Page images
PDF
EPUB

selber allmählich als einen eignen Stand, dann aber erkannte es seine Bedeutung in allem, was Revolution heißt. Dieses Resultat überlieferte die Republik der Kaiserzeit, die Kaiserzeit der Restauration. Schon schien es vergeffen, als plößlich die Julirevolution jene schlummernde Kraft aufs neue erweckte, jeßt aber furchtbarer, weil sie nun mit bestimmten Ansprüchen aufzutreten beginnt. Denn neben der Lust am bloßen Kampf und der Liebe zum Ruhm ist auch hier endlich das unmittelbare materielle Bedürfniß in sein unverjährbares Recht eingetreten. Was haben ihm, dem Armen, dem Nichtbesizer, alle Revolutionen denn genügt? hat er seine Stellung verbessern, seinen Unterhalt sichern, seine Genüsse vermehren, seiner Familie die Unabhängigkeit sichern können? Ist er all dem Reichthum, der ihm besonders in Paris so nahe liegt, all den Freuden, die damit verbunden sind, all der Achtung, ja den Rechten, die er mit sich führt, auch nur um einen Schritt näher gerückt? Muß es ihm nicht als ein furchtbarer Widerspruch, ja als ein Hohn erscheinen, wenn man zus gleich ihn preist als den tapfern Mitkämpfer für die Befreiung seines Vaterlandes, als einen Hauptgründer des Glücks seines Landes, während die Wahlgefeße ihn von allem Recht an der Staatsgewalt, seine Armuth ihn von allem Genuß ausschließen? Das beginnt jezt der Proletarier zu fühlen; er beginnt allmählig ein selbstständiges Wollen, einen eignen Zweck zu haben, und zu erkennen, daß er bis dahin nur für Andre gearbeitet und geblutet hat. Dazu kommt das Bewußtsein seiner Kraft; die Erinnerung an das, was durch ihn geschehen ist, macht ihm Pläne und Hoffnungen möglich, die als Rückhalt einer physischen Macht bedürfen; er weiß, daß diese ihm nicht fehlen wird, wenn er nur erst das bestimmte Ziel gesezt hat, und so wird allmählig aus dem Chaos dieser eigenthums- und bildungslosen Masse ein Ganzes, dem keiner, wenn auch die Berechtigung, doch seine Bedeutung versagen kann.

Das ist jenes neue Element, das mitten in die Gesellschaft Frankreichs hingestellt, wohl ein gefährliches genannt werden darf; gefährlich durch seine Zahl und seinen oft bewiesenen Muth, gefährlich durch das Bewußtsein seiner Einheit, gefährlich endlich durch das Gefühl, daß es nur durch Revolution zur Verwirklihung seiner Pläne gelangen kann. Allein diesem Element ist doch, so scheint es wenigstens, zugleich mit seinem Dasein auch der Zügel gegeben, der sein Ueberschlagen, und den Unsegen gewalt=

thätiger Versuche zu verhindern bestimmt ist. Denn alles, was der Proletarier will, kann am Ende doch nur durch Umstoßen zweier absoluten Grundpfeiler alles Zusammenlebens erreicht werden, durch die Vernichtung der Heiligkeit der Geseze und der des Eigenthums. Hier sind die Gränzen, die jedem Wunsch vorgeschrieben sind, und mit denen das gesunde Gefühl in der Bruft jedes Unverdorbenen allen gestaltlosen Plänen entgegentritt, die Ueberschreitung nicht duldend, den Ueberschreitenden strafend. Es ist in uns selbst das Maaß dessen, was wir erreichen können, eben durch jene beiden Mächte vorgeschrieben, und ob reich oder arm, gebildet oder ungebildet, das Gesez und das Eigenthum achtet ein jeder, bewußt wie unbewußt. So tritt das Proletariat in seine Schranken zurück, und aus einer gefährlichen wird es eine bloß merkwürdige Erscheinung. Noch nie hat eine Nation gegen den Zustand des Eigenthums sich empört, und nie wird sie zu diesem Punkte gelangen. Es ist der Gedanke an sich unmöglich, und kann daher nicht wirklich einer Classe der Gefellschaft eigen sein.

Wäre dem nur fo! Ja, wäre dem so, so hätte Frankreich von seinem Proletariat wenig zu fürchten! Es ist wahr, daß diese Classe der Nichtbesizer wenig Gefahr bringt, so lange wirklich noch die Heiligkeit des Eigenthums und seiner Geseze unantastbare Grundsäge sind, so lange der, der nichts hat, sich bescheidet, seinen Mangel und sein Elend als eine Fügung Gottes anzusehen, und sich über sein trauriges Loos auf Erden mit einem gläubigen Blick zum Himmel zu trösten. Aber das ist es ja eben, was aus dem neuen Stande in der Gesellschaft einen wirklichen neuen Feind derselben gemacht hat, daß er von vorne herein an jener Unverleßlichkeit des Besizes zweifelt, und nicht anerkennen will, daß von der zufälligen, durch nichts motivirten und verdienten Vertheilung des Eigenthums in unverhältnißmäßig große und kleine Antheile das ganze Glück, die ganze Bedeutung, die ganze Bildung so vieler tausend Menschenleben abhängen dürfe. Grade das, was den Grundcharakter der bisherigen Geschichte der Gesellschaft bildet, die absolute und untrennbare Persönlichkeit des Besizes, wird von ihm geläugnet. Und blicken wir jezt auf die Geschichte der Revolution zurück, so ist für das Proletariat ihr wichtigstes Resultat weder das Gefühl seiner Macht noch das seiner Einheit, noch auch die Liebe zur Revolution, sondern es ist kein anderes, als eben jener ernste und noch nie

gelöste Zweifel. Mit ihm sind die leßten und stärksten Bande gebrochen, die noch im Stande wären, Furchtbares zu verhindern; an die Stelle der Ordnung tritt die Unzufriedenheit, an die Stelle des genügsamen Genusses der unversöhnte Haß, und statt des segensreichen Friedens erscheint der Kampf im Herzen der Gesellschaft selber.

[ocr errors]

Daß dieses wirklich das Verhältniß des Proletariats in Frankreich zu den übrigen Classen der Gesellschaft ist, wird die weitere Darstellung im Genaueren zeigen. Ein solches Moment aber fonnte nicht unbeachtet bleiben; es mußte die Aufmerksamkeit jedes Denkenden, die Furcht des Besißenden, die Wachsamkeit der Regierung nach allen Seiten hin erregen. Schon hat es im allgemeinen Bewußtsein seine eigne Stellung eingenommen, und niemand läugnet mehr, daß es eine Reihe der wichtigsten Fragen enthält, deren Entscheidung nothwendig erfolgen muß. Und haben Socialismus und Communismus eben in der Entwickelung dieses Proletariats ihre eigentliche Bedeutung, wie mag man sich wundern, daß weder der Staat noch das Volk fie unbeachtet vorübergehen ließ ? Doch indem so die Erscheinungen der französischen Welt sich entfalten, wird es allmählig klar, daß die Entwickelungen, die sich hier im raschen Wechsel erheben und drängen, nicht blos Frankreich angehören können. Allerdings hat jenes Proletariat hier einen Höhepunkt erreicht, von dem die niedere Classe anderer Länder, wenn auch nicht in ihrem Elende, so doch in ihren Ansprüchen weit entfernt ist; unläugbar ist es, daß es in Frankreich wahrhaft gefährlich, unbesonnen und kühn ist; aber damit ist es wesentlich doch dieselbe Erscheinung, die uns täglich wachsend auch in andern Ländern entgegentritt. Dieselben Elemente, auf denen Frankreichs Zustand ruht, finden sich im Allgemeinen in dem ganzen germanischen Europa wieder; darf es uns wundern, daß, wenn auch die Bewegungen des lezten halben Jahrhunderts verschieden waren, dennoch die Resultate dieser Zeit, die uns gegenwärtig in ihren mannichfachen Gestaltungen umgeben, dieselben find? Schon dürfen wir, und nur mit zu großem Recht fragen: hat denn Frankreich allein ein Proletariat? Sind alle jene Fragen, die uns die Idee desselben erweckt, ein ausschließliches Eigenthum der französischen Gesellschaft? Oder erscheint uns nicht vielmehr jene eigenthümliche Claffe mehr oder weniger schon allenthalben, den Gegenstand mancher Zweifel, mancher Arbeit, ja mancher Beunruhigung bil

dend? Und ist dem so, so wird sich in dem Wesen des Proletariats ein tieferer Kern finden müssen, der es nicht blos, wie in Frankreich, als Resultat zweier furchtbaren Revolutionen, sondern im Gegentheil als das der ganzen neuesten Geschichte der Civilisation hinstellt, und damit das Erkennen wie die Lösung der Räthsel, die es enthält, zu einer Aufgabe der ganzen civilisirten Welt macht.

Aber schon hier eilen wir uns selber voraus. Eine weite Reihe unter den gegenwärtigen Gestaltungen, die uns zum Eigenthum wurden, ist Nachklang der Gewalt, mit der das Leben der beiden Völker der Vergangenheit bis mitten in unsre Zeit hineinreicht; eine andre zeigt sich uns als eine bloße Wiederholung untergegangener Bildungen, deren Geseze wir schon in der alten Geschichte zu finden vermögen. Was berechtigt uns denn, das Proletariat als eine eigenthümliche Form unseres, das ist unseres germanisch christlichen Zeitalters hinzustellen? Und was erklärt uns diese tief in den Grund der beiden großen Geschichtsepochen hineingreifende Verschiedenheit?

Die Vergleichung dieser Seite unsrer Zustände mit denen des Alterthums ist so reich an einzelnen wie an allgemeinen Ergeb= nissen, daß es uns schwer fällt, die Gränzen unserer Aufgabe inne zu halten. Kein alter Staat hat ein Proletariat gehabt; ein Saß, der eines strengen Beweises nicht bedarf. Allerdings giebt es hier sowohl Sklaven, als Arme. Von den Sklaven wollen wir hier nicht reden, da ihre Verhältnisse einen wesentlich anderen Gesichtspunkt voraussehen, allein auch die Classe der Armen in der alten Welt ist durchaus verschieden von der unserer Zeit. In Griechenland hatte das Armenwesen bekanntlich wenig oder gar keine Bedeutung; dagegen nahm es in Rom einen wichtigen Theil der ganzen Verwaltung dieser Weltstadt, und damit des ganzen Weltreiches in Anspruch. Auch hier bildete die Zahl der Nichtbesißer eine gewaltige und furchtbare Macht, auch hier war sie zu Revolutionen geschaffen und bereit, auch hier mußte die Regierung um der Ruhe des Reiches willen dem Geschrei des Pöbels nach Land und Schauspielen willfahren. Scheint sich nicht das ganze Verhältniß unsrer niederen Classe in diesem römischen Leben des Livius zu wiederholen? Dennoch ist beides aufs Tiefste verschieden. Zuerst ist bei uns ein Unterschied zu machen, der bisher zu sehr vernachlässigt ist, obwohl ohne ihn nie eine klare Anschauung über das gegenwärtige Verhältniß ge

wonnen werden kann. Es ist der zwischen Armen und Nichtbesigern (Proletariern). Jener hat nicht blos nichts Eignes, sondern ist auch physisch außer Stande, sich, selbst wollend, seinen Unterhalt zu erwerben. Dieser hat keinen Besit, wohl aber Arbeitskraft, und den Willen, sie anzuwenden. Der römische Arme ist bald das erste, bald das zweite, nur fehlt ihm absolut Eins: eben dieser Wille sich etwas zu erwerben, wenn er nur fönnte. So wie uns die Plebs der römischen Kaiserzeit entge gentritt, ist sie im eigentlichen Sinne des Wortes eine Anhäufung von Taugenichtsen, die keine andre Lebensaufgabe haben, als die, auf Kosten des Staats zu leben und zu genießen. Das will der Proletarier nicht; er will arbeiten, gern, gut und viel, aber er will für seine Arbeit einen angemessenen Lohn, und das Mißvers hältniß zwischen seiner Anstrengung und seinem Erwerb ist eigentlich der erste und unmittelbarste Reiz zur Unzufriedenheit, und damit der Anstoß zum Gegensage zwischen ihm und denen, die für wenig Mühe viel Gewinn haben, mehr aber noch gegen die, welche gar nicht arbeiten und dennoch die Freuden des Besißes genießen können. Auf diese Weise scheidet sich das Proletariat unserer Zeit streng von allen ähnlichen Erscheinungen der alten Welt ab, wenn man nur nicht die Armen mit den Nichtbesigern verwechselt; es gehört der neuen Geschichte an, und hier ist es, wo seine wahre Bedeutung sich uns entwickeln muß.

[ocr errors]

Demselben Sage entgegen führt uns die zweite Bemerkung, daß es nur in den germanischen Völkern jenes Proletariat giebt. Rußland kennt es nicht, die Türkei eben so wenig; für Asien, ja sogar für das fast übervölkerte China, wie für Afrika und Südamerika ist es vollkommen unbekannt. Arme im weitern Sinne giebt es auch hier fast allenthalben; aber diese Armen unterscheiden sich wieder entschieden von denen des römischen Reichs, wie von dem heutigen Proletarier. Sie wollen arbeiten, wie der germanische Nichtbesizer, und sie lassen sich durch den Mangel zu jedem Dienst herabdrücken, allein sie machen eben aus ihrem Stande heraus keine Ansprüche, weder auf mehr Lohn als man geben will, noch auf Theilnahme an den allgemeinsten Gütern. Sie find unterdrückt, und hoffen schweigend auf eine Veränderung ihres Looses, das sie für ein absolutes anerkennen. Von ihnen hat der Reiche so wenig wie der Mächtige etwas zu fürchten. Daher können die Armen der nicht germanischen Staaten dem heutigen Proletarier nicht gleichgestellt werden, denn dieser

« PreviousContinue »