Page images
PDF
EPUB
[blocks in formation]

Vorrede.

Wo sich in einer bedeutenden Epoche eine neue Gestalt des innern und äußern Lebens entwickelt, da sind die schriftstellerischen Arbeiten, die in eine solche Bewegung hineingreifen, zweifacher Art. Entweder wollen und vermögen sie es, dem werdenden Elemente sein höchstes Gesez abzugewinnen, es selbstständig zu einem Ganzen zu bilden, und in dem Bewußtsein, seine Fragen und Zweifel überwunden zu haben, sich als die eigentliche Wissenschaft dieser keimenden Gestaltung hinzustellen; oder sie wollen von vorne herein nur Beiträge sein zur Erreichung dieses lezten Ziels, dem künftigen Gedanken einen durcharbeiteten Stoff liefern, oder auch den kaltsinnigen Beschauer zu rascherem Schwunge des Nachdenfens anspornen, damit durch vereinte Kraft eine gemeinsame Aufgabe gelöst werde.

Wir haben die Darstellung der socialistischen und communistischen Doctrinen und Ansichten zum bestimmteren Inhalt der folgenden Schrift gemacht. Aber sind es diese Lehren als solche, die gegenwärtig die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt erregen? Liegt nicht hinter ihnen selbst eigentlich der Punkt, mit dem sie die bisher schlummernde Theilnahme geweckt haben? Und haben sie ihre wahre Bedeutung erst durch den Boden, auf dem sie erstanden, durften wir ja darf der Leser sich dann an sie als das eigentlich Wesentliche halten?

Ich stehe nicht an, eine Behauptung auszusprechen, die manchem vielleicht zu gewagt erscheinen wird. Die Zeit der rein politischen Bewegungen in Frankreich ist vorbei. Es bereitet sich eine andre vor, nicht weniger ernst und gewaltig. Wie sich am Ende des vorigen Jahrhunderts ein Stand des Volkes gegen den Staat empörte, so sinnt jezt eine Classe desselben darauf, die Gesellschaft umzuwälzen, und die nächste Revolution kann schon jezt nur noch eine sociale sein.

Keine tiefere Bewegung eines europäischen Volkes gehört ihm allein; daß sie aber ihre Kreise weit über die Gränzen der einzelnen Nation ausdehnt, ist keine bloß zufällige Erscheinung. Dieselben Lebenselemente finden sich bei allen großen Geschlechtern der germanischen Welt; alle fühlen daher zugleich den Anstoß, der auf einem Punkte eine neue Entwicklung ins Leben rust. Ist daher jene sociale Richtung des französischen Lebens eine wahre und durch die Geschichte selbst begründete, so ist sie, wenn auch nur als eine ferne Zukunft,`gleichfalls in dem unsrigen enthalten. In diesem noch schlummernden Bewußtsein liegt das Interesse, mit dem wir das betrachten, was in dem Nachbarvolke sich gestaltet und bedingt, und vielleicht ohne daß wir es uns gestehen, ist uns selbst schon jene Aufmerksamkeit auf die socialistische und communistische Richtung nichts anderes, als das Suchen nach dem gemeinsamen Elemente, dem dieselbe auch in unserer Heimath-begegnen wird.

Für das, was über unsre besondre Aufgabe hinausgeht und nur dafür soll eine Vorrede geschrieben werden war hier die erste Frage zu lösen. Allein eben indem jenes gemeinsam europäische Element, das den Boden der socialen Bewegungen bildet, sich uns im Proletariat als ein eigenthümliches herausstellte, mußte es klar werden, daß jenes selber nur einen Theil eines allgemeineren Ganzen, nur eine Classe in der Gesellschaft bildet. Und hier haben wir einen Begriff bezeichnet, dessen Mangel wir vergeblich mit einem bloßen Worte zu verdecken suchen. Haben wir im Bereich unsrer Wissenschaft wirklich eine Antwort auf die Frage: Was ist denn jene sociale Bewegung, deren Dasein uns das socialistische und communistische Treiben und Drängen andeutet? Was ist eine sociale Revolution? Was will sie, und wohin wird sie führen? Wie unterscheidet sie sich von der politischen? Kurz, was ist die Gesellschaft, und wie verhält sie sich zum Staate?

In der eigentlich deutschen Welt wird jener Mangel uns weniger fühlbar sein, weil das Leben der Gesellschaft und der Kampf ihrer Elemente noch zu keiner selbstständigen Entwicklung gekommen ist. Allein die Anzeichen sind da, daß dieselbe uns nicht mehr fern bleiben wird. Dürfen wir thatlos zuschauen, wie sie unter uns Plaz greift, und ohne Lenkung bleibt, weil sie unverstanden ist? Deutschland hat die hohe Aufgabe, alle Widersprüche der europäischen Welt in seiner Wissenschaft zu verföhnen werden

wir uns von dem gewaltigsten Widerspruch unsrer Zeit, wie er sich in Frankreich Bahn bricht, überwältigen lassen, weil wir ihm kein bestimmtes Bewußtsein über Wesen und Gestalt der gesellschaftlichen Aufgabe, kurz keine Wissenschaft der Gesellschaft entgegenzustellen hatten?

Ich weiß, was man erwiedern wird. Giebt es denn eine solche? Haben wir denn nicht alles, was ihr angehören mag, in unsrer Wissenschaft des Staats? Haben wir nicht die äußere Sicherheit in der äußeren Kraft desselben?

Nein; sie mangelt uns im Gegentheil gänzlich. Ich will hier nicht fragen, ob sich Jemand die Aufgabe gestellt hat, das Wort Gesellschaft in seinen Inhalt aufzulösen. Bündigër, und daher für eine Vorrede angemessener, ist ein andrer Weg. Es ist gewiß, daß das Eigenthum in seiner Vertheilung in den verschiedenen Zeiten eine verschiedene Gestalt hat; der Unterricht des Volkes ist ferner ein eigenthümliches Moment im Volksleben; die Industrie fordert eine eigne Betrachtung, neben ihr der Handel; die bürgerliche Ehre hat eine besondere Entwicklung; die Stände sind noch nicht ganz aufgehoben; Classen der Staatsbürger dagegen find allenthalben schon gebildet. Hat nicht jedes dieser Momente ein Recht darauf, Gegenstand einer wissenschaftlichen Auffassung zu sein, seinen Begriff zu fordern, seine Entwicklung und seine Geseze in der Wissenschaft zu finden? Gewiß; und fast alle haben sie schon gefunden. Aber sind sie einander so fremd, daß es kein begriffliches Band geben sollte, das sie zu einer Einheit verbindet? Stehen sie nicht, unmittelbar, täglich, gegen= seitig bestimmend mit einander in Berührung, zugleich auf demselben Boden, in demselben Ganzen arbeitend und wirkend?

Und dieses Ganze selber, das uns so nahe umgiebt, wo sollen wir es in wissenschaftlicher Einheit aufgefaßt suchen? Die Rechtsphilosophie kennt die Industrie und den Handel nicht, nicht die Stände und Claffen; der Staat vermag nicht jene Einheit zu geben. Die Volkswirthschaftslehre weiß nichts von der Bildung des Volkes noch von seinem Recht, sie kümmert sich nicht um Ehre und Besig, und kann es nicht. Wo ist nun die Idee, die dieses wirkliche Ganze zu einem Ganzen in der Anschauung erhebt? Wir haben sie bis jest nicht; ein einziges Wort muß uns diesen Mangel verdecken, und es verdeckt ihn schlecht. Es ist die Gesellschaft, in deren Begriff die Lösung jener Aufgabe liegt.

Man mißverstehe uns hier nicht. Wir machen aus jenem

« PreviousContinue »