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Carbonaristen einen Saint-Simonisten wiederzufinden, und das als einen praktischen Vorschlag hingestellt zu sehen, was er für Chimären halten mußte. Indessen ward nicht blos das Volk auf ein System aufmerksam, das ihm plößlich wie mit einem Zauberschlage die Zukunft vorhielt, der es eigentlich entgegenarbeitete. Auch die Bourgeoisie wußte die wahre Bedeutung der Lehre wohl zu würdigen; und Dupin und Mauguin, die damals Hauptwortführer in der Deputirtenkammer waren, hielten es nicht für überflüssig, von der Tribune herab eine Secte anzuflagen, die Gemeinschaft der Güter und der Frauen predigte. Wenn es einen fchlagenden Beweis für das unmittelbare wechselseitige Verhältniß giebt, in dem der Saint-Simonismus mit seiner Zeit steht, so ist es diese Aufmerksamkeit der Kammer auf eine Theorie, gegen die selbst die strenge Restauration nicht feindselig aufgetreten war; denn erst unter der Herrschaft der Bourgeoisie konnte sie beginnen, einen revolutionären Charakter zu zeigen. Bazard und Enfantin glaubten jener Anklage begegnen zu müssen. Am 1. Oct. 1830 gaben sie eine Adresse an die Kammer als Broschüre heraus, und seßten in derselben klar und bündig ihr eigentliches Ziel fest. Louis Reybaud hat sie ganz aufgenommen *); sie ist in der That das bestimmteste Actenstück, was die Schule hinterlassen hat, und sei

*) Wir geben dieselbe hier ihrem wesentlichen Inhalt nach, weil sie über manche Fragen Aufklärung verschafft. Sie steht als Anhang in der Ausgabe der Werke St.-Simons von Olinde Rodrigues.

,,Allerdings glauben und verkünden die Saint-Simonisten Ideen über die Zukunft des Eigenthums und der Frauen, die ihnen eigenthümlich find; aber diese Ideen sind weit entfernt die zu sein, die man ihnen zuschreibt. Das System der Gütergemeinschaft will eine gleiche Theilung alles Vermögens unter alle Glieder der Gesellschaft. Die Saint-Simonisten weisen diese gleiche Theilung zurück, die in ihren Augen eine empörendere ungerech tigkeit wäre, als die ungleiche Theilung, die im Beginne durch die Eroberung herbeigeführt wurde. Denn sie glauben an die Ungleichheit der Menschen, als Basis der Association selbst; die Gemeinschaft der Güter würde offenbare Verlegung des ersten moralischen Gesezes sein, daß jeder gestellt werden soll nach seiner Fähigkeit und belohnt nach seinen Werken.

Aber um dieses Gesezes willen wollen fie die Aufhebung aller Privilegien der Geburt ohne Ausnahme, und mithin die Vernichtung des Erbthums. Es sollen im Gegentheil alle Bedingungen der Arbeit, der Boden selbst und die Capitalien durch Gesellschaftung hierarchisch bewirthschaftet werden. Die Saint-Simonisten greifen mithin das Gesetz des Eigenthums nur an, in soweit es das Vorrecht des Müssiggangs heiligt.

Das Christenthum hat die Frauen aus der Sklaverei gezogen, aber es hat fie dennoch zur Unterwerfung verurtheilt. Die Saint-Simonisten wollen ihre vollständige Befreiung, ohne das heilige Recht der Ehe anzugreifen. Es foll Ein Mann der Gemahl Einer Frau sein; aber sie soll ihm gleich sein in der Ausübung der dreifachen Function im Tempel, im Staat und in der Familie, so daß das sociale Individuum, was bis jezt der Mann allein gewesen ist, nun der Mann und das Weib werde. "

ner Form und Haltung nach stehen wir keinen Augenblick an, es mit Reybaud Bazard mehr zuzuschreiben als Enfantin. In ihm ist die Sphäre hingezeichnet, die der Saint-Simonismus damals der wirklichen Welt abgewinnen wollte; merkwürdig ist, daß von Religion kein Wort vorkommt.

Indessen konnte für ihn vielleicht kein glücklicheres Ereigniß eintreten, als jene Anklage. Das Wahre, was er enthielt, war so neu, und das Bedürfniß nach einem Neuen so groß, nachdem man das Ueberlieferte niedergeriffen, daß sich die ganze Jugend ihm begeistert zuwandte, und selbst ernste Männer ihre Theilnahme nicht verhehlten. Von allen Seiten strömte nicht blos Ruhm, sondern sogar Geld herzu; es ward möglich, die Exposition in drei Auflagen drucken und an die Aermeren gratis vertheilen zu lassen; der Globe, ein namhaftes Blatt, ward durch Vermittlung Pierre Lerour, von dem wir noch im Besondren reden werden, erworben, und am 19. Jan. 1831 erschien derselbe mit dem Titel:,,Le Globe, Journal de la Doctrine de SaintSimon" und der Aufschrift auf seiner ersten Seite:

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Alle gesellschaftlichen Einrichtungen müssen die moralische, intellectuelle und physische Verbesserung der zahlreichsten und ärmsten Classe zum Zwecke haben".

,, Alle Vorrechte der Geburt, ohne Ausnahme, sind aufgehoben".

„Jedem nach seiner Fähigkeit, jeder Fähigkeit nach ihren Werken ".

Man sieht, wie der Industriealismus in der Schule bei weitem sich als das überwiegende Moment herausstellt, und vor ihm die Emancipation das Frauen, ja selbst das Dogma der neuen Religion noch zurücktreten. Es war aber jener entschieden die Frage des Tages. Das allgemeine unbestimmte Freiheitsgefühl war wach, aber es hatte keinen rechten Gegenstand nach dem Siege der Revolution. Diesen zeigte ihm der Saint-Simonismus ; die Emancipation der Arbeiter, derselben, die so heldenmüthig für

*) Association universelle. Das Wort Association läßt sich nur durch Bildung eines neuen Worts wiedergeben. Denn es bezeichnet nicht so sehr die Gesellschaft selber, als vielmehr das Sichbilden derselben; dieses Werden aber drückt für uns genau die, die römische Endung überseßende Endung ,,ung" aus.

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eine Constitution gekämpft hatten, die sie nicht kannten, und von der sie keinen Vortheil ziehen sollten. Deshalb folgte der Erschei nung des Globe ein rascher Aufschwung des Proselytismus, um so mehr, da auch dieses Blatt zum Theil umsonst vertheilt ward. Künstler, Poeten, Philosophen, Arbeiter, alles strömte der neuen Lehre zu, denn allen versprach sie ein neues Feld, und allen berührte sie den tiefsten Grund des Zweifels, der das wesentliche Resultat so vieler Revolutionen war, die Rechtlichkeit der Ungleichheit des Besizes. Dazu kam die Noth, die durch das Sinfen der Capitalien unmittelbar nach der Julirevolution unter den Handwerkern ausbrach, und eine neue Gewaltthat fürchten ließ.

Alle diese Widersprüche versprach der Saint-Simonismus zu heben, und durch die Verbreitung des Globe erfuhr jeder, daß er es verspreche. So konnte ein mächtiger Zudrang, und besonders die Sympathie des Peuple nicht ausbleiben, um so mehr da Enfantin, unter der Unmasse von Schriftchen und Schriften, die die Bewegungen hervorriefen, in seiner „Économie politique“ das Losungswort für den leztren fand, indem er den Grundsaß aufstellte:,,Die Gesellschaft besteht gegenwärtig nur aus Müfsiggängern und Arbeitern; die Politik muß zum Ziel haben, das Loos der lezteren zu verbessern, und die Classe der ersteren aufzuheben". Dazu dient die Vernichtung des Erbrechts, die er in diesem Werk vorläufig auf das Recht der Seitenlinien beschränkt, ein Recht, das an sich unhaltbar, bei allen Völkern verschieden, und schon durch die Erbschaftsabgaben selbst allenthalben angegriffen ist. Das Resultat dieser neuen Einnahme, der man eine erhöhte Steuer auf die Erbschaften in grader Linie hinzufügen könne, würde eine Aufhebung der Abgabe für Salz, der Lotterie und der indirecten Steuern sein, ferner der Beginn productiver Institute, Verbesserung der Wege, der Städte, öffent: liche Schulen u. s. w. Auf diese Weise ward die Doctrin praktischer, ihr Vortheil greifbar, das Ziel nahe gerückt, und damit das Publikum an Zahl größer und bestimmter in seinen Ansichten.

Hier hat der Saint-Simonismus im wirklichen Leben eine Bedeutung erlangt, die auch seine entschiedensten Gegner ihm nie ganz abgesprochen haben. Er tritt von jezt an bestimmt und bewußt dem Grund des Uebels seiner Zeit entgegen. Die Freiheit, die errungen war, erscheint als unbeschränkte Concur renz auf dem Gebiete der Industrie; die Julirevolution hat zum Princip derselben das berüchtigte:,, Laissez faire, laissez aller"

gemacht, und die unmittelbare Folge ist das täglich wachsende Elend. Das richtige Gefühl des Volkes erkennt die Ursache desselben, und will eine Organisation der Industrie; und der erste systematische Repräsentant dieses Bedürfnisses ist der Saint-Simonismus. Dadurch hat er das Streben nach einer geordneten Freiheit zum erstenmal, wenn auch nur auf einem beschränkten Felde, rege gemacht, und als sein wahres Resultat, was später nie ganz verloren gegangen ist, erscheint der Gedanke einer gefeßmäßig geregelten Entwicklung des materiellen Lebens des Volkes.

Dies Bewußtsein nun, daß sie eine wahre Seite ihrer Gegenwart zu vertreten habe, hält in den ersten Jahren nach der Revolution die Schule innerlich zusammen, giebt ihrem Auftreten Schwung und Kraft, und wirbt ihr zahlreiche und bedeutende Anhänger. Man darf in dieser Zeit, bis zur Trennung, nicht nach einer inneren Entwicklung suchen, denn eine solche hat nicht stattgefunden. Dagegen aber gestaltete sich die Organisation und die Missionen. Man richtete drei Classen ein, die zweite und dritte als Noviziat; die Familie constituirte sich in der Rue Monsigny, wo gemeinsamer Haushalt stattfand auf gemeine Kosten, als ein Bild der großen, die ganze Welt umfassenden Familie. Henri Fournel gründete in den zwölf Vierteln der Stadt Saint-Simonistische Schulen, und fünf Kirchen in Toulouse, Montpellier, Lyon, Meß und Dijon sezten sich in beständige Verbindung mit der Hauptstadt. Hier eröffneten Carnot und Dugied, da das Lokal der Rue Monsigny nicht ausreichte, noch drei andre Hörsäle, in der Rue Taranne, Taitbout und im Athenäum. Die Predigten wurden aus wöchentlichen zu täglichen; was Ba= zard mit logischer Bestimmtheit bewies, dafür begeisterte Enfantin. Der Zudrang war ungemein; oft waren 1500 Menschen versammelt, die neue Lehre zu vernehmen. Stephan Mony und Emil Péreire, beide später bekannte Namen, trugen die Grundidee Bazard's in die politische Dekonomie hinüber; Barrault wandte den Blick auf den Orientalismus, Michel Chevalier,, versprach in tönenden Perioden der erstaunten Welt ein Zeitalter so voll von Ruhm und Pracht, er verkündigte so herrliche Zeiten, so goldne Saaten, so reiche Früchte, so glückliche Völker, so viele Kanäle und Eisenbahnen, so viel Reichthum und Wechsel, so viel Größe, so viel Genuß, so viel Harmonie, daß auch der Gleichgültigste Augen und Ohren öffnete, und sich in diesen prophetischen Träu

mereien berauschte", sagt Reybaud, nicht ohne einiges Recht zur Ironie. Endlich versuchten Leraur, Jean Reynaud und Ch. Duveyrier, der neuen Doctrin über die alte Philosophie den Sieg zu verschaffen. Rings war lebendiges Regen, Einmüthigkeit nach innen, Vertrauen von außen; die kurze Zeit des Glanzes des Saint-Simonismus ist der Beweis, daß er ein wahres Element in sich zu verarbeiten und zu vertreten gekommen war. Kann es uns wundern, daß man sich begeisterte für eine Erscheinung, in der für Gedankenwelt und praktisches Leben alle Zweifel jener Zeit gelöst, alle Widersprüche versöhnt waren?

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Indessen sollte diese Zeit des Friedens nicht lange dauern. Blicken wir zurück auf den ganzen Umfang der Saint-Simonistischen Lehre, wie sie in den beiden Ländern der Doctrine enthalten ist, so zeigt es sich leicht, daß in dem Gebiet der bisherigen praktischen Versuche wesentlich nur die Verwirklichung der materiellen Grundsäße, eine Organisation der Industrie selber, ange= strebt ward. Allein es war ein Moment in das System hineingetragen, was noch nicht seine Folgen entwickelt hatte; die Berechtigung zum Genuß war anerkannt, aber bis dahin nur als ein Nebenpunkt gesezt. Enfantin konnte oder wollte nicht dabei stehen bleiben; es trieb ihn, dieses gefährliche Feld zu betreten, und den lezten Grundsaß der socialen Gestaltung da zu suchen, wohin Fourier ihn geleitet hatte. Dem widerstand die ganze Auffassung Bazard's; dieser besonnene Mann erkannte die Folgen eines Princips, das in die geheimsten und zartesten Verhältnisse eine Freiheit hinüberverseßen wollte, die so eben erst für die induftrielle Welt der strengen hierarchischen Organisation unterworfen worden war. In beiden Häuptern der Lehre begannen die Gegensäge, die bis dahin geschlummert hatten, wach zu werden; es gab keine höhere Vereinigung, und so mußte denn der Widerspruch zur Trennung, die Trennung zur Auflösung führen. Innerlich war der Saint-Simonismus unvollendet geblieben; deshalb vermochte er nicht, die Einheit dauernd zu erhalten. Mit ihr aber war er selber für immer unrettbar verloren.

Dritte Epoche. Schisma und Auflösung.

Schon längere Zeit hatte der Widerspruch und die gegenseitige Abneigung der beiden Häupter der Schule im Geheimen sich entwickelt, ohne daß das Publikum es ahnte. Beruhte er einer= seits auf dem Gegensaß des Princips selber, das sie vertreten,

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