Lessings Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai über das Trauerspiel: Nebst verwandten Schriften Nicolais und Mendelssohns

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Page 75 - Unterschied, als den beständigen oder durch die Erzählung des Dichters unterbrochenen Dialog, oder als Aufzüge und Bücher haben sollten. Wenn Sie Ihre Gedanken von der Illusion mit dem Hrn. Nicolai aufs Reine bringen werden, so vergessen Sie ja nicht, daß die ganze Lehre von der Illusion eigentlich den dramatischen Dichter nichts angeht, und die Vorstellung seines Stücks das Werk einer ändern Kunst, als der Dichtkunst, ist.
Page 70 - Mitleiden rege wird und sich gleichsam gewöhnt, immer leichter und leichter rege zu werden. Ich lasse mich zum Mitleiden 20 im Trauerspiele bewegen, um eine Fertigkeit im Mitleiden zu bekommen: findet aber das bei der Bewunderung statt? Kann man sagen: ich will gern in der Tragödie bewundern, um eine Fertigkeit im Bewundern zu bekommen? Ich glaube, der ist der größte Geck, der die größte Fertigkeit im Bewundern hat, 25 so wie ohne Zweifel derjenige der beste Mensch ist, der die größte Fertigkeit...
Page 70 - Mitleiden nur überhaupt üben, und nicht uns in diesem oder jenem Falle zum Mitleiden bestimmen. Gesetzt auch, daß mich der Dichter gegen einen unwürdigen Gegenstand mitleidig macht, nämlich vermittelst falscher Vollkommenheiten, durch die er meine Einsicht verführt, um mein Herz zu gewinnen. Daran ist nichts gelegen, wenn nur mein Mitleiden rege wird, und sich gleichsam gewöhnt, immer leichter und leichter rege zu werden.
Page 40 - ... die Bestimmung der Tragödie ist diese : sie soll unsre Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern. Sie soll uns nicht blos lehren, gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen, sondern sie soll uns so weit fühlbar machen, daß uns der Unglückliche zu allen Zeiten, und unter allen Gestalten, rühren und für sich einnehmen muß.
Page xxviii - Durch seine Tugend erwirbt sich Cato unter den Zuschauern Freunde. Man bewundert, man liebet und ehret ihn. Man wünscht ihm daher auch einen glücklichen Ausgang seiner Sachen. Allein er treibet seine Liebe zur Freiheit zu hoch, so daß sie sich in einen Eigensinn verwandelt. Dazu kommt seine stoische Meinung von dem erlaubten Selbstmorde. Und also begeht er einen Fehler, wird unglücklich und stirbt, wodurch er also das Mitleiden seiner Zuhörer erwecket, ja Schrecken und Erstaunen zuwege bringet.
Page 24 - Des dieux que nous servons connais la différence : Les tiens t'ont commandé le meurtre et la vengeance ; Et le mien , quand ton bras vient de m'assassiner , M'ordonne de te plaindre et de te pardonner.
Page 40 - Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter, und das Trauerspiel, das jenes thut, thut auch dieses, oder — es thut jenes, um dieses thun zu können.
Page 120 - Soll eine Nachahmung schön seyn, so muß sie uns ästhetisch illudiren; die obern Seelenkräfte aber müssen überzeugt seyn, daß es eine Nachahmung, und nicht die Natur selbst sei.
Page 87 - Denn diesen Affekt empfinden nicht die spielenden Personen, und wir empfinden ihn nicht bloß, weil sie ihn empfinden, sondern er entsteht in uns ursprünglich aus der Wirkung der Gegenstände auf uns; es ist kein zweiter mitgeteilter Affekt etc.
Page 41 - Das Trauerspiel soll so viel Mitleid erwecken, als es nur immer kann : folglich müssen alle Personen, die man unglücklich werden läßt, gute Eigenschaften haben, folglich muß die beste Person auch die unglücklichste seyn, und Verdienst und Unglück in beständigem Verhältnisse bleiben.

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