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schleppte man sie zur Guillotine, am 26. Mai 1796; die De portirten wurden in ein Gefängniß nach der Rhede von Cherbourg gebracht, die übrigen entlassen, und ein neuer Act in dem Trauerspiele der Revolution war vollendet, um der Persönlichkeit eines Mannes Plaz zu machen, der bald in dem Glanz seiner Siege Republikanismus, Freiheitssinn, Communismus und Ochlofratie mit Einem Schweigen bedeckte.

Welche Gewalten waren es, die jene lang vergessenen Gestalten aufs neue aus dem Schutt vergangener Zeiten heraussuchten, und ihnen noch einmal eine Bedeutung gaben, die schon zum erstenmale nur Ein großer Irrthum gewesen war?

Der Communismus nach der Julirevolution.

Die Ordonnanzen waren erlassen; Paris griff zu den Waffen. In drei Tagen war das Schicksal der Restauration entschieden, und die jubelnden Glückwünsche Frankreichs begrüßten nach langem Druck wiederum die nationale Fahne auf dem Schlosse der Tuilerien.

Ja, sie war da; der Staat gehörte noch einmal dem Volke; es war frei. Das alte Unrecht lag zertrümmert zu den Füßen des Siegers; aber es war mit ihm auch das alte Recht gefallen. Der Sieg war errungen; aber unmittelbar mit ihm trat die größere Aufgabe des Volkes hervor, einen neuen Staat zu schaffen.

Man täusche sich nicht; nicht die Form ist es, die dem Staat die wahre Lebenskraft verleiht. Schnell, schneller als es die Einen gehofft, die Andern gewünscht hatten, war die neue Form des Staats gefertigt, und Ludwig Philipp bestieg den Thron. Aber das war nicht die lezte Lösung der Fragen, in die zum zweiten Mal eine Revolution Frankreich gestürzt hatte. Der Fürst ist nicht der Anfang, sondern der Endpunkt des Staats, der Schlußstein, mit dem sich das Gewölbe schließt, und an dem es sich hält. Aber damit es fest sei, muß die Grundlage sicher stehen; und diese ist das Bewußtsein der selbstständigen Nothwendigkeit des als Persönlichkeit erscheinenden Staats. War diese dem französischen Volke gewonnen? Wußte das ganze Volk wir reden nicht von Theilen desselben — welchen Staat, welches Princip es wollte? Die Begeisterung, mit der die Julirevolution begrüßt ward, hat es uns zu lange übersehen lassen; es war

fein gemeinsames Wollen in dieser ganzen kämpfenden, befreiten Masse. Seien wir gerecht gegen die Wahrheit. Wollten alle eine constitutionelle Monarchie? oder eine Republik? Gewiß, nirgends war größere Unentschiedenheit und Feindschaft, als hier. Oder wollte man eine religiöse Basis? Niemand mochte sie anerkennen. Oder forderte man wenigstens die Heiligkeit des Eigenthums? Aber sie war in ihrem tiefsten Kern angegriffen durch den Sturz einer ganzen Dynastie; und ohne daß noch jemand den innern und nothwendigen Zusammenhang der Dinge ahnte, predigten in demselben Augenblicke die Saint-Simonisten laut und bestimmt die Aufhebung desselben durch die Vernichtung des Erbrechts. Oder ließ man wenigstens die Familie bestehen? Doch ehe noch die ersten Arbeiten der Kammer begonnen hatten, strömte die Menge der Schule zu, die weder Familie, noch Che wollte. Wo war der Punkt zu finden, wo die geistige Einheit die äußere Erscheinung derselben, den starken und lebendigen Staat hervorrufen konnte? Es ist umsonst, es zu läugnen; er war nicht da.

Und dennoch sucht das allgemeine Bewußtsein, in eine gemeinsame That zusammengedrängt, ein gemeinsames Band, das seine verschiedenen Erscheinungen verbinde; es mußte in irgend einem Princip das ganze Leben des Volkes, das in Einem Staate sich erfaßte, übereinstimmen. Ein bejahender Grundsaß vermochte dies nicht; so trieb es denn den Gedanken auf dieselbe Bahn zurück, die der ersten Revolution sich geöffnet durch das verneinende Princip der Freiheit und Gleichheit, der möglichsten Individualisirung und Bestimmungslosigkeit jedes Einzelnen. Die Freiheit war das Wort jener Zeit; sie ist es, die in ihrer abstracten Gestalt mit allen ihren Negationen zurückgeführt werden follte.

Das war die Basis, auf der die Epoche des französischen Lebens sich erhob, die mit der Julirevolution beginnt. Wir müssen es der Geschichte überlassen, ganz zu bestätigen, was wir nur im Einzelnen ausführen können. Aber ein Blick auf den ersten Theil dieser Schrift zeigt uns, daß es derselbe Anfangspunkt ist, von dem die erste Revolution ausging; dasselbe Wollen, dieselbe Verneinung tritt uns aufs Neue entgegen. Es ist das Folgende nichts, als eine bloße Wiederholung dessen, was schon einmal versucht, und schon einmal mißlungen ist.

Und doch zeigen beide Jahrzehnde, so sehr sie sich gleichen

in ihren Grundzügen, eine entschiedene Ungleichheit in der ganzen Gestalt des Lebens, das sie entwickeln. Wer sie nicht beide genau durchforscht, möchte versucht sein, sie für gänzlich einander fremd zu halten; wer tiefer auf sie eingeht, sieht vielleicht nichts, als das, worin sie identisch sind. Beides aber ist unwahr; unwahr für jeden Theil, für jede Seite dieser bewegten Zeiten, und darum wird es da, wo die Vergleichung am nächsten liegt, in der Entwicklung des Egalitäts princips nur zu einer einseitigen Auffaffung führen.

Der Grund jeder einzelnen und allgemeineren Gleichheit dieser beiden revolutionären Decennien liegt vor uns; ihre Ungleichheit beruht auf einem Punkt, den man durchaus als einen eigenthümlichen in der Gegenwart Frankreichs anerkennen muß, um den Gang seiner inneren Bewegung richtig zu würdigen. Der Gedanke der Freiheit und Gleichheit war der ersten Revolution ein neuer, und darum wenn auch nicht gewaltiger, so doch gewaltfamer, als er es gegenwärtig zu sein vermag. Alles was er forderte ward im Sturmschritt errungen und niedergestürzt; weder die Vertheidiger noch die Angreifer kamen zur Besinnung über den tieferen Inhalt dessen was sie hielten und was sie erwerben wollten. Die Entwicklung war zu rasch, um dauernd sein zu können. Gegenwärtig sind aber jene Ideen bekannt und besprochen, die Forderungen und das Recht, die Bedürfnisse und die Möglichkeit ihrer Befriedigung gewogen und berathen, und was geschieht, geschieht langsamer. Das führt in dem Verhältniß der erhaltenden und bewegenden Kräfte ein Ergebniß herbei, auf dem die ganze innere Gestalt des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens beruht. Das Princip des Rechts sowohl wie das der Gleichheit haben Zeit, sich neben dem gegenseitigen Kampf auch auf ihren Inhalt zurückzuwenden; und damit werden beide wiederum gezwungen, sich nicht bloß mit physischen, sondern zugleich mit intellectuellen Waffen zu messen. Die Vertheidiger des Bestehenden kommen daher zum Bewußtsein des Wahren, das die gegebene Gestalt des Staates und der Gesellschaft aufrecht hält, und lernen es, auf den inneren Grund das äußere Auftreten zu stüßen. Die Partei der Bewegung dagegen entwickelt in sich selber langsam aber sicher ihre beiden Seiten, deren tiefe Verschiedenheit nur die Hiße des gemeinsamen Kampfes übersehen ließ die staatliche des Republikanismus, und die gesellschaftliche des Communismus. Einmal aber ihrer inneren Verschiedenheit

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bewußt, ist eine unbegränzte Verschmelzung nicht mehr möglich. Der Communismus selber wiederum kann nicht mehr bei der rohen Form, in der er sich unter Babeuf zeigt, stehen bleiben. Be. ginnend wir möchten sagen, mit seinem Beglun, dem aufs neue im allgemeinen Bewußtsein gesezten Egalitätsprincip, hat er zwölf Jahre lang an sich selber fortgearbeitet, während ihm unter der ersten Revolution kaum so viele Monate gegeben waren. In dieser Zeit entwickelt er sich langsam durch alle Formen, durch alle Verhältnisse mit dem Republikanismus hindurch, und bildet eigne Perioden, deren Wichtigkeit darin liegt, daß, so wie sie zurückgelegt sind, ihr Inhalt nicht aufs neue durchlaufen werden kann. Alle einzelnen Möglichkeiten, alle Fragen, die bei Babeuf noch unaufgelöst in der Idee einer Gütergemeinschaft liegen, erstehen in dieser Entwicklung als besondre, finden besondre Erscheinungen, besondre Besprechung, besondre Ueberwindung oder Widerlegung. Das ist der Charakter der Geschichte des Communismus im heutigen Frankreich, und hierin liegt zugleich ihre hohe Wichtigkeit. Denn Zweierlei wird jeder mit uns anerkennen; zuerst, daß der ganze, in seine einzelnen Punkte aufgelöste Grundgedanke der Unpersönlichkeit des Eigenthums durchdacht und widerlegt sein muß, um wahrhaft überwunden zu werden; dann, daß der einfache Verstand des niederen Volkes gegen das reine Negiren seines Princips nur noch verbissener dasselbe anerkennt, und daß dennoch die höhere wissenschaftliche Entwicklung ihm ihre Wahrheit nicht unmittelbar zu erschließen vermag. Wie soll aber, wenn dem so ist, eben dieser Theil des Volkes zur Erkenntniß der an sich unmöglichen Einseitigkeit seiner Hauptidee kommen? Es giebt nur Einen Weg; und die Geschichte hat ihn uns gezeigt. Jeder Standpunkt des Egalitätsprincips muß als solcher zu einer thatsächlichen Erscheinung kommen, um dem am Thatsächlichen allein fortschreitenden Gedanken seinen besonderen inneren Widerspruch zu offenbaren. Das Egalitätsprincip findet seine Versöhnung erst, indem es das Unterworfensein, das Ber stimmtwerden des Einzelnen durch das Allgemeine als absolute Basis für Staat und Gesellschaft anerkennt. Ist die Idee desselben an sich nicht mächtig genug, sich zur Grundlage der lezten Ueberzeugungen zu machen, so muß der einfache Verstand sich dadurch zu ihr hinaufarbeiten, daß er punktweise, gezwungen durch das wirkliche Erscheinen der Unwahrheit derselben, die individuelle abstracte Freiheit fallen läßt, und durch die Negation seiner eignen

Ansichten zur Bejahung jener Idee sich erhebt. Die Geschichte des Communismus wird auf diesem Standpunkt die thatsächliche Kritik des Princips der abstracten Freiheit; und damit ist das Verhältniß des heutigen Communismus zu der Geschichte des Egalitätsprincips, das einer solchen bis jezt entbehrte, uns gegeben.

Wir können hier nicht mit denen rechten, die unsre Auffassung einer in so mancher Beziehung zugleich unsinnigen und gefährlichen Erscheinung nicht theilen werden. Nur Eine Forderung müssen wir seßen: sich nicht von dem Urtheil, das das Einzelne verdient, von der Anschauung der Entwicklung als eines Ganzen zurückhalten zu lassen. Ist das Princip der Egalität einmal da, und mit ihm die stets wachsende Armuth der Arbeiter, so ist der Communismus unvermeidlich; kein Resultat aber kann für sich aufgehoben werden. Die einzige Möglichkeit einer staatlichen und bürgerlichen Ruhe in Frankreich beruht daher, so parador es klingen mag, darauf, daß der Communismus selber sich durch das Erkennen seiner eignen Einseitigkeit aufhebt. Das Fieber, das ihn erzeugt, muß austoben; ist die Lebenskraft frisch, so wird es der Gesundheit dienen. Uns aber, die wir einer folchen bittern Erfahrung fern stehen, muß eben dadurch der Communismus ein unmöglicher werden, daß Frankreich uns seine innere Unwahrheit und seine ernsten Consequenzen als belehrendes Beispiel auch dem sinnlichen Auge darzulegen bestimmt ward. Doch nicht minder gewiß ist es, daß Frankreich selber noch weit entfernt von jener inneren Versöhnung der gährenden Widersprüche ist. Was es noch erdulden muß, ehe es dahin gelangt, darf niemand zu behaupten wagen. Freundlich aber wird sie nicht sein, die nächste Zeit, der dieses Land entgegen geht.

Wir theilen die Geschichte des Communismus in drei Abschnitte, die sich als wesentlich verschieden herausstellen. Man wird eine Menge von Fragen, die hier entstehen werden, nicht beantwortet finden. Aber es ist nicht möglich, genauere Nachrichten von dem geheimen Treiben der Bestrebungen zu erhalten. Ein wichtiger Theil des Stoffes verbirgt sich gänzlich; das Vorliegende hat bis jezt keine Darstellung gefunden, auf die man sich stüßen könnte. So muß denn der folgende Versuch als Beitrag zur Zeitgeschichte, sich von vorne herein für unvollkommen erklärend, einem späteren Forscher die vollständigere Entwicklung überlassen.

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