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hinweg, und gelangen daher beide zu Resultaten, die nur in ihrem Unrichtigsein gleich sind. Darum ist denn gleichfalls die lettere eine unwahre zu nennen; unwahr nicht dadurch, daß sie ihr Grundprincip, die Egalität, nicht durchführte, sondern dadurch, daß sie den Besit nicht mit ihm zu versöhnen wußte. Denn der Besiz ist nun einmal ein wesentliches Moment im Staate, und feine Verfassung hat je ein solches ungestraft übersehen. Er rächte sich, langsam für jene Zeit, aber sicher. Nicht blos der Terrorismus fiel; mit ihm wären blos Persönlichkeiten gefallen. Sondern es fiel jene Constitution selber, und mit ihr ihr eigentliches Lebensmoment, der Gedanke, die Persönlichkeit als solche getrennt vom Besize zur Geltung bringen zu wollen. Das ist das wahre und dauernde Resultat der Zeit der Schreckensherrschaft, und wie in der Constitution von 1791 die allgemeine Idee des Besizes gewonnen ward, so erhob sich aus der Constitution von 1793 die Ueberzeugung, daß das Egalitätsprincip nicht bei der abstracten Persönlichkeit stehen bleiben könne. Deshalb darf man diesen Versuch den Wendepunkt jenes Princips nennen. Ueber zeugungen ändern sich aber langsam und in der Stille; man wird daher nicht eine plößliche äußere Erscheinung als Manifestation einer neuen Richtung suchen wollen. Die neue Gestalt der Idee der Gleichheit bedurfte selbst in Frankreich der Jahre, um zu reifen, doch zögerte sie nicht, ihr Dasein zu zeigen; und diese neue Gestalt ist es, die noch gegenwärtig dem Verhältniß der Volksklassen zum Grunde liegt.

Wir erinnern nochmals, daß wir nur Eine Seite jener in sich so unendlich reichen Zeit aufzufassen haben. Es wird diese Aufgabe dem denkenden Leser erklären, weshalb wir nicht anstehen, eben diese Seite als den eigentlichen Mittelpunkt der ganzen Revolutionsgeschichte herauszuheben.

3) Die Constitution von 1795.

Man würde sich sehr irren, wenn man glaubte, daß der Untergang der Constitution von 1793 unmittelbar als Grund oder auch nur als Folge ein Bewußtsein über jenen Gegensaß der Idee des persönlichen Besizes und der persönlichen Gleichheit gehabt hätte. Der größten Mehrzahl war er nichts, als eine Consequenz des Sturzes der Schreckensherrschaft, und selbst den Denkenden mochte er damals nur ein Beweis für die allgemeine negative Behauptung gelten, daß man auf das abstracte Egalitäts

princip keine Verfassung gründen könne, denn selbst Robespierre ahnte wohl wenig von der tieferen Bedeutung des Eigenthums, und die Constitution steht keinen Augenblick an, im Art. 2. als ,,natürliches und unverjährbares Grundrecht des Menschen" sein Eigenthum, im A. 19. deffen Unverleßlichfeit anzuerkennen.

Das was jenen Zweifel daher erst erwecken konnte, war das wirkliche Wiedererscheinen des Besizes und seines Einflusses in Staat und Gesellschaft. Die öffentliche Ruhe trat allmählig wieder ein, und jest konnte es allerdings nicht ausbleiben, daß der Reichthum sich als Herrscher allmählich neben die ihm untergeordnete Armuth stellte.

Wie sich diese beiden Elemente nun im Volksbewußtsein ge= stalteten und das fortdauernd lebendige Egalitätsprincip ausbildeten, wollen wir im folgenden Abschnitt genauer bezeichnen. Bis zum Ende der eigentlichen Revolution aber hat das leztere seine bestimmte Richtung auf das Recht der Theilnahme am Staatswillen nicht verlassen, die es einschlug, als Stände und Zunstwesen von ihm überwunden waren. Hier müssen wir ihm daher folgen bis zu dem Punkt, wo für die ganze Folgezeit seine Grundform ihm gegeben ward, und dieser Punkt, der Beginn einer neuen Geschichte des öffentlichen Rechts Frankreichs, ist die Constitution vom 22. August 1795.

Das Directorium war damals die einzige Hoffnung des Landes. Die Verfassung von 1791 war umgestürzt, die von 1793 war unmöglich. So mußte daffelbe denn zur dritten Constitutionirung Frankreichs innerhalb fünf Jahren sich entschließen. Diese Constitution von 1795 hat drei Punkte, die ihre Eigenthümlichkeit bilden neben dem was sie mit beiden andern gemein hat. Zuerst als nur ihr gehörend, die Form der höchsten Gewalt im Directorium, Rath der Alten und Rath der Fünfhundert; dann als Grundidee des ganzen Staatsrechts die Aufrechthaltung der Republik aus der Constitution von 1793; endlich aber als Basis für die Berechtigung der Theilnahme der Einzelnen an der republikanischen Gewalt den Unterschied des Citoyen actif von dem bloßen,, Bürger", und die zweifachen Wahlcollegien aus der Constitution von 1791.

Worauf aber beruht nun dieser aufs neue erstehende Unterschied der Berechtigten und Unberechtigten? Die Ursache, die die Verfassung von 1793 stürzte, giebt uns den Inhalt desjenigen

Grundgefeßes, das ihr folgte. Es ist der Besiz, der wiederum die Classen der Bürger trennt, und dessen Maaß die öffentliche Abgabe ist. Zwar ist der Citoyen actif so weit gefaßt, als er gefaßt werden konnte; es bedarf dazu nach T. II. A. 8. nur einer Contribution directe überhaupt; aber es bedarf doch einer solchen. Die Wähler aber müssen schon in Städten über 6000 Einw. ein Einkommen von 200 Tagesarbeiten, in Städten darunter, wie auf dem Lande, ein Einkommen von 150 Tagesarbeiten besigen. Hier erscheint uns wesentlich das Recht der Constitution von 1791,

Dennoch ist die gegenwärtige von einer durchaus verschiedenen Bedeutung für ihre Zeit. Sie ist eben dadurch, daß sie nicht wieder angegriffen wird, der bestimmte Beweis, daß die Frage von jezt an entschieden verneint ist, ob der Besiz als solcher für das staatliche Recht der Einzelnen ohne Einfluß bleiben solle. Das ist ihr eigentliches Resultat in der Geschichte des Egalitätsprincips, ja in der der französischen Verfassungen überhaupt. Und hieran schließen sich nun unmittelbar zwei Säge, die uns die allgemeine Gestalt der folgenden Bewegungen auf diesem Gebiet erklären. Zuerst erkennt von jezt an das ganze französische Staatsrecht in allen seinen Entwicklungen bis zur Gegenwart fortwährend den Grundsaß an, daß die Theilnahme der Bürger an der Staatsverwaltung nothwendig von irgend einem bestimmten Maaße des Besizes abhängen müsse; daß davon die Constitution vom 13. Dec. 1799, das organische Senatus-Consulte vom 18. Mai 1805 Ausnahmen machen, kann man nicht sagen, weil in ihnen eben dem Volke neben Napoleon überhaupt kein Recht zugestanden wird. Die Charte von 1814 und die Charte von 1830 dagegen erkennen jenes Princip an. Die Entwicklung findet im Grundsaß selber nicht mehr statt, nur in der Größe des Maaßes; und deshalb haben wir im Wesentlichen diesen Theil der Geschichte mit der Constitution von 1795 geschlossen.

Dann aber zeigt sich ein zweites. Indem das Moment des Besizes beginnt, die Gränzen seiner ganzen Bedeutung allmählig zu erreichen und auszufüllen, fängt zugleich das Egalitätsprincip an, diesem seinem neuen Feinde mit einem allmählig erwachenden Bewußtsein sich zuzuwenden, und über sein eigentliches Verhältniß zu ihm sich klar zu werden. Damit wechselt es nicht blos den Gegner, sondern zugleich den Kampfplay; war es früher die Staatsgewalt, in der es sich versuchte, so ist es jezt die Gesell

schaft. Es erkennt, daß es, um das Ziel, jene wirkliche Gleichheit aller Person in allen Verhältnissen zu wollen, zuerst die nothwendige Bedingung derselben wollen muß, die Gleichheit des Eigenthums. Dadurch beginnt nun der Nichtbesiger sich dem Besizer, der Einzelne sich dem Einzelnen gegenüber zu stellen; das Proletariat erhält einen neuen Ausgangspunkt für seine Hoffnungen und Bestrebungen, und es erhebt sich langsam und sicher das, was Louis Blanc treffend als den Charakter der Gegenwart Frankreichs bezeichnet, ein Kampf im Herzen der Gesellschaft.

IV.

Gegenfäße in der Gesellschaft Frankreichs nach der Revolution.

Niemand wird behaupten, daß das Eintreten der Ruhe unter dem Directorium eine That dieser neuen Staatsgewalt, oder eine unmittelbare Folge der Verfassung von 1795 und ihrer Vortrefflichkeit gewesen sei. Es ist bekannt, wie schwach und zum Theil einflußlos beide im öffentlichen Leben dastanden. Dennoch hatten. die Bewegungen ihr Ende erreicht, ohne daß eine äußere Gewalt sie bezwungen. Der Grund einer solchen Erscheinung kann daher nur in innern Ursachen gesucht werden.

Wenn nach einem gewaltigen Sturme plöglich eine Ruhe eintritt, und es nicht die Stille der Erschlaffung ist, die sich über den Kampfplag der Kräfte und Leidenschaften legt, so ist sie ein sicheres Zeichen, das sich ein Neues vorbereitet. Allerdings gab es nach dem Terrorismus noch Empörungen gegen die Staatsgewalten; aber es waren nicht mehr Empörungen des Volkes. Die Masse, dieses so lebendige und furchtbare Wesen, blieb äußerlich theilnahmlos bei allem was versucht und unterdrückt ward. Schon war ein bisher unbeachtetes Element in der Gesellschaft zu seiner selbstständigen Bedeutung gekommen; das Volk sah es vor sich erstehen, erblühen und gewaltig werden. In ihm schlummerte die Frage, die die nächste Zukunft zu lösen hatte, und fie war es, der sich die arbeitende Theilnahme und das Bewußtsein der Mehrheit allmählig zuwandte.

Das Princip der Nivellirung aller Unterschiede gilt für den Einzelnen nur bis zu dem Punkt, wo er die Möglichkeit ersteht, fich

selber über alle anderen zu erheben. Dieses Gesez des Lebens verläugnet der Mensch weder im Staat, noch in der Gesellschaft, weder in der Revolution noch im Frieden. So wie die Schranken gebrochen und die freie Bahn allen eröffnet ist, stürzen sie vorwärts, jeder für sich an die Erreichung des Zieles denkend. Dieses Ziel erscheint als ein tausendfaches, für jeden in anderer Gestalt und mit anderem Reiz; dennoch ist es seinem Wesen nach nur Eins, und Ein Wort bezeichnet es vollkommen. Es ist die Geltung unter den Nebenstehenden.

Die Revolution hat nun für Staat, Gesellschaft und Arbeit alle Unterschiede aufgehoben. Sie hat damit das Feld eröffnet, auf dem jezt die Kräfte sich versuchen mögen. Die Zeit des unmittelbaren Kampfes ist vorbei; und dieser Kampf hatte keinem erlaubt, allein zu stehen.

Jezt aber trat Ruhe ein; der Einzelne bedurfte nicht mehr der Partei, und ward nicht mehr gezwungen, seine Kraft für ihren Sieg, seine Sicherheit für ihre Haltung zu opfern. Die Ruhe eines starken Gouvernements überläßt den Einzelnen sich selber; das ist ihr Segen. Jener aber beginnt in demselben Augenblick mit allen anderen Einzelnen einen Kampf um den Vorrang der Geltung in der Gesellschaft.

Wo nun aber in einer Gesellschaft keine objectiven Bestimmungen sind, die dem Einzelnen seine Stellung oder seine Richtung anweisen, da kann auch nur ein an die Persönlichkeit als solche geknüpftes Moment ihm jenen ersehnten Vorrang geben. Dieses Moment wird es demnach sein, nach welchem alle trachten; es wird dasselbe die Basis der gemeinsamen Bewegung und den Charakter der Zeit bilden, in der wir jene sich erheben sehen.

Das ganze französische Volk theilt sich unter Napoleon in zwei Theile, die allmählig immer bestimmter auseinandertreten, das Heer, und die bürgerliche Gesellschaft. Was im Heere jenen persönlichen Vorrang gab, ist uns selbst geschichtlich noch nahe; es ist jene Tapferkeit, die den Glücklichen bis zu den höchsten Stufen, ja bis zu Thronen zu führen vermochte. Daher war sie es, nach der die Tausende rangen, die Napoleon über die Gränzen feines Reiches führte. Doch haben wir nicht die innere Entwicklung dieser Tapferkeit, die auch ihre Geschichte hat, zu verfolgen.

Allein wo sollen wir jenes Moment in der Gesellschaft im engeren Sinne finden? Es ist nicht mehr eine höhere Stelle in

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