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Gewalt der Gewalt, das Gleiche dem Gleichen entgegenseßt. Fast in allen Schriften, die einen lang nachhaltigen öffentlichen Einfluß haben, findet sich irgend eine Stelle, wo die Grundidee derselben in wenig Worte zusammengepreßt liegt, ohne daß der Verfasser selbst es wissen mag. Diese aber hebt das allgemeinere Publikum als die eigentliche Errungenschaft heraus, und verarbeitet sie selbstständig; und so ist es wohl nicht zu läugnen, daß der Contrat social sich dem französischen Volk in dem bedenklichen Sage resumirte:,, Convenons donc, que force n'est pas droit."

Auf diese Weise hat die französische Philosophie ihre erste wahrhafte That vollzogen, und die Idee der Persönlichkeit von dem abstracteren Gebiet auf das practische des Staatsrechts und der Gesellschaft hinübergeführt. Sich hier zum Gedanken der Egalität gestaltend, weist sie die Verwirklichung derselben als geistig möglich, und als rechtlich erlaubt nach, indem der Mangel des tieferen Eingehens auf den Inhalt jener Idee sie den Unterschied der Gleichheit des an sich Unbestimmten und des Bestimmten übersehen läßt. Indessen ist der Grundsag ausgesprochen, und die erste philosophische Periode des Egalitätsprincips schließt sich mit dem Bewußtsein, daß der gegenwärtige Zustand und die Idee wie das von ihr bedingte Recht der absoluten Persönlichfeit in unauflöslichem Widerspruche stehen, der nur mit einer entscheidenden Negation des Bestehenden gelöst werden kann. Damit ist jener tiefe Gegensaß gegeben, mit dem die französische Gesellschaft der Revolution entgegenging.

Doch jenes Resultat selber gehört materiell scheinbar nur wenigen Personen an. Die Schriftsteller sind die unendliche Minderzahl der Leser, diese wiederum die Minderzahl des Volkes. Ist gleich das Princip revolutionär, so sind es doch nicht immer die Persönlichkeiten. Und diese Schriftsteller selbst stehen einander gegenüber, Voltaire gegen Helvetius, Helvetius gegen Voltaire, Beide gegen Rousseau. Wenn die Einheit dem Haupte fehlt, wo soll sie den Gliedern herkommen? Und wenn diese Einheit die nothwendige Bedingung einer Volksthat ist, wie mag man behaupten, daß die Revolution ihren Kern in jenen Werken gefunden, und daß es eben das Princip der Gleichheit ist, das sie der nächsten Zukunft als Keim einer furchtbaren Geschichte übergaben?

Aber das Volk, oder die Zeit, oder die öffentliche Meinung, wie man es nun nennen mag, steht eben darum so hoch, weil

es ihr gegeben ist, in allen bedeutenderen Erscheinungen sogleich den eigentlichen Grundgedanken herauszufinden und, unmittelbar die Wahrheit oder Unwahrheit dieses Princips erkennend, sich ihm hinzugeben oder es schweigend zur Seite liegen zu lassen. Grade auf den Mittelpunkt der Werke zugehend, ist es eben nur dieser Grundgedanke, den es als sein Eigenthum in Anspruch nimmt, und nach dem es den inneren Zweifel wie die äußeren Mißverhältnisse beurtheilt. Daher war es eben so natürlich als unvers meidlich, daß alle jene Schriften nicht blos Einen und denselben, sondern daß sie zugleich gemeinschaftlich einen gewaltigen Erfolg hatten. Denn allmählig war sowohl das Lastende als das Schimpfliche der öffentlichen Verhältnisse unerträglich geworden. Eine Aenderung war nothwendig, das fühlte jeder; aber diese Aende. rung mußte so wichtig werden, daß man sie nicht dem Zufall überlassen konnte. Es mußte ein gemeinsames Princip in allen erweckt werden, was allen als Führer dienen könne. Dieses Princip aber durfte nicht blos das Staatsrecht im engern Sinne umfassen, sondern um zu genügen mußte es im Stande sein alle Seiten des gemeinsamen Lebens, der Societé" zugleich zu be greifen. Das war die Forderung der Zeit. Umsonst hätte man ein solches im Katholicismus gesucht; er selber hatte im Gebiete des geistigen Lebens das Gesez der absoluten Unterwerfung unter das Gegebene eingeführt, wogegen man im gesellschaftlichen ans kämpfte. So blieb nichts übrig, als die Philosophie; und hier fand sich in verhältnißmäßig vollendeter Gestalt grade das, wessen die Zeit bedurfte, das Princip der absoluten Persönlichkeit in der Form des Egalitätsrechts, ein Princip, dem keins an Bildsamkeit für die Entwerfung weitschauender Pläne und Wünsche, keins an Freigebigkeit für alle geistigen und materiellen Ansprüche des Einzelnen gleich kam. Was konnte davon die Folge sein, als die unbedingteste Hingebung an diesen neuen Gott mit seinem neuen Rechte?

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So trat das Egalitätsprincip ins Volksbewußtsein über; nicht als eine Theorie, nicht als ein Glaubensartikel, sondern als die Grundlage der ganzen Weltanschauung des französischen Volks, gewonnen durch Ueberzeugung, gesteigert in seiner Intenfivität durch die scharfen Gegenfäße, die ihm rings entgegentraten, nirgends ernstlich bekämpft, ja nicht einmal in seiner ganzen Bedeutung erkannt, aber dennoch bestimmt, die nächste Zukunft Frankreichs zu gestalten. Was ferner geschieht, hat in ihm seinen

wahren Mittelpunkt; und noch gegenwärtig ist das allgemeine Bewußtsein im Wesentlichen auf derselben Stufe, von der aus es seine ganze Geschichte umstürzte, und eine vollkommen neue Welt auf den Trümmern der alten erbauen wollte. Wie sich nun dieser, noch schlummernde Gegensaß mit dem factischen Zustande wirklich gestaltete, zeigt uns die Revolution; daß aber von dem Augenblick an, wo jener Gedanke lebendig ward, ein Kampf auf Leben und Tod zwischen ihm und dem alten staatlichen und gesellschaftlichen Recht erstehen mußte, das brauchen wir nicht genauer darzuthun.

III.

Die drei Constitutionen von 1791, 1793 und 1795.

1) Die Constitution von 1791.

Als sich am 5. Mai 1789 die États généraux, diese Crystallisation des öffentlichen Rechts, um den Mittelpunkt des Thrones versammelten, war es unmöglich zu sagen, was eigentlich die wahre und gemeinsam anerkannte Aufgabe der zusammengetretenen und doch einander so feindseligen Gewalten sein würde. Was jeder Stand nicht wollte, das wußte er genau; was er wollte, lag noch dunkel vor ihm. Den Thron trieb das unabweisbare materielle Bedürfniß einer Reihe der wichtigsten Zugeständnisse entgegen, während er selber sie gerne vermieden und etwa ges machte widerrufen hätte. Der Adel begann den Bürger zu fürchten, und hoffte ihn zu unterdrücken durch Schaustellung seines Glanzes und seiner Macht; die Geistlichkeit stand mit ihren hohen Prälaten auf der Seite der Aristokratie, blos mit der Ueberzahl ihrer Pfarrer auf der des Bürgerstandes. Der Bürgerstand selbst aber war der eigentliche Stamm der États généraux. Denn die äußerste Finanznoth hatte den Hof gezwungen, sie zu berufen; dieser aber sollte der Bürgerstand abhelfen. Daher war seine Bedeutung schon vor der Berufung der Reichsstände so groß, daß troz Adel und Geistlichkeit Neker den Grundsaß durchfocht, ihn allein in gleicher Zahl mit beiden andern Ständen hinzustellen.

Auf dem, was er dachte und wollte, mußte daher der Ausgang dieses so lange gefürchteten und hingehaltenen Reichstages

beruhen; das fühlte er so gut, wie der Hof und die anderen Stände. Aber er hatte eine schwierige Stellung. Rings umgeben von der Pracht, den Ansprüchen und der physischen Macht derer, die ihm eine Niederlage bereiten wollten, eben weil er schon zu einem Kampfe fähig geworden, schien er fast begraben unter seinen Feinden. Wo sollte er, wenn es nun galt diesen Kampf zu beginnen, den Rückhalt finden, der ihm selber moralischen Muth, seinen Gegnern Achtung einflößen konnte?

Doch war dieser Rückhalt weder fern, noch schwach. Damals standen die Abgesandten des dritten Standes noch da als die Vertreter des ganzen Volkes, so weit es nicht adlig war; aus diesem ganzen Volke herausgewählt, aus städtischen Magistraten, Gerichtspersonen, Advocaten, Aerzten, Kaufleuten und Landbewohnern zusammengesezt, trugen sie mitten in die starre und absolute Staatsverwaltung ihrer Zeit die Forderungen und Gedanken des Volkes hinein, in denen sie erzogen waren, und die auch sie als berechtigt anerkannt hatten. Sie wußten, daß jedes Wort, was sie aussprachen, jeder Schritt, den sie thaten, ein lebendiges und kräftiges Echo in ganz Frankreich finden würde; das gab ihrer Ueberzeugung den Muth, dessen sie bedurfte, um sich geltend zu machen, und diesem Muthe die innere Wahrheit, ohne die er nicht hätte dauern können.

Aber eben dieses innige Verhältniß der Gegenseitigkeit zwischen dem Volk und seinen Vertretern, und das dringende Bedürfniß, das diese fühlen mußten, sich auf die öffentliche Theilnahme stüßen zu können, bedingte noch eine Folge, die den Gang der Entwicklung mehr wie alles andere gestaltete. Sollte das Volk für den Tiers-État stehen, so mußte dieser auch die Wünsche und Forderungen desselben in ihrem ganzen Umfange vertreten und keinen Schritt hinter dem zurückbleiben, was von ihm erwartet wurde. Das war eine ernstere Aufgabe, als die Bewilligung oder Verweigerung einiger Steuern; denn jene Forderungen standen schon damals auf einer Höhe, wo sie sich kühn mit dem Recht des Königs selbst zu messen wagten, und umfaßten mehr, als der Hof und der Adel sich gestehen mochten. Noch waren sie innerlich nicht entschieden oder schon bis zu ihren legten Consequenzen fortgeführt; aber dennoch sind sie das Chaos, aus dem die neue Welt des französischen Volkes mit ihren furchtbaren wie mit ihren herrlichen Gestalten sich bildete.

Wir haben gesehen, wie die Idee der Berechtigung aller

Persönlichkeit sich in den Schriftstellern allmählig zu dem Gedanken der Egalität erhoben hat, und wie dieser Gedanke auf tausend Wegen in das öffentliche Leben hineinströmte. Das allgemeine Bewußtsein erfaßte ihn und bildete ihn aus; von der negativen Gestalt, in der er noch bei den Philosophen als Opposition gegen ihre damaligen Zustände auftrat, geht er im Volke allmählig zu einer positiven Form über; und aus der bloßen Verneinung der Vorrechte des Adels, des Absolutismus des Hofes, des Zwanges der Innungen entstehen nach und nach Forderungen; Forderungen, die für das öffentliche Bewußtsein nicht mehr auf bloßen Wünschen beruhen, sondern die die Nothwendigkeit ihrer Erfüllung in einem dieselbe absolut bedingenden Grundgedanken nachweisen. Eine solche Forderung aber, die das vermag, enthält in sich ein Recht; und wenn jener Grundgedanke der der Persönlichkeit ist, — oder des Menschen überhaupt, wie die Philosophen dieselbe bezeichneten, so sind jene Rechte für die, die sie fordern, Menschenrechte. Hier ist nun die erste Form gefunden, in der das Egalitätsprincip Frankreich zu einer positiven Gestalt sich entwickelt hat; es ist der Punkt, wo der Gegensaß gegen die geschichtliche Bildung der Gesellschaft und gegen die geschichtlichen Rechte in derselben mit einem bestimmten und inhaltreichen Grundgedanken auftreten lernt. Und schon ist dieser Grundgedanke der Mittelpunkt im Leben des ganzen Volks; was durch das Volk Kraft und Hülfe haben soll, muß es in diefem Gedanken suchen. Daher sind von vorne herein die Mitglieder des Tiers - État nicht blos Vertreter der Nichtadligen gegen die Adligen, des Unterthans gegen den Regenten; ihr Ziel liegt ferner. Sie sind, so wie sie auftreten, revolutionär; sie wollen die Droits de l'Homme zur alleinigen Herrschaft bringen, und sie müssen es wollen, um Vertreter ihres Volkes zu bleiben. Das ist die wahre Idee des Tiers-État, den der König berief, um wie er meinte einige Finanzangelegenheiten in Ordnung zu bringen.

Damit ist es denn unvermeidlich, daß nicht die ersten Acte dieser Versammlung sogleich an dem ganzen Staatsgebäude rütteln, was sich noch vor ihren Augen entfaltet. Der wahre Kampf, den man aufgerufen, läßt nicht auf sich warten. Der Tiers - État erklärt schon am 17. Juni fich für die eigentliche Nationalversammlung; er leistet im Angesicht des zornigen und bewaffneten Hofes den Schwur des Jeu de Peaume; die Geistlichkeit ver

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