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Dritter Theil.

Nebengeordnete Schriftsteller.

Nebengeordnete Schriftsteller.

I.

Allgemeiner Charakter.

Die beiden großen socialistischen Systeme liegen nun hinter uns. Wir haben es für eine überflüssige Mühe gehalten, ihr Verhältniß zu den gewichtigen Fragen, die dem französischen Volke durch seine Revolutionen überkommen sind, im Einzelnen nachzuweisen. Und in der That, es muß genügen, all' die Zweifel und Zerrissenheit, die wir im ersten Theil als Resultat des sich nach jeder Seite hin vollziehenden Egalitätsprincips entwickelten, in lebendiger Anschauung vor sich vorübergehen zu lassen, um das innige Band zu erkennen, das jene Systeme eng mit ihrer Gegenwart verbindet, und sie auf jedem Punkte nicht blos zu einem wissenschaftlichen, sondern zugleich zu einem praktischen Lehrgebäude macht. Dennoch ist auch ihr Verhältniß zu ihrer Zeit ein eigenthümliches; sie sind nicht die einzigen Erscheinungen in der gewaltigen Bewegung, die gährend und suchend die ganze Gesellschaft Frankreichs durchdringt, zugleich allgemeiner und kräftiger als in allen andern Ländern der Civilisation. Nicht blos ihre gegebenen Entwicklungen unterscheiden sie leicht und bestimmt von der Masse verwandter Ideen und Pläne; es ist vielmehr ein wesentlicher Punkt, durch den sie selbstständig dastehen, und der, allein die Berechtigung zu dem Namen einer gesellschaftlichen Wissenschaft gebend, eben durch sein Nichtdasein die Classe der Publicisten bezeichnet, die wir als Nebenschriftsteller jezt zu charakterisiren haben.

Allerdings läßt es sich nicht bestreiten, daß sich in dämmernder Ferne aus dem Ruin aller Grundlagen der Gesellschaft das organische Princip in der Gestalt der Association erhebt, und eine endliche Versöhnung den Widersprüchen verbürgt, die sich noch ruhelos bekämpfen. Aber die Idee jener Organisation der gesell

schafteten Arbeit ist noch in den ersten Jahren der Kindheit; erst bis zu dem Bedürfniß derselben ist die Gegenwart gekommen. Dennoch finden wir sie ausgebildet, begründet und bewußt in den socialen Systemen wieder; hier tritt uns das menschliche Geschlecht in staats- und volksloser Einheit gegenüber, geordnet und dienend, und dennoch seine Subjectivität dem Einzelnen erhaltend und erhebend. Das ist nicht das Resultat der Zeit, in der sie entstanden; über das, was diese vermochte, sind sie weit hinausgeschritten. Wem aber soll es dann gehören, wenn diese Mutter aller Erscheinungen an ihnen eben hier keinen Antheil haben darf? Aber grade dadurch sind sie ja philosophische Systeme, daß ihr Gliedbau und ihre Entwicklungen sich mit nothwendiger Folgerung aus dem eigensten Grundprincip ergeben, wie der Kreis durch seinen Mittelpunkt. Die ganze Selbstständigkeit ihres Lebens beruht eben auf ihrem lezten Resultat, das zugleich Anfang und Ende des Ganzen ist. Das ist es, wodurch sie eine Stelle einnehmen in der Geschichte der Entwicklung ihrer Zeit; sie haben ein Princip gefunden, und damit sich über die Zufälligkeit subjectiver Meinungen erhoben, e.. Princip, dessen systematische Fortbildung und absolute Wahrheit nicht aufgehoben werden kann, ohne auf die leßten Stufen des Erkennens hinaufzuschreiten; und mit diesem Princip erklären sie sich kühn für die wahren Gesezgeber und Herren der Bewegung, der sie selber angehören; mit diesem Resultat eilen sie dem kaum erwachten Bewußtsein der Gesellschaft vorauf, und berechtigen sich zu einem begründeten Anspruch auf eine eigne Geltung.

So stehen sie über den Elementen, deren Gesez und Ziel ste bestimmen und verkünden; über der Bewegung als einer von ihnen selbst in allen ihren Formen aufgelösten und durch das Princip überwundenen. Sie selber hat sich in ihnen vollendet, das Suchen ist zu Ende und die Ruhe ist wiedergefunden.

Das ist nun jener Punkt, in dem die Socialisten als eigenthümlich neben der Zahl der übrigen Schriftsteller auftreten. Es ist sehr schwer, die lezteren unter einem gemeinsamen Namen, fast unmöglich, sie durch einen gemeinschaftlichen Begriff zu vereinigen. Nach allen Seiten hin fahren sie auseinander, der unbeschränktesten Freiheit lebend, die seit der Revolution sich an die Spize aller Entwicklungen gestellt hat. Der Staat selbst, alle seine Formen, die Kirche, die Gesellschaft, das Eigenthum kommt, ihnen in den Weg, und die unbewältigten Zweifel treiben sie bald hier

hin, bald dorthin in Kritik und Haß, in Vorschläge und Forderungen hinein, die sie selber weder zu begreifen, noch zu begründen vermögen. Daher giebt es keinen andern Weg, sie unter Einen Gesichtspunkt zu bringen, als den, sie durch das zu bezeichnen, was ihnen gemeinschaftlich mangelt; und dieses ist eben nichts anderes, als das über den Zweifel emporgehobene, in sich selbst schaffende Princip. Sei dieses nun ein geschichtlich gestaltetes, oder absolut entwickeltes, ein volksthümliches, oder ein menschliches, sie haben es nicht. Aber sie stehen, und das giebt ihnen das Recht auf einen Plag in dieser Schrift, mitten in jener tiefen Bewegung, die wir als den eigentlichen Charakter der Gegenwart Frankreichs anerkannt haben. Die furchtbare Negation, die das Egalitätsprincip aus seinem Schlummer geweckt, hat sie auf das Tiefste ergriffen. Zu ernst sind diese Männer, die an der Spige dieser Classe stehen, um über den wahren Punkt, den jene enthält, sich mit sorgloser Mühe oder einem leichtfertigen Sophismus hinweg zu helfen; aber zugleich zu besonnen, um ihr blind zu folgen. So ergreift es sie denn von zwei Seiten zugleich; das Recht der Individualität will seine Anerkennung, die sie ihm nicht versagen können; das Recht der Geschichte die feinige, die jene bekämpft. Sie erkennen alle, und einstimmig, den Anfangspunkt der ganzen negativen Entwicklung, das Egalitätsprincip, an, aber seine vernichtenden Consequenzen wollen sie nicht eingestehen, ohne doch im Stande zu sein, sie logisch abzuweisen. Was ihnen allein innere Festigkeit und ihren Ansichten die siegende Kraft der absoluten Selbstgewißheit geben könnte, mangelt ihnen entschieden; es hat sich ihnen jener leßte Ausgangspunkt, ein höchstes Princip für alles was sie suchen und was sie finden, nicht gezeigt. Dennoch ahnt es allen, daß nur so eine friedliche Lösung zu hoffen ist, und daß es mithin einen leßten Grundsaß oder ein leßtes Glauben geben müsse, sei es, daß man im Gebiete der Religion oder der Philosophie, der Offenbarung oder der Logik nach ihm zu forschen habe; sie selber aber gelangen nicht dahin, diesen Schleier zu lüften, und wäre es auch, um den Drang nach Wahrheit mit dem Irrthum eines ganzen Lebens zu bezahlen. Darum sehen wir sie denn hin und hergeworfen, umsonst nach einer inneren Versöhnung ringend, oder statt eines Grundsages nach einer bloßen Aushülfe greifend. Es ist ihnen allen, als müsse sich doch endlich etwas gestalten und seßen; sie fühlen die Unmöglichkeit des gegenwärtigen Zustandes, weil sie alle seine Widersprüche in sich

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