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bestieg. In diesem Kampfe aber ist das Hervortreten eines Gegensages innerhalb des dritten Standes selbst eben so wenig mögs lich, als während der Assemblée constituante; es gilt vielmehr, um das gemeinsam Errungene nicht zu verlieren, sich vor allem als Einheit dem neuen Feind entgegenzustellen. Das Organ der Bürgerschaft im Allgemeinen war aber die Deputirtenkammer, und deshalb, obwohl sie nur aus dem reicheren Theile der Bourgeoisie gewählt ist, giebt es doch noch keine Opposition in derselben, sondern sie selber bildet die Opposition gegen den Grundgedanken der Restauration; in dem Widerspruche der lezteren mit der Geschichte seit 1789 ist jene aufs Neue berufen, die Idee der Gleichheit der Stände zu vertreten, und die noch einmal erste Frage zu lösen, in welchem Verhältniß das Recht des Königs zu dem des Volks stehen müsse.

Das war nicht blos die Deputirtenkammer, sondern das ganze Volk erkannte sie als solches an. Vor dieser Frage verschwand damals der Unterschied von reich und arm; denn alle Classen fannen und hofften nicht so sehr auf das Recht, was sie besaßen oder nicht besaßen, als auf das, was ihnen abgesprochen und bestritten ward. Darum war ein Gegensaz zwischen Besizern und Nichtbesizern nicht möglich; wie sollte man sich über die Antheile an einem Recht streiten, was noch keinem gewiß war? Es war ja der Tiers-Etat, für den der Reichthum und die Intelligenz kämpften; das Interesse für Bourgeoisie und Peuple war noch dasselbe; hier war noch keine feste Errungenschaft für Alle, und mithin kein Widerspruch über die Vertheilung an die Einzelnen.

Es lassen sich indessen, wenn man auf Einzelnes eingehen will, leicht auch einzelne Gründe anführen, die die Spaltung des Tiers-Etat in ihr selber aufhielten. Zuerst gab der Friede aller Handelsthätigkeit neuen Aufschwung, und damit Arbeit und Erwerb für den Fleißigen; an materiellen Mangel heftete sich noch wenig oder gar nicht der Haß gegen die, die ihn nicht leiden. Dann aber bot sich auch in dieser Periode ein Kampfplag für alle die unruhig drängenden Geister, die ihre Kraft nicht auf der Tribüne der Kammer versuchen konnten. Dies waren die geheimen politischen Verbindungen der Carbonari's, und die ihnen folgenden. Es liegt uns fern, sie hier genauer zu verfolgen; auch haben sie ihre Darstellung schon in den Werken von Cauchois-Lemaire und Louis Blanc erhalten. Obwohl sie in keiner Weise etwas anderes

als rein politisch waren, haben sie dennoch als Ableiter jeder anderen Gährung eine nicht zu übersehende Bedeutung; das aber, wodurch sie im allgemeinen Volksbewußtsein einen dauernden Einfluß noch für die Gegenwart gewonnen haben, ist der Glaube, daß eine geheime Verbindung wohl verboten, nicht aber an sich unrechtlich sein könne. Doch werden wir darauf später zurückfommen.

Auf diese Weise wird durch die Gewalt der Verhältnisse der Widerspruch zwischen den beiden Claffen der Industrie in den Hintergrund gedrängt, und eine temporäre Einheit derselben hervorgerufen. Indessen bereiteten sich dennoch selbst während dieser Zeit die Elemente der späteren Bewegungen vor. Die Industrie hob sich, im raschen Fortschritt mit dem insularischen Nachbar wetteifernd, ohne doch über gleiche Capitalien und eine gleiche Anzahl auswärtiger Märkte gebieten zu können. Die freie Concurrenz macht allmählig aus dem gemeinschaftlichen Streben der Capitalisten einen gegenseitigen Kampf der kleineren und größeren Capitalien; und der unter der Gewalt angehäufter industrieller Kräfte Leidende ist der Arbeiter. Noch aber findet sich im wirklichen Leben nicht ein eigentliches Bewußtsein der Lezteren, daß sie zu einem Höheren berechtigt seien, und daß ihre untergeordnete Stellung und ihre Entbehrungen einen noch unmittelbareren Grund haben, als den der bloßen Staatsform; nur Männer wie St. Simon und Fourier, den tieferen Inhalt ihrer Zeit begrei fend, eilen dem gegenwärtigen Zustand voraus, und beweisen durch das Suchen nach einer Abhülfe für das Uebel, das derselbe in seinem Schooße trägt, daß sie die Zukunft zu erkennen befähigt waren. Die Darstellung ihrer Theorien wird uns zeigen, wie ihnen der schlummernde Gegensaß der Armen und Reichen zum Bewußtsein kommt als die tiefere Basis der Verhältnisse selbst, und wie ihre Ideen hiervon ausgehend auf diesen Punkt wieder zurückkommen. Es ist aber durch das Obige klar, wie es geschah, daß man sie nicht verstand und sich nicht die Mühe gab, zu untersuchen, ob man sie mit Recht übersähe. Als Ausgangspunkt für ihre Anschauung der Gesellschaft den Widerspruch zwischen dem Beruf Aller zu gleicher Theilnahme an den gemeinsamen höchsten Gütern, und der Trennung der Besizenden und Nichtbesißenden annehmend, können sie erst da auf Anerkennung rechnen, wo derselbe in der Wirklichkeit erscheint; das Ereigniß aber, was dazu den Anstoß gab, war die Julirevolution.

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VII.

Die Julirevolution.

Eine jede große geschichtliche That, mit der sich eine Zeit abschließt und eine neue beginnt, kann wie der Gipfel eines Berges von vielen Seiten zugleich erschaut werden. Wie mancherlei Gründe hat man nicht angeführt, daß die Julirevolution eine nothwendige und unvermeidliche gewesen? Wir lassen sie zur Seite liegen, nur den Kampf der Principien durch sie hindurch verfolgend, die wir bisher begleitet haben. Dem Geschichtschreiber mag es überlassen bleiben, alle Fäden, die sich 1830 zu einem unauflöslichen Knoten verschlingen, aufzulösen. Aber nirgends hat dies mächtige Ereigniß so tief und nachhaltig eingegriffen, als eben in den bisher schlummernden Gegensaß des Besizers und Proletariers. Er ist nicht blos geweckt, sondern zugleich bis an seine äußerste Gränze getrieben; es ist als habe er sich durch plögliche übermächtige Durchdringung aller Verhältnisse für sein langes Schweigen, zu dem der Gang der Dinge ihn verurtheilte, bitter rächen wollen. Die Julirevolution zählt nicht so viel Tage, als die frühere Jahre; dennoch ist die Reihe ihrer Erfolge, so weit man von Persönlichkeiten absehen darf, nicht an Zahl geringer, noch innerlich weniger gewaltig. Der Nichtfranzose indessen sieht zu häufig nur die Seite derselben, mit der sie dem ganzen Europa zugewendet ist; unsre Aufgabe ist es, einen Theil ihrer Wirkungen auf die inneren Zustände zu entwickeln.

Unter Ludwig XVIII. steht noch die Bürgerschaft ihren zwei Gegensäten auf gleiche Weise gegenüber, dem Gouvernement auf der einen, den Ständen auf der andern Seite, ohne daß einer von beiden das Uebergewicht über den anderen in diesem Kampfe erhalten hätte. Der König selbst verstand es, durch weises Nachgeben die ungestümen Forderungen aufzuhalten. Er glaubte, als er 1824 in den Tuilerien verschied, eine schwierige Aufgabe gelöst zu haben, und mit Recht. Ihm folgt Carl X.; mit diesem neuen Herrscher tritt ein neuer Plan für den ununterbrochenen Streit der Kräfte ins Leben; es sollte eine Entscheidung herbeigeführt werden, und sie ward herbeigeführt.

Seit der Thronbesteigung Carls X. faßt die Regierung nach allen Seiten hin ihre Kräfte zusammen, um die wachsende Macht des dritten Standes in alte, noch nicht vergessene, aber längst unmögliche Gränzen zurückzuführen. Die Folge davon war nicht

blos ein stets entschiedeneres und gereizteres Auftreten der leßteren, sondern wesentlich die Richtung ihrer Anstrengung gegen das Gouvernement. Die Frage nach der Berechtigung der Stände tritt in den Hintergrund; Adel und Geistlichkeit schaaren sich fester um den Thron, mit ihm Ziel und Arbeit theilend. Dadurch wird mit dem legten Bourbon der eigentliche Kampfplaß der Kräfte das Verhältniß zwischen Volk und Regierung, und die Bestimmung ihrer gegenseitigen Rechte die Aufgabe jener Zeit; das Schicksal der Standesunterschiede steht von nun an als abhängig von dem Ausgange dieser Entwicklung da.

Die Ordonnanzen des Juli, diese förmliche Kriegserklärung des Gouvernements gegen die Bürgerschaft, führen endlich den Kampf der Principien auf das Gebiet der materiellen Kräfte. Das Königthum wird bestegt, die Stände und ihre Rechte wie ihr Ansehen fallen mit ihm; und das Volk bleibt allein und ent= schieden Sieger auf dem Schlachtfelde.

Damit ist denn nun der Punkt gekommen, wo sich der wahre Inhalt des Tiers-État aus sich selber entwickeln muß; denn keinen Gegner mehr findend, der ihm ein bestimmtes Ziel für seine Anstrengungen vorzeichnet, sieht er sich seinen Interessen, wie seinen Wünschen, frei überlassen. Indessen bedarf das Land zuerst und vor allem eines Staates; ehe eine Woche des ersten Monats über die neue Freiheit hingegangen ist, steht derselbe vollendet und entschieden da. Was mußte nun die Grundidee des neuen Rechts sein, das mit so heldenmüthiger Anstrengung errungen war?

Die Kraft, mit der der industrielle Besiz gekämpft, und die Macht des Reichthums, wie der Intelligenz, die er auf seiner Seite hatte, gaben die Staatsgewalt gerade in dem Augenblick in seine Hände, als es galt, ein neues Staatsrecht zu bilden. Darum mußte dieses Staatsrecht in allem Wesentlichen eben aus der Natur der Industrie und aus den Ansprüchen ihrer Herren hervorgehen; und sie sind es, die das Resultat bedingt haben. Wenn es die Lebensbedingung der Industrie ist, zugleich der Freiheit und der Sicherheit des Besizes zu genießen, so wird sie sich das Königthum absolut unterwerfen wollen, damit kein Wille -im Staate gelte, als der ihrige; daneben aber wird sie es erhalten müssen, weil das Königthum die friedlichste und doch sicherste Ausführung des bestimmten gefeßgebenden Willens enthält. Dieses war das Ziel des Kampfes, und das Resultat des Sieges. Das Königthum selbst stand in wenig Tagen aufs neue befestigt

wieder da; was aber die Deputirtenkammer werden wollte, ist sie wirklich geworden; die Geseßgebung des Staats, dessen erecutive Gewalt in den Händen des von ihr selbst eingeseßten Königs ruht. Bleibt hier für irgend ein Bedürfniß, ja für den kühnsten Wunsch noch etwas zu hoffen übrig? Jene abstracte Gleichheit der ersten Revolution ist selbst für das Volksbewußtsein nicht mehr da als Grundlage seiner Ansichten; kann aber die durch den Besiz modificirte mehr verlangen, als was sie selber sich hier gegeben hat? Allein betrachten wir nun die zweite Seite jener Revolution und ihres Resultats, so wird uns schon jezt, wie eine ferne drohende Gestalt, der Widerspruch entgegen treten, den sie aufs neue, und vielleicht gewaltiger wie je geweckt hat. Zuerst fragt es sich: wem denn im ganzen Kreise der Bürgerschaft ward durch das Grundgefeß der Charte die Gewalt im Staate übergeben? Der Kampf der Julitage ist ausgekämpft durch das ganze Volk; hat nun das ganze Volk einen Theil an dem erhalten, was Alle doch für Alle zu erringen meinten? Allerdings scheint es; denn die Erblichkeit der Pairie ist aufgehoben, und die Macht der Geistlichkeit für immer gebrochen. Allein dazu hätte es vielleicht keiner Revolution bedurft; gewiß war dieses Resultat einer Revolution nicht werth; es ist der Umsturz der scheinbaren Reste einer Standesungleichheit durch die Schwäche derselben ein sehr untergeordnetes Moment geworden. Der eigentliche Punkt ist die Vertheilung der Staatsgewalten. Unläugbar ist es, daß die Bürgerschaft von jezt an die Macht entschieden in Händen hat. Aber wer ist diese Bürgerschaft? Liegt ihr der Begriff des Citoyen actif zum Grunde, den die Constitution von 1793, die von 1795, oder auch nur die von 1791 an die Spize stellt? Nein; im Gegentheil wird der Wahlcensus aufrecht gehalten, nur mit dem Unterschiede, daß statt 300 Fr. Abgaben jezt nur 200 gefordert werden. Damit ist entschieden das Princip aufs Neue für die Zukunft festgestellt, daß der Besiß die absolute Bedingung für die Erreichung der Stellung ist, wo alle Bürger wirklich gleiche Rechte genießen; und zwar nicht ein geringer Besiz, so viel etwa, wie eine Familie bedarf, um sich in Ehren von ihrem Erwerbe zu erhalten, sondern ein gewisser Wohlstand, die Gränze, wo der Reichthum beginnt.

Es versteht sich nun wohl von selbst, daß es sich hier nicht darum handeln kann, ob jenes Princip ein an sich richtiges ist, oder wo die Gränze für die Theilnahme an der Staatsvertretung

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