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VINNOTVO

Ludwig Häusser's

Geschichte

der

französischen Revolution

1789-1799.

Herausgegeben

von

Wilhelm Oncken,

Profeffor an der Universität Heidelberg.

Berlin,

Weidmannsche Buchhandlung.

1867.

Vorrede des Herausgebers.

Was ich hiermit dem weiteren Kreise der Freunde und Verehrer meines unvergeßlichen Lehrers übergebe, ist die wortgetreue Wiedergabe vollständiger stenographischer Aufzeichnungen, welche ich im Semmer 1860 nach den Vorträgen Häussers niedergeschrieben und nunmehr im Auftrage seiner Hinterbliebenen und des Gegenvormundes seiner Kinder, Herrn Geh. Rath Knies, aus seinem handschriftlichen Nachlasse, mit selbständiger Benutzung der wichtigsten neueren Literatur, sach lich ergänzt und vervollständigt habe.

Meine Aufzeichnungen stammen aus meinem letzten Studiensemester und sind gemacht worden, als ich in der Ausübung der Stolte'schen Stenographie der anerkannt besten für wissenschaftliche Zwecke bereits eine sechsjährige Praxis hatte, die mich in Stand sezte, auch einem sehr raschen Vortrage, wie es der Häusser'sche bekanntlich war, derart zu folgen, daß mir von Allem, was zur individuellen Farbe des Vortrags gehört, nichts irgendwie Wesentliches entging. Ehe ich aber an vorliegende Arbeit ging, hatte ich, theils als Herausgeber des badischen Landtagsblattes im Jahre 1864, theils bei späteren Gelegenheiten, eine ganze Reihe von Häusser'schen Vorträgen politischen wie wissenschaftlichen Inhaltes selbständig nach meinen Aufzeichnungen im Druck herausgegeben, ohne daß der Redner eine vorläufige Durchsicht des Manuskripts oder eine nachträgliche Berichtigung nach irgend einer Seite hin für nöthig gefunden hätte.

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Ohne eine im Wesentlichen zuverlässige Textesgrundlage dieser Art wäre an eine Herausgabe Häusser'scher Vorlesungen gar nicht zu denken gewesen.

Was zunächst die Nachschriften von Zuhörern angeht, so weiß Jeder, der bei Häusser gehört hat, daß von den Hunderten, die seine Vorlesungen besuchten, nur ganz ausnahmsweise Einer nachzuschreiben versuchte, und wer es etwa selbst ohne große Uebung in der Stenographie unternommen hat, weiß wiederum, daß die rascheste und geübteste Anwendung einer gekürzten Currentschrift nothdürftig ausreichte, um einige Notizen auf's Papier zu bringen, aber nicht, um etwas einem halbwegs vollständigen Text Aehnliches zu fixiren. Auch die besten Aufzeichnungen solcher Art konnten sehr erwünschte Detailbeiträge zu einem anderweitig gesicherten Texte, aber niemals diesen selber darbieten.

Was sodann den Häusser'schen Nachlaß betrifft, der mir von der verehrten Familie des Verstorbenen auf's Bereitwilligste ausgefolgt worden ist, so bot derselbe gleichfalls nicht, was wir zuerst darin suchten. Es fand sich ein stattlicher Stoß von Excerpten aus den Quellenwerken, von Notizen für den Vortrag, aber lediglich keinerlei Art von Ausarbeitung, denn das muß hier ausdrücklich hervorgehoben werden die wegen ihrer Formvollendung mit Recht bewunderten Vorträge Häusser's waren von Anfang bis zu Ende improvisirt, insoweit bei wissenschaftlichen Vorträgen überhaupt von Improvisation die Rede sein kann.

Häusser hat auf der Lehrkanzel nicht gelesen, sondern geredet; wie er hier kein Blatt Papier zur Hand hatte, so ruhte auch seine Vorbereitung nicht auf einem formell ausgearbeiteten Heft, sondern allein auf den sachlichen Ergebnissen seiner wissenschaftlichen Forschungen. Die Verwandlung dieses Rohstoffes in ein Kunstwerk der Darstellung geschah ohne Beihilfe der Feder. Die frische schöpferische Unmittelbarkeit der Behandlung eines durch und durch bemeisterten Gegenstandes war der größte Reiz dieser Vorträge, die darum für den Hörer immer wieder neu und gleich anziehend waren, obgleich sie sich Jahr für Jahr unter demselben Titel wiederholten.

In diesem Umstande lag es hauptsächlich begründet, daß namentlich die Dekonomie seiner Behandlung in fortwährendem Flusse begriffen war, daß in einem Halbjahr ganze Partien ausfielen oder nur flüchtig skizzirt wurden, die in einem anderen einen verhältnißmäßig breiten Raum einnahmen, und umgekehrt, was im Sommer 1860 sehr ausführlich zergliedert wurde, im Sommer darauf vielleicht gar nicht, oder nur in aller Kürze vorkam. Daraus ergab sich insbesondere auch, daß die im Grundriß angegebenen Ueberschriften nicht immer strenge inne gehalten wurden, daß einzelne Charakteristiken oder Erzählungen in einem anderen als dem vorgeschriebenen Zusammenhang erschienen, ja selbst, je nach den mittlerweile nachgetragenen Studien, auch der Geist und die Richtung des Urtheils über Dies und Jenes eine wesentliche Abänderung erlitt. So z. B. weichen die früheren und späteren Charakteristiken von Lafayette und Napoleon nicht unbeträchtlich von einander ab, so war die einleitende Vorlesung jedes Jahr vollkommen anders,*) so wechselte die Ausführlichkeit in der Erörterung der Anfänge der Constituante und ihres Verfassungswerkes, in der Betrachtung der finanziellen Fragen u. s. w.

All dieser Schattirungen habhaft zu werden, war unmöglich; nur wenn sie stenographisch aufgenommen gewesen wären, konnten sie überhaupt Werth beanspruchen, und ein stenographisches Heft außer dem meinigen existirt meines Wissens nicht. Alles in Currentschrift Aufgezeichnete konnte meinen Text höchstens um einzelne Striche bereichern, wichtige Abweichungen aber mußten entweder vollständig wortgetreu wiedergegeben werden können oder ganz wegfallen.

Eine Wiedergabe Häusser'scher Vorträge mußte vor allen Dingen aus einem Gusse sein; unvollständige Varianten konnten allenfalls anmerkungsweise unter dem Texte beigefügt, aber diesem letteren selbst nur dann einverleibt werden, wenn sie sich

*) Im Nachlasse finden sich dafür etwa ein Dußend skizzirte Entwürfe, die jeweils nur aus ein paar Worten bestehen, aber gleichwohl auffallende Verschiedenheit an den Tag legen.

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