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bindet sich mit ihm, und am 23. Juni wagt er es, geradezu dem König seine Souverainetät abzusprechen. Es gelingt; und von diesem Augenblick an ist die Revolution begonnen. Paris empört sich, die Bastille wird zerstört; die Vertreter des Tiers-État erheben sich zur Assemblée Constituante, und in der Nacht des 4. Augusts bricht der begeisterte Muth des aufgeregten Volfs mit Einem Schlage alle altgeschichtlichen Privilegien der Provinzen, ihre rechtliche und administrative Individualität nieder, um die absolute Centralisation und die Gleichheit aller Theile Frankreichs in einem neuen Staate zu verwirklichen.

Betrachtet man aufmerksam den inneren Gang der Entwicklung, dem die Verhältnisse ferner gefolgt sind, so sieht man, daß von diesem Punkt bis zur Vollendung der ersten Constitution oder der Auflösung der Assemblée Constituante wenig positive Schritte vorwärts geschehen. Die Zeit vom 4. Aug. 1789 bis zum 1. Oct. 1791 füllt im Wesentlichen der Kampf gegen das Königthum aus; in Beziehung auf die Verfassung geschah nur das, was vor allem nöthig war, die Gestaltung der allgemeinen Ideen des Volks zu der bestimmten Form eines Reichsgrundges fezes. Während jener Kampf mehr und mehr in die Hände der Proletarier überging, bildete die Assemblée Constituante die Constitution aus; und als ihre Zeit abgelaufen war, konnte das Volk seinen fast vollständigen Sieg, feine Vertreter eine vollendete Verfassung der nächsten Zukunft als Resultat übergeben.

So sind wir denn, mag man nun das Jahr 1789 oder 1791 hinstellen, dennoch bei der näheren Frage angelangt, was denn nun der Inhalt jener Idee der Menschenrechte, die Basis aller Bewegungen, im genaueren bildete. Es ist klar, daß es fast unmöglich ist, Rechenschaft von dem Volke selbst zu fordern; wir müssen sie in der Constitution suchen; und diese lettere erhält eben dadurch, daß in ihr jener Gedanke ins Einzelne hinüber geführt ist, ihre wahre Bedeutung. Indessen läßt sich aus der bisherigen Entwicklung mit Bestimmtheit die Richtung erfassen, in der sie auftreten muß; und diese Richtung ist es, die der Constitution von 1791 in der Geschichte des Egalitätsprincips ihren Plaz anweist.

Was waren, wenn wir auf den vorherigen Abschnitt einen Blick zurückwerfen, die tieferen Widersprüche des Zustandes mit der Idee der Gleichheit aller Persönlichkeit? Drei Punkte stellen sich heraus, bei denen es nicht blos um eine theilweise, sondern

um eine radicale Reform zu thun sein mußte; zuerst die Gleichheit in Beziehung auf den Staatswillen, die eine neue Verfassung forderte; dann die Gleichheit in der Gesellschaft, die der Unterschied der Stände negirte; endlich die Gleichheit der Arbeit, die alles Zunstwesen aufhob. So mannichfache besondre Formen auch die Idee der Droits de l'Homme annahm, jene Punkte bil deten die Hauptsache, und mußten sie dem Wesen des Princips nach bilden. Daher stehen sie an der Spiße der ganzen Constitution, ein Beweis, daß sie es sind, die ihren eigentlichen Ausgangspunkt enthalten.

Die berühmte erste ,,Declaration des Droits de l'Homme et du Citoyen" vom 3. Sept. 1791 beginnt daher:

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Les representants du Peuple Français constitués en assemblée nationale, considerant que l'ignorance l'oubli ou le mepris des droits de l'Homme sont les seuls causes des malheurs publics, ont resolu d'exposer dans une declaration solennelle les droits naturels, inaliénables et imprescriptibles de l'Homme.

Art. I. Les Hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondés que sur l'utilité commune.

In diesem kurzen Saße sind im Wesentlichen schon die Consequenzen enthalten, die in der Constitution weiter ausgeführt werden. Wie entschieden aber dieselbe gerade gegen Stände und Innungen sich erhebt, zeigt der Beginn, wo allen organischen Geseßen als Grundlage folgende Artikel vorangestellt werden:

Il n'y a plus noblesse, ni pairie, ni distinctions hereditaires, ni distinctions d'ordre, ni regime feudal, ni justice patrimoniale, ni aucun des titres, denominations et prerogatives qui en derivaient, ni aucun ordre de chevalerie, ni aucune des corporations ou decorations pour lesquelles on exigait des preuves de noblesse, ou qui supposaient des distinctions de naissance, ni aucune autre superiorité, que celle des functionnaires publics dans l'exercice de leurs fonctions.

An diese vollkommene und radicale Aufhebung aller Standesunterschiede schließt sich unmittelbar das zweite nicht weniger wichtige Princip :

Il n'y a pour aucune partie de la nation, ni pour aucun

individu aucun privilége ni exception au droit commun des Français.

Il n'y a plus ni jurandes, ni corporations de professions, arts et metiers.

Den dritten Punkt entscheiden endlich zwei Artikel, die gleich klar und gleich radical sind.

Tit. III. A. 1.:,,La souveraineté est une, indivisible, inaliénable et imprescriptible: elle appartient à la nation. Aucune section du Peuple, ni aucun individu, ne peut s'en attribuer l'exercice.

Tit. I. A. 1.:,,Tous les citoyens sont admissibles aux places et emplois, sans autres distinctions que celle des vertus et des talens.

Es ist zu leicht, alle diese Grundsäge auf das Egalitätsprincip zurückzuführen, als daß wir uns dabei aufhalten sollten. Jezt aber sind sie als förmliche Geseze ausgesprochen; die Forderung des Volkes hat dadurch eine rechtliche Wirklichkeit erhalten, und die Vernichtung der Unterschiede durch Alleinherrs schaft, Stände und Zunftwesen ist das Grundgesetz des Staats geworden. Das war es, was man von der Constituante wollte, und das hat sie durchgeführt. Bis zum lezten Augenblicke blieb ihr daher das Volk und die öffentliche Stimme treu, und überhäufte sie mit Lob und lebendiger Theilnahme. Auf jenen Principien nun war es nicht schwer, ein ihnen entsprechendes ausgeführtes Staatsrecht zu erbauen. Die Constitution enthält es und hat in ihm die Grundlage für ihre Nachfolgerinnen gegeben. Die activen Bürger bilden primäre Versammlungen; in diesen werden die Wähler für die geseßgebende Gewalt gewählt, die den König als executive mit blos suspensivem Veto zur Seite haben. Die Souverainetät gehört wirklich der Nation; was der höchste Wille will und thut, ist wirklich nur ein Wollen Aller. Jedem steht es vollkommen frei, durch inneren Werth und eigene Talente zu jeder Stufe des Staats sich hinanzuarbeiten, wenn er Luft hat, seine Mühe daran zu seßen. Hier ist für die Persönlichkeit nirgends eine Schranke, die sie bände, nirgends ange erbte Titel und Vorzüge, die ihr eine unerreichbare Bedingung ihrer Geltung wären. Kann es für das Egalitätsprincip eine vollkommnere Verfassung geben?

Wir möchten wünschen, daß der Leser, dem jene Constitution ja nicht unbekannt sein wird, fie grade von diesem Ge

fichtspunkt aus einmal fest ins Auge faffe. Denn der Saß liegt nahe, daß, wenn sie wirklich aus dem Egalitätsprincip hervorgegangen ist, ihre Dauer wie ihre wahre innere Vollendung eben nut darauf beruhen kann, daß sie in der That ganz und nach allen Seiten hin jenem Princip entspricht. Dieses lettere ist noch lebendig und kräftig, und bildet und reizt das Volk, während ihm jene Constitution als die höchste Form seiner Menschenrechte übergeben wird. Enthält sie vollständig die Entwicklung derselben, so ist durch das Volk ein Umsturz ihrer Geseze nicht mög lich. Findet sich dagegen ein Punkt, wo beide auseinander treten, wenn auch scheinbar nur um eines Schrittes Breite, so ist der Kampf gewiß, und wiederum ein Kampf auf Leben und Tod. Denn jene Zeit war nicht geschaffen, nach Vermittlungen sich umzusehen, auf die sie ja hätte warten müssen. - Ein Kampf aber entstand; er erstand fast unmittelbar mit der Auflösung der Constituante, und endete mit der Vernichtung der theuer erkauften und mit Ruhm und Liebe überdeckten Verfassung. Wie war ein solcher Erfolg nach solchen Erfolgen möglich? Darf man sich, wo das ganze Volk noch gährt, hinter Persönlichkeiten flüchten, um die Hebel der Geschichte zu suchen? Gewiß, sie waren von dem mächtigsten Einfluß; aber die Kraft der Bewegung war so groß, daß für selbstständige Eigenthümlichkeiten neben ihr kein Plaz war. Wer nicht in ihr stand, ging zu Grunde oder floh. Darum muß uns jene Bewegung sich selber erklären.

Und jene Bewegung war in ihrem tiefsten Grunde der Sturm, den der Glaube an die Gleichheit der Menschen und die daraus erfolgenden Menschenrechte geweckt und genährt hatte. Wenn sie sich nun gegen ihr eignes erstes Erzeugniß wendet und es zerstört, wo anders kann da der Widerspruch liegen, als in dem Resultat und seinen Gründen? Es ist kein Drittes möglich; das ganze Princip der Gleichheit war nicht vollendet in der Constitution von 1791. Vieles hatte sie gethan, sehr vieles; aber nicht Alles, und das war ihr Unrecht. Sie hatte ihre Geseze auf die Idee des Bürgerstandes allein gegründet, während es schon eine furchtbare Classe der Proletarier gab, zu der sie sich nicht hinwandte; und das war ihr Irrthum. Die Entwick lung jenes Princips in der öffentlichen Meinung und das Emportauchen dieser Classe im öffentlichen Leben waren die Klippen, an denen sie scheiterte. Und dies hat uns das Folgende zu zeigen.

2) Die Constitution von 1793.

Unter allen den Siegen, die die Assemblée constituante über ihre Gegner erfocht, ist die völlige Vernichtung alles Adels und alles Zunftwesens, wie aller Leibeigenschaft, wenn nicht absolut der wichtigste, so doch jedenfalls der entschiedenste. Beide Schranken in der Gesellschaft haben sich nie wieder erheben kön nen; die tausend Unmöglichkeiten, mit denen sie den vorwärtss dringenden Werth der Einzelnen umgaben, find für immer aufgehoben, und zwar so gründlich, daß keine folgende Constitution es möglich erachtet, ihre Aufhebung noch einmal in die Declaration des droits de l'Homme zu sichern. Auf diesem Gebiete konnten die Revolution und das Egalitätsprincip ihre Arbeit wohl vollendet nennen.

Dem neuen Streit, der sich um die Constitution von 1791 erhob, blieb daher kein anderes Feld, als der Staatswillen und das Verhältniß des Einzelnen zu demselben. Und allerdings zeigte es sich bald, was man eigentlich wollte, oder wollen mußte.

Die Idee des Staats, die denselben als einen Contrat social seßt, muß als die leßten und Grundbestandtheile desselben alle diejenigen anerkennen, die eben einen Vertrag schließen können. Das aber find die großjährigen Persönlichkeiten als solche, unabhängig von irgend einem äußeren Verhältniß; ohne dieses wären sie nur unterworfen, mithin Sclaven. Demnach besteht der Staat aus allen seinen mannbaren Mitgliedern. Nimmt man nun durch das Princip der Egalität die Möglichkeit hinweg, daß Einzelne den Staatswillen in sich concentriren können, und spricht mit der Constitution von 1791 den Saß aus: La souveraineté appartient à la nation", so ist die nothwendige Consequenz hiervon der Grundsaß, daß alle erwachsenen Staatsmitglieder einen Theil an dieser Souverainetät haben müssen.

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Es ist leicht, durch das bloße Princip der Egalität zu derfelben Forderung zu kommen. Derjenige im Staate, der auf keine Weise einen Antheil an dem Staatswillen hat, ist dem, der einen solchen besißt, absolut untergeordnet. Die Verwirklichung der Idee der Gleichheit sezt daher nothwendig eine Verfassung, in der niemand von jener Theilnahme ausgeschloffen ist.

Die Idee der Egalität hat gleichfalls eine zweite Consequenz, die der Grund mancher furchtbaren Erscheinung nicht blos während der ersten Revolution geworden ist. Geht aus dem Obigen

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