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erkennen euer Recht an, den Besiß zu vertheidigen, wenn auch nicht das, ihn zu besizen; dagegen aber fordern wir, daß ihr auch uns zugesteht, euren Besit anzugreifen, wo und wie wir es vermögen!

Es ist wahr, daß diese Gedanken den äußersten Grenzpunkt des Egalitätsprincips bilden; aber es ist nicht weniger wahr, daß sie das ernste Resultat der Julirevolution enthalten, und dem Volksbewußtsein nicht mehr fremd sind. Dadurch hat diese Revolution in der Geschichte des Egalitätsprincips ihre wahre Stellung. Seit jener Zeit ist, wie wir es später genauer nachweisen werden, die Heiligkeit des Besizes in der Volksanschauung untergraben, und die ganze Gesellschaft Frankreichs sieht dieses tiefe, vernichtende Uebel nicht als ein ihr fremdes, wie der deutsche Sinn, sondern als ein gegenwärtiges an. Um dies zu beweisen, genügt es zwar, den inneren Grund und die Geschichte desselben darzulegen; aber um es zu fühlen, muß man den Bewegungen, den Hoffnungen und Befürchtungen in unmittelbare Nähe gerückt sein. Vieles hat die Julirevolution bewirkt, mancher nothwendige Fortschritt ist durch sie geschehen; aber für den ernsten und unparteiischen Beobachter ist das eigentliche tiefgreifende Hauptresultat der Zweifel an der Unverleßlichkeit des Eigenthums im Gemüthe des Volkes, und der mit ihm erwachte, zu seiner äußersten Gränze vordringende Kampf im Herzen der Gesellschaft.

VIII.
Resultate.

Wer möchte nun behaupten, daß das ganze innere Leben eines Volkes auch nur auf dem Gebiete einer einzigen großen Frage sich auf wenigen Blättern - oder daß es sich überhaupt darstellen lasse? Wie wenig vermag die Feder einer solchen Aufgabe gegenüber! Hier giebt es für den, den sein Weg nicht in das Herz des Nachbarstaates führt, nür Eine Möglichkeit, zu einer wahren und tiefen Anschauung der Kämpfe zu gelangen, die seit der Revolution die ganze Lebens- und Tagesgeschichte desselben bilden; und diese ist es, die wir den Lesern in unmits telbare Nähe rücken möchten. Wir müssen in uns selber die Zweifel vollziehen, die diese gewaltigen Zeiten geboren haben, und zwar so, daß wir nicht von vorneherein sie dialektisch zu überwinden trachten, sondern indem wir das Wahre, das sie enthalten, einmal mit aller seiner Macht unmittelbar auf uns ein

wirken lassen, und uns seiner Gewalt hingeben. Da wird es uns erfassen, aus dem Kreise, in dem sich unser Gedanke bewegt, emporheben, und uns in ein Feld tragen, das wir bis jezt nur dadurch kennen, daß wir uns gegen dasselbe abschließen; wir sehen uns hineingeworfen mitten in die Frage nach. dem Recht der Geschichte und dem des Gedankens, nach der Berechtigung des unangreifbaren Eigenthums und der der Vollendung aller Person, nach der Idee des Thrones und der des Volkes; und hier erst wird es uns offenbar werden, welchen mächtigen und zugleich furchtbaren Inhalt wie Gegenwart Frankreichs in sich trägt, und wie es möglich ist, daß ernste Männer an der nächsten Zukunft desselben verzweifeln, und selbst Leichtsinnige nicht gleichgültig bleiben.

Jenes aber ist nun schwer, am schwersten aber für die Gegenwart des französischen Volkes; darum, weil in ihm nichts entschieden ist, als die Negation des Daseienden. Es giebt keinen positiven, von allen gemeinsam als Vereinungspunkt und gemeinsame Basis anerkannten Plaz im ganzen Felde des geisti gen Lebens, auf dem sich uns das ganze Volk als gewappnete und bewußte Einheit darstellte. Durch jedes Gebiet geht der Riß, die Diesseitigen und Jenseitigen scheidend nicht blos, sondern selbst zu Feinden machend, zerstörend, was besteht, verhindernd, was entstehen möchte. Das aber wird grade uns am schwersten werden, denen die Negation nie um ihrer selbst willen dagewesen ist, und darum geht das Leben des französischen Volkes an dem Deutschen so oft unverstanden und nicht geachtet vorüber.

Denn Alles, was wir bis jezt als einen Theil der Geschichte des Egalitätsprincips dargestellt haben, ist nun nicht etwa mit den einzelnen Perioden, die jedes Einzelne bildete, vorübergegangen, einem Neuen Plaß machend, so daß die ganze Gegenwart nur in Einem Widerspruch sich bekämpfte; sondern es er= scheint als Resultat des lezten halben Jahrhunderts eben jene ganze Reihe der Zweifel zugleich im Bewußtsein des Volkes. Möchte es uns gelingen, diesem ganzen hin und her wogenden. und nach einem Haltpunkt vergeblich ringenden Zustand in kurzen Worten dem Gedanken noch einmal zu vergegenwärtigen.

In jedem Lebendigen sind zwei Kräfte wach; die erste treibt vorwärts, damit der Mensch sein Ziel nicht in zu engem Kreise zu erfüllen glaube; die zweite hält ihn fest, damit er seine Aufgabe nicht ewig in der Ferne suche. Beide sind zugleich da für

alle Sphären seines Lebens; für den Gedanken und das Wissen nicht allein, sondern zugleich für die Verhältnisse zu der materiellen Welt, in der wir uns finden.

Wenn nun aber der Wunsch aufgeregt wird, daß er weit über die Gränze hinausgeht, die der Arbeit erreichbar erscheint, so daß Hoffnung und Verwirklichung sich zu fern stehen, um sich gegenseitig zu erfüllen wer soll dann das Mißverhältniß lösen?

Ein solches Mißverhältniß ist da im Leben des niederen Theiles eines Volkes ja dieses Leben ist selbst nur dieses erscheinende Mißverhältniß. Glücklich noch diejenigen, denen ruhige Entfernung von der glänzenderen Welt nicht Begehrnisse geweckt haben, deren Erfüllung sie kaum zu wünschen wagen, weil sie sie nicht hoffen dürfen. Was soll aber die in ihrem Elend trösten. oder in ihrer Verzweiflung von gewaltsamer That abhalten, die zehnfach größere Bedürfnisse wie jene, und dennoch zugleich die Gewißheit haben, sie nicht befriedigen zu können? Was wird sie zwingen, nicht dem Glück der Reicheren ewigen Krieg zu erklären, oder doch die eigne Ruhe durch unüberwundnen Zweifel an dem Recht der gegebenen Zustände zu untergraben?

Auf dem Gebiete dieser Frage handelt es sich nicht um die äußere materielle Gewalt; sie kann Frieden, aber keine Zufriedenheit hervorrufen. Diese aber ist es, auf die das Glück sich stüßt. Ist denn mit dem Bewußtsein über seine Armuth eben dieses Glück absolut eine Unmöglichkeit für den Armen geworden?

Die drei Gewalten, die ihm hier gegenüber treten, in seinem eignen Bewußtsein ihm die Versöhnung der widersprechenden Wünsche und Berechtigungen bietend, sind der Glaube an den Staat, an das Eigenthum, und an Gott.

Wer möchte nicht gern mit seinem Willen und seinen Plänen Theilnehmer des allgemeinen Willens sein als absolutes integrirendes Glied desselben? Gäb' es einen Weg, dahin zu gelangen, nicht zu schwer, nicht zu lang, nicht zu ungewiß, ein jeder würde sich auf ihn hindrängen.- Der bestehende Zustand desselben aber schließt von zwanzigen neunzehn aus; nicht zufällig, nicht für einige Zeit, sondern grundgeseßlich und für immer. Was ist hier das, die Wünsche und das Gegebene und Erreichbare verföhnende Moment, durch dessen Besiß sich Deutschland von Frankreich so entschieden trennt? Es ist der Glaube an den Staat, der sich darstellt als Achtung vor dem Gesez. Er hebt nicht nur, wo er wahrhaft lebendig ist, jeden Gedanken an

die gewaltsame Erreichung eines anderen Zustandes auf, sondern weist, dem Wunsche selbst entgegen tretend, diesem sein Gebiet an; nicht durch die Gewalt seiner dialektischen Bewegung denn der zu folgen fehlt es Vielen an Vielem - sondern durch das Bewußtsein, das er erweckt, daß der gegebene Zustand ein durch eine höhere Gewalt geschaffener und darum ein selbst durch die Hoffnung unverleßlicher sein solle. Wir wissen wohl, von wem dies nicht gesagt werden kann; aber wer unparteiisch ist, dem wird es nicht zweifelhaft sein, daß dem Volke diese innere Ueberzeugung stark und lebendig ist. Nicht um die Zukunft handelt es sich dabei, sondern um das Factum der Gegenwart, das heutige allgemeine Bewußtsein.

Bedarf es noch einer Rückweisung auf das oben Dargestellte, um zu zeigen, wie grade dieses Moment überhaupt dem franzöfischen Volke durch seine Revolution entrissen ist? Der geschichtliche Staat, das Resultat der Jahrhunderte, ist hin und begraben; ein solcher ist für Frankreich unmöglich. Der durch das Volk selbst geschaffene hat nicht im ganzen Volke seine Wurzeln; wer aber der Gewalt das Recht nicht abspricht, den überlieferten Staat umzustoßen, wird der den Sag bestreiten:,,was Menschen bauten, dürfen Menschen stürzen“? Von diesem Saß aber geht der Wunsch und die Hoffnung des niedern Volkes aus; sein gegebener Zustand, das was es durch eigne Arbeit zu erreichen vermag, bleibt weit hinter dem Ziel zurück, bei dem jene anlangen; was kann da das Resultat sein, als ein schneidendes Mißverhältniß, eine Spaltung, deren Versöhnung nirgends gefunden wird? Die erste Basis des friedlichen und genußbereitenden Zustandes, der Glaube an den Staat als ein absolut sittliches Institut, eine höhere ewige Nothwendigkeit in sich tragend, ist aufgehoben; schwer zu sagen wird es sein, wie vieler Opfer es bedarf, um sie wieder zu erringen; gewiß aber ist es, daß mit ihr die innere Gemeinsamkeit und Einheit des Volkswillens untergraben ist.

Indessen erscheint der Staat und sein Recht noch immer dem einfachen Verstande als ein gemeines Gut; der Kampf um dasselbe ist daher nie ein Kampf der Einzelnen, sondern ein Kampf von Parteien. Innerhalb der Parteien könnte daher noch ein jeder Einzelne seine Sphäre finden, seine Wünsche durch seine That, unangegriffen von außen her, zu erfüllen streben. Es giebt deshalb selbst da, wo es sich nur um den Staat handelt, noch Frieden und Erwerb; die Partei ist, selbst wo sie zur Ge

walt greift, nur negativ gegen den Grundgedanken der entgegenstehenden Partei; und wenn auch das Mißverhältniß im Gebiete des Allgemeinen kein Gegengewicht findet, so ist es doch noch nicht erwacht in der Sphäre des Einzelnen.

Diese Sphäre aber ist das Eigenthum. Von den unendlich vielen Seiten, von denen das Eigenthum betrachtet werden kann, wollen wir hier nur die hervorheben, wo die Persönlichkeit desselben die nothwendige Basis eben desjenigen ist, was selbst das Proletariat als allgemeine Aufgabe anerkennt. Das Maaß des Eigenthums bedingt das Maaß desjenigen, was die Arbeit erwerben kann. Die Arbeit beruht daher auf dem Eigenthum, das die Person besigt; ist zwischen beiden kein wahres Verhältniß, so ist die Arbeit selbst eine nichtige. Damit ich also der Arbeit eine feste Bestimmung geben könne, muß das ihren Kreis Bestimmende, das Eigenthum selbst, fest, unantastbar sein. Die Unverleglichkeit des Eigenthums erscheint daher auch von dieser Seite als absolute Grundlage des Bestehens wie des Fortschrittes.

Vieles aber trifft zusammen, was einen Theil des Volkes zugleich arm macht, und dennoch seine Begierden und Hoffnungen an die äußersten Gränzen des Besizes treibt. Es ist nicht nöthig, das Einzelne zu verfolgen; was den Arbeiter arm und ärmer macht, haben wir kurz angedeutet; was seine Begierden reizen muß, davon mag sich jeder leicht überzeugen, der auf der einen Seite den ungeheuren Glückswechsel in der äußeren Stellung während der Kaiserzeit, und den Vermögenswechsel durch Speculationen in den folgenden Jahren betrachtet. Dazu kommen die Einflüsse der großen Städte, die ein eignes Werk und eine selbstständige innere Arbeit fordern, um ganz dargestellt und ganz gefühlt zu werden. Diese Schaustellung des Reichsten und Schönsten, scheinbar so nahe und doch so unerreichbar, diese Verschwendung neben dem Bedürfniß, diese Anhäufung des Besizes neben dem Mangel, dieser Reiz zum Erfinnen von allerlei Theorieen durch die Auspreisung schon ersonnener, dieses Hinwenden der Opposition zu der armen Classe, die sie in dem Glauben an ihre Berechtigung zur Theilnahme am Höchsten und Besten bestärkt wer möchte alle die Punkte aufzählen können, die in den Centralisationspunkten der Civilisation die Begierden des Proletariers stachelt, und sein Loos als ein Elend ihm erscheinen läßt. wiß aber ist es, daß eben hier das Mißverhältniß zwischen dem, was jedem gegeben ist, und dem, was er wünscht, entschieden und

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