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einen andern Jünger der Doctrin neben ihn gestellt, so würde vielleicht sich die ganze Schule schon damals in das aufgelöst haben, was sie später ward, eine Reihe tüchtiger Dekonomisten und Publicisten. Allein hier trat ein Mann auf, der sich fähig glaubte, die gefehte Aufgabe zu lösen. Enfantin war stets ein Verehrer Saint-Simons gewesen, hatte aber während der Zeit, wo der Producteur sein Ende fand, mit den Uebrigen die Schule aufgegeben. Jezt, da Bazard sie aufs neue ins Leben rief, griff er thätig mit ein; und wie Bazard die materielle Seite, so wollte er die religiöse vollenden.

,,Man hat", sagt Reybaud,,, zu seiner Zeit viel über das Verhältniß des Verdienstes Bazard's und Enfantin's geredet. Uns scheint es, als ob die Natur ihres Geistes selbst die Möglichkeit einer dauernden Vereinigung ausschloß. Bazard, erzogen in der Schule unserer politischen Kämpfe, liebte noch wider seinen Willen und unbewußt das revolutionäre Princip, das er so lange vertheidigt hatte; dazu war er ein guter Logiker, ein unermüdlicher Denker, und vermochte es wie wenige, alle Consequenzen und Entwicklungen eines gegebenen Thema's dem Publikum verständlich zu machen. Enfantin war von ganz entgegengeseztem Charafter. Beständig der Tagespolitik fremd, hing er an derselben mit keinem Gefühl der Sympathie oder des Hasses. Er dachte nur an die Welt, um sie seinen Ueberzeugungen zu unterwerfen, nicht um sich mit den ihrigen zu beschäftigen. Enfantin schuf den Gedanken, Bazard erfand die Formel."

Reybaud hat sich hier verleiten lassen, zu weit zu gehen, um den Gegensaz desto schlagender durchzuführen. Das ganze System der Organisation der Industrie, was wir bis jezt dargestellt haben, gehört sowohl dem Gedanken als der Formel nach Bazard allein an. Enfantin hat wenig oder gar keinen Theil daran. Was Reybaud daher behauptet, gilt nur von dem zweiten Theil der Exposition de la foi Saint-Simonienne, die das Princip der Moral und die theokratische Organisation des industriellen Staats enthält. Und hier kommen wir auf einen Punkt, den Reybaud gänzlich übersehen hat. Enfantin vermochte wohl, eine gegebene Idee auszubilden, aber nicht eine neue zu schaffen. Es ist, wenn man den Inhalt des zweiten, religiösen Theils des Dogma's betrachtet, auf keine Weise der Gedanke zu unterdrücken, daß die Grundlage desselben weder eigentlich Saint-Simon, noch auch Enfantin zugehört, sondern keinem andern als Fourier.

Weder Saint-Simon selbst, noch auch Bazard selbst haben Fourier's Werke gekannt; das ist entschieden genug. Aber Enfantin hat ganz unzweifelhaft aus dieser Quelle geschöpft, und sein ganzes System ist in Wahrheit nichts weiter, als der Versuch einer praktischen Anwendung des von Fourier zuerst aufgestellten Grundgedankens des Widerspruchs zwischen Luft und Sollen, zwischen Fleisch und Geist *). Selbst das technische Wort Fourier's, die Harmonie, findet sich in der ganzen Saint-Simonistischen Schule erst in diesem zweiten Theil, und wird ein Stichwort für den ganzen Gedankengang. Zwar hat Enfantin nie von der Phalange gesprochen, aber es finden sich die ächt Fourieristischen Ideen von der Gruppirung der Arbeit fast allenthalben wieder; und daß Enfantin Fourier mißverstanden hat in vielen Stücken; beweist nicht, daß er ihn nicht benußte. Indessen gehört eine solche Untersuchung einer specielleren Aufgabe an; wir wollen nur kurz die theokratisch - industrielle Gestalt der Gesellschaft, wie Enfantin sie predigte, darstellen.

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Was ist es eigentlich - mit diesem Gedanken beginnt das Werk was die Religionen zerrüttet? Wenn dieselben wirklich das ganze Leben der Menschen umfaßten, so wäre ein solcher Abfall vom Dogma nicht möglich; sie sind untergegangen, eben weil es ein Moment im Dasein des menschlichen Geschlechts giebt, das sie nicht zu seiner Berechtigung kommen lassen. Dieses Moment aber ist der Trieb des Genusses; er ist da, allgewaltig, unüberwindlich, in jeder That, in jeder Anschauung sich manifestirend. Halten wir diesem Grundsaß die gegenwärtige Moral der Religionen gegenüber, so erscheint der Antagonismus, den Bazard im materiellen nachgewiesen, als Dualismus in der geiftigen, als Kampf des Geistes mit dem Fleische. Hier liegt, wie Reybaud richtig bemerkt, der Schlüssel zu allen folgenden Erscheinungen in der Saint- Simonistischen Schule. Jener,, Dualisme catholique" ist in keiner der früheren Religionen versöhnt; dennoch ist sowohl der Geist als das Fleisch von Gott geschaffen, und

*) Victor Confiderant sagte mir, daß Enfantin in seiner Bibliothek das erste Werk Fourier's, die Theorie des quatre mouvements, heimlich verborgen gehabt, und daß Abel Transon es später, viel gebraucht, unter den Büs chern desselben wiedergefunden habe. Abel Transon.habe denselben mehrmals beim Lesen dieses Buchs überrascht, aber Enfantin habe nie gestehen wollen, daß er demselben etwas verdanke. Keinenfalls läßt es sich läugnen, daß die innere Verwandtschaft schlagend entgegentritt; und Enfantin hat nie vermocht, jene Behauptung als unbegründet darzustellen.

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die,, Harmonie" beider mithin die höchste, göttliche Bestimmung des Erdenlebens. Weil das Christenthum den einseitigen Saz ausspricht, daß das Fleisch besiegt werden solle, kann in ihm allein nicht die Vollendung der Menschheit gefunden werden; es dient nur dazu, einen ewigen, stets aufs neue erhobenen Kampf der beiden göttlichen, und daher gleichen Kräfte hervorzurufen, ohne daß ein Ende und ein Friede je erscheinen wird. Der Dualismus ist als absolut durch das Christenthum geheiligt; indem es die Weltreligion ward, hat es jenen Widerspruch zugleich in alle Verhältnisse des Lebens der Welt hineingetragen; auf ihm beruht die Trennung der Gewalten, die Scheidewand zwischen Kaiser und Pabst, zwischen Staat und Kirche. Ehe diese nicht gehoben, das Fleisch in seine Rechte nicht eingesezt wird in der Religion selber, ist der Friede der Welt unmöglich. Von dem Grundsaße der christlichen Kirche: Mein Reich ist nicht von dieser Welt" , gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was' Gottes ist", muß ein höherer Fortschritt gemacht, und die lezte Einheit, der entscheidende Sieg über den Dualismus errungen werden.

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Die Religion nun, in der das Dogma und die Form der neuen Kirche geoffenbart ist, ist die Saint-Simon's. ,,Gott ist", sagt Enfantin,,, alles was ist; alles ist durch ihn und in ihm. Jeder von uns lebt sein Leben." Mithin ist auch das Bedürfniß des Fleisches göttlich; und der, den Gott uns gesandt hat, diese Wahrheit zu offenbaren, ist Saint-Simon.

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,,Die Welt erwartete einen Retter Saint-Simon erschien“. ,,Moses, Orpheus, Numa, haben die materiellen Arbeiten geordnet".

Jesus Christus hat die geistige Arbeit organisirt“. Saint-Simon hat die religiöse Arbeit organisirt“. Also hat Saint-Simon Moses und Christus zusammengefaßt".

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Moses würde das Haupt des Cultus sein; Jesus Christus das Haupt des Dogma's; Saint-Simon das Haupt der Religion, der Pabst ''.

Damit war denn der Grundsaß und die Form der neuen Gesellschaft gefunden. An die Stelle des katholischen Wahlspruchs:,,Züchtigt das Fleisch, und seid enthaltsam", muß der Saint-Simonistische treten:,,Heiligt Euch durch Arbeit und Vergnügen". Die Constitution der Gewalt aber, die

diese Welt der Harmonie regieren soll, ist in dem Sage enthalten: Es giebt weder einen Kaiser, noch einen Pabst, sondern einen Vater".

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So steht nun die Theorie der Schule vollendet da; sie hat ihr System über alle Gebiete ausgebreitet, und Einheit in Industrie und Kirche, in Verdienst und Besit, in Begierden und Genuß gebracht. Allein folgen wir genauer dem Gedankengange im theokratischen zweiten Theil der Exposition, so muß uns der Widerspruch sich entdecken, der hier in das System der SaintSimonisten hineingetragen wird, und es in zwei wesentlich verschiedene Hälften theilt, die jest zwar noch nicht auseinander gerissen sind, dennoch aber den Keim der späteren Trennung schon in sich tragen. Der Gedanke einer Berechtigung des Fleisches ist Saint-Simon so wie Bazard gänzlich fremd; er gehört dem Saint-Simonismus in seiner ursprünglichen Reinheit nicht an, sondern wird erst durch Enfantin erhoben. Man pflegt gewöhnlich das Gegentheil anzunehmen, und, wie noch gegenwärtig Louis Reybaud, die Emancipation deffelben der ganzen Schule zuzuschreiben. Dadurch wird man aber ungerecht; es ist der Saint-Simonismus durch jenen Irrthum in einen sehr üblen Ruf gekommen, und was er nicht verdient, das möchten wir gerne von ihm abwenden. Es ist ohne Schwierigkeit das wirkliche Verhältniß klar, so wie man sich vergegenwärtigt, daß er sich langsam mit der Geschichte seiner Zeit fortentwickelt, und stufenweise zu seinen Resultaten gelangt. Saint-Simon selbst beweist die Wichtigkeit und das Recht der industriellen Claffe, und fordert eine Religion, die ihre Unterstüßung zur praktischen Moral macht. Bazard führt jene Forderung auf dem Gebiete der staatlichen Gestaltung des Volkslebens aus, ohne noch die Religion zu verkünden. Enfantin will das praktische Princip der Religion verallgemeinern, und greift nach dem Grundgedanken Fourier's, der Emancipation des Genusses. Allein er ist nicht geistesmächtig genug, denselben zu beherrschen; das Princip ergreift ihn, und reißt ihn fort zu Thorheiten und Irrthümern. So hat Enfantin in den Saint-Simonismus einen demselben wahrhaft neuen Gedanken hineingetragen, und durch die Gewalt, mit der er ihn geltend macht, die Basis der Schule selbst untergraben; das darf man nie vergessen, um die spätere Geschichte derselben und die Ideen ihrer Gründer richtig zu wür

digen. Welche Folgen sich hieraus aber ergeben, wird die nächste Zeit lehren.

Ehe aber die Spaltung eintrat, hatte die Schule noch für das wirkliche Leben ihre praktisch bedeutende Sendung zu vollbringen; und diese hub an mit der Julirevolution.

3weite Epoch e. Die Julirevolution und der SaintSimonismus.

Mit der Ausbreitung der neuen Lehre durch die Vorlesungen in der Rue Taranne und durch die Vertheilung der Exposition war es aufs neue schon 1829 möglich geworden, ein eignes Organ derselben in der Tagesliteratur zu gründen; dies war der Organisateur, eine periodische und eine Saint-Simonistische Zeitschrift, die bis zur Erwerbung des Globe bestand. Zugleich machte man einen zweiten bedeutenderen Schritt. Es ward unter der Zahl der Anhänger das College" eingerichtet, die Vereinigung der Eingeweihten; und zu Häuptern der Lehre wurden Bazard und Enfantin durch Acclamation gewählt. So war das erste Bild der großen Hierarchie im Kleinen vollzogen, und die raschen und glänzenden Erfolge ließen die Keime der Zwietracht übersehen oder vernachlässigen.

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Indessen rückten die Julitage näher. Es war keine Frage mehr, daß der Tiers - État den Sieg davon getragen hatte; an dem alten Staatsgebäude, das noch auf den Ständen beruhte, war nichts mehr zu halten. Carl X. beging den großen Irrthum, der ihm seine Krone kostete, und jezt stand auf dem Kampfplage des Staatsrechts nicht mehr der Standesunterschied als Charakter der Entwicklung des Egalitätsprincipes, sondern die Scheidung zwischen Bourgeoisie und Peuple. Saint-Simon hatte grade diese lettere Classe zum Ausgangspunkte feiner industriellen wie feiner religiösen Lehre angenommen; jezt war mithin der thatsächliche Boden, auf dem seine Schule arbeiten konnte, gewonnen, und ihre wahre Laufbahn eröffnet.

Sie erkannte es alsbald. Fast noch unter dem Lärm des Kampfes ließen Bazard und Enfantin Anschläge in den Straßen anheften, die das Volk zu einer großen industriellen und theokratischen Gemeinschaft der Güter und des Lebens auffordern sollte. Bazard begab sich selbst zu Lafayette, der im Hotel de Ville, diefen Tuilerien des Volkes, die Leitung der militärischen Gewalt hatte. Lafayette hörte ihm erstaunt zu, betroffen, in dem alten

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