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menleben mit ganzen Reihen von Verhältnissen, Gegenständen und Wünschen herausreißt, und sie auf Ein bestimmtes Ziel hinwendet, das wir alsdann mit Eifer verfolgen und erreichen. Niemand wird läugnen, daß uns ein solches Bedürfniß der Einseitigkeit oft und mächtig ergreift und fortzicht; es ist aber nothwendig, weil wir sonst in einer unwahren Ruhe leicht die Vollendung erreicht zu haben glauben könnten, wo doch nur eine gleichmäßige Unvollkommenheit aller Entwicklung da ist. Wären wir aber diesem Triebe der Einseitigkeit in der Arbeit, der Liebe oder dem Genuß allein überlassen, so würden wir wiederum nicht die durch ihn verlorne Gleichheit der Ausbildung erreichen; wir müssen irgend wann und wie von dem betretenen Wege wieder umkehren, um uns auch anderem zuzuwenden, und die gestörte Harmonie wies derum möglich zu machen. Dazu treibt uns die passion papillonne oder alternante, das Bedürfniß der Veränderung. Die papillonne zieht uns von Einem zum Andern, von einer Gruppe, einer Person, einer Arbeit, ja einem Genuß zu einem zweiten und dritten; wenn die cabaliste die Bewegung in grader Linie ist, so ist die alternante die in der Wellenform, lebendig, reizend, die Idee des Wechsels.

Jezt aber mangelt der dritte Trieb. Einseitigkeit und Wechfel find nothwendig für den Fortschritt wie für den Genuß, aber beide als solche können nicht die Vollendung hervorrufen. Diese will das mächtige Zusammenfassen all unsres geistigen und materiellen Reichthums, all unsrer Kraft; was wir sind, lernen wir erst durch das was wir vermögen, und das erfahren wir nur durch die gewaltige Richtung unsrer verschiedensten Triebe auf Einen Punkt, nach dem sich alle zugleich hindrängen. Ohne einen solchen Drang nach der Einheit unsres bis dahin zerrissenen und friedlosen Lebens wäre die höchste Vollendung dennoch unmöglich; diefen Trieb aber giebt es, und er ist es, den Fourier die passion composite nennt, die in vereinzelter Erscheinung, wo sie sich Einer bestimmten That zuwendet, der Enthusiasmus ist. Die höchste Verwirklichung aller Bestimmungen, die Ahnung einer Welt, in der jeder Trieb seine vollendete Befriedigung, jede Befriedigung das Bewußtsein ihres lebendigen Triebes wiederfindet, ist die Harmonie des ganzen inneren und äußern Menschen mit sich und der Welt, der Unitéisme.

Das ist das Bild der Triebe, in die sich die Idee des Menschen auflöst. Es stellt sich dar in folgender Ordnung :

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Außer diesen Trieben giebt es keine anderen; was sonst noch als selbstständiger Trieb erscheint, ist nur eine Vereinigung mehrer der so eben dargestellten. Der Uniteismus ist das religiöse Gefühl, das Zusammenklingen aller einzelnen Triebe, wie das Weiße die einheitliche Farbe aller ist. Und wie es unendlich viele Nüancen der Farben giebt, so giebt es auch unendlich viel verfchiedene Gefühle und Triebe. Aber der wahren Triebe sind nur zwölf, von denen sieben die höheren ausmachen, wie es in der Tonleiter sieben Grundtöne, im Prisma sieben Farben giebt. Die fünf sensuellen aber schieben sich allenthalben ein, und bilden in ihrem Zusammenhang mit den geistigen, wie mit der Freundschaft, der Liebe 2c., zusammen die zwölf Töne des Accords. Auf diese Weise ist endlich die große Idee des tiefsinnigsten griechischen Philosophen verwirklicht. Schon vor dreitausend Jahren rief Py= thagoras aus:,,Die Harmonie der Welt und die der Musik find nicht verschieden!" Aber erst Fourier hat bewiesen, was Pythagoras ahnte. Der Gedanke, den Menschen in seine Triebe zu zerlegen, ist nicht neu; aber es giebt wohl keine geistreichere Auffassung dieses Problems, als die so eben dargestellte. Wie hoch Fourier hier über dem Gewöhnlichen steht, mag ein Blick auf einen der ersten Denker Frankreichs lehren. Bossuet, dessen Name wohlbekannt ist, giebt in feiner,, Connaissance de Dieu et de soi-même" folgende Tafel derselben: Die Liebe oder der Trieb sich mit irgend einem Gegenstande zu vereinen, Nahrung oder anderem, Haß Zuneigung (désir) AbneiTraurigkeit. Ferner die Kühnheit - die Hoffnung

gung

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Freude

øder der Muth

-

die Furcht

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die Ver

-

zweiflung der Zorn. ,,Die sechs ersten Begierden, die bei ihrem Gegenstande nur die Gegenwart oder die Entfernung desselben wollen, werden von den alten Philosophen auf den Appetit zurückgeführt, den sie concupiscible nennen (wo die Zuneigung vorherrscht); die lezten fünf, die die Gegenwart oder die Entfernung des Gegenstandes schwerer erträglich machen, beziehcn fie auf den Appetit, den sie irascible nennen (das heißt: wo der Zorn vorherrscht)". Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, wie viel bedeutender die Auffassung Fourier's ist, als diese resultatløsen Ansichten.

Man hat deshalb auch von dieser Lehre von den Trieben, wie sie Fourier aufstellt, viel Aufhebens gemacht, und sie so hoch angeschlagen, daß wir, ehe wir weiter gehen, doch einen Blick auf dieselbe werfen müssen. Es ist eine alte allgemeine Bemerkung, daß keine Eintheilung des Menschen nach Trieben jemals hat genügen können. Der Grund davon liegt in dem Widerspruch, den jener Gedanke von vorne herein in sich trägt: der Trieb ist seinem Wesen nach ein noch Unbestimmtes, das nur seiner Möglichkeit nach da ist. So wie man sich ihn als daseiend denkt, ist er schon nicht mehr Trieb, sondern als erfüllt gesezt. Wir können keinen bestimmten Trieb sehen, ohne das ihn Bestimmende hinzu zu denken. Der reine Trieb ist mithin nichts anderes als die Bewegung. Die Idee, den Menschen in verschiedene Triebe als absolute Seiten seines reinen inneren Daseins zerlegen zu wollen, begeht daher ewig aufs neue den unauflöslichen Widerspruch, sich den abstracten Menschen zur Anschauung bringen zu wollen, und dennoch, eben um die Verschiedenheit der Triebe seßen zu können, sogleich denselben in seinem Verhalten zur äußeren Welt auffassen zu müssen. Sie ist daher an sich falsch, und keine wahre Wissenschaft würde sich bei diesem Anfang beruhigen können. Fourier's Vorschlag ist mithin geistreich, aber dialektisch unmöglich, so gut wie jeder andere ähnliche Versuch.

Gefeßt aber, es wäre das möglich, was logisch mit sich selber im Widerspruche steht und diesen Widerspruch auch gar nicht verbirgt, wie denn bei dem Gesicht der Gegenstand, bei der Liebe und Freundschaft die andere Person schon in der Bestimmung jenes ursprünglichen und absoluten Triebes da ist, so wäre dennoch die erste Aufgabe Fourier's gewesen, in einer wissenschaftlichen Darstellung nicht bei den Arten der

sich beweist. Das wesentlichste Erforderniß für den Triumph der Wahrheit ist die Liebe des Reichthums", denn,,der Reich thum ist die erste Quelle des Glücks“ (Grand Traité T. I. p. 127), und es ist unumstößlich gewiß,,,daß die erste aller Freiheiten die materielle ist!"

Den Vortheil hat durch Fourier Frankreich vor uns voraus, daß es nicht blos factisch dem Materialismus huldigt, sondern ehrlich gesteht, daß er am Ende doch wohl die Hauptfache sei, und ihn, weil er nun einmal da ist, als eine innere Wahrheit zu verstehen sucht. Wo man ihn mit Worten befeindet, mit der That aber aufrecht hält, da ist ein Widerspruch im Leben des Volkes. Welchen Weg Deutschland einschlagen wird, ihn zu überwinden, muß die Zukunft lehren.

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Hiermit indessen hat nun Fourier's Theorie im thatsächlichen Leben der Welt und der Menschen ihre bestimmte Aufgabe gefunden. Es muß der Reichthum vermehrt und verallgemeinert werden. Mit diesem Sage wendet er sich zuerst der Natur, dann dem ge= genwärtigen Zustand der Gesellschaft zu, und so entsteht ihm seine wunderliche Kosmogonie und seine in vielfacher Hinsicht vortreffliche Kritik der heutigen Civilisation, die wir nun kurz darstellen wollen.

3) Die Kosmogonie Fourier's.

Sind unsre Triebe unendlich berechtigt, und ist die absolute Bedingung ihrer Befriedigung das Dasein der materiellen Mittel auf der Erde, so muß diese nothwendig in sich selber die Bestim mung tragen, durch ihre producirende Kraft uns alles das bieten zu können, was wir hoffen und wünschen. Die Erde ist ein selbstständiges Wesen und hat ihre eigne Geschichte; aber diese Geschichte kann keinen anderen Ausgangspunkt haben, als den der Beglückung der Menschheit, denn nur so ist die Harmonie zwischen ihr und der legteren möglich, und es ist als absolutes Geseß alles Seienden die Analogie aller Bewegung gefunden worden. Wir erkennen zwar nur Eine, aber indem wir diese recht verstehen lernen, begreifen wir sogleich das Dasein und die Bestimmung aller anderen. In ihrem gegenwärtigen Zustand aber ist es der Erde unmöglich, den Menschen ein vollkommenes und glückliches Leben zu bereiten. Wir sehen einen großen Theil derselben unbewohnt und unbewohn bar, wir sehen im Reiche der Materie wie in der organischen Welt noch immer vernichtende Kräfte und abschreckende Gestaltungen, die keinen Nugen gewähren, sondern nur die Einheit und den

Frieden zerstören. Es darf uns das nicht wundern; denn es ist ja der ewige Grundsaß: daß die drei Bewegungen mit der vierten, der socialen, in Einklang stehen müssen. Wie weit aber ist die lettere noch von der wahren Harmonie entfernt? Muß nicht die materielle wie die organische und animale Natur gleichfalls Ungethüme gebären, wenn die sociale. noch so manche furchtbare Widersprüche enthält? Aber entmuthigen darf uns das nicht, denn wir sind, so wie der Erdball selbst, mitten im kräftigsten Fortschritt, und im Stande, das schöne Ziel zu erkennen, das wir erreichen werden. Die Welt hat, nach Fourier's Berechnung, eine Dauer von 80,000 Jahren; mithin sind wir noch kaum über die erste Kindheit hinaus, und die Eristenz der Erde ist wie die des Kindes noch gebrechlich, unverständig und mangelhaft. Gott hat die Welt bis jezt nur einmal erschaffen; aber andre Schöpfungen sind noch aufbehalten; ihre Zahl geht bis zur achtzehnten. Jede Schöpfung geschieht durch die Vermischung des nördlichen und füdlichen Fluidums; bis jezt hat es nur noch eine solche Schöpfung gegeben, aber schon ist die Erde heftig bewegt von dem Bedürfniß eine neue zu vollziehen, wie es die immer häufiger werdenden Nordlichter beweisen. Wenn diese vor sich geht, wird der ganze Zustand der Erdoberfläche die Veränderung erfahren, deren sie so nothwendig bedarf, um den Menschen einen angenehmen Aufenthalt zu bereiten. Zuerst wird um den Nordpol sich eine Lichtkrone bilden, die Leben und Wärme über die kalten Länder der drei nördlichen Erdtheile verbreitet, analog den Ringen des Saturns, die wie beiläufig Fourier meint allmählig wohl verschwinden müssen, weil man ihren Nußen nicht recht einsteht. Dann wird die Erde bewohnbar sein bis zu ihrem äußersten Ende, Orangen werden in Sibirien blühen, das Eis wird aufthauen, und erstaunte Seehunde werden Segel auf den Wellen einherziehen sehen, die bis jezt nur die furchtbaren Eisfelder Spißbergens trugen. Das Meerwaffer aber, dies unfreundliche, ungenießbare Element kann unmöglich in seinem gegenwärtigen uncultivirten Zustande bleiben; alsbald wird sich ein Strahl des neuen Lichts in dasselbe stürzen, und es zerseßen in eine Flüssigkeit, die noch lieblicher sein wird, wie gegenwärtig die Limonade; diese neuen Meereswellen werden durch die plögliche Veränderung alle jene üblen und gefährlichen Seethiere tödten, die jezt vom Raube leben, den Hai, das Krokodill, den Wallfisch; an ihrer Stelle erscheinen neue Gebilde, die, weil sie doch nicht müßig

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