Mangel seiner eignen Ausbildung zu schieben. Wie viele dürfen behaupten, so klar sich von sich selber Rechenschaft gegeben zu haben? Aber was ihn aufrecht hält, verhehlt er uns nicht. " Meine gegenwärtige Lage", fährt er fort,,,ist eigenthümlich ; sie ist zugleich traurig und sehr glücklich. - Jeder Rath, den ich erhalte, geht darauf aus, mich zu entmuthigen. Nun denn! in dieser Lage freue ich mich, ich fühle mich glücklich; ich habe das Gefühl meiner Kraft, und diese Empfindung ist angenehmer für mich als jede andre, die ich in meinem Leben erfahren habe. Ich sehe ohne Unruhe die Schwierigkeiten, die ich zu besiegen habe, und lächle über die, die kommen könnten. " Und in der That, dieses stolze Selbstbewußtsein, wie hoch hatte er es nöthig fast unmittelbar nachdem er das Unglück so kühn herausgefordert! Der edelmüthige Diard starb; jezt 'war seine lezte Hoffnung untergegangen. Was er damals gedacht und gethan, weiß man nicht, aber es eristirt ein kurzes Fragment von seiner Hand, das uns das ganze Elend enthüllt, in dem er lebte, und das er tragen mußte; eins von jenen Documenten, die dem Glücklichen zeigen, wie tief oft das Unglück dicht neben seinen Füßen sich öffnet.,,Seit vierzehn Tagen", schreibt er,,, effe ich Brod und trinke Wasser; ich arbeite ohne Feuer, und habe selbst meine Kleider verkauft um die Kosten der Abschriften meiner Arbeit zu decken. Es ist die Begeisterung für die Wissenschaft und das allgemeine Wohl, es ist der Wunsch, ein Mittel zu finden, um auf eine sanfte Weise die furchtbare Krisis zu lösen, in die sich die ganze europäische Gesellschaft verwickelt findet, die mich in diesen Zustand der Verzweiflung gestürzt haben. So kann ich ohne zu erröthen das Geständniß meines Elends ablegen, und die nothwendige Unterstügung. fordern, um mich in den Stand zu sezen, meine Arbeit fortseßen zu können.“ Man half ihm, das heißt man ließ ihn nicht sterben; und er fuhr fort, seinem dunklen Ziel entgegenzustreben. Aber jezt breiteten sich die gewaltigsten politischen Erschütterungen über Europa aus; Napoleon ward gestürzt, Paris sah die Fahnen der Alliirten in seinen Straßen; das war keine Zeit, an eine Reorganisation der Gesellschaft im Volke zu denken, während es sich um die Eristenz der Völker selbst handelte. Saint-Simon verschwindet gänzlich für eine Zeitlang; erst 1814 erscheint von ihm auf's neue eine Schrift, und von jezt an beginnt eigentlich die Periode seiner schriftstellerischen Thätigkeit, deren Endpunkte, die beiden Hauptwerke seines Lebens, mit seinem Leben selbst abschließen *). der *) Wir geben die Reihenfolge seiner Schriften nach Louis Reybaud, besten Zusammenstellung derselben, die wir besigen, als eine Uebersicht des Ganges, den die schriftstellerische Laufbahn Saint-Simons eingeschlagen hat. 1814. Reorganisation de la société européenne, ou de la necessité et des moyens de rassembler les peuples de l'Europe en un seul corps politique, en conservant à chacun sa nationalité. Par Henri SaintSimon et Augustin Thierry, son élève. 8. 112 pages. Lettres de Henri de Saint-Simon à M. M. Comte et Dunoyer. Im 3ten Bande des Censeur européen (p. 334. -356). 1815. Prospect eines Werkes, betitelt: Le Defenseur des Proprietaires des domaines nationaux. (Das Werk ist nie erschienen.) Profession de foi des auteurs de l'ouvrage annoncé sous le titre: Le Opinion sur les mesures à prendre contre la coalition de 1815 par H. Profession de foi du comte de Saint-Simon au sujet de l'invasion du territoire français par Napoléon Buonaparte. 8. 4 pages. 1516. Quelques idées soumises par M. de Saint-Simon à l'assemblée générale de la société d'instruction primaire. 8. 14 pages. 1817. L'industrie, ou discussions politiques, morales et philosophiques dans l'interêt de tous les hommes livrés à des trauvaux utiles et independants, par H. Saint-Simon. Motto: Tout par l'industrie, tout pour elle. """ Vier Bände in Lieferungen, gemischten Formats; Mitar= beiter waren: Saint-Aubin, Augustin Thierry, der hier den Namen eines Adoptivsohns Saint-Simons annimmt, und August Comte. Bei dieser Arbeit erfuhr Saint-Simon eine öffentliche Demüthigung. Er hatte mehre Banquiers als Subfcribenten aufgeführt (unter anderen Pe= rier) fie erklärten aber auf eine nicht eben zarte Weise, daß sie bei ihrer Unterschrift die Absicht gehabt hätten, ihm eine Unterstügung zukommen zu lassen, mit seinen Ansichten aber keineswegs übereinstimmten. Vues sur la proprieté et la legislation. Dasselbe Motto. (Diese Schrift hat Louis Neybaud übersehen.) 1818. 1819. Le Politique, par une société de gens de lettres. Zwölf Lieferungen, periodisch erschienen. 1819 und 1820. L'organisateur par H. Saint-Simon. In der ersten Lieferung steht die Parabole politique, wegen der er vor die Affisen gefordert und freigesprochen ward. Warnkönig irrt sich, wenn er meint, daß die Anklage wegen der späteren Broschüre Des Bourbons et des Stuarts erheben sei (Mittermaier's Zeitschrift. Bd. IV. Nr. III. Rechtsphilosophie in Frankreich.) Das Ganze bildet einen Band von 265 Seiten. Mehre Lieferungen haben mehre Auflagen erlebt, und die Schrift machte Aufsehen in Frankreich. 1820. Lettres de H. Saint-Simon aux jurés qui devaient prononcer sur l'accusation intentée contre lui. 8. 42 pages. 1821. Systeme industriel par H. Saint-Simon. Erster Theil. Ein Band von 311 Seiten; Motto: Gott hat gesagt: Liebt und helft Euch unter einander." Das Werk besteht aus verschiedenen Briefen an die Industriellen, an die Arbeiter 2. 2., die hier wieder abgedruckt find. Systeme industriel. Zweiter Theil. 1 Bd. 220 Seiten. Der Umschlag der dritten Lieferung enthält das Metto:,,Ich schreibe für die Industriellen, gegen die Höflinge und gegen die Adligen, das heißt ich schreibe für die Bienen, gegen die Hummel.“ Vierte und legte Lebense poche. Bis 1825. Die Kämpfe der Staaten und Völker sind beendet, und die Geschichte Europa's tritt in eine neue Periode, in den Kampf der Gesellschaft. Sie entwickelt sich rasch; und jezt war der Boden gefunden, auf dem es für den ersten Socialisten Frankreichs gelten mußte, die Bedeutung zu erringen, die ihm zukam. Er stand nicht an sich auf einem Felde zu versuchen, dem er sein ganzes Leben ge= widmet hatte. Es gelingt; seine schriftstellerische Laufbahn eröffnet sich, und er erreicht endlich die Verwirklichung seiner schönsten Hoffnung, einen Namen den seinigen nennen zu können, und seine Schule zu bilden. Es würde uns weit über die Gränzen, die dieser Arbeit vorgeschrieben sein müssen, hinausführen, wenn wir den Inhalt aller seiner Schriften auch nur entfernt andeuten wollten; um so mehr, da sich derselbe in seinen leßten Werken doch erst in eine bestimmtere Form erfaßt. Dagegen stehen wir vor einer anderen Frage, die wichtiger und von allgemeinerem Interesse ist. Es läßt sich nämlich auf keine Weise läugnen, daß die meisten seiner Arbeiten immer noch jenen vagen, unbestimmten Charakter an sich tragen, der die Schriften der vorigen Epoche übersehen und vergesfen machte. Dennoch ward es ihm möglich, mit der Restauration zugleich sich geltend zu machen, junge und sogar ausgezeichnete Leute an sich zu ziehen, und der Gründer der ersten socialen Schule Frankreichs zu werden. Die Ursachen, die dieses bewirkten, liegen nicht in Saint-Simon selbst. Es ist wahr, seit dem Beginnen der Restauration hat er allerdings in seiner ganzen Anschauungsweise einen bedeutenden und höchst wesentlichen Fortschritt gemacht, den wir sogleich näher bezeichnen wollen. Allein anstatt die Zeit zu bilden, wie er glaubte, hat die Zeit ihn gebildet, und ihn unbewußt gezwungen, seinen Ideen die bestimmte Richtung zu geben, durch die er allein mit ihr und für sie wirken 1822. Système industriel. Dritter Theil. Des Bourbons et des Stuarts. 2 Broschüren. 1822 u. 23. Catechisme des Industriels. 1825. Opinions litteraires, philosophiques et industrielles. 1 Bd. 392 S. Motto: Das goldne Alter, das eine blinde Tradition in die Vergangenheit versezt hat, liegt vor uns:" Mitarbeiter: Leon Halévy, Olinde Rodrigues, J. B. Duvergier, Advocat, und Bailly. 1825. Nouveau Christianisme. 1 Bd. 91 Seiten. Motto: Wer andre liebt, hat das Gefeß erfüllt. Alles ist enthalten in dem Wort: du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. Es ist die legte Arbeit SaintSimons. Ein Vorwort von Ölinde Rodrigues eröffnet das Buch. Er starb in demselben Jahre. konnte. Hier erst tritt das unmittelbare Verhältniß zwischen ihm und seiner Gegenwart uns auf jedem Schritt entgegen, für die Geschichte der Zeit nicht ohne Interesse, für seinen inneren Entwicklungsgang aber von entscheidender Wichtigkeit. Wir haben im ersten Theile den Charakter des Kampfes angedeutet, der mit der Restauration zugleich ins Leben tritt als Grundton aller Discussionen und Streitigkeiten. Es ist das Ringen der industriellen Macht des Staats, die ihr Verhältniß dem Könige gegenüber bestimmen will; sie will, um uns des Ausdrucks Louis Blanc's zu bedienen,,,das Königthum sich unterwerfen ohne es zu vernichten." Die Gewalt, die in der ersten Zeit der zurückgeführten Dynastie sich erhebt, ist die der Capitalien, deren erscheinendes Leben die Industrie ist. Werfen wir einen Blick zurück auf die ganze Geschichte Frankreichs, so wird es klar, daß eben diese Gewalt eine noch neue ist für das Leben des Staats, wie für das des Volks; sie ist da, aber es giebt noch keine bestimmte Anschauung über ihre wahre Bedeutung und das Recht derselben, wie sich für altgeschichtliche Zustände eine solche im Volksbewußtsein findet. Einer solchen aber bedarf jedes Volk; das französische suchte daher nach einem Princip, das ihr und ihren Vertretern, der Kammer, eine bestimmte Stellung in der Verwaltung des Staats anwiese. Allein die ganze Gestaltung des Staatslebens war zu plöglich von der rein militärischen Form der Kaiserzeit in die wesentlich industrielle der Restauration übergegangen; es gab keinen, der diesen Ausgang vorhergesehen, und daher auch niemanden, der sich mit den Fragen, die er hervorrufen mußte, beschäftigt hätte. Allerdings besaß man schon die Wissenschaft des Handels und der Industrie, aber Smith und Say betrachten dieselben nur für sich, ohne ihre Verhältnisse zum Staatsrecht und der Bildung des Lebens der Gesellschaft zu erfassen. Das aber war es, dessen jene Zeit bedurfte, und eben dies hatte Saint-Simon seit dem Beginne seiner zweiten Lebensepoche angestrebt. Dadurch werden seine Arbeiten nicht blos an sich wichtig, sondern jenes höhere Princip, das er suchte, vermochte es selbst in der wirren und unentwickelten Ge= stalt, in der es ihm vorschwebte, das Interesse junger, vorwärtsstrebender Geister an ihn und seine Schriften zu fesseln; denn sie greifen, der Industrie dienend, wenn auch nicht in ihren Resultaten, so doch in ihrer Tendenz, unmittelbar in die Gegenwart jener Zeit ein, und repräsentiren im Gebiete des wissenschaftlichen Lebens das, was sich in der Kammer für das öffentliche darstellt, den Versuch des französischen Volkes, eine auf der Industrie gebaute gesellschaftliche und staatliche Ordnung zu finden. So ist SaintSimon mit und in seiner Zeit zugleich verneinend gegen das Princip der Restauration, behauptend für die allumfassende Bedeutung der Industrie und des Capitals in Gesellschaft und Staat, und, man muß es hinzufügen, unflar mit ihr über den lezten Ausgangspunkt dessen, was sich gestalten will. Als 1814 die ganze geschichtliche Form der Gesellschaft der Völker aufgelöst erschien, und es galt, eine neue zu finden oder die alte zu verjüngen, schrieb er seine,,Reorganisation“; darauf wendet er sich der Frage nach dem Recht der Besizer der Nationalgüter zu, die 1815 und 1816 so manchen Streit und so manche Beunruhigung hervorrief; in den folgenden Jahren, wo der Kampf der industriellen und gouvernementalen Macht aufs neue alles, was nicht adlig ist, in die Form des Tiers - État hineinzwängt, tritt er in seiner „, Parabole Politique“ mit der Behauptung auf, daß Frankreich unendlich viel mehr verlieren würde, wenn es seine tausend besten Arbeiter einbüßen müßte, als wenn die tausend höchsten Beamten, oder die Glieder der königlichen Familie durch den Tod hingerafft würden; eine Schrift, für die er verklagt, und unter großer Theilnahme des Publikums freigesprochen ward er, der lezte Nachkömmling einer der ersten adligen Familien als tödtlicher Feind alles Adels vor die Assisen gefordert! Bald nachher, als das Uebergewicht der Besizer in der Verwaltung des Staats immer entschiedener dem Adel und der Geistlichkeit gegenüber hervortritt, erscheint er mit seinem ,,Système industriel", eine noch ungeordnete Masse von Ansichten und Bemerkungen zusammenstellend, deren gemeinsamer Zweck aber in dem Motto des dritten Theils sich deutlich genug kund giebt, als das eigentliche Losungswort jener Zeit und ihrer Kämpfe; und endlich beschließt er seine Laufbahn mit den beiden Hauptarbeiten. seines Lebens, die nicht minder wesentlich ein Refler der damaligen Zustände genannt werden können. So konnte es nicht fehlen, daß die Jugend sich ihm anschloß, die stets mit ihren Hoffnungen und ihrem Glauben der Zukunft angehört; und die Zukunft war es, die er bilden wollte. Schon 1814 tritt Augustin Thierry als sein Schüler auf, ein kräftiger und ernster Geist, der bestimmt war, dereinst unter den ersten Namen der französischen Geschichtschreiber einen Plaß einzunehmen; ihm |