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Die Socialisten.

I.

Der allgemeine wissenschaftliche Charakter des Socialismus.

Bis hierher sind Socialismus und Communismus uns Erscheinungen in dem Gebiete Eines Gedankens gewesen. Ihn haben wir verfolgt, selbst bis auf die kaum bemerkbaren Keime, die er in sich trägt. Es wird daher überflüssig sein, den Socia= lismus fernerhin nach der Seite genauer zu verfolgen, mit der er sich der Egalität, der Freiheit und dem dämmernden Gedanken einer durch höhere Geseze gebotenen organischen Ordnung zuwendet. Es ist zu einfach, das Verhältniß, in dem er zu diesen Principien steht, aus dem Bisherigen sich klar zu machen, als daß wir es als Gegenstand einer eigenen Aufgabe seßen dürften.

Allein jezt, da es uns erlaubt ist, Socialismus und Communismus als getrennte Erscheinungen zu betrachten, tritt uns das charakteristische Moment des ersteren, auf das wir schon gleich im Anfange aufmerksam machten, hervor. Der Socialismus will nicht blos eine Organisation der Industrie, er denkt nicht allein darauf, das Loos des Proletariers zu verbessern, sondern er ist selbst eine Wissenschaft; und indem er seine Säge auf die höchsten Ideen des Gottes- und Weltbewußtseins zurückführt, gehört er in die Geschichte der philosophischen Entwicklung Frankreichs. Diese Seite seines Lebens verdient bei dem sonst so großen Mangel an selbstständiger Philosophie in diesem Lande, eine eigne Betrachtung.

Diese tiefere Bedeutung der Organisation der Arbeit in einem Zustande, der wesentlich auf der Industrie beruht, kann dem Denkenden nicht entgehen; ja sie vermag es sogar, auch den leichteren und unfähigeren Sinn zu zwingen, jeden Gedanken, der sich dieser Aufgabe naht, mit Ernst zu beginnen, und seine Begründung zu suchen, ehe man ihn als wahr hinstellt. Diese Wahr

heit aber findet der einzelne Gedanke erst in dem Ganzen, in dem er ein Glied bildet. Das Gewicht des Gegenstandes nöthigt daher den, der ihn ernstlich zu erkennen strebt, die Idee einer Dr ganisation der Arbeit über die Sphäre der Aphorismen und des bloßen Einfalls zu erheben, und aus den mancherlei Wahrheiten, Behauptungen und Bemerkungen, die auf diesem noch unausgebeuteten Felde uns regellos entgegen strömen, ein abgeschlossenes, gegebenes Ganzes, ein System zu bilden. Dieses System aber, dessen Realisation als Aufgabe hingestellt wird, ist schon jezt für Frankreich nicht mehr blos ein System der Industrie. Wir haben gezeigt, wie sich die ganze Arbeit der Zeit auf die Industrie geworfen, und wie von ihren Resultaten oder kurz vom Besiß die Stellung und Geltung jedes Einzelnen abhängig geworden ist. Die Masse aller Individuen, als besizende Vielheit betrachtet, ist aber die Gesellschaft. Dieselben Geseße, die das Ergebniß der Industrie an diese Einzelnen vertheilen, bilden daher die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Ein System, was bei der bloßen Industrie stehen bleibt, hat mithin nicht das ganze Gebiet erfaßt, in welchem sie wirkt; es muß weiter, und sich über alle Beziehungen ausbreiten, in denen der Besiz überhaupt seine Bedeutung äußert. Auf diese Weise wird die tiefer gehende Lehre von der Industrie die Geseze finden müssen, die die ganze Gesellschaft umfassen, und das Wissen derselben ist damit nicht allein die Wissenschaft der Arbeit, sondern die der Gesellschaft, der Socialismus.

So bestimmt sich uns der Begriff des Socialismus leicht und sicher. Das Wort selbst hat noch keine feste technische Bedeutung; bald wird es für alle Bestrebungen, materielle wie intellectuelle genommen, die auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände hinzielen, bald ist es allein die Schule der Fourieristen, die ihre Theorie die science sociale nennen. Wir haben den Vortheil, für den neu zu schaffenden Begriff jenen Ausdruck noch als einen freien und nicht vieldeutig gewordenen in Anspruch nehmen zu können.

Der Socialismus ist daher der Inbegriff der intellectuellen und materiellen Arbeiten, die ein System der Organisation der Industrie als Organisation der Gesellschaft suchen und realisiren wollen. Wir umfassen mit diesem Begriff alle Erscheinungen, in denen wir die organisativen Ideen auf einen bestimmten bewußten. Grundgedanken zurückgeführt, oder auch nur diesen lezteren selbst

angestrebt sehen. Damit scheidet sich derselbe von dem Communismus, der entweder rein negativ gegen das Bestehende ist, oder ohne Klarheit- und Bewußtsein der ihm dunkel vorschwebenden Idee einer Ordnung der Gesellschaft entgegen eilt. Der Unterschied ist wesentlich; denn der Socialismus ist positiv, der Communismus negativ; jener will eine neue Gesellschaft bilden, dieser nur die bestehende umstürzen; jener stellt es sich zur Aufgabe, das was er vorschlägt zu rechtfertigen, dieser das, was besteht, anzuklagen; jener hofft auf seine Verwirklichung durch die Gewalt der Wahrheiten, die er aufstellt und zu deren Betrachtung er jeden Denkenden einladen möchte, dieser durch die Gewalt der Masse, ja durch Revolution und Verbrechen. - Wenn daher einmal der Punkt gefunden ist, wo sich diese beiden Erscheinungen in ihrer höheren Einheit vereinen, so muß die Darstellung, indem fie auf Einzelnes eingeht, sie streng scheiden, um so mehr, da sich ihre Gränzen berühren, und dennoch eine Verwechselung als Verläumdung oder als Anklage betrachtet werden würde.

Damit haben wir die Bedeutung und die Definition des Socialismus gegeben. Nun aber hat jede philosophische Wissenschaft Einen höchsten Ausgangspunkt, in dem sich alle Fäden ihres Systems concentriren, und durch den es erst zu einem wahrhaft selbstständigen werden kann. Wenn wir daher zwei Systeme als wesentlich verwandt hinstellen, so muß sich diese Verwandtschaft eben in jenem gemeinsamen philosophischen Grundgedanken finden; und die Nachweisung dieses höheren Verbundenseins zweier sich sonst so fremder Theorien ist die Aufgabe des Folgenden.

Die Ordnung der Industrie hat zum lezten Ziel die Vollendung jeder einzelnen Persönlichkeit. Damit aber der allgemeine, noch vage Gedanke einer Organisation seine bestimmte Gestalt erhalte, muß ein, dieselbe seßendes, bestimmendes Moment da sein. Dieses Moment ist nun eben das, wodurch jene Ordnung ein Bedürfniß wird - die Idee der vollendeten Persönlichkeit, oder des vollkommenen Menschen; und das Bild, das sich der Denkende von dem vollkommenen Menschen macht, wird mithin die Aufgabe und die Form jener Ordnung bestimmen müssen. Wenn wir aber behaupten, daß jene Organisation ein Gegenstand der Arbeit des Volksgeistes ist, so wird nur der Socialismus Bedeutung haben, der im Geiste des Volkes seine Wurzel findet der mithin die Idee des vollkommenen Menschen zum Grunde legt, die dem Volksbewußtsein vorschwebt. Jene Idee

aber bezeichnet uns, wenn wir sie fest ins Auge faffen, nicht so sehr ein Bild, als vielmehr die Aufgabe für den Einzelnen, die jeder für sich, so weit es möglich ist, zu lösen hat. Der gemeinfame Grundgedanke, den der Socialismus allen seinen Systemen. zum Grunde legt, ist mithin die, nach der französischen Volksanschauung höchste Bestimmung des Menschen für sein irdisches Leben.

Hier stehen wir nun vor einem tiefgreifenden und wichtigen Punkte, auf den wir um so entschiedener die Aufmerksamkeit des Lesers richten möchten, je weniger es uns erlaubt ist, ihn auch nur bis zu seinen nächsten Gränzen zu verfolgen. Das eigentliche Ziel, was der Socialismus verfolgt, liegt, wie es aus dem Obigen klar ist, noch hinter der Idee der Gesellschaft als solcher; die Organisation der Arbeit, die er finden und darstellen möchte, soll nicht blos der Weg zur Erreichung des Besizes, sondern wesentlich zu der der höchsten irdischen Bestimmung des Menschen selbst sein. Wir haben behauptet, daß derselbe, um nicht ganz außerhalb der Welt zu stehen, für die er arbeiten möchte, eben in diesem Gedanken mit der Anschauung des Volkes übereinstimmen müsse; und daß er es thut, beweist uns, daß er wenigstens auf diesem Punkte nie angegriffen worden ist. Was denkt sich nun der Socialismus und der hier von ihm vertretene französische Volksgeist als jene Bestimmung?

Es ist zuerst klar, daß vor dieser Frage der Besitz seinen wahren Charakter wieder erhält, und zum bloßen, wenn auch nothwendigen Mittel herabsinkt. Hinter demselben erscheinen aber als Kern des thätigen Lebens zwei Kräfte, die ihre Befriedigung allenthalben suchen, das Bedürfniß des Erkennens und das des Genusses, das eine dem inneren Leben der Dinge, das andre dem erscheinenden zugewendet. Soll sich die Bestimmung des Menschen darin vollenden, daß er das Erste als das vor Allem zu Befriedigende fezt, so wird das Zweite als untergeordnet, ja als unterthan erscheinen; ist der Genuß der Ge= nuß im weitesten und höchsten Sinne als Resultat der äußeren That die höchste Aufgabe unsres Lebens, so tritt das Wissen zurück, und die Erkenntniß ist das zweite und dienende Moment. Wird nicht hier, bei diesem Punkte, dem Deutschen das Bewußtsein seines Volksgeistes die unmittelbare, unendlich gewisse Antwort geben, welche von beiden Aufgaben uns, welche dem französischen Volke geworden ist? Es giebt zwischen den beiden

Völkern der Mitte Europa's keine höhere und keine bestimmtere Scheidewand, und keinen andern Grund, warum sie sich feindlich, unvermischbar und doch einander achtend und wechselsweise bestegend gegenüberstehen. Der innere Kern des Volksdaseins beider Nationen liegt an dieser Stelle, lebendig, thätig, aber bis jezt von den Einzelnen noch mehr geahnt, als begriffen; wenn aber dieser Kern wahrhaft erkannt sein wird, so wird er es sein, der die Stellung beider Völker bedingt und gestaltet.

Damit ist denn der Grundgedanke des Socialismus selbst gegeben; er will nicht blos die Gleichheit der Person, sondern in ihr und durch dieselbe den Genuß, zu dem sie berufen ist, einer jeden darbieten. Wie wir in jener Idee der Unabhängigkeit durch den absoluten Besit der Arbeitskraft den Refler der Geschichte des Egalitätsprincips finden, so tritt uns in diesem lezten Ausgangspunkte die Basis der eigentlichen französischen Philosophie entgegen. Durch ihn erst wird der Socialismus wahrhaft möglich, denn derselbe entwickelt zuerst mit Bestimmtheit und Bewußtsein dieses Moment, was zwar, so weit die franzöfische Geschichte zurückgeht, beständig thätig, aber dennoch nie als ein eignes anerkannt worden ist, zu dem Ganzen einer dialektischen und praktischen Wissenschaft.

Deshalb sind wir denn auch berechtigt, in diesem dem deutschen Bewußtsein fremden Gedanken den inneren allgemeinen Bau der Systeme des Socialismus noch etwas weiter zu verfolgen. Der Mensch begreift die Welt nur in der Gestalt, in der sie seiner Bestimmung dient. Wird das Bewußtsein dieser Bestimmung aber lebendig und stark in ihm, so beginnt er die Bestätigung dieser erwachenden Ueberzeugung außer sich in dem Daseienden, dem Gebiete der Natur, und dem Geschehenden, der Geschichte, zu suchen; denn jedes Ich, zum Bewußtsein seiner selbst kommend, sezt sich als Mikrokosmus, in der Gewißheit, daß das All in jedem Punkte seinen Mittelpunkt hat. Die Idee der Bestimmung des Menschen zur Freude im äußeren Genuß kann sich auf die Organisation der Arbeit als ihre einzige That beschränken; allein je tiefer sie sich selber zu ergründen sucht, desto weiter wird ihr Gebiet werden; ja einmal über jene Gränze, die bald als eine enge erscheint, hinübergeschritten, muß sie es versuchen, sich mit dem ganzen Leben der Welt zu messen, und sich in ihr wiederzufinden. Denn sie selbst, jene Bestimmung, erscheint, als unmittelbar gegebene, als die dem Menschen anerschaffene,

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