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nicht diese ganze Zeit in ihrem mannichfachen Leben erfassen. Mit jedem Schritte zieht sich das Denken fester zusammen, und, indem es vorwärts eilt, erscheint ihm stufenweise ein vielleicht mühsam errungener Punkt nach dem andern unwesentlich; der Reichthum des Lebens fällt von ihm ab, je höher es sich hebt; endlich vollendet es sich, aber mit dem Augenblicke, wo es seinen Kreis schließt, ist ein weiteres Fortschreiten nicht mehr möglich, und das Errungene ist todt. Da gilt es denn, aus diesem Reiche der Idee die Brücke zu finden, die uns wieder in die lebendige Welt zurückführt, denn diese Welt besißt ein Moment, das der abstracte Gedanke nicht hat, und um dessentwillen er mit aller seiner Kraft und Schönheit nicht vermag, das Gebiet der Ge= schichte ganz auszufüllen.

Dieses Moment aber ist die Persönlichkeit. Durch jedes Ich geht die Geschichte hindurch, und bildet und gestaltet jedes auf seine Weise. Nicht blos Völker- und Staatenformationen, sondern auch jeder Einzelne ist ein Resultat der Geschichte, und hier erst beginnt die Unendlichkeit derselben, an die der Gedanke sein Maaß auch nicht einmal anzulegen wagt. Das allgemeine Gesez, was sich im Allgemeinen vollzieht, findet seinen Widerschein in jedem Einzelnen, wie das Licht der Sonne in den ungezählten Thautropfen; hier erst hat es sein wahres Leben, die Verschiedenheit in seiner Einheit, die Unendlichkeit in dem engbeschränkten Kreise seines Sages. Wir sind, indem wir das Individuelle vor uns vorüber gehen lassen, dem großen Räthsel in unmittelbare Nähe gerückt, wie dasselbe in einem Anderen ein Anderes werden. kann; wir haben aber zugleich durch jene Persönlichkeit die Gewißheit, daß auch der bestimmteste Gedanke die Kraft einer unendlichen Mannichfaltigkeit seiner Gestaltung, und damit ein ewiges Lebensprincip in sich trägt. Das ist es, was uns bei dem logischen Schlußbau, den wir über die Geschichte hinlegen, nicht stehen läßt, und zugleich das, was uns mit ihm versöhnt. Wir fühlen uns hingezogen, den allgemeinen Gedanken, der die Welt bewegt, in der engen Werkstatt der einzelnen Menschenbrust arbeiten zu sehen; wir wollen eben hier nur diese Arbeit, diesen lebendigen Refler; hier mag er schaffen, was er will, wir rechten nicht mit dem Einzelnen, denn keiner ist so groß, daß Fortschritt und Stillstand von ihm allein abhinge; es ist uns nur um diese individuelle Schöpfung als solche zu thun. Das nun zerlegt die Geschichte selbst in zwei Gestalten; die eine zeigt uns den Gang

der Idee, das Werden und das Kämpfen des Allgemeinen; die andre erfaßt sich als Geschichte der einzelnen Völker, Staaten und Personen. Sie schließen sich nicht aus, sondern sie erfüllen sich gegenseitig; das Allgemeine bedarf des Individuellen, das Individuelle bedarf des Allgemeinen. Hier liegt der geheime Reiz, mit dem die Biographieen uns anziehen. Die Bedeutung unserer Persönlichkeit wird uns in der einer anderen bewahrheitet, und der Irrthum verschwindet vor dem Bedürfniß, aus jedem Leben ein Ganzes zu schaffen.

Das ist nun der rechte Sinn, mit dem man an die Darstellung eines einzelnen Mannes und seines Systemes, und an die Betrachtung desselben gehen soll. Jenes Ganze sollen wir in uns vollziehen, und uns an ihm freuen; der Kritik bleibt eine geringe Stelle, denn die Wahrheit liegt nicht in dem Systeme, sondern in dem Verhältniß desselben zu seiner Zeit. Das, was wir das innere Leben des Menschen nennen, ist eben der Refler des allgemeinen Gedankens im individuellen Geiste; und gelingt es, diesen wiederzugeben, so hat die Darstellung des Einzellebens ihren wahren Zweck vollendet.

Unsere Aufgabe ist es nun, die einzelnen Systeme und Anschauungen, die die lezte Periode der Geschichte des Egalitätsprincips in dem Geiste denkender Männer wie in der Einbildung leichtbeweglicher Köpfe hervorgerufen, auf den angegebenen Hintergrund hinzuzeichnen.

Zweiter Theil.

Die Socialisten.

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