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ist? Oder stellt sich ihr ein Moment entgegen, das bis jezt noch in der Berechnung des Gesezes seinen Plaz nicht gefunden?

Niemandem wird es entgehen, daß wir hier wiederum bei jenem Elemente der Gesellschaft anlangen, das den Inhalt dieses Abschnittes bildet. Es ist das Proletariat, dessen Zustand ein Widerspruch mit dem Gesez der Civilisation ist. Wäre in ihm nun nichts enthalten, als nur ein Nochnichtdasein der geforderten Entwicklung, so läge auch zwischen ihm und seiner Vollendung nur die Zeit. Wir fühlen aber, daß sich ein anderes Moment derselben selbstständig entgegenstellt, auf dessen Wesen und Bedeutung ihre Möglichkeit beruht. Es ist gerade der Punkt, der das Proletariat zu einer eignen Classe macht; und er ist es daher, den wir jezt zu erfassen haben. Das allgemeine Hinstellen der Frage, wie man die niederen Classen zu einer höheren und edleren Stellung emporheben könne, ist eben so gewöhnlich als es nuglos ist. Mit zwei Schritten kommt man bei der Gränze an, die das unbestimmte Wünschen und Vorschlagen zu dem ernsteren Zweifel hinüberführt. Die Bedingung der Bildung ist wenigstens hinreichende Zeit und angemessener Unterricht; beides sezt nothwendig voraus, daß man über die materiellen Mittel, seine Zeit nicht auf erwerbliche Art anwenden zu müssen, und über die Lehrer verfügen könne; jene Bildung selbst aber ist wiederum die Bedingung der Theilnahme an dem höheren Leben der Gesellschaft wie des Menschen überhaupt. Die Bedingung des staatlichen Rechts ist derselbe materielle Besiz; selbst da, wo die Staatsgewalt am entschiedensten in den Händen des Volks ruht, hängt sie von einem gewissen Vermögen ab. Die Bedingung der persönlichen Selbstständigkeit ist keine nähere, als die der materiellen Unabhängigkeit. Wohin man blickt, bildet der Besiß die Basis für die Erreichung aller Güter, die die Civilisation ihrem Begriff nach als allgemein feßt.

Der Besiz aber enthält ein Moment, das ihn wesentlich von der ganzen Reihe der allgemeinen Güter trennt. Er ist persönlich wie jene, aber diese Persönlichkeit ist ausschließend. Derselbe Besiz kann nicht zweien zugleich gehören, wie Ehre, Wissen, Staatsrecht. Nun aber ist er es, der die absolut gebotene Verwirklichung der Civilisation bedingt. Dem Einen zu eigen, giebt er diesem Einen die Möglichkeit der Erreichung seiner Bestimmung, während er eben dadurch dem Anderen sie nimmt. Damit ist der Widerspruch in seiner ersten allgemeinsten Gestalt

gegeben, in der er z. B. bei den Philosophen des vorigen Jahrhunderts erscheint. Das Dasein des Besizes ist ein zufälliges für die Idee der Persönlichkeit; diese Idee aber fordert absolut die Theilnahme aller Person an den höchsten allgemeinen Gütern. Mithin steht das Zufällige da, als das Absolute bedingend; dieses aber ist seinem eignen Begriff nach nur selbstbedingt. Es kann sich nicht als abhängig von einem Aeußeren feßen, und muß dennoch zugeben, daß dem thatsächlich so ist. Schon hier ist ein Gegensat; aber er muß noch einen Schritt thun, um zu seinem lehten Inhalt zu gelangen. Ist es der Besiz als allgemeiner Begriff, der hier negirt wird? Nein; als allgemein schließt er eben nicht den Andern aus; es ist mithin die Ausschließlichkeit desselben, durch die jene Frage entstand; und diese wiederum zeigt sich uns als das Recht des persönlichen Eigenthums. Hier ist mithin der wahre Gegner der Civilisation, das Moment, das sie für immer allen Nichteigenthümern zu verneinen scheint. Der Begriff des persönlichen Eigenthums tritt in Widerspruch mit dem der Civilisation, und die Möglichkeit der Erreichung der höchsten Idee der menschlichen Gesellschaft findet in den factischen Verhältnissen der zufälligen Vertheilung materieller Besißthümer ihre entschiedene Aufhebung. Wenn dem aber so ist, welches von beiden, das Recht des Eigenthums oder das der absoluten Persönlichkeit, wird als das höhere, und damit als das höher berechtigte erscheinen?

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Seien wir aufrichtig gegen uns selbst; was kann es helfen, der eignen Logik ihre Wahrheit läugnen zu wollen? Dieses ist der Zustand der niederen Volksclassen, und dieser Zustand ist ein bis jezt ungelöster Widerspruch. Es ist wahr, der Gang der Geschichte hat jenen Zweifel noch von Deutschland so fern gehalten, daß in allen unseren Rechtsphilosophien nicht einmal der Begriff des persönlichen Eigenthums, viel weniger die Schlußreihe, die ihn aufheben zu wollen scheint, zur Entwicklung gekommen ist. Aber man täusche sich darum nicht; die Frage ist da, und ein Blick auf England und besonders Frankreich belehrt uns, daß sie schon in der Gesellschaft selber einen weder schwachen noch auch unentschloffenen Vertreter gefunden. Uns selber aber rückt jener Zweifel täglich näher, und zwar nicht mit den Waffen der Wissenschaft, sondern mit denen eines blinden Fanatismus. Darum ist es gewiß an der Zeit, ihn in seiner unverhüllten Gestalt sich zum Bewußtsein zu bringen, um dem

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neuen vernichtenden Element, durch das er sich geltend macht, mit allen Waffen zugleich entgegentreten zu können. Zu diesen Waffen aber gehört nicht die reine Negation; sie kann nur Negation, und damit nur Kampf erzeugen.

Uns, die wir durch Geschichte und Volksthümlichkeit die Bestimmung haben, das Richtige zu vollziehen, nachdem wir es als wahr erkannt, würde der Weg zur Lösung dieser Zweifel einfach nahe liegen. Daß alle jene widersprechenden Verhältnisse und Forderungen nicht blos äußerlich da sind, sondern aus einem tiefen Kern entspringen, ist klar. Denjenigen daher, denen die Aufgabe geworden ist, das innere Leben der Dinge zu beobachten, würde es aufgetragen sein, hier eine Versöhnung in einer höheren Wahrheit zu suchen; das Leben der Gesellschaft selber aber würde sich einem solchen Resultat völlig anschließen, und die Ruhe, deren die Nachbarvölker entbehren, sich erhalten. Jene Wahrheit aber liegt nicht fern; doch uns muß es genügen, hier nur den Weg zu bezeichnen, auf dem sie erreicht werden wird. Es ist unmöglich die Persönlichkeit des Eigenthums zu läugnen; nicht blos dem inneren Gefühl, oder dem äußeren Bedürfniß, oder der Geschichte gegenüber, sondern auch in der Logik selber. Denn hier wie bei der Entwicklung des Wesens der .allgemeinen Güter überhaupt, löst sich der Begriff des Allgemeinen in den der Einzelnen Person auf, und diese Seite desselben ist eben nichts andres, als das persönliche Eigenthum, auf dessen genauere Bestimmung wir unten noch einmal kommen werden. Das Recht desselben ist daher absolut. Wäre es nun absolute Bedingung für die Vollendung der Persönlichkeit, so wäre allerdings der Widerspruch des persönlichen Eigenthums mit der Idee der Persönlichkeit und ihrer Bestimmung gleichfalls absolut. Daß er es aber nicht ist, zeigt schon der Inhalt der Säße selbst, durch die wir oben zu dem Widerspruch kamen. Wir seßten den persönlichen wirklichen Besiß als zufällig für die Idee der Persönlichkeit; ist er aber zufällig, so kann er selber kein nothwendiger Zweck sein; das aber wäre er, wenn er wirklich nothwendig die wahre Vollendung der Civilisation bedingte. Jene von uns aufgestellte Nothwendigkeit muß mithin nur eine scheinbare sein; d. h., es muß eine Form des gesellschaftlichen Lebens sich dem Denkenden ergeben können, in der der persönliche Besit erhalten, und dennoch der vollkommenen Entwicklung der Persönlichkeit durch ihn kein absolutes Hinderniß gegeben wird.

Dieses ist die allgemeine Idee, die der Socialismus verfolgt, und das ist für die innere Geschichte der Civilisation feine tiefere Bedeutung. Sein Streben, nicht sein Resultat ist seine Wahrheit.

Doch warum nun beruhigt sich das Volk Frankreichs und Englands nicht bei diesem Streben, das doch immer kräftiger auftritt und immer weiter vorwärts schreitet? Welches ist die geheime Gewalt, die hier unversöhnliche Feinde erzeugt und den Frieden des Lebens untergräbt? Das Räthsel löst sich, wenn wir unser eignes Resultat betrachten. Wir haben die Idee entwickelt, die Forderungen dargestellt, die Lösung angedeutet; aber während dessen ist uns die Classe der Armen aus den Augen entschwunden. Wir haben vom Proletariat geredet, aber das, was wir begannen, war nur eine Beschreibung desselben. Diese äußere Gestalt aber seht ein inneres Leben. Wir sehen, daß es ein anderes ist, als die Classe der Nichtbesißer der alten Welt, und selbst der neueren Geschichte; es hat sich zu einem selbstständigen Ganzen erhoben, das sich als Einheit fühlt, Einen Willen zu haben beginnt, und auf gemeinschaftliche That denkt. Was ist, was diese Entwicklung hervorgerufen? Was ist es, was das Proletariat zu einem eignen Elemente in der Gesellschaft gemacht hat?

Jene absolute Forderung der Civilisation erschien uns als der allgemeine Charakter unsrer Gegenwart; wird man anstehen, das Bewußtsein über dieselbe als gemeinsames Besißthum der Völker überhaupt anzuerkennen? Dann aber, wird man von dem Volke den niedrigen Theil ausschließen, und unter diesem Wort nur den gebildeten verstehen wollen? Nein; so gering ist keiner, daß er nicht einen, wenn auch den geringsten Antheil an dem Resultat einer ganzen Zeit haben sollte. Die Forderung der Civilisation ist heute auch bis zu der untersten Classe hindurchgedrungen. Denjenigen aber, die ein Gefordertes besigen, nimmt das Wesen desselben eine andre Gestalt an, als denen, die athemlos und doch nur zu oft ohne Hoffnung darnach ringen. Jenen ist es eine unantastbare Bedingung, diesen ein unabweisbarer Anspruch; jenen ist das Bestehende ein Recht, diesen ein Unrecht. Wohl giebt es einen Weg, diesen Widerspruch zu heben; aber dem Gedanken folgen wenige bis zu dem Punkt, wo er seine Versöhnung enthält; viele dagegen reizt das Elend der gegenwärtigen Lage, sich ihn zu entwickeln bis dahin, wo er dem Unmuth als tiefere Grundlage, dem Sinnen über gewaltthätiges Eingreifen als höchste Berechtigung dienen kann. Und

dieses ist es, was dem Proletariat seine gegenwärtige ernste Bedeutung giebt. Die Frage, ob es eine Versöhnung zwischen der Idee der absoluten Persönlichkeit und dem persönlichen Eigenthum geben könne, beginnt der nicht befizenden Masse des Volkes klar zu werden, und allmählig tritt in ihm der immer wachsende Theil derselben hervor, der sie mit einem fanatischen Nein beantwortet. Die Ueberzeugung von der rechtlichen Unmöglichkeit ist geweckt, die Menge schaart sich um die Grundsäße, die willig_ihren Ansprüchen dienen, und aus der armen, arbeitenden, leidenden Classe wird eine starke, alles verneinende und bedrohende Einheit, das Proletariat.

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Und damit erhebt sich denn nicht blos die sittliche Frage nach der höchsten Berechtigung des persönlichen Eigenthums und seiner Versöhnung mit der unabweisbaren Forderung der Civilisation kurz die Wissenschaft der Gesellschaft zu einer wahrhaft europäischen Aufgabe, sondern auch ihre Erscheinung, das Proletariat selbst, zeigt sich als eine unvermeidliche Folge unsrer gegenwärtigen Entwicklung. Wir können nicht blos bei den einfachen Behauptungen, bei gutmüthigen oder gottseligen Hoffnungen stehen bleiben; es gilt wirklich für alle Völker, die der Civilisation und ihrem Geseze huldigen, zu einem entschiedenen und wahren Bewußtsein zu kommen über diesen ernsten Inhalt unsrer Gegenwart. Und damit die Abstraction hier nicht allein stehe, sondern ihre eignen Resultate mit der Wirklichkeit messen, durch die Wirklichkeit zu neuen gelangen könne, liegt ihr schon jeßt die Geschichte des Proletariats in Frankreich als eine selbstständige und inhaltreiche offen vor.

Denn hier aufs neue müssen wir inne halten. Bisher haben wir in der ganzen neuesten Geschichte der inneren Entwicklung der Dinge zugeschaut; die Völker als eine Einheit, und alle Ergebnisse als gemeinschaftliche für Alle betrachtet. Dadurch ist die Idee des Proletariats uns herausgehoben worden aus dem französischen Volk, und ihr in der ganzen germanisch - chriftlichen Welt ihr Plaz angewiesen. Können wir jezt auf gleichem Wege weiter gehen? Giebt es für dieselbe mehr, was allen ihren Völkern zugleich hier gemein wäre, als der Keim desselben? Deutschland kennt das Proletariat nur noch aus Beschreibungen; Nordamerika ist für dasselbe zu reich an Hülfsquellen, zu arm an Ruhe; Italien zu tief unterjocht; Spanien zu gewaltsam zerriffen. Nur Frankreich und England haben ein Proletariat. Und

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