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Staatsverwaltung bedingte, sich auf der einen Seite, die wirkliche Theilnahme auf der andern fand.

Indessen ist auch so nicht der ganze Inhalt jenes Gegensaßes uns erschlossen. Alle Völker des vorigen Jahrhunderts scheiden sich in Stände; an die Stände sind Berechtigungen, Ehren, Geltung geknüpft. Ist das Verhältniß dieser Stände zu einander, und damit das des Einzelnen zu seinem Stande wie zu dem höheren damit erschöpft, daß man es blos als eine Scheidung derselben bezeichnet? Scheidungen des Verschiedenen finden allenthalben statt; an ihnen erhebt sich noch kein Kampf des Getrennten. Dennoch ist es eben jene ständische Verschiedenheit, die der Ge genstand des Hasses wie der ersten revolutionairen Bewegungen war. Es muß mithin in der Idee des Standes ein Moment liegen, das allerdings eine bestimmte Form der gesellschaftlichen Beziehungen bedingt, aber zugleich mit dem Begriffe der Persönlichkeit im scharfen Widerspruche steht; und dieses Moment ergiebt sich nun aus Folgendem.

Die Verschiedenheit der Stellung des Einzelnen in der Gefellschaft, das ist, das Maaß für seinen Antheil an allen ihrem Begriff nach allgemeinen Gütern kann ein subjectives oder ein objectives sein. Es kann die Form der Gesellschaft jedem Einzelnen es frei stellen, nur seine eignen Ansprüche als maaßgebend zu betrachten, und es nun seiner eignen Kraft überlassen, wie weit sie fähig ist, ihn auf dem von ihm selbst eingeschlagenen Wege vorwärts zu bringen. Die höchste Stufe steht alsdann jedem offen; wer sie erreichen wird, das hängt eben nur von der Persönlichkeit des Einzelnen selbst ab, und die eigne Fähigkeit ist jedem allein die Gränze für seine Wünsche und Pläne. Allerdings bleiben auch so Verschiedenheiten in der Gesellschaft; aber diese Verschiedenheiten sind wesentlich subjectiv. Diesem Recht grade entgegengesezt steht der Standesunterschied des vorigen Jahrhunderts da. Er ist ein absoluter, und wird dennoch der Person durch das für sie zufällige Moment der Geburt bedingt. Er bestimmt gefeßlich dem Einzelnen eine höhere Stellung und eine Theilnahme an dem seinem Wesen nach Allgemeinen, dem einen sie gebend, dem andern sie nehmend, ohne jedoch die innere Berechtigung der Person durch Lust oder Fähigkeit zum Grunde zu legen. Aber auch das erschöpft ihn nicht ganz. Dasjenige, was die Rangordnung der Stände in seinen entschiedensten Widerspruch mit den Forderungen der Civilisation sezt, ist

nicht die Verschiedenheit derselben, nicht einmal das, daß an diese Verschiedenheit eine Reihe von Vorrechten geknüpft sind – sie würden sich mit diesen Merkmalen selbst nicht von der Hierarchie der Beamtenwelt unterscheiden; sondern ihre eigentliche Unwahrheit besteht in der Unmöglichkeit, durch persönlichen Werth und persönliche Arbeit zu der höheren persönlichen Geltung zu gelangen, die der höhere Stand mit sich bringt. Es fehlt, wo es Stände giebt, das vermittelnde Glied zwischen Hohem und Niederem. Erst in dieser Idee der Stände liegt die wahre und tiefere Negation der Bedeutung aller Intelligenz, alles Besißes und aller Arbeit; ja sie geht noch weiter; eine unbedingte Gränze zwis schen den Einzelnen ziehend, die in den Ständen geboren sind, vereinet sie auf ihrem lehten Punkte die Unendlichkeit des Fortschrittes überhaupt, und damit die Wahrheit des eigensten Lebens der Persönlichkeit. Das Gefühl dieses Widerspruchs ist es, was vor der Revolution die Stände des Reiches auf das Schärfste trennte, und auf der einen Seite den Stolz der Sicherheit seiner Stellung beim Adel, auf der anderen den Haß über das Zurückgeseztsein beim Bürgerstand hervorrief.

Wenn auf diese Weise der Zustand der Gesellschaft Frankreichs mit sich selber in seinen Ständen im Widerspruch lag, so war dies nicht weniger der Fall innerhalb des Bürgerstandes selbst. Hier hatten die alten Gewerke, aus denen sich einst die Selbstständigkeit der Communen entwickelte, allmälig eine wohl bekannte Form angenommen, die ihrem Wesen nach durchaus den Ständen an die Seite zu stellen ist. Die Zünfte und Innungen des vorigen Jahrhunderts erkennen als ihr Grundrecht. den Saz an, daß nur eine bestimmte Anzahl von Meistern in ihnen aufgenommen werden kann, und daß die neu zu Wählenden von ihnen selbst erwählt werden. Die Ausübung der Handwerke, mithin das Verdienen eines angemessenen Unterhalts, wie die Erreichung einer Stellung in der Gesellschaft wird dadurch für eine große Zahl von Arbeitern gradezu unmöglich; weder Geschicklichkeit oder Fleiß von ihrer Seite, noch auch Bedürfniß oder Zutrauen von Seiten des Publikums find im Stande, ihnen den Weg zu einem selbstständigen Erwerb zu versprechen. Dennoch ist das, was dem Product an sich Werth giebt, die Güte der Arbeit und das Bedürfniß von Seiten der Consumenten; wer die erste herzustellen und dies zweite zu berechnen versteht, hat in den Hülfsquellen seiner eignen Persönlichkeit hinreichende Mittel, sich

eine selbstständige Stellung zu verschaffen; dem aber tritt rücksichtslos das Verbot der Innung entgegen, und fesselt seine Arbeit, die ihm doch zur Lebensaufgabe geworden, an die starren nur zum Genuß Einzelner ausschlagenden Schranken der Meisterrechte.

Das sind die Grundlinien der Kreise, die die Masse des Volkes im weitesten Sinne in große Abtheilungen bannten, und ihnen, auf geschichtliches Recht oder Vorrecht sich stüßend, die vollendete Ausbildung ihrer Persönlichkeit für die Einen unmöglich, für die Andern überflüssig machten. Unfre Zeit hat das vor dem vorigen Jahrhundert voraus, daß wir die geistige Unmög lichkeit jener Gestaltungen als einer vergangenen Zeit gehörig, mit Ruhe betrachten und erkennen können. Aber damals war es noth, sie lebendig zu fühlen, um den Muth zu haben, mit ihnen zu kämpfen. Und dieses Gefühl ist es, das den Charakter der ganzen Hälfte des leßteren Jahrhunderts bildete.

Indem aber demselben sein scharfer Gegensaß zu dem Gegebenen und den Resultaten einer glänzenden Geschichte nicht entging, suchte es zugleich nach einer inneren Berechtigung seiner Opposition gegen das althergebrachte Recht. So allgemein war es und zugleich so stark, daß es sich dieser Berechtigung, wo und wie sie ihm gegeben wurde, mit entscheidender Anerkennung zuwenden mußte. Der Gegensatz des Geschichtlichen aber ist das Ungeschichtliche, das Denken. Sollte jene Berechtigung gefunden werden, so konnte nur die Philosophie sie geben. Hier liegt der Grund, weshalb grade in Frankreich die philosophische Bewegung in der Mitte des vorigen Jahrhunderts so allgemein war, und wie es geschehen, daß ihr Resultat für die ganze Revolution, ja für die Gegenwart noch so entscheidend geworden. Dieses Resultat selbst aber liegt nahe. Der geschichtlichen Berechtigung steht die absolute gegenüber; diese hat zu ihrer Basis die Idee der absoluten Persönlichkeit. Sie war es daher, der in den Philosophen des vorigen Jahrhunderts von den drängenden Verhältnissen der Zeit die praktische Frage nach dem Wesen und Werth einer Verfassung von Staat und Gesellschaft übergeben ward, ohne daß man ihr die Muße ließ, sich zur tieferen Logik oder zur wahren Naturphilosophie auszubilden. Was nun das Ergebniß einer solchen Forderung für das lezte Rechtsprincip war, ist unschwer vorauszusehen; es erkennt jener Gedanke, einmal gesezt, nur sich selber als Basis an, wohin man ihn stellen mag. Sein praktisches Princip für Staat und Gesellschaft ist daher ein

fach der Saz, das abstracte Ich als die einzige wahre Grundlage derfelben zu sehen. Hält der Gedanke hierbei das Bewußtsein fest, daß jeder Mensch ein solches Ich ist, so erscheint als das lezte Recht für alle gegenseitigen Verhältnisse die Idee der abstracten Gleichheit, als Basis des staatlichen Rechts aber die Idee der Vereinigung der gleichberechtigten Persönlichkeiten durch eignen Willen des Ichs, der staatliche Vertrag.

Dieses ist der allgemeine Inhalt aller Rechtsphilosophie Frankreichs in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Allerdings bekämpften sich die Philosophen unter einander; allerdings lag manchen wohl das wahre Resultat noch begraben in Zweifel und Unklarheit, andern ward es unwahr, indem sie es aus seiner rechten Bahn heraushoben; aber dennoch ist es jene Idee der Gleichheit, von der man sich nie entfernt. Es würde zu weit führen, auf alle Einzelnen sich einzulassen; wir wollen nur an einigen Hauptführern der Gedanken jener Zeit zeigen, wie unverarbeitet und dennoch wie mächtig und gehaltreich der Saß der Gleichheit allenthalben durchbrach, wo es sich um öffentliche Rechte handelte. Voltaire hat sich, so viel er auch gesagt und geschrieben, dennoch mit der Politik im engern Sinne wenig beschäftigt; er wandte die ganze Kraft seiner mächtigen Feder auf diesen Ge· bieten fast ausschließlich und stets mit der größten Entschiedenheit gegen die geistige Tyranney des römischen Clerus (wie z. B. in den Idées de la Mothe le Vayer 1751. De la paix perpetuelle 1769. Au Roi en son Conseil. La voix du curé. Les droits des Hommes et les usurpations des Papes 1768 u. A.). Es ist dies charakteristisch für ihn; dennoch versuchte auch er, Grundgedanken über Staatsverfassungen aufzustellen. Sie erscheinen als Aphorismen; zwar ist es ihm unmöglich, andre dabei nicht zu kritisiren, aber doch bricht der Gedanke seiner Zeit hervor. So sagt er in seinen Pensées sur l'administration publique (1753): ,, Tous les hommes sont nés égaux. Cette égalité n'est pas l'anéantissement de la subordination; nous sommes tous également hommes, mais non membres égaux de la societé. Tous les droits appartiennent également au Sultan et au Bostangi" und in seinen Idées republicaines (1765):,,Nous n'avons point connu cette distinction odieuse et humiliante de nobles et roturiers, qui, dans son origine ne signifie que seigneurs et esclaves. Nés tous égaux, nous sommes demeurés tels; et nous avons donnés les dignités

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à ceux qui

nous ont paru les plus propres à les soutenir." Voltaire war weder Republikaner, noch Revolutionär, noch auch Rechtsphilosoph; aber eben darum mag er uns als einen wichtigen Repräsentanten für die Meinungen derjenigen gelten, die mit ihm sich hüteten, zu den lezten Consequenzen ihrer eignen Grundsäße sich hinauf zu wagen. Ist er nun freilich unklar und unfertig, so treten zwei andre Männer desto entschiedener auf, die bald als die Wortführer des Egalitätsprincips anerkannt werden. Helvetius in seinem Buche,,De l'Esprit" vertritt den Gedanken, daß jene Gleichheit, in der alle Menschen sich bei ihrer Geburt befinden, auch eine geistige sei, und daß alle Unterschiede der Intelligenz wie der Bildung nicht auf innerer Verschiedenheit, sondern auf der der Erziehung beruhen: dieselbe Grundidee, die Voltaire nur, wie in den obenangeführten Stellen, von ferne und unentwickelt zu berühren wagte. Wie damit dem Egalitätsprincip ein Hauptgegner genommen wird, so wird durch Rousseau ihm der Hauptsporn zu einer gewaltsamen Entwicklung gegeben. Nicht das ist eigentlich das wesentliche Resultat seines Contrat social, daß er die Idee der Egalität in ihm als wahre staatsrechtliche und gesellschaftliche Basis anerkannte, obwohl sie durch die strenge Durchführung mächtig an innerer Gewißheit und Haltung gewann, denn jene Idee war weder wissenschaftlich neu, noch dem Volke selbst eine ungewohnte. Sein bedeutendster Einfluß liegt darin, daß er jeden von diesem Princip abweichenden factischen Zustand als auf dem bloßen Recht des Stärkeren beruhend angesehen wissen wollte. „Obeissez aux puissances", ruft er aus. „Si cela veut dire, cedez à la force, le precepte est bon, mais superflu. Je vous reponds qu'il ne sera jamais violé. Toute puissance vient de Dieu, mais toute maladie en vient aussi. Qu'un brigand me surprenne - quand je pourrai soustraire la bourse, suis-je en conscience obligé de la donner? - Convenons donc, que force n'est pas droit, et qu'on n'est obligé d'obeir qu'aux puissances legitimes." Hier liegt das Band, das jenen Contrat social so eng mit der Revolution verknüpft. Denn ein Volk ist gegen sich selber aufrichtig; es will, wo es auf gewaltsame That sinnt, nicht blos den Zweck derselben gerechtfertigt wissen; ihm heiligt er nicht das Mittel. Es will zugleich einen Haltpunkt haben, die Gewalt als solche zu rechtfertigen, und gerade dieses wird ihm in dem Gedanken geboten, daß es, wenn die Zustände, die es angreift, auf der Gewalt beruhen, nur die

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