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Gestaltung in die Wirklichkeit hineingetragen, die Aufgaben und Zweifel der europäischen Welt selbst dem finnlichen Auge offen vorgelegt, und ihre Lösung entwickelt sich nicht schweigend und ruhig, sondern wild, im Drange mächtiger Gewalten und großer Persönlichkeiten. Dazu kommt der harte immer sich erneuernde Kampf nach außen hin, ein Kampf um seinen Plag und seine Anerkennung im europäischen Staatensystem, die man ihm so wenig zugestehen will als man sie zu verweigern vermag; das Bewußtsein des Volkes, daß der Frieden Europa's und damit der der Welt von ihm abhängt; die Frische, die Kraft der Theilnahme an allem was geschieht, vom himmlischen Reiche bis zu den Freistaaten des friedlosen Amerika's; endlich der ewige Wechsel der Staatsgewalten im Herzen seiner Verwaltung. Ist hier ein Plaz für so nebengeordnete Erscheinungen, wie Socialismus und Communismus? Darf man nach einigen Systemen und ihren wenig zahlreichen Anhängern fragen, wo es sich um so große und hohe Interessen handelt? Und wenn dem so wäre, was sollte uns denn bewegen, unsre Theilnahme einigen Theorieen zu widmen, denen kein Anspruch auf eine Aufmerksamkeit zukommen kann, die man wohl Wichtigerem schuldete?

Dennoch aber ist eben das das Merkwürdige, daß troß jener gewaltigen Bewegungen dennoch jene Phänomene weder von der öffentlichen Meinung, noch von den ernsteren und besonnenen Den» kern unbeachtet geblieben sind; ja selbst die Regierung hat sie für hinreichend wichtig gehalten, sie zu beobachten und zum Theil zu benußen. Als nach der Julirevolution das befreite Volk den ganzen Inhalt seiner Gefühle in Worte und Thaten erfassen wollte, und das lebendige Drängen der entfesselten Kräfte rings nach Kampfplägen suchte, um sich geltend zu machen, da erhob sich der Saint-Simonismus, mitten in derselben Hauptstadt, die noch von furchtbaren Kriegen jenseits der Gränzen ihres Landes träumte, und verstand es, die begeisterte Jugend, wenn auch nur auf Augenblicke, an seine Fahne zu fesseln; als später die Ruhe zurückkehrte und ernste Fragen an die Stelle chimärischer Pläne traten, erschien der Fourierismus, und vermochte das vielleicht Schwerere, unter dem Gewichte des Spottes und der scheinbaren Gleichgültigkeit sich den= noch eine Stellung zu erringen und zu erhalten; neben beiden steht der Communismus, ein finstres drohendes Gespenst, an dessen Wirklichkeit Niemand glauben will, und dessen Dasein doch Jeder anerkennt und fürchtet. Darf man da noch behaupten, daß

alle diese Erscheinungen nur zufällige Resultate irregefahrener Köpfe find, denen etwa die Größe der Aufgabe, vor die sie sich hingestellt, die kleine Kraft verrückte, die sie daran zu sehen hatten? Nein, sie haben in sich ein Element, das ihnen ihr Leben gegeben hat; es verbirgt sich hinter den Resultaten, mit denen fie auftreten, ja hinter dem Bedürfniß selber, das Socialismus und Communismus hervorrief, ein Punkt, durch den sie mit dem innersten Kern der Gegenwart Frankreichs zusammenhangen. Sie sind Erscheinungen, die der inneren Geschichte des französischen Volkes selbst angehören; Erscheinungen, die wohl im Stande find, Aufschlüsse über ein Gebiet zu geben, das scheinbar noch unbeachtet daliegend, dennoch schon durch sein eignes Gewicht sich unter den Hauptfragen unsrer Zeit eine Stellung erworben hat, so gerne auch manche ihm seine ganze Bedeutung läugnen, oder doch ihr den wichtigsten Theil bestreiten möchten.

Unverkennbar aber ist es zu gleicher Zeit, wie ohne das Bewußtsein jenes höheren Gesichtspunktes allerdings sowohl der Socialismus wie der Communismus allen höheren Werth, ja fast alles Interesse verlieren. Denn an und für sich betrachtet, sind sie weder sehr großartige Systeme, noch auch wahrhaft kühne Gedanken zu nennen. Zu dem ersten fehlt ihnen die eigenthümliche philosophische Bildung, zu dem leßteren ein wahres Verhältniß zur Wirklichkeit. Es ist wenig in ihnen, was tief logisch, weniger noch was wirklich ausführbar wäre. Verzeihlich ist da= her die Gleichgültigkeit, mit der man sie bis jezt aufgenommen hat; denn diese Gleichgültigkeit ist durch sie selber verschuldet. Wir selber würden glauben, eine unfruchtbare Arbeit zu unternehmen, wenn es möglich wäre, bei ihnen einfach stehen zu bleiben. Allein grade das, was uns ermuntert hat, die Darstellung derselben zu versuchen, ist die Gewißheit, daß ihre eigentliche Bedeutung weder gering, noch schwer verständlich ist, wenn man es nicht scheut, sie da zu suchen, wo sie allein gefunden werden fann.

Hätten wir im Folgenden den Socialismus allein zu behandeln, so würden wir leicht aus einem ihm eigends zukommenden Standpunkte die Aufmerksamkeit zu fesseln im Stande sein. Beide socialistischen Theorien, sowohl der Saint-Simonismus als der Fourierismus, haben keinen Augenblick angestanden, alle ihre Säße auf Einen leßten Grund zurückzuführen und aus der Masse dessen, was sie seßen und anrathen, ein förmliches

System zu machen. Will man nun den Inhalt der Philosophie rein auf die logische Entwickelung beschränken, so haben jene Systeme allerdings kein Recht, hier genannt zu werden. Allein stellt man die Idee derselben allgemeiner, und bezeichnet mit ihr jede systematische geistige That, wodurch das Gottes- und Weltbewußtsein zu einer bestimmten innern Anschauung des Dafeienden auf der einen, des Sollens auf der andern Seite gelangt, so nehmen unläugbar die Socialisten in der Entwickelung der französischen Philosophie einen höchst wichtigen Plaz ein. Man hat das rein philosophische Element in ihnen zu oft über dem praktischen übersehen, weil sie sich die ungeheure Aufgabe stellten, das materielle Leben der Gesellschaft nicht blos im Allgemeinen, sondern sogar im Einzelnen aus einem abstracten Princip heraus ordnen zu wollen; man hat ihre Deductionen nicht für wissenschaftlich, oder doch nicht für philosophisch gelten lassen wollen, weil sie bei einer Organisation der Industrie als ihrem eigentlichen Ziel anlangen. Allein darin hat man Unrecht; man kann den tiefen Fortschritt des Geistes selber, der in ihnen der französischen Nation überliefert ist, auf keine Weise läugnen, und wir werden unten, so weit es der Raum dieser Arbeit zuläßt, die Nothwendigkeit nachweisen, sich hier vor Einseitigkeit zu hüten. Dennoch kann dies uns nicht den lezten Standpunkt der Auffassung aller der Bewegungen abgeben, die wir als Socialismus und Communismus bezeichnen. Man fühlt schon, ehe man zur Sache selbst übergeht, daß der Socialismus allein genommen, noch einer weitern Erfüllung bedarf, die ihm erst durch den Communismus gegeben wird; und sucht man sie beide in einer allgemeineren Idee zu vereinen, so wird das philosophische Element wiederum nebensächlich. Es ist wichtig, um jene Erscheinungen an sich zu verstehen; aber es ist nicht das, womit sie an die Gegenwart Frankreichs selbst gefestet sind. Ihre wahre Lebenskraft schöpften sie aus einem andern Quell, und dieser ist es, nach dem wir suchen. - Wo aber soll das Band gefunden werden, das den Socialismus mit dem Communismus, beide mit dem innersten Leben ihrer Gegenwart verbirgt? Ist es ein wahres, und wirklich zum Kern der heutigen Zustände Frankreichs gehörendes, so kann es nicht plöglich entstanden sein, sondern muß als Resultat seiner ganzen neuesten Geschichte erscheinen; und hier verbirgt es sich nicht. Die Elemente des Staatsverbandes find allmälig zu andren geworden; unter ihnen ist ein

vollkommen neues aufgetaucht, das vor der ersten Revolution absolut unbeachtet wie ungeachtet daniederlag, dem Niemand das Recht zugestand selbstständig zu wollen oder zu denken, ja dem sich weder der Staat noch der Einzelne mit Liebe oder thätlicher Unterstügung zuwendete, es unter seiner Würde haltend, denen zu helfen, die Gott selbst gleichsam bei der Vertheilung geistiger und materieller Gabe vergessen hatte. Es ist das Proletariat; die ganze Claffe derer, die weder Bildung noch Eigenthum als Basis ihrer Geltung im gesellschaftlichen Leben befißen, und die sich dennoch berufen fühlen, nicht ganz ohne jene Güter zu bleiben, die der Persönlichkeit erst ihren Werth verleihen. Diese Classe, ihre Berechtigung und ihr Loos ist es, die sowohl der Socialismus als der Communismus im Auge haben; die ganze Bedeutung des Proletariats kommt den Erscheinungen zu, von denen wir reden, denn von dem Gefühle des Unglücks, in das es versunken ist, sind sie ausgegangen, und alle träumerischen Hoffnungen und Pläne desselben sind in ihnen zusammengefaßt und zum Theil als innerlich vollendetes System dargestellt. Nicht wie der Reiche reicher, nicht wie der Weise weiser werden soll, ist hier abgehandelt; es frägt sich nicht nach den Theorien des Staatsrechts oder der Staatsverwaltung, nicht einmal nach dem, was hier doch so nahe zu liegen scheint, dem Armenwesen; das einzige Ziel ist die angemessene Vertheilung der ihrer Idee nach allgemeinen Güter, des Besizes und der Intelligenz, an diejenigen, denen sie in der gegenwärtigen Lage der Dinge versagt worden sind. Das ist der gemeinsame Grundsag für alles was Communismus und Socialismus heißt, obgleich sie in allem Uebrigen auf das entschiedenste sich selber von einander scheiden, und wirklich geschieden sind.

Was aber ist es, was dies Proletariat selbst in unserer Gegenwart zu einer solchen Bedeutung erhebt, daß es sogar den Erscheinungen, die es auch nur von ferne berühren, den Reflex seiner eignen Wichtigkeit zu geben vermag? Von jeher gab es Arme in allen Staaten und Völkern; ja ihre Zahl war zum Theil noch größer, wie sie gegenwärtig ist. So fanden sich zu Ludwigs XIV. Zeit 40,000 Arme allein in Paris, was verhältnißmäßig mehr ist, wie die heutige Masse derer, die der öffentlichen Unterstüßung bedürfen, und Vauban entwirft in seinem oft citirten Reisebericht eine Schilderung des allgemeinen Elends, die uns einen Zustand des niederen Volkes verräth, gegen den

der gegenwärtige fast ein glücklicher genannt werden kann. Aehnlich fand man es in anderen Ländern und zu andern Epochen; dennoch war von der Bedeutung des Proletariats, ja vom Proletariat selbst keine Rede. Was ist es denn, was gerade in unserer Zeit das Leben jener Classe uns als selbständiges entgegentreten läßt?

Wenden wir uns zuerst zu Frankreich selbst. Es ist noch das innere Verhältniß der Elemente seiner Gesellschaft nicht, das wir hier schon erfassen wollen; es mag uns dieses Moment zuerst in seiner rein äußern Gestalt seine Wichtigkeit vergegenwärtigen. Vor der Revolution gab es in Wahrheit eben nur jene drei Stände, die sich in den Etats generaux repräsentirt fanden, den Adel, die Geistlichkeit, und den dritten Stand. Da bricht die Revolution aus; der König ruft seinem Heer, umgiebt die Assemblée in Versailles mit Bajonetten, und droht das schon Errungene unter dem Donner seiner Kanonen zu begraben. Plög. lich erhebt sich Paris; es zieht nach Versailles, und der König wird zum ersten Mal von seinem Volke gezwungen, die Vertreter des Volks als eine Macht anzuerkennen. Noch einmal versucht der Nachfolger Ludwig's XIV., von den Tuilerien aus seine Macht sich wieder zu gewinnen, und die Empörung zu bändigen. Da wird das Schloß mit den Waffen in der Faust gestürmt, und der König, Gefangener seines Volkes, erliegt unter dessen Wuth. Jezt folgt die furchtbare Zeit des Terrorismus ; ein einziger Mann hält durch die Gewalt des Schreckens die ganze königliche Macht in seiner Hand, und herrscht dictatorisch über dasselbe Volk, das er schwören läßt, für seine Freiheit sterben zu wollen. Wer waren jene Streiter, die die Nationalversammlung befreiten, die die Tuilerien eroberten, die Robes pierre auf seinem Plaze erhielten, und die Garde Henriot's bildeten? Was anders sind jene ,, tricoteuses," jene ,, aimables faubourgs", als eben die Proletarier, die plöglich durch das Bes dürfniß muthiger und bewaffneter Arme eine vorher nie geahnte Bedeutung erhielten! Seit jener Zeit haben sie eine Stelle in der Geschichte Frankreichs. Ihre Wichtigkeit konnte ihnen nicht verborgen bleiben; hätten sie sie auch selber nicht gefühlt, so gab es hundert Redner, die sich ihnen zuwandten, und ihnen für ihre Thaten dankten, um neue von ihnen fordern zu können. Unter den gewaltigsten Stürmen der Revolution, in den Kämpfen, die die junge Republik in Paris wie an der Gränze ihren Feinden lieferte, lernte das Proletariat zweierlei; zuerst begriff es sich

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