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der Gedanke zu seiner Bedeutung zu gelangen weiß, indem er das Erscheinende als Wissenschaft erfaßt und es zu einem systematischen Ganzen bildet. Aus dem Reichthum der Bemerkungen, die besonders die italienischen Dekonomisten gesammelt hatten, entwickelt sich der Begriff der erzeugenden und verzehrenden Kräfte, und in ihnen ist es bekanntlich Adam Smith, der zuerst mit Bestimmtheit das Gesez erkannte, nach dem sie sich bewegen. Allein mit der Idee der industriellen Kraft und ihres Gesezes ist auch der Kreis geschlossen, innerhalb dessen sich diese Volkswirthschaftslehre zu vollenden strebt. Es kommt dieselbe grade so wenig zum Begriff der Persönlichkeit, wie die Philosophie ihrer Zeit; von dem Einzelnen weiß sie, und will sie nur das wissen, was jene Geseze in ihm, durch ihre eigne Kraft, wirken müssen. Sie legt daher nur das absolute Bedürfniß des Einzelnen zum Grunde, ohne in die Sphäre seiner Hoffnungen und Ansprüche hinüberzugreifen, und ohne zu der Idee der ganzen Bedeutung des Besizes für denselben zu gelangen. Diese aber ist es, die auf der einen Seite die Classen bildet und trennt, auf der anderen den feindlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Peuple hervorruft; furz auf der die Gestalt der Gesellschaft ruht. Der Socialismus dagegen legt eben jene Idee der einzelnen Persönlichkeit zum Grunde, und stellt sich damit hin als die Wissenschaft der Gesellschaft. Er will mithin das individuelle Leben im Allgemeinen, jene das allgemeine Leben im Individuum begreifen und ordnen; es liegt zwischen beiden derselbe Unterschied, der zwischen Persönlichkeit und Begriff sich hinstellt. Aber darum ist der Socialismus auch unendlich reicher wie die Volkswirthschaftslehre; denn, alle Persönlichkeiten umfassend, erscheint die leßtere in ihm nur als ein Theil seines Ganzen, und als abhängig von seinem Princip. In ihm ist die Volkswirthschaft nur das bloße Mittel, ihre Wissenschaft nur eine Bedingung, um jenes zu erreichen. Denn dieselbe hat an sich eben nur die Aufgabe, das daseiende Verhältniß von Besiz und Arbeit zu erkennen, selbst da, wo sie es in seinem tiefsten Leben, seinen Gesezen, erfaßt; sie kann die künftige Bildung desselben wohl voraussagen, aber nicht selbst bestimmen, denn sie hat kein höchstes Grundprincip, das keinem andern untergeordnet wäre. Dieses aber stellt der Socialismus in der Idee der Bestimmung des Menschen auf, und damit seßt er sich über die Volkswirthschaftslehre, als das sie Be

nußende und Beherrschende; jene ist wesentlich begreifend, er ist gestaltend.

Es ist leicht, hiernach das wahre Verhältniß zwischen beiden zu erkennen; außerhalb unsrer Aufgabe liegt die Frage, ob die Wissenschaft der Volkswirthschaft wirklich einer Wissenschaft der Gesellschaft nachstehen und sich unterordnen müsse. Es wird sich . dieses beantworten, wenn das Leben der Gesellschaft als ein selbstständiges einen eignen Plaß in der Erforschung des Geschehenden sich erringen wird.

Näher liegt indessen der moderne Socialismus der ganzen Reihe von Utopieen, die sich seit Plato's Republik gefolgt sind. Ihre Entwicklung erfordert ein eignes, doch mehr psychologisch merkwürdiges als bedeutendes Studium; denn sie sind fast alle mehr das Resultat einer menschenfreundlichen gutmeinenden Gesinnung, als eines ernsten, nach festen Principien suchenden Studiums. Es ist leicht, das drängende Bedürfniß des inneren Fortschrittes der Verhältnisse in Staat und Gesellschaft mit einem Gebilde zuzudecken, nach dessen innerer Wahrheit man nicht sehr zu fragen braucht, weil man seine Verwirklichung doch weder beginnen möchte, noch auch sie überhaupt für möglich hält, und es läßt sich schwerlich läugnen, daß die meisten Utopieen eben aus jenem Gefühle hervorgegangen sind. In allen herrscht ein stiller patriarchalischer Frieden; kein Anspruch wird erweckt, der nicht seine Befriedigung findet, keine Unruhe stört das errungene Glück, oder treibt einem größeren entgegen; die Ordnung der Gesellschaft ist so fest bestimmt, daß sie starr wird, und die Lebensgeschichte des Einzelnen hat keine anderen Perioden, als die des bekannten Gellertschen Liedes vom Greise. Dies sich Ergehen in einer weichen, warmen Welt, wo jede Eristenz an den Pfahl ihrer friedlichen Tage festgebunden wird, ist unbestreitbar sehr unschuldig und zugleich sehr wirkungslos, allein dies breitgeschlagene Glück enthält doch nirgends einen einzigen wahren Gedanken, dem der Stempel ernster Forschung aufgedrückt wäre; ja die gröBere Zahl jener gutmüthigen Einfälle ist nur ein schwacher Refler der platonischen Republik. Sie sind nicht aus dem wahren Bedürfniß ihrer Zeit hervorgegangen, und daher stehen sie ohne Ansprüche in ihr da, wie sie ohne Einfluß auf Staat und Gesellschaft bleiben. Zu diesen Erscheinungen rechnen wir die,, Utopia" von Thomas Morus, die,, Civitas Solis" von dem Calabresen Campanella, und die ,,Monarchia Messiae" von

demselben; die Oceana" von Harrington und die berühmten Nova Atlantis" von Bacon; unter den Utopieen des vorigen Jahrhunderts ist besonders die,,Salente" und die die,, Voyage dans l'Isle des Plaisirs" von Fenelon zu erwähnen. Es ist nicht zu läugnen, daß sich in diesen Schriften manche von den Ideen wiederfinden, die der Socialismus aufgefaßt und entwickelt hat; so enthält z. B. die Civitas Solis von Campanella viele Grundzüge der Anschauungen, die sich in der Schule St. Simons zu einer Theorie der Gesellschaft ausbildeten. Allein es ist auf keine Weise an eine Benuzung derselben von Seiten der Socia= listen zu denken; es eristirt nirgends die geringste Spur, daß St. Simon oder Fourier jene Schriften auch nur gekannt hätten. Sie stehen im Gegentheil vollkommen selbstständig da. Denn das Gebiet, für welches der Socialismus Veränderung nach seinen Grundsäßen will, ist ein wirkliches und gegenwärtiges, das der Industrie, und das Verhältniß zwischen Besizern und Nichtbesigern. Hier gilt es, nicht bei bloßen Wünschen und Hoffnungen stehen zu bleiben, sondern mit dem Gegebenen selbst und mit den Gesezen, die es bilden und verändern, sich zu messen, damit man von dem, was man als zu Erreichendes hinstellt, nicht bloß wünschen möge, daß es sein könne, sondern beweise, daß es werden muß. Auf der anderen Seite hat der Socialismus ein bestimmtes Princip als lezte Basis, wo in den Utopieen ein vages Gefühl oder ein frommer Wunsch erscheint; jener erlaubt nicht bloß, sondern will sogar, daß man seinen ganzen Inhalt an seinem Grundgedanken prüfen möge, während diese kein anderes Resultat hinterlassen, als die unbestimmte Erwartung einer glücklicheren Zeit. Dennoch sind die Utopieen dem Socialismus verwandt; aber diese Verwandtschaft ruht nur auf Einem Punkte, demjenigen, der sie gemeinschaftlich von der Rechtsphilosophie scheidet; beide haben nämlich zum Ausgangspunkte nicht den Staat und seine Form, sondern die Gesellschaft und ihr Glück. Aber während jene ein Gebilde der Phantasie hinstellen, will dieser die Gegenwart des gesellschaftlichen Lebens nach seiner Grundidee gestalten.

Diese Grundidee nun, die gleiche Berechtigung des Einzelnen zum Besiz und durch ihn zum Genuß, ist es, die den Socialismus mitten in das heutige Leben des französischen Volks hinstellt, und die ihm nothwendig einen wenn auch nur geringen Einfluß sichern wird. Sie ist es aber auch, die die beiden sonst

so sehr verschiedenen Theorien St. Simons und Fouriers verbindet, obwohl sie weder directe gegenseitige Bedeutung für einander. gehabt, noch auch wechselsweise sich anerkannt haben. Das Studium der Gesellschaft ist in Frankreich noch zu jung, um nicht in der Einseitigkeit verschiedener Schulen befangen zu sein, oder vielmehr noch der Schulen zu bedürfen, um an und in ihnen sich aufrecht zu halten. Wir aber mögen unbedenklich das Wort Socialismus für alle zugleich gebrauchen, denn sie sind entschieden nur aus dem Einen Stamme jener Idee entsproffen, wenn sie auch verschiedene Wege betreten, und selbst sich anfeinden und verkennen, nicht das erste Beispiel des Hasses der nächsten Geschwister. Selbst aber dem, der das Zutreffende unsrer Auffassung läugnet, wird jene Bezeichnung wenn auch nicht wahr, so doch bequem erscheinen; und so mögen wir denn von ihm aus zu den einzelnen Socialisten übergehen.

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,,Stehen Sie auf, Herr Graf, denn Sie haben große Dinge zu vollbringen. Mit diesen Worten ließ sich in seinem siebenzehnten Jahre der junge Graf Claude Henri de Saint - Simon wecken. Und in der That, wenigen in Frankreich schien eine durch äußre Stellung und inneren Drang des Vorwärtsstrebens mehr begünstigte Zukunft bestimmt zu sein. Geboren zu Paris den 17. October 1760, leitete er seinen Ursprung von Karl dem Großen her als Nachkömmling der Grafen von Vermandois, die direct von ihm abstammen. Sein Vater war der Graf von SaintSimon, der Sohn des berühmten Herzogs Saint-Simon, der am glänzenden Hofe Ludwigs XIV. eine so bedeutende Rolle spielte, und dessen Memoiren noch gegenwärtig eine eben so umfassende als interessante Quelle der französischen Geschichte seiner Zeit bilden. Der Enkel desselben war einziger Erbe eines großen Namens und eines nicht minder bedeutenden Vermögens. Der Titel eines Herzogs, eines Pairs von Frankreich und Granden von Spanien waren ihm bestimmt, so wie ein jährliches Einkommen von fünfhundert tausend Franken. Die besten Lehrer Frank

reichs wurden ihm gegeben, unter ihnen d'Alembert, dessen tiefe philosophische Richtung in dem Geiste des lebendigen Knaben eine unauslöschliche Liebe für höhere Wissenschaft zurückließ. Nichts ward versäumt, ihn zu bilden, und nichts fehlte ihm, um diese Bildung geltend zu machen. So trat er in seinem siebenzehnten Jahre ein in das öffentliche Leben. Manche Erwartungen hatte er rege gemacht; hinter keiner gedachte er zurückzubleiben.

Zuerst trat er in den militärischen Dienst, nach der Sitte jener Zeit, und ging mit Bouillé nach Amerika, um unter Washington für die Freiheit der neuen Welt zu fechten. In diesem Kriege, dessen Bedeutung er übrigens wohl begriff, ward es ihm zuerst klar, daß sein innerer Beruf ein anderes Ziel suche, als kriegerischen Ruhm.,,Der Krieg als solcher", sagt er,,, inte ressirte mich nicht, nur der Zweck dieses Krieges ergriff mich lebendig, und ließ mich ohne Widerwillen seine Arbeit ertragen. Mein Beruf aber war es nicht, Soldat zu sein; ich fühlte mich zu einer sehr verschiedenen, ja ich darf sagen grade entgegengesezten Weise der Thätigkeit hingezogen. Den Gang des menschlichen Geistes zu begreifen, um alsdann für die Vervollkommnung der Civilisation zu arbeiten, das war der Zweck, den ich mir vorseßte.//*) Er verließ den Dienst schon 1779, und kehrte 1783 zurück nach Frankreich, nachdem er vergeblich versucht, den Vicekönig von Merico für einen großen Canalbau zur Verbindung der beiden Weltmeere zu interessiren. Sein Plan ward nur fühl aufgenommen, und Saint-Simon damit das europäische Continent als die Heimath seiner Arbeiten angewiesen.

Zurückgekehrt in sein Vaterland, ward er schon in seinem drei und zwanzigsten Jahre zum Oberst befördert. Dennoch sagte ihm das Leben in der Garnison nicht zu, und er gab die Zufunft, die er mühelos auf diesem Wege gefunden hätte, vor der auf, die er sich selber zu schaffen hoffte. Noch hatte aber dieselbe in ihm keine bestimmte Gestalt gewonnen; nur drängte es ihn, großartige Unternehmungen zu suchen. Er reiste 1785 nach Holland, um eine vereinigte französisch - holländische Expedition gegen die englischen Colonieen in Indien zu entwerfen; sein Vorschlag fand Beifall. Bouillé sollte Befehlshaber sein, St. Simon erhielt eine bedeutende Stelle; da zerfiel das Unternehmen

*) Die Citate find, wenn wir nicht besonders die Schrift anführen, aus den ,, Fragments de l'histoire de sa vie écrite par lui même" vor den Oeuvres de Saint-Simon publiés par Olinde Rodrigues. Paris 1841.

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