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Periode, in der wir jezt stehen. Indem die Einen den Peuple nicht mehr gebrauchen wollten, die Anderen ihn nicht zu gebrauchen wagten, schob man ihn stillschweigend zur Seite, oder benugte ihn einfach als Schreckgestalt gegen die gar zu scharfe Opposition. Daraus ergab sich nun eine andre gleichfalls dieser Zeit eigenthümliche Folge. Indem nämlich in einem ganzen Jahre das Proletariat kein Zeichen feines selbstständigen Lebens gab, ward es selber in dem ephemeren Kreise der Tagesliteratur vergessen; die öffentliche Aufmerksamkeit ward von ihm abgezogen, und man glaubte, daß der in ihm gesäete Keim keine Früchte tragen würde, weil man fühlte, daß seine Ergebnisse in zu entschiedenem Widerspruch mit der ganzen gegenwärtigen Welt stehen müßten.

Dies war ein großer Irrthum; und er zögerte nicht, sich zu rächen. Ehe noch zwei Jahre vergingen, erschienen wiederum zwei meuchelmörderische Attentate; geheime Verbindungen erstanden, entwickelten sich, predigten ihre Theorien, verbreiteten sich über ganz Frankreich und bewiesen, daß das Leben eines Princips selbst in seinen verkehrtesten Ausartungen nur auf dem Boden der Intelligenz angegriffen und bestegt werden kann. Das hatte man, als man es vermochte, nicht der Mühe werth gehalten; und jezt ist es da, wach, lebendig und stark, der gewaltigste Feind derselben Absichten, die es einst erzeugt hatten.

Es ist nun nicht unsre Aufgabe, das äußere Verhältniß des Proletariats in Frankreich zahlenmäßig darzustellen. Wie viele Nichtbesizer es giebt, wie viel die bloße Arbeitskraft verdienen und nicht verdienen kann, wie sehr die Armuth leidet, überlassen wir anderen Werken darzustellen. Wir wollen das innere Leben jener Classe, Wesen und Richtung ihrer Bewegung erfaffen; und das stellt uns den inneren Zustand des Proletariats in dieser Beziehung als unsre Aufgabe.

Der Republikanismus und der Babouvismus hatten, obs wohl sie auf höchst verschiedene Ziele hinarbeiteten, dennoch für die ganze Masse der Nichtbesizer Eine, beiden gemeinschaftliche Folge. Sie war aus ihrem bisher rein pflanzenmäßigen Leben geweckt worden; sie war zum Bewußtsein ihrer untergeordneten Stellung gekommen, die Fragen und Ansprüche, mit denen jene beiden Erscheinungen auftraten, breiteten sich aus, weit über die Gränzen der bloßen Verbindung, in alle Werkstäts ten, in alle Fabriken, in die Schenken und Versammlungsörter des niederen Volks. Man hub an, darüber zu sprechen und zu

sinnen; man begann vielleicht mit dem ersten leisen Zweifel an der Berechtigung der bestehenden Gesellschaft, vielleicht mit dem entschiedensten Babouvismus, aber von beiden Punkten aus gelangte man zu einem Anderswollen in der ganzen weiten und mächtigen Sphäre des Proletariats.

Dazu kam der immer häufiger werdende Mangel an Arbeit, der finkende Lohn derer, die Arbeit fanden, der Nachklang, den die Theorien von Gütergemeinschaft zurückließen, und der Druck, der auf ihnen in gesellschaftlicher Beziehung lastete. Das lehrte den Proletarier selbst, sich umzusehen in der wirklichen Welt, seine Verhältnisse genauer zu betrachten, seine Arbeit mit der beglückterer Classen zu messen, seinen Genuß mit dem des Reichen zusammenzustellen. Und da fand er denn bald, daß unter den Les benden ihm das härteste Loos zu Theil geworden, und daß dennoch nicht bloß seine innere Stimme sondern selbst diejenigen, die in Staat und Gesellschaft über ihm standen, ihm seine wenigstens abstracte Berechtigung zur Theilnahme an den höchsten Gütern nicht absprachen. Jeder Verwirklichung seiner Hoffnungen aber stand das thatsächliche Verhältniß des Eigenthums und dessen geseßliches Recht gegenüber. Hier konnte er sich doch nicht verhehlen, daß dasselbe eine innere Wahrheit habe; wollte er eine Berechtigung zu seiner unmuthigen Opposition gegen das Gegebene, so mußte er sie gleichfalls in einer inneren Wahrheit suchen und diese ergab sich ihm in der Grundform der französischen Lebensanschauung, dem alten Egalitäts princip. Hier ist daher der Punkt, wo das Egalitätsprincip eine neue Stufe in seiner Entwicklung dadurch erhält, daß es von jezt an einen ihm eigenthümlichen Vertreter im ganzen Proletariat findet.

Denn wenn sich die gegenwärtige Periode von den früheren durch die entschiedene Trennung der Republikaner von allem, was Communismus heißt, nach außen hin unterscheidet, so beruht ihr innerer Unterschied darauf, daß die communistische Bewegung seit 1839 sich in raschem Fortschritt über alle Provinzen Frank reichs und über alle Claffen der Nichtbesizer ausbreitet, während fie früher in dem engen Kreise der Verbindungen selbst einges schlossen war; und man kann mit Recht sagen, daß wie bis da hin der Communismus in den Verbindungen vorkam, so gegen wärtig die Verbindungen im Communismus vorkommen. Das giebt dem letteren die factische Wichtigkeit, die schon jeßt ihm niemand mehr bestreitet. Alle jene Fragen und Zweifel sind nicht

mehr Aufgabe eines kleinen auserwählten Theiles dieser Gesells fchaftsclaffe, auf die der Rest mit gläubigem Fanatismus hört, wie unter den früheren Verbindungen, sondern jeder glaubt sich berufen, selbstständig nachzudenken und eine Entscheidung zu haben. In alle Werkstätten, in alle Wohnungen der Arbeiter sind die communistischen Theorien und Ideen hinein. gedrungen, und die Unruhe des Werdens ist auch dem Geringsten unter ihnen mitgetheilt. Es ist, als fühlte seit der leßten Revolte das Proletariat selbst, daß es von jest an sich allein überlassen sei, und nun mit gemeinsamen Sinnen seine schwierige Aufgabe zu lösen habe. Ein höchst eigenthümliches Leben entfaltet sich daher in dieser Periode vor unserm Blick. Noch ist man zu sehr gewohnt, Urtheil und Betrachtung an einzelne Erscheinungen, wie etwa an kleine Unruhen, an einzelne Verbindungen, oder selbst an die Attentate unmittelbar anzuschließen, und zu vergessen, daß die unvernünftigen Proletarier eben nicht alle Proletarier, ja nicht einmal einen bedeutenden Theil derselben ausmachen. Die französischen Journale und die Processe haben dazu Veranlassung gegeben; der Grund liegt nahe; denn je unmittelbarer die Berührung ist, desto leichter übersieht man wegen der nächsten Seite das Ganze. Deutschland wird auch hier seine hohe Aufgabe bewäh ren müssen, um die einzelnen Verhältnisse in ein ganzes Bild, das einzelne Urtheil in seiner allgemeinen Nothwendigkeit aufzufassen. Die erste Bedingung dafür aber ist es, das Proletariat als eine innere, lebendige und vorwärtsarbeitende Einheit sich zur Anschauung zu bringen, und zwar als eine Einheit, die mit nichts als mit dem sogenannten natürlichen Verstande den tiefen Widerspruch zwischen dem gegebenen Recht und der Idee der Egalität, oder der absoluten Berechtigung aller Persönlichkeit zu lösen versucht. Auf diesem allgemeinen Hintergrund, dessen Verhältniß zur germanischen Idee der Civilisation wir schon bezeichnet haben, bilden sich nun allmählig die einzelnen Sphären, in denen das Proletariat seine hervortretenden Erscheinungen erzeugt, und in dem Zusammenhang Aller erhält das Einzelne seinen Sinn und seine Bedeutung.

Das Egalitätsprincip, so lange es nicht in seine einzelnen Consequenzen ausgeführt ist, enthält als solches noch keinen be stimmten Weg für das unbestimmte Gefühl der Opposition, das es begleitet. Es ist wesentlich nur negativ; denn es weiß was es nicht will, nicht aber was es will. Nun giebt es im Pro

letariat sowohl wie in jedem größeren Kreise jene zwei Classen von Menschen, die die Geschichte tragen, Männer der That, und Männer des Gedankens. Jene folgen dem Eindruck der noch unentwickelten Gefühlsperiode des Denken, und handeln, um zu erfahren, was sie eigentlich wollten; diese wagen nicht, sich zur That zu entschließen, weil der Gedanke, allein ein ewig unfertiger, ihnen nicht die lezte Wahrheit enthüllen will. Jene vertreten den Versuch, diese die Ueberlegung. Das Egalitätsprincip, selbst noch unausgebildet, mußte daher jene zum thatsächlichen Angriff, diese zum besonnenen Zweifel in Beziehung auf den Widerspruch desselben mit dem Bestehenden reizen. Da nun weder in einer demokratischen Verbindung, noch in einer höheren Intelligenz die Verbindung jener beiden Theile gegeben wird, so spaltet sich die Masse des Proletariats in diese zwei Grundgestaltungen; die eine der Handlung, die zweite der tieferen Begründung ihrer Ansprüche nachstrebend.

So unbestimmt diese Bezeichnung scheint, so ist sie dennoch die einzige, die alle folgenden besonderen Entwicklungen allein zugleich umfaßt; und man darf behaupten, daß von dem Sieg des einen Theils über den anderen die Zukunft des Proletariats und vielleicht die Frankreichs abhängt. Von ihr aus gehen wir nun zu der Darstellung des Einzelnen über, wo freilich`oft die Gränze kaum noch dem Blicke wahrnehmbar zu verschwinden scheint. Allein die vorliegende Periode ist eben noch fern von ihrem Ende; sie ist in der Kindheit, und wer will von dem Kinde schon das verlangen, was den Mann zum Manne macht, das Bewußtsein über das was er ist?

Schon war der Aufstand vom 12. Mai 1839 fast ganz vergeffen, und alle Kraft und alle Federn wandten sich den äußeren Verhältnissen zr, ohne zu ahnen, daß Frankreich noch ganz andre Fragen zu lösen habe, als die über den wohlbekannten Concert européen. Ein Jahr und ein halbes war über jene Revolte hingegangen, und kein Zeichen verkündigte, daß sie im niederen Volke auch nur eine Spur zurückgelassen habe. Da hörte man plöglich am 15. Oct. 1840 von einem neuen Attentat, und man erzählte sich mit Erstaunen, es sei ein Arbeiter, ein Communist, ein Mitglied der geheimen Gesellschaften. Lebten diese denn auch jezt noch mitten in der ruhigen Hauptstadt, nachdem die liberale Bourgeoisie fie aufgegeben? Dachten noch Franzosen daran, den König zu morden, die Verfassung zu vernichten, die

Gesellschaft umzustürzen, während der Krieg so nahe vor den Thoren sich entfalten wollte? Und wer konnte Theilnehmer dieser Verbindungen sein? Die Republikaner wußten sich frei von solcher Schuld, die liberale Bourgeoisie war auf immer davon geheilt. Das waren die Fragen, die wie mit einem Zauberschlage durch jenes Attentat geweckt wurden. Aber es war nur zu gewiß; es war hier zum ersten Mal ein rein proletarisches Attentat, das den Schreck mitten in den Frieden der Hauptstadt hineinge= worfen. Alle Parteien wandten sich, fast mit Verwunderung, dieser Gewißheit zu; ein Blick genügte, um sie von der Heftigkeit und dem Umfang des Uebels, das man in sorgloser Sicherheit so lange übersehen, rasch zu überzeugen. Da lag es denn nun offen vor; der revolutionäre Keim hatte gewirkt; der Proleta= rier dachte, der Proletarier handelte, und ohne Anstoß, ohne Einfluß der Demokraten und Liberalen. Es war etwas Neues, was zur Erscheinung kam, und niemand konnte sagen, wohin es noch gelangen würde.

So wird es uns klar, was es eigentlich heißt, wenn selbst der Moniteur Universel (17. Det.) sagt:,,On a vu reparaitre au milieu de nous cette fatale epidemie du regicide, qui semblait enfin éteinte". Jenes Auftreten des selbstständigen Proletariats hatten bis dahin selbst die Conservativsten, selbst das Gouvernement nicht für möglich gehalten. Der liberalen Bourgeoisie aber trat die ganze Bedeutung dieser Erscheinung mit schlagender Gewalt entgegen, und zwang sie zu Geständnissen, zu denen kein Geringeres sie hätte nöthigen können. Von allen Städten kamen plöglich Adressen an den König, um ihm zu seiner Rettung Glück zu wünschen; die Oppositionsblätter brachen wie mit Einem Ton in die heftigste Verurtheilung aus, und die Bürgerschaft erhob sich mit entschiedenem Unwillen jezt gegen eine That, von der ste begreifen mußte, daß sie zugleich gegen den ganzen socialen Zustand gerichtet war. Höchst merkwürdig ist es zu sehen, wie fich der Constitutionnel, der Temps, andre darüber aussprachen; am bezeichnendsten aber sagt der Siècle (18. Oct.):,,Nous avons un gouvernement sorti de la revolution du Juillet librement élu, dont les droits se confondent avec les notres; nous avons besoin qu'il soit fort et respecté; nous ne pourrons que nous affaiblir en nous separaut de lui!“ War es ihnen endlich denn doch zum Bewußtsein gekommen, daß der König zugleich der Vertreter des unverleßlichen persönlichen Eigenthums ist?

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