Page images
PDF
EPUB

die Republik als einzig mögliche Staatsform hervor, so geht durch diese wieder die Idee eines Königthums unter.

Mit diesen beiden Folgerungen aus dem Egalitätsprincip tritt nun das Jahr 1792 und 93 der Constitution von 1791 gegenüber. In wie weit entspricht sie ihnen? Was zuerst das Königthum betrifft, so hält sie es so aufrecht, daß der König weder König in einem Königreich, noch der Inhaber der erccutiven Gewalt in einer Republik ist. Seine Stellung und seine Rechte widersprechen sich selber, wie der Idee der absoluten Gleichheit. Hier war daher dem schon nahenden Kampfe sein erster Kampfplag angewiesen. Das Ende ist bekannt; und wir brauchen die Geschichte des Königthums während der Republik nicht genauer zu verfolgen.

Mehr aber dem eigentlichen Volke zugewendet, erhebt sich jezt die Frage, auf welche Weise die Constitution von 1791 den Staatswillen unter die Nation vertheilte. Die Vermittlungen, durch die der Einzelne nach ihr am allgemeinen Willen Theil nimmt, sind die Assemblées primaires, die Assemblées électorales und die Représentants. Die vollkommne Gleichheit aller Personen hätte eine unbedingte Theilnahme an diesen Instituten jeder Person zugestehen müssen. Allein so weit geht die Constitution nicht. Zuerst stellt sie den Begriff des,, Citoyen actif" auf. Der Vollbürger, sobald er solcher anerkannt ist, wählt in den Assemblées primaires den Electeur, und kann von diesem wieder zum Représentant gewählt werden. Der Idee der Pers fönlichkeit nach mußte jeder, der volljährig, ansässig und beeidigt ift, Vollbürger sein. Hierzu aber fügt die Constitution (T. III. C. II. A. 2.) noch die Bedingung: Citoyen actif ist, wer an irgend einem Drte des Reichs eine directe Contribution, die dem Werthe dreier Arbeitstage gleichkommt, bezahlt, und die Quittung dafür vorzeigt. Damit ist denn der Begriff des Weltbürgers abhängig gemacht von einem Moment, das nicht wie die Volljährigkeit u. s. w. in der Persönlichkeit selbst liegt. Vollkommen ausgeschlossen von aller thätigen Theilnahme an Staatsleben ist mithin der Nichtbesiger, der Arbeiter, der jene rein äußerliche Bedingung nicht zu erfüllen vermag, gleichviel, ob er sonst in sich alle Intelligenz und alle persönlichen Eigenschaften vereint, die ihn der höchsten Ehren würdig machen. Gleich sind nicht mehr die Persönlichkeiten, sondern nur die, die ein bestimmtes Quantum besigen. Damit ist eine absolute

Scheidung unter den Staatsmitgliedern eingeführt; es giebt Staatsbürger, und Staatsunterthanen; und an die Stelle des Standesunterschiedes tritt der des Vermögens. Von da an findet sich mithin aufs Neue eine unterworfene Classe.

Diese an den Besit geknüpfte Ungleichheit seht sich (a. a. D. A. 7.) für das Recht der Wähler weiter fort. Die Bedingungen für den Eintritt in die Wahlcollegien sind darnach nicht blos das Vollbürgerthum, sondern der Besiß eines Einkommens in den Städten über 6000 Einw., was 200 Tagesarbeiten gleichsteht, in den kleineren gleich 150, auf dem Lande gleichfalls von 150, dem der Pächter eines Besizes, der 400 Tagesarbeiten werth ist, nebengeordnet ist.

Es handelt sich hier nun begreiflicher Weise nicht um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Geseze an sich. Allein_halten wir sie zusammen mit den Grundprincipien der Constitution selbst, mit welchem Rechte schloß sie von der Nation, der sie die Souverainetät zusprach, diejenigen aus, die keine directen Abgaben bezahlten, während sie doch indirect beitragen mußten, und verpflichtet waren, die Waffen zu ergreifen? Oder wie wollte sie den Widerspruch rechtfertigen, zugleich im T. I. A. 1. zu sagen, ,,daß die Bürger keinen andern Unterschied unter sich anerkennen, als den der Tugenden und der Talente", während sie dennoch den Unterschied des Besizes so wesentlich eingreifen ließ?

Hier verbirgt sich ein Gegensaß, der weder zum Bewußtsein gekommen, noch durch einen glücklichen Griff gelöst worden ist; und dieser Gegensaz ist es, den die unmittelbar folgende Zeit auffaßte und ausbildete.

Wir haben gezeigt, wie das Princip der Egalität nothwendig zu der Consequenz kommt, die Persönlichkeit als solche vollberechtigt anzuerkennen. Die Constitution von 1791 arbeitet mit allen Kräften der Verwirklichung dieser Consequenz entgegen; in allen ihren Gesezen ist das kühne und eifrige Streben darnach auf keine Weise zu verkennen. Dennoch bricht es sich hier an einem Punkt, der gleichsam unwillkührlich jene Egalität untergräbt und eine Ungleichheit erscheinen läßt, wo man sie zwar am ersten erwartet, aber auch am tiefsten fühlt, in den unteren Claffen der Gesellschaft. Welches ist das Moment, das so viel Gewalt hatte, sich mitten in den glänzendsten Entwicklungen der Egalität aufrecht zu halten, und Gestaltungen hervorzurufen, die ihm so direct entgegen stehen? Zum ersten Mal tritt es hier auf,

noch schlummernd, aber dennoch gewaltig, schon den Keim der Zukunft in sich tragend, die ihm gehören wird. Es ist der Besiz. Das Princip der Egalität hat hier endlich seinen wahren Gegner gefunden, und noch unbewußt über die eigentliche Bedeutung desselben, beginnt es doch schon zu ahnen, daß die Ungleichheit des Besizes die Klippe ist, an der es scheitern wird.

Wer aufmerksam den inneren Gang der Entwicklung des französischen Lebens verfolgt, dem wird nun hier allerdings folgendes nicht entgehen. Jener Besiz, der sich in der Constitution von 1791 geltend macht, ist seinem Wesen nach durchaus verschieden von dem Besiz vor der Revolution. Da wir die Geschichte des Besizes nicht über unsre Gränzen verfolgen dürfen, so wollen wir den Unterschied, der sie scheidet, nur mit Einem Worte bezeichnen. Der Besiß, der vor der Revolution als Bedingung einer höheren Stellung in der Gesellschaft erschien, war der geschichtliche, das erblich überkommene Gut an Grund und Boden. Der Besiz, zu dessen Idee sich die Revolution erhob, ist der erworbene. Vor der Revolution war ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden, ein Unterschied, dessen Idee sich als eigentliche Grundlage in jedem Zwei - Kammersystem wiederfindet. Könnte man die Scheidung durchführen, daß der geschichtliche Besiz stets der Besiz des Bodens wäre, und umgekehrt, der erworbene stets der des Geldes, so würde ein Sinn in jene Trennungen sowohl der Kammern als der Besißenden hineinkommen. Die Constituante fühlte indeß die Verkehrtheit einer solchen Unterscheidung; die Constitution von 1791 ist der Punkt in der Geschichte des Besizes, wo für immer im französischen Staatsrecht Grundbesiß und Geldbesiz, geschichtlicher und erworbener, sich vollkommen gleich gestellt sind; von jezt an tst der Besiz als solcher in seiner allgemeinsten Gestalt dem Unterschiede von Besizenden und Nichtbesigenden zum Grunde gelegt. Es ist dies eine höchst wichtige Erscheinung für die eigentliche Geschichte des öffentlichen Rechts überhaupt, so wie für unsere Aufgabe im Besondern. Denn erst durch sie wird es möglich, daß sich, wie es später hervortritt, das ganze Volk in Bourgeoisie und Peuple trennt.

Indessen selbst in dieser Form bleibt der Besiß die Bedingung für den Antheil, den die Person am Staatswillen hat. Damit tritt er in Widerspruch mit zwei ihm absolut feindseligen Kräften. Zuerst kann die abstracte Idee der Egalität seine Be

[ocr errors]

rechtigung ihm nicht zugeben; sie muß, so lange ste auf ihrer Basis beharrt, der Idee der abstracten Persönlichkeit, eben diese gegen alle seine Unterschiede geltend machen. Dann aber hatte die Revolution das bewaffnete Proletariat erzeugt, jene Banden, die stets dem Wildesten sich als treues Werkzeug überlieferten, und dadurch ihn zwangen, ihre Ansprüche in der Ständeversammlung geltend zu machen, während sie ihn mit dem Degen in der Faust unterstüßten. Sie waren es, die in diesen furchtbaren Zeiten die Gewalt hatten und gaben, und denen dennoch gefeßlich das Recht der Theilnahme an derselben abgesprochen war. Faßt man beide Momente zusammen, so ist ihr Resultat einfach; es konnte nur die Verfassung sich erhalten, die der einzelnen Persönlichkeit als solcher mit jeder anderen gleiche Theilnahme am Staatsrecht zugestand; jede andre stand mit den Ansprüchen der Zeit auf der einen, mit den Zuständen derselben auf der anderen Seite in Widerspruch. So kurz dieser Say ist, so ist er es dennoch, in dem sich der Inhalt zweier fürchter licher Jahre der Revolution in einen kurzen Gedanken zusammendrängt.

[ocr errors]

Auf diese Weise war die Kraft der Constitution von 1791 von vorneherein untergraben; sie brach zusammen bei dem ersten kräftigen Stoße, der zu kommen nicht zauderte. Der König fiel, die Republik erstand; der Sansculottismus war das Loosungswort der Zeit, und auf seinen blutigen Händen trug er den Mann des Schreckens der Dictatur entgegen. Denn Robespierre war es, von dem das niedere Volk die Verwirklichung aller seiner Wünsche hoffte; und selbst die öffentliche Meinung schien eine Gesellschaft möglich zu machen, in der der Besiz als gleichgültiges und einflußloses Moment neben der Persönlichkeit lag. Alles nannte sich Bruder und Bürger, man grüßte fich ja man uns terschrieb officiell:,,Salut et Fraternité", man träumte von Sparta und Cincinnatus, man wollte ein neues Lacedämon errichten, wenn auch ohne seine Heloten, und selbst Danton, der hochgefeierte, gefürchtete, gewaltige Danton, der Mirabeau des Terrorismus, mußte es sich ernsthaft vorwerfen lassen, daß er einst für ein Frühstück einige zwanzig Franken gegeben. Wie konnte da ein Gesetz bestehen, das dem, den man Bruder nannte, nicht erlaubte an den Wahlen Theil zu nehmen? Das Recht von 1791 war in der Glut des damaligen Lebens rasch gealtert; in zwei Jahren hatte es das Schicksal, das sonst nur Jahrhunderte bringen,

erreicht. Man forderte eine neue Constitution; fie erschien, aus Robespierre's Händen hervorgegangen, am 24. Juni 1793.

Was nun diese Constitution zu einer eigenthümlichen machte, ist leicht zu ersehen. In allem Uebrigen, das Königthum ausge= nommen, behielt man das Frühere; aber das Recht des Einzelnen ward geändert. In ihr giebt es keine zwei Wahlcollegien, die Urversammlungen von circa 200 Bürgern zusammentretend zu Wahlkörpern von 39,000 bis 41,000 Bürgern wählen unmittelbar einen Deputirten. (A. 23.) Citoyen ist jeder, der seit sechs Monaten in einem Canton wohnt, ohne irgend einen Unterschied; ja der Begriff des Citoyen actif findet sich nirgend vor. So ist die lehte Scheidewand gefallen, die noch zwischen dem Homme und dem Citoyen in der Constitution von 1791 fich erhalten hatte. Hier sind sie vollständig identisch geworden, und der Grundgedanke des ganzen neuen Staatsrechts faßt sich damit zusammen in dem Artikel 7: „Le peuple souverain est l'universalité des citoyens français" und in dem Artikel 21: „La population est la seule base de la representation nationale."

Damit scheint denn nun das Egalitätsprincip seinen höchsten Punkt erreicht zu haben. Denn was der Proletarier will, hat er vollkommen erreicht; er steht dem Reichen, dem Adligen, dem Gebildeten gleich, und nirgends, so weit er blickt, erscheint ihm eine Schranke. Fast ist es, als ob hier die Geschichte der Gleichheit auf ihrem Gipfel angelangt, zurückkehren, und von jezt an nur rückwärts schreiten müßte.

Man hat die Constitution von 1793 eine unmögliche genannt. Soll das heißen, daß sie factisch unmöglich ist, so würde nichts leichter sein als einen factischen Gegenbeweis zu liefern, obwohl sie selber nie in Ausführung gefeßt ward. Man hat sie rein auf die Persönlichkeit Robespierre's zurückführen wollen; allein er hätte keine andre geben können, und sie fiel nicht mit seinem Tode. Es ist ein anderes Moment, das ihr den Weg zur dauernden Verwirklichung verschloß. Werfen wir einen Blick zurück auf den Besig, so sehen wir, wie er in der Constitution von 1791 in seiner Bedeutung zwar sich geltend gemacht, aber nicht begriffen war. In der Constitution von 1793 dagegen ist er absolut zur Seite geschoben; es ist ihm sein Einfluß gänzlich negirt, aber es ist dieses eben nur eine Negation, die nicht die Nichtigkeit des Negirten erkennt, sondern sie rein materiell verneint. Beide Constitutionen gehen über das Wesen des Besizes

« PreviousContinue »