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Erste Gestalt; von 1830 bis 1835. Epoche des Republikanismus.

Als Ludwig Philipp I. den Thron bestieg, gab es in der ganzen Masse, die ihm die Bahn zu demselben gebrochen hatte, zwei große Theile; die Zufriedenen und die Unzufriedenen. Zufrieden waren alle diejenigen, die bei einer Revolution überhaupt nur zu verlieren haben, das ist, der ruhige Bürgerstand; ferner die, welche durch diese Revolution selbst irgendwie eine Stellung und Bedeutung gewonnen oder sich erhalten hatten. Unzufrieden aber waren die, die eine ganze Reihe von Hoffnungen oder doch einzelne persönliche Erwartungen getäuscht fahen, die Republi kaner im Allgemeinen und neben ihnen noch einige besondre Persönlichkeiten; dann aber der Peuple, der durch Revolution scheinbar nur zu gewinnen hat, und der dennoch an dem Preis des Sieges feinen Antheil erhält. War die innere Kraft der ersteren groß, so war die physische Macht der letzteren gewaltig. In rascher Entwicklung schieden sich beide Theile von einander, und ehe es der Regierung gelingen konnte, auf sicherer Grundlage die Ruhe des Staats zu ordnen, bereiteten sich beide, jene zur Vertheidigung, diese zum Angriff vor.

Dieser wenig verhehlte Gegensaß der Parteien hatte, wie es in ähnlichen Fällen immer geschieht, in den gesellschaftlichen Verhältnissen eine heftige Aufregung, in dem Kreise der Industrie aber eine gewisse Unsicherheit zur Folge, die den Beginn größerer Unternehmungen unmöglich, die schon begonnenen schwankend machte. Die Rückwirkung davon auf den arbeitenden Theil der Nation und die Masse der kleineren Capitalisten war eine große und allgemeine Bedrängniß. Der Credit sank, die Capitalien zogen sich zurück, der Verdienst ward gering bei dem Handwerker und Fabrikarbeiter, der Werth des Besizes fiel, und nirgends war gegen diesen Zustand eine unmittelbare Abhülfe zu sehen.

Das war eine Zeit, wie sie für Empörungen und Verbindungen günstig ist. Diejenigen, welche unter ihr litten, wandten ihren Unmuth gegen den Staat, weil sie umsonst die Unterstützung von ihm hofften, die er doch zu geben nicht im Stande war; diejenigen, die statt einer constitutionellen Monarchie eine Republik gewollt hatten, klagten ihn dessen an, was er nicht verschuldete. So traten diese beiden Elemente in einen gemeinsamen Körper zusam men, und bildeten die oppositionelle Partei, die rein republikanisch war.

Es ist nun, um den Gang der Entwicklung klar zu erfassen,

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durchaus nothwendig, die beiden Elemente dieser republikanischen Partei als besondre zu scheiden. Es finden sich zuerst in ihr die eigentlichen Republikaner; eine Reihe von Männern, denen es zur Ueberzeugung geworden war, daß die republikanische Staatsform nicht bloß an sich absolut berechtigt, sondern zugleich im Stande sei, allen Uebeln und Beschwerden für immer abzuhelfen. Sie waren zum Theil aus den Verbindungen unter der Restauration hervorgegangen, zum Theil standen sie selbstständig da; aber keiner unter ihnen erkannte das bestehende Recht als absolut gültig oder als an sich wahr an; sie wollten die Republik, und schalten die Zeit, in der sie die Einführung derselben sich aus den Händen hatten winden lassen. Neben ihnen stand die Masse des Proletariats, die Arbeiter der Faubourgs, die Nichtbesitzer und die Nichtsthuer. Diese wurden durch zwei Kräfte zugleich bewegt. Zuerst hatte die gepriesene Waffenthat der Julirevolution all ihren militairischen Sinn mit großer Kraft geweckt; die lezten Reste der Napoleonischen Heere hatten sich in jenen Tagen unter ihnen gezeigt, und aufs neue dachten sie an den Glanz ihrer alten Siege. Dazu kam ferner der materielle Mangel, den sie wirklich litten, zum Theil durch gänzliche Arbeitlosigkeit, zum Theil durch die Herabsehung des Arbeitlohnes. Beides stachelte fie, ein Anderes zu wollen, als das Gegenwärtige. Sie waren kampffertig, und gleich stark durch Muth und Massse. Jenes Andere aber, das was sie wollten, wußten sie selber sich nicht zu sagen. Da traten denn die Republikaner zu diesem willkommenen Werkzeng hinzu, predigten die Demokratie, zeigten das Recht des Volkes, hielten eine schöne Zukunft dem gläubigen Pöbel vor, und gewannen sich mit leichter Mühe den ihnen schon vorher geneigten Sinn des niedern Volkes. So waren von jezt an die Demokra= ten und das Proletariat nicht Eins, aber doch vereinigt.

Nun aber galt es, dem organisirten Ganzen des erhaltenden Princips eine Organisation des revolutionären entgegenzustellen. Sie war leicht gefunden. Alle bedeutenderen Männer der Julirevolution waren Mitglieder der geheimen und öffentlichen Verbindungen gewesen, in denen die Opposition gegen die Restauration. ihren Heerd gefunden hatte. Der Carbonarismus war nicht untergegangen; die,,Société Aide-toi, le ciel t'aidera" bestand noch fort; nur waren mit der Revolution eine Menge der bedeutendsten Leute ausgeschieden, die jezt wichtige Stellen im Staate bekleideten, wie Barthe, Merilhou, Guizot u. A. Jezt kam es daher

nur darauf an, jene Verbindungen aufs neue zu organisiren. Das war nicht schwer; die Elemente waren da, der Wille gleichfalls; und so begann die Reihe von geheimen Verbindungen, die den Mittelpunkt der Bewegungen und des Kampfs abgegeben haben, durch den es Frankreich unmöglich ward, einer gesicherten Ordnung und eines segensreichen Friedens zu genießen.

Diese Verbindungen nun, deren Geschichte für die Kenntniß der inneren Zustände Frankreichs überhaupt unerläßlich ist, und die zugleich unsern besonderen Gegenstand auf das genaueste betreffen, erhalten allmählig einen von dem des Carbonarismus durchaus verschiedenen Charakter, und die Entwicklung ihrer Gestalt wie ihrer Bedeutung zerfällt in dieselben drei Abschnitte, in denen die communistische Tendenz fortschreitet. Die erste Epoche, von der wir hier reden, scheidet sich indessen wesentlich nur in Einem Punkte von dem Carbonarismus der Restauration. Wir haben oben schon angedeutet, daß dieser es nicht wagte oder wenn man will nicht vermochte, bestimmt auszusprechen, welche Form des Staats er wolle in dem Fall, daß der Sturz der Restauration ihm gelänge. Bei diesem unbestimmten Inhalt seiner Absichten konnten die Verbindungen, die auf ihn gebaut waren, nicht stehen bleiben. Sie seßten daher als absolute und gemeinsame Aufgabe die Herstellung einer Republik; und in diesem jezt gefundenen Princip liegt der eigentliche Fortschritt derselben vor den früheren Verschwörungen.

Diese innere bestimmte Entscheidung für einen bestimmt ausgesprochenen Zweck war es nun, die zuerst dem Republikanismus den vollständigsten Sieg über alle anderen ihm nebengeordneten Bewegungen und Tendenzen sicherte. Alle Hoffnungen und alle Kräfte strömten ihm zu, und es wiederholte sich, was schon unter der Restauration geschehen war; wie damals der Carbonarismus alle Männer von Talent und Kühnheit an sich gezogen hatte, fo absorbirten jest wiederum die aus ihm entstandenen rein republikanischen Verbindungen die ganze Schaar derer, denen ihre Persönlichkeit mehr zu versprechen schien, als ihre äußere Stellung zu bieten vermochte. Das Proletariat kam als solches gar nicht in Betracht; wer sich dem Volke zuwendete, ward Saint - Simonist, und durch den von den Einen verspotteten, von den Andern bedauerten Untergang dieser Schule war für lange Zeit das Auftreten für die Berechtigung des Nichtbesizers gänzlich unmöglich gemacht. Dadurch gewann der reine Republikanismus an bedeutenden einzelnen Theilnehmern auf der einen, an Vertrauen bei der Masse

auf der anderen Seite. Von 1830 bis 1835 find daher alle Be strebungen, alle Bewegungen im innern Frankreich, ja das ganze Verhältniß desselben zum übrigen Europa durchaus republikanisch. Denn schon war nicht bloß die Nachricht von der Julirevolution über die Gränzen Frankreichs gedrungen; die revolutionären Tendenzen, die sich allenthalben zeigten, machten es Frankreich möglich, an eine Propaganda seiner Ideen zu denken. Mazzini stiftete das junge Europa; der Aufstand in Polen brach aus, Deutschland regte sich. Da war keine Zeit an sociale Verhältnisse zu denken. Republik und europäischer Krieg, das war die Losung; und sie ist es geblieben, bis mit dem Ende des Jahres 1834 allmählig eine andre Gestalt der Dinge eintrat.

So erklärt sich uns zweierlei; der vollkommene Republikanismus der geheimen Verbindungen, und ihre vollkommen despotische Organisation, durch welche leztere diese Zeit wesentlich von der folgenden im äußeren Leben des demokratischen Princips sich unterscheidet. Es gehört die genauere Darstellung derselben der eigentlich politischen Geschichtschreibung an. Wir geben nur so viel, als zur Vollständigkeit des Bildes nothwendig ist.

Die erste geheime Verbindung, die sich unter dem gegenwär tigen Gouvernement wirksam zeigte, war die der „, Amis da Peuple". Sie bestand zum Theil aus den in ComplottirungsAngelegenheiten gewiegten Männern, zum Theil aus jungen unbesonnenen Köpfen, die wie immer die Bewegung um der Bewegung willen suchen. Die Ereignisse drängten sich zu rasch; es war noch keine feste Sonderung, noch keine sichere Organisation des Ganzen möglich geworden; dazu kam, daß die Glieder nicht der strengen Vorsicht zu bedürfen glaubten, und zugleich meinten, die neue Regierung sei schwach und unhaltbar. Sie wagten sich daher kühn ins Publikum, und predigten offen und unverhohlen den Aufruhr. Die Regierung verfolgte sie; aber auch sie mußten erst thatsächlich zeigen, daß sie unfähig waren, ernsten Maßregeln die Spiße zu bieten, ehe man sie aufgab. Nach den ersten Versuchen, im December 1830, bei Gelegenheit des Ministerprocesses einen Aufruhr zu Stande zu bringen, sammelte die Verbindung ihre Kräfte zu einer ernsthafteren Empörung, die bekanntlich am 14. Febr. 1831 ausbrach, als der Clerus es wagte, dem Herzog von Berry in der Kirche von St. Germain l'Auxerrois eine Todtenmesse zu lesen. Die Kirche ward halb zerstört, der wilde Pöbel zog darauf über die Seine, und vernichtete den Palast des Erzbischofs, auf dessen

Plaze jezt friedliche Linden blühen. Die Regierung legte diesen Kampf zwischen Volk und Geistlichkeit mehr bei, als sie ihn ges waltsam unterdrückte; indessen konnte ihr die nahe Gefahr nicht entgehen. Die Société des Amis du Peuple ward von jezt an streng verfolgt, ihre Versammlungen mit den Bajonnetten der Nationalgarde auseinander getrieben, und als sie im November desselben Jahres den bedeutenderen Aufstand von Lyon hervorrief, mußte sie sich, den ernsthaften Nachforschungen zu entgehen, gänzlich auflösen.

Jezt schien die Ruhe gesichert. Allein schon hatten die Führer jener Verbindung den Fehler erkannt, den sie begangen. Es fehlte derselben zweierlei: eine festere Organisation und ein bestimmt ausgesprochenes Glaubensbekenntniß; und beide Bedürfnisse riefen die Société des Droits de l'Homme" hervor. Diese Verbindung, die mit dem Carbonarismus in der Vorsicht der inneren Einrichtung wetteifern konnte, ist entschieden die wichtigste unter allen, die seit der ersten Revolution in Frankreich aufgestanden ist. Sie war über alle Theile des Staats verbreitet, aber die Unterabtheilungen wußten nichts von den höheren Stufen, diese kannten die Hauptführer nicht, die aus ihrem selbst für die wachsame Polizei unerreichbaren Dunkel die willenlose Maffe beherrschten. Daher ist sie selber auch jezt noch im Allgemeinen unbekannt, obwohl sich ihr Dasein nur zu oft in blutigen Empörungen manifestirte. Ihr Grundgeseß war eine Erklärung der Menschenrechte, die mit der Declaration des Droits de l'Homme von 1793 fast übereinstimmt. Wir besigen zwar keinen authentischen Tert derselben, aber es ist kein Zweifel, daß derselbe in der,, Declaration des principes fondamentaux de la Société" der Broschüre,,Projet de Constitution republicaine par Ch. Ant. Teste" (Paris 1833, p. 37–45) in allem Wesentlichen enthalten ist *). Sie beruht auf dem Gedanken einer vollkommenen Demokratie, und beruft sich dafür auf das unveräußerliche Recht der Menschen, glücklich zu sein (Art. 1.), welches Recht nur durch die Republik verwirklicht werden kann, und erklärt (Art. 51.):,, wer sich die Herrschaft anmaßt, ist ein öffentlicher Feind, er erklärt der ganzen Gesellschaft den Krieg", — ein bedenklicher Sag, der wie kein anderer sich willig jedem

*) Wir glauben dies um so mehr behaupten zu dürfen, als die,,Erklärung der Menschenrechte", die den deutschen Mitgliedern dieser Verbindung als politisches Glaubensbekenntniß bei ihrer Aufnahme vorgelegt ward, eine wörtliche Uebersehung jener Declaration ist.

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