift überwältigen und zu einem vollendeten Ganzen bilden zu wollen? Dennoch erhält eben jener Socialismus und Communismus erst durch die Idee der Gesells schaft und den Gedanken einer Geschichte derselben die Bedeutung, die sie wirklich haben, und die das richtige allgemeine Bewußtsein aus ihnen herausfühlt. Wie war es möglich, jener Auffassung schweigend vorüberzugehen? Und so hat sich, aus diesen widersprechenden Bedingnissen, der erste Theil dieser Arbeit gebil

det.

Er will nichts sein, als ein Beitrag; er kann keine ent= schiedenen, keine systematischen Resultate liefern; er macht keinen Anspruch darauf, selbst etwas bedeuten zu wollen; aber er möchte zugleich die Nothwendigkeit und die Möglichkeit zur Ueberzeugung bringen, jenen Begriff und seine innere Vollendung wie das Erkennen der äußeren Ereignisse zu einem Besißthum der Wissenschaft zu machen, einem Besigthum, das uns nicht mangeln darf, und am wenigsten in unsrer Zeit. Vermöchte er das, auch nur bei Einem Denkenden, so wäre sein Ziel erreicht; denn ob er Recht oder Unrecht hat, gleichviel, wenn überhaupt nur die Frage über Recht und Unrechthaben auf einem Gebiete entsteht, das er selber nur betreten, nicht umfassen wollte.

Das ist der Gedanke, der uns den Muth gab, in der EinLeitung zum Socialismus und Communismus einen Gegenstand fest ins Auge zu fassen, der einer tiefen und durcharbeiteten Entwicklung bedarf. Wir gestehen es offen; wir wagen die Berech tigung dazu nicht in dem Gegebenen selbst, sondern nur darin zu finden, daß es nicht das zweite in diesem Felde ist. Und von diesem Standpunkt möchten wir es aufgefaßt wissen.

Was nun das besondre Verhältniß des ersten Theiles zu den folgenden betrifft, so ergiebt sich dasselbe aus der Darstellung selbst. Ueber den Socialismus im Besondern haben wir vorzüglich die Schrift von Louis Rey baud: „Études sur les reformateurs contemporains ou Socialistes modernes, Saint-Simon, Charles

Fourier, Robert Owen" (2te Ausgabe 1841, 3te 1842) benut. Louis Reybaud ist ein gewandter und geistreicher Schriftsteller ; er hat ein entschiedenes Talent, Persönlichkeiten aufzufaffen und Charaktere zu zeichnen. So weit unsre Aufgabe daher in dieses Gebiet hinübergreift, haben wir nicht angestanden, ihn zum hauptsächlichen Führer zu nehmen, und es ist unzweifelhaft jener Vorzug, der ihm die Preisertheilung von Seiten der französischen Akademie erworben hat. Denn was den rein industriellen Inhalt des Buches betrifft, so verdient dieser bei weitem weniger Auszeichnung; ja man kann seine Darstellung Fourier's ohne Bedenken, wenn nicht gradezu eine mangelhafte, so doch eine arme nennen. Wesentlicher aber ist es, daß er überhaupt über den Socialismus nicht hinausgeht, und das bedingt seine einseitige Auffassung dieser Erscheinung. Er kommt nicht zu dem Gedanken der Gesellschaft und ihrer Geschichte, ja nicht einmal zu dem des Proletariats, und daher sieht er St. Simons Theorie sowohl wie die Fourier's nur als zwei neue Utopien an, die in der Geschichte der uto pischen Weltanschauungen neben Thomas Morus, Campanella u. A. ihren Plaz erhalten. Hierin liegt sein größtes Unrecht, das er gegen den tieferen Inhalt seiner Zeit sowohl wie gegen den je ner Schriftsteller begeht; aber es ist, wenn man ihn aufmerksam durchlieft, nur zu klar, daß er ihnen eigentlich eine Bedeutung abläugnen möchte, die er sich doch im Grunde selber nicht ver hehlen kann. - Läßt sich nun dies gleich recht wohl erklären, so läßt es sich doch nicht rechtfertigen. Jedenfalls aber hat Louis Reybaud das Verdienst, zuerst die Socialisten zusammengestellt, und zu einem geschmackvollen Ganzen verarbeitet, dem Publikum übergeben zu haben. Wie groß das Interesse desselben an diesen Erscheinungen in Frankreich ist, und wie wenig sich selbst die gebildete Welt verhehlt, daß in ihnen eine sehr ernste Frage zum erstenmal auf ernstem Wege behandelt ist, zeigt der Erfolg seines Buches, das in drei Jahren schon die dritte Auflage er. lebt. Man darf gegen solche rein thatsächliche Bemerkungen auf keine Weise gleichgültig bleiben; fie deuten stets ein tieferes Verhältniß des Stoffes zu der Richtung des allgemeinen Bewußt. seins an, und dieses beginnt langsam aber bestimmt sich von der rein politischen Bewegung loszusagen, und sich der gesell schaftlichen zuzuwenden.

Hieran schließt sich nun ein anderer und für die Auffassung des Socialismus nicht weniger wichtiger Saz. Louis Reybaud

hat Robert Owen's Theorie mit in seine Darstellung aufgenommen. Es ist kein Zweifel, daß er dazu berechtigt war, eben indem er in dem Socialismus die allgemeinere Grundlage desselben, die gegenwärtigen Classen der Gesellschaft und ihre Ansprüche wegließ, und jene Theorien als wesentlich einzeln dastehende betrachtete. Alsdann schließt sich ganz natürlich der Owenismus an den Saint-Simonismus und Fourierismus und alle drei bilden ein Ganzes, das die allgemeine Idee der utopischen Reformation zusammenhält. Allein geht man auch nur Einen Schritt weiter auf die tieferen Gründe der gegenwärtigen Verhältnisse, so zeigt sich die Unfertigkeit einer solchen Auffassung. Der Socialismus Frankreichs ist selbstständig entstanden und entwickelt; die Keime desselben konnten daher eben nur in Frankreich gesucht und gefunden werden, und nur im französischen Volke ihre eigentliche Heimath finden. Er ist daher eine volksthümliche Erscheinung, und will aus dem Volk und seiner Ge= schichte heraus begriffen werden. Darum bildet der französische Socialismus ein für sich bestehendes Ganze, weil er ein für sich seiendes Resultat ist. Stellt man ihn, ohne das Moment der Volksthümlichkeit zu beachten, scheidungslos neben den Owenismus, so wird man dadurch nur den wahren geschichtlichen Standpunkt verrücken, und nie zum Verständniß seiner eigent lichen Bedeutung gelangen. Trennt man ihn aber, so fordert er eben dasselbe für England im Besonderen, was wir für Frankreich zu geben versucht haben, eine Darstellung der volksthümlich englischen Gesellschaft und ihrer Geschichte. Erst auf einem solchen Hintergrund vermag er es, in seinem rechten Lichte zu erscheinen. Wir haben daher den Owenismus aus der vorliegenden Arbeit gänzlich ausgeschlossen; sie selber mag uns zeigen, daß wir ihm keinen Plag in einem Ganzen anweisen konnten, mit dem er zwar das Allgemeinste, aber nicht das Besondre gemein hat, was eben diese Arbeit zu einer besonderen machen mußte. Im hohen Grade aber wäre es zu wünschen, daß sich ein mit dem englischen Volk und seinem Leben bekannter Mann einer tief eingehenden Entwicklung der Gestaltungen unterzöge, die sich hier nicht weniger mächtig und bedenklich aus denselben allgemeinsten Gründen Bahn zu brechen beginnen, wie in Frankreich, zugleich ähnlich und doch wiederum wesentlich verschieden von denen des Nachbarvolkes.

Denn es ist eben so bekannt als unläugbar, daß sich in

beiden Ländern gegenwärtig eine Erscheinung zeigt, die unsrer Zeit durchaus eigenthümlich ist, der Communismus. Er ist es eigentlich, von dem aus selbst der praktische Sinn gradezu gezwungen wird, über den bloßen Socialismus hinauszugehen, und den Zustand der Gesellschaft selbst in unmittelbarer Nähe zu betrachten. So wie man sich zu dem Gedanken bestimmt, Socialismus und Communismus als ein Ganzes, ein einheit= liches Resultat eines bisher im Verborgenen fortschreitenden Lebensprocesses unsrer neuesten Geschichte erfaffen zu wollen, so ist es nicht mehr möglich, die Begriffe von Proletariat und Gesellschaft, die sociale Bedeutung des Besizes und der Industrie, das Wesen der Bildung des Volks und das der Classen unverstanden zu lassen. Zugleich aber erscheint auf diesem Punkte der Auffassung die Forderung, jene Erscheinungen aus dem Charakter des Volkes selbst, in dem sie entstanden sind, zu begreifen. Denn erst hier, in diesem Refler allgemeinerer socialer Verhältnisse der gesellschaftlichen Bewegung in dem einzelnen Volk erhalten dieselben ihre Eigenthümlichkeit, und erst dadurch erkennt man, was sie wirklich gegenwärtig sind. Darum haben wir als erste Gränze die Bee stimmung des Volkes für unsre Arbeit gesezt; und so war es nicht möglich, einen Socialisten zu derselben hinzuzufügen, der einem anderen Volk und damit einer anderen Darstellung angehört.

In Beziehung auf den französischen Communismus im Besonderen bemerken wir nur, daß es sehr schwierig war, zu der Bekanntschaft mit dem eigentlichen Zustande desselben zu gelangen. Wer die Verhältnisse der geheimen Verbindungen und des verborgenen Treibens desselben kennt, wird diese Schwierigkeit zu würdigen wissen. Indessen dürfen wir behaupten, daß, obwohl sich nirgends eine Vorarbeit für diese Bearbeitung findet, dennoch nichts Wesentliches unerklärt und unberücksichtigt geblieben ist.

Deutsche Arbeiten haben wir über unsern Gegenstand im Allgemeinen nicht benugen können *), die besondere Abhandlung werden wir an den betreffenden Stellen anführen. Es mangelt

*) Die einzige deutsche Schrift, die sich unsers Wissens in den socialen Widersprüchen der Gegenwart beschäftigt zu einer selbstständigen Ansicht erhoben hat, ist eine kleine Broschüre: Das Gütergleichgewicht. Von W. Obermüller (Constanz 1840). Sie geht von dem Gedanken aus, daß die unmäßige Ungleichheit der Güter alle йebelstände der heutigen Gesellschaft verschuldet, und will als Abhülfe eine progressive Steuer einführen. Was dieser Schrift am wesentlichsten fehlt, ist eine vollständige Durcharbeitung ihres Inhalts, die freilich auf 83 Seiten nicht gegeben werden konnte.

für die Wichtigkeit der Sache noch zu sehr an allgemeiner Besprechung derselben; möchte es uns gelingen, hierzu einen nachhaltigen Anstoß gegeben zu haben.

Wie unendlich Vieles und Mannigfaltiges nun dem Leser selbst zu thun übrig bleibt, um zu einer vollständigen und lebenswahren Anschauung der gegenwärtigen inneren Zustände Frankreichs zu gelangen, kann niemand tiefer fühlen als wir selber. Grade dadurch aber war es schwer, die Gränzen inne zu halten, die dieser Schrift vorgeschrieben sein mußten. Man muß es versucht haben, in sich selber den ganzen Reichthum eines solchen Bildes zu entfalten, um zu wissen, wie leicht es ist, in der Darstellung weiter zu gehen, als es dennoch der Umfang eines Beitrages erlauben will. Möge man darum, was wir hier verschuldeten, freundlich verzeihen.

Schließlich statte ich den Herren, die mir bei dieser Arbeit mit ihrer gütigen Unterstügung zu Hülfe gekommen sind, hiemit den Dank ab, den ich denselben schulde. Vielfache Nachweisungen und Eröffnungen verdanke ich besonders Herrn Victor Considerant, Louis Reybaud, Louis Blanc und Cabet; es wäre dem Fremden schwer möglich gewesen, ohne dieselben zu einer festen und zugleich ins Einzelne gehenden Ansicht des ganzen Gebietes dieser Arbeit zu gelangen; um so mehr fühle ich mich denselben für ihren freundlichen Beistand verpflichtet.

Paris, im Juni 1842.

2. Stein.

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