Page images
PDF
EPUB

zur Seite geschoben, und an seine Stelle die bloße Wahlreform und die industrielle Gesellschaftung gefeßt. Gelänge es, den Zweifel, der das niedere Volk bewegt, an diese beiden Punkte zu fesseln, so wäre damit von vorne herein die Idee des Communismus negirt, und ein Gebiet betreten, wo die Bourgeoisie vollkommen und entschieden herrscht. Es war daher natürlich, daß sich das Atelier an den National anschloß, und daß dieser es auf alle Weise unterstüßte. Aber es war gleichfalls unvermeidlich, daß das Proletariat sehr bald die eigentliche Bedeutung. dieser Demonstration erkannte, und damit aller Einfluß derselben verloren ging. Grade jener Versuch der Liberalen, den Gesichtspunkt zu verrücken, statt ihm grade ins Gesicht zu schauen, hatte ein desto bestimmteres Aussprechen des Communismus zur Folge, und das Atelier mußte alsbald, um seiner eigentlichen Tendenz treu bleiben zu können, in offene Feindschaft mit jenem treten. Anfangs hatten die Communisten das Erscheinen desselben mit Freude begrüßt, weil sie glaubten, grade hier eine Hinneigung der Bourgeoisie zu ihrem Grundprincip zu ersehen; allein bald forderte er gänzliches Aufgeben aller gütergemeinschaftlichen Ideen, Hinges bung an die unter Leitung der Liberalen stehende Gesellschaftung der Arbeiter, und als man sich darauf von ihm zurückzog, klagte er alle Communisten laut und heftig an. Damit war denn seine Stellung zum Proletariat entschieden; er steht nicht in ihm, sondern neben ihm, wie die Bourgeoisie selber; und hätte er nicht anderweitige Unterstüßung, so würde er längst untergegangen sein.

III. Die Communistes im engeren Sinne.

Den größten, wenn auch nicht den gefährlichsten Theil der Communisten bilden gegenwärtig entschieden die Communisten im engeren Sinn, oder wie sie sich nennen die ikarischen Communisten (les communistes icariens). Der Gründer dieser Abtheilung ist Cabet; sie beginnt wie die andere, im Jahre 1840, in derselben Zeit, wo das Proletariat zuerst zu einer selbstständigen' Stellung zu kommen strebte.

Cabet hatte sich schon im Jahre 1815 und 1816 in den Processen der Restauration als ausgezeichneter Advocat einen Namen erworben. Lebhaft verfocht er schon damals die Rechte des Volks; die öffentliche Stimme bezeichnete ihn als einen bedeutenden Mann in den Reihen der Opposition, und bald ward er

im Departement Côte d'Or, von einem der intelligentesten Wahlbezirke Frankreichs zum Deputirten erwählt. Leidenschaftlicher Des mokrat, nahm er thätigen Antheil an der Julirevolution, und stürzte sich ohne Bedenken in die ganze Reihe von geheimen Verbindungen, die ihr folgten. Er konnte und wollte damals nichts, als die Republik; er erklärte sich selbst für einen Demokraten und entschiedenen Republikaner, und vertrat seine Ansicht mit solcher Schärfe in seiner Histoire de la Revolution française (2 Bde.) und seiner Revolution de 1830 (2 Bde.), daß die Regierung ihn vor die Assisen fordern mußte. Er ward indessen freigesprochen und begann jezt sein Journal,, Le Populaire" herauszugeben, das damals im Publikum einen wichtigen Anklang fand. Nach der Revolte von 1834 sah er sich indessen gezwungen, in die Verbannung nach England zu gehen; der Populaire, noch ungefähr ein halbes Jahr von Garnier - Pages fortgeführt, hörte mit den lezten Nachflängen des reinen Republikanismus auf, und Cabet selbst schien vergessen.

In England aber, getrennt von den unmittelbaren Berührungen mit dem rein staatlichen Leben, auf sich und seine Gedanken. angewiesen, begann er sich zu fragen, ob denn nun die Demokratie als solche wirklich das höchste Gut eines Volkes sei. Aufrichtig genug, eine einseitige, wenn auch alte und durch Arbeit und Leiden lieb gewordene Meinung zu bekämpfen, wo sie nicht genügen konnte, ging er auf den tieferen Inhalt des republika= nischen Princips ein, und da ward es ihm denn klar, daß der wahre Republikaner nicht die Republik, sondern das Wohl des Volkes als absoluten Zweck segen müsse. ,,Was ist die Des mokratie, die Republik?" fragte er sich (Comment je suis Communiste. Broschüre p. 3).,, Ist sie besser für uns als die Monarchie? Wird sie uns Arbeit und Brod geben? Wird sie unsre fälligen Zahlbriefe am Ende der vierzehn Tage oder des Monats zahlen? Wird sie uns von unseren Sorgen und Leiden befreien? Wird fie uns zum Wohlstand und zur Ordnung, zu Frieden und Glück führen? Von diesen Fragen aus gelangte er zu der Forderung, erst sich die,, Organisation einer großen Gesellschaft auf der Grundlage der Gleichheit zu erbauen“; und das führte ihn rasch zu dem Gedanken, daß das wahre Glück des Volkes und die letzte Vollendung seines inneren Lebens nur auf dem Princip der Gemeinsamkeit der Güter, der Arbeit und der Erziehung beruhen könne.

[ocr errors]

Das ist die Grundanschauung, die sein erstes und bedeutendstes communistisches Werk, die ,,Voyage en Icarie" (1. Aufl. 1840. 2 Bde.) hervorrief. Mit ihr ging er zuerst an die Auffassung der Geschichte, und hier fand er unter den Egyptern, Kretensern, Spartanern und den alten Römern die ersten Versuche der Menschheit, sich zur Gütergemeinschaft zu erheben. Das Christenthum wird von ihm aus demselben Gesichtspunkte betrachtet; die Lehre Christi will, daß alles allen in Liebe gemein sei, und die ersten Anfänge desselben zeigen in den Liebesmahlen, zu denen der Reiche seinen Ueberfluß dem Armen gab, daß die Bekenner das Gebot des Lehrers wohl verstanden hatten. Als das Christenthum später in die egoistische Sphäre des täglichen Lebens überging, flüchtete sich die Idee der Gütergemeinschaft in die Kreise derer, die sich dem höheren Dienst der Gottheit weihten. Es ist nicht etwa zufällig, daß die Klöster zugleich sich für die Wohnung des höchsten irdischen Lebens hielten, und alle mit einer Stimme die vollkommene Entsagung des persönlichen Eigenthums fordern; denn das erstere ist der absolute, selbstbedingte Grund des lezteren, und jede höhere Entwicklung des Menschen muß die Gütergemeinschaft anerkennen. Das beweist dem Zweifelnden der fernere Gang der Geschichte. Die Klöster gingen unter, weil die Form des Christenthums eine andre ward. Das Christenthum selbst aber blieb, denn es muß ewig der Drang nach der göttlichen Erhebung bleiben. Da nun, wo diese lettere sich am entschiedensten manifestirte, in den Herrnhutern und Quäfern, sehen wir aufs neue die Idee der Gütergemeinschaft, des unpersönlichen Eigenthums sich Bahn brechen. Auf der anderen Seite aber entwickelt sich das geistige Leben des Menschen in seiner Gedankenwelt; aus dem Christenthum entsteht zugleich die Philosophie. Und wohin gelangen die Philosophen, die über die Logik und das einseitige Recht sich zu einer Anschauung des gesellschaftlichen Lebens, des Lebens der Menschheit erheben? Thomas Morus schreibt seine Utopie, Campanella seine Civitas Solis, Fenelon seine Voyage dans les Isles du plaisir, alle seßen für das freundliche Bild, das sie uns hinzeichnen, das Eigenthum als ein nichtpersönliches, Gemeinschaft der Güter und brüderliche Liebe der Bewohner ihrer Utopien. Aber dies sind nicht die wahren Philosophen; es sind nur menschenfreundliche Ge= stalten, wie sie oft vorüberziehen vor den Sinnen derer, die das tägliche Elend mit Trauer betrachten. Gut, so wende man sich

denn den strengeren Philosophen zu. Welche Forderung stellt Voltaire, zu welchen Resultaten gelangen Helvetius, Mably und andre? Es ist nicht zu bezweifeln, daß je höher das Leben des Menschen steht, desto entschiedener die Idee des persönlichen Eigenthums von demselben aufgehoben wird.

Und wendet man sich nun der wirklichen Welt zu, wie schön ist das Bild, das sich entwickelt, wenn wir die Gemeinschaft der Güter als daseiend seßen! Da ist kein athemloses Jagen nach Gewinn, kein Verkaufen von eignen Ueberzeugungen und fremdem Glück, fein Unterdrücken des einen Standes durch den anderen, keine Uneinigkeit, die das Gute zerstört und den Fortschritt hemmt. Es ist die Einheit in allem, die diese Gewalt hat; Einheit in Eigenthum, in Erziehung, in der Industrie. Nach ihr müssen wir streben, ja wir streben, ohne es zu wollen, ihr entgegen. Denn auch wir stehen in der Geschichte und ihr Gang ergreift uns, ob wir ihr nun folgen, oder uns thöricht und ohnmächtig ihr widersehen möchten.

Diese Einheit aber, so wie wir sie erfassen wollen, ist selber nur ein Resultat. Welches ist der Grund, der sie allein zu tragen vermag? Nicht die Gewalt kann es; denn die Gewalt zerstört sich selber. Es ist die brüderliche Liebe, diese wahre Mutter aller Gleichheit, die jenes glückliche Leben allein beginnen, das begonnene allein aufrecht halten kann. Wer seinen Nächsten wirklich liebt, der wird nach dem Gebot des Christenthums ihm geben, was er bedarf, und ihm nicht nehmen, was er besigt. Sie ist es daher, die zuerst und vor allem uns zur Basis unsres ganzen Lebens werden soll; ist sie nur erreicht, so wird durch sie das höchste Gebot des Christenthums bald seine Verwirklichung finden, und das Glück der Menschheit endlich ers reicht sein.

Das ist der wesentliche Inhalt der Voyage en Icarie, die Cabet während seines Aufenthaltes in England verfaßte. Es ist der Einfluß der ganzen Owenistischen Anschauungsweise in dersel= ben unverkennbar, aber man hat sich bisher wenig Mühe gegeben, darauf hinzuweisen. Auch ist jene Voyage en Icarie nicht so sehr durch sich selber, als durch ihr Verhältniß zum Communismus in Frankreich und seine Richtungen bedeutend geworden, und hier ist es, wo wir den weitern Gang zu verfolgen haben.

Cabet fehrte im Jahre 1839 nach Paris zurück, kurz vor dem Aufstande des 12. Mai's. Er konnte und wollte an einer Be=

wegung nicht Theil nehmen, deren Princip mit dem seinigen eben so wenig übereinstimmte, wie die offne Gewalt mit dem Wege, auf dem er seine Theorie zu verbreiten gedachte. Er ließ schon in demselben Jahre sein Manuscript drucken, publicirte es aber erst im folgenden, und jezt beginnt seine Wirksamkeit in der communistischen Welt.

Die ausschweifenden Grundsäße der Egalitaires hatten im Proletariat, wie schon gesagt, vielfachen Widerspruch erregt. Ein großer Theil desselben fühlte das Bedürfniß, seine communistischen Ideen auf der einen Seite mit der Geschichte zu begründen, auf der anderen durch sie selber zu einem bestimmten, greifbaren Bilde zu gelangen, dem man entgegen arbeiten könne. Der Fourierismus stand ihnen zu fern, Louis Blanc, Proudhon, Lamennais, Pierre Lerour waren ihnen theils zu allgemein, theils nicht entschieden genug dem eigentlichen Communismus zugewendet. Sie suchten daher nach einem Schriftsteller, der beide Forderungen zugleich befriedige; und grade dieses bot ihnen die Voyage en Icarie. Daher kam es denn, daß sich rasch eine große Masse der Proletarier um dieses Werk und den noch nicht ganz vergessenen Namen Cabet's sammelte. Sein Buch, obgleich in zwei Bänden gedruckt, fand raschen Absaß*); die Arbeiter lasen es, besprachen die darin aufgestellten Ansichten, wandten sich auch persönlich an Cabet, und vielleicht ehe er selbst gehofft hatte, war eine förmliche cabetistische Fraction im Communismus da, die man nach dem Buch, das ihnen ihr Entstehen gegeben, die ikarischen Communisten nannte.

Grade diese lebendige Aufnahme des Ikarismus zwang nun aber Cabet alsbald, eine bestimmtere Stellung einzunehmen. Wirft man einen Blick auf die kurzen Grundzüge, die wir angeführt haben, so ist es klar, daß der eigenthümliche Mittelpunkt des Cabet'schen Communismus in jener Voyage en Icarie nicht so recht heraustritt. Alles, was er sagt, ist in ähnlicher Gestalt schon bei den St.-Simonisten, bei Fourier, bei den Babouvisten; wollte er daher einen selbstständigen Plag behaupten, so mußte er zuerst den Inhalt seines Systems in feste Formeln faffen, zweitens aber eine förmliche Polemik gegen die übrigen Fractionen der Communisten eröffnen. Cabet ist schon ein bejahrter Mann, und das herannahende Alter hat seine Haare gebleicht; aber er ist noch mit

*) Gegenwärtig erscheint die 2. Auflage (in 1 B.), auch soll eine deutsche Ueberseßung im Werke fein.

« PreviousContinue »