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schaft. Es erkennt, daß es, um das Ziel, jene wirkliche Gleichheit aller Person in allen Verhältnissen zu wollen, zuerst die nothwendige Bedingung derselben wollen muß, die Gleichheit des Eigenthums. Dadurch beginnt nun der Nichtbesizer sich dem Besizer, der Einzelne sich dem Einzelnen gegenüber zu stellen; das Proletariat erhält einen neuen Ausgangspunkt für seine Hoffnungen und Bestrebungen, und es erhebt sich langsam und ficher das, was Louis Blanc treffend als den Charakter der Gegenwart Frankreichs bezeichnet, ein Kampf im Herzen der Gesellschaft.

IV.

Gegenfäße in der Gesellschaft Frankreichs nach der Revolution.

Niemand wird behaupten, daß das Eintreten der Ruhe unter dem Directorium eine That dieser neuen Staatsgewalt, oder eine unmittelbare Folge der Verfassung von 1795 und ihrer Vortrefflichkeit gewesen sei. Es ist bekannt, wie schwach und zum Theil einflußlos beide im öffentlichen Leben dastanden. Dennoch hatten die Bewegungen ihr Ende erreicht, ohne daß eine äußere Gewalt fie bezwungen. Der Grund einer solchen Erscheinung kann daher nur in innern Ursachen gesucht werden.

Wenn nach einem gewaltigen Sturme plößlich eine Ruhe eintritt, und es nicht die Stille der Erschlaffung ist, die sich über den Kampfplaß der Kräfte und Leidenschaften legt, so ist sie ein sicheres Zeichen, das sich ein Neues vorbereitet. Allerdings gab es nach dem Terrorismus noch Empörungen gegen die Staatsgewalten; aber es waren nicht mehr Empörungen des Volkes. Die Masse, dieses so lebendige und furchtbare Wesen, blieb äußerlich theilnahmlos bei allem was versucht und unterdrückt ward. Schon war ein bisher unbeachtetes Element in der Gesellschaft zu seiner selbstständigen Bedeutung gekommen; das Volk sah es vor sich erstehen, erblühen und gewaltig werden. In ihm schlummerte die Frage, die die nächste Zukunft zu lösen hatte, und sie war es, der sich die arbeitende Theilnahme und das Bewußtsein der Mehrheit allmählig zuwandte.

Das Princip der Nivellirung aller Unterschiede gilt für den Einzelnen nur bis zu dem Punkt, wo er die Möglichkeit ersicht, sich

selber über alle anderen zu erheben. Dieses Gefeß des Lebens verläugnet der Mensch weder im Staat, noch in der Gesellschaft, weder in der Revolution noch im Frieden. So wie die Schranken gebrochen und die freie Bahn allen eröffnet ist, stürzen sie vorwärts, jeder für sich an die Erreichung des Zieles denkend. Dieses Ziel erscheint als ein tausendfaches, für jeden in anderer Gestalt und mit anderem Reiz; dennoch ist es seinem Wesen nach nur Eins, und Ein Wort bezeichnet es vollkommen. Es ist die Geltung unter den Nebenstehenden.

Die Revolution hat nun für Staat, Gesellschaft und Arbeit alle Unterschiede aufgehoben. Sie hat damit das Feld eröffnet, auf dem jezt die Kräfte sich versuchen mögen. Die Zeit des unmittelbaren Kampfes ist vorbei; und dieser Kampf hatte keinem erlaubt, allein zu stehen.

Jezt aber trat Ruhe ein; der Einzelne bedurfte nicht mehr der Partei, und ward nicht mehr gezwungen, feine Kraft für ihren Sieg, seine Sicherheit für ihre Haltung zu opfern. Die Ruhe eines starken Gouvernements überläßt den Einzelnen sich selber; das ist ihr Segen. Jener aber beginnt in demselben Augenblick mit allen anderen Einzelnen einen Kampf um den Vorrang der Geltung in der Gesellschaft.

Wo nun aber in einer Gesellschaft keine objectiven Bestim mungen sind, die dem Einzelnen seine Stellung oder seine Richtung anweisen, da kann auch nur ein an die Persönlichkeit als solche geknüpftes Moment ihm jenen ersehnten Vorrang geben. Dieses Moment wird es demnach sein, nach welchem alle trachten; es wird dasselbe die Basis der gemeinsamen Bewegung und den Charakter der Zeit bilden, in der wir jene sich erheben sehen.

Das ganze französische, Volk theilt sich unter Napoleon in zwei Theile, die allmählig immer bestimmter auseinandertreten, das Heer, und die bürgerliche Gesellschaft. Was im Heere jenen persönlichen Vorrang gab, ist uns selbst geschichtlich noch nahe; es ist jene Tapferkeit, die den Glücklichen bis zu den höchsten Stufen, ja bis zu Thronen zu führen vermochte. Daher war sie es, nach der die Tausende rangen, die Napoleon über die Gränzen seines Reiches führte. Doch haben wir nicht die innere Entwicklung dieser Tapferkeit, die auch ihre Geschichte hat, zu verfolgen.

Allein wo sollen wir jenes Moment in der Gesellschaft im engeren Sinne finden? Es ist nicht mehr eine höhere Stelle in

der Staatsverwaltung; denn sie gewährte nur das Recht, ein mehr verantwortliches Werkzeug zu sein. Es ist gleichfalls nicht die Bedeutung, die sich der kühne Redner oder der geistreiche Schriftsteller zu erringen vermögen; denn die,,unverjährbare Freiheit der Rede und des Gedankens war,, begraben unter Waffenglanz. Was blieb da denen übrig, die nun einmal heraus wollten aus dem Kreise des Alltäglichen, und über ihren Mitbürgern nach einem Plaze suchten? Es gab nur Ein Mittel, ein Mittel, das gewaltig und doch nicht revolutionär, unterwürfig und doch bedeutend ist; das war der Besiz. Von ihm durfte man alles erwarten, was unter solcher Herrschaft der Einzelne für sich sein und werden konnte; Genuß und Achtung, Unabhängigkeit und selbst Bedeutung lag in ihm verborgen, und das Streben nach demselben stieß gegen keine höhere Gewalt und nicht einmal gegen die öffentliche Meinung an. Und wie es sich nun immer zeigt, daß sich die Zeit desto entschiedener auf Einen Weg hindrängt, je fester die anderen verschlossen find, so geschah es auch hier. Die Laufbahn der Administration ward weniger gesucht, die publicistische gänzlich verlassen; alles was nicht dem Heer gehörte, wandte sich mit aller Kraft dem Befiße zu.

Es ist dieses eins der Hauptresultate, die von der Kaiserzeit der folgenden Periode überliefert sind. Das französische Leben hat sich nie wieder von dieser Tendenz losreißen können. Wohl wäre es zu wünschen, daß diejenigen weniger Recht haben möchten, die selbst der unmittelbaren Gegenwart zürnend ihren egoistischen, engherzigen Materialismus vorwerfen. Aber es ist leider nur zu unläugbar, daß er den Punkt bildet, um den sich auch jezt noch arbeitend die Kräfte und Gemüther bewegen. Tausend Stimmen, ja tausend Beweise hört man von allen Seiten, daß in alle Fächer und Verhältnisse des ganzen administrativen und politischen Lebens, bis mitten in den Kern derselben die Verkäuflichkeit der Ueberzeuguns gen und Personen einen wahrhaft in Erstaunen seßenden Grad erreicht hat. Von allen Seiten klagt man, daß der Journalismus nur des Geldes wegen conservativ, nur der Abonnenten wegen oppofitionell sei; man schilt die Kunst, nicht daß sie nach Brod gehe, sondern daß sie ihre höhere Aufgabe um des Gewinnes willen verlasse und zum Diener des Publikums werde; ja man beklagt sich, daß in der Gesellschaft der Besiz des Geldes mehr Werth und Geltung habe, als die höchste Intelligenz und die edelsten Sitten. Wer sich überzeugen will, wie wenig davon übertrieben ist, der muß

selbst nach Frankreich gehen, und einen Blick in dieses Leben thun, um die goldne Achse zu erkennen, auf der sich seine Räder bewegen. Es ist leider nur zu wahr; sehr wenig ist nicht seil in Frankreich; und was das Bedenklichere ist, von noch wenigerem will Frankreich selbst es glauben.

Kommt ein solcher Zustand über Nacht in ein Volk? Nein, die Gründe liegen tiefer, und der Beginn muß weit gesucht werden. Wir führen sie in ihrem Ursprung auf die Kaiserzeit zurück; nicht als ob sie sich hier plößlich entwickelt hätten, oder als ob Napoleon die Ursache gewesen; sie ergeben sich aus der Natur der Verhältnisse selbst und arbeiten langsam und unsichtbar fort, bis sie das Ruder des Geschehenden ergreifen. Dann aber erhalten sie eine Stelle im allgemeinen Bewußtsein, und mit derselben einen Namen. Die erstere haben wir bezeichnet; das Wort für jene Tendenz ist,, Materialismus."

Auch dieses ist eins von jenen Mantelwörtern, aus unreiner Che entsprungen, und Trägheit wie Unklarheit nur zu oft bedeckend. Es ist wahr, der Materialismus ist das Princip des heutigen Frankreichs; aber was enthält er denn als wahren Kern, an den sich das innere Bedürfniß doch anschließen muß? Ist er nichts, als ein vages Anbeten der Materie? Nichts als ein thierischer Trieb nach Besiz? Nichts als das Gefühl, daß der Besiß den Genuß verschafft? Nichts als ein jämmerliches Verhandeln des Eigensten, was ein Mensch hat, für eine Handvoll Gold? Und man will, wie es geschehen ist, einem ganzen Volk vorwerfen, daß es täglich sich zu solchem Handel verstehe, ja daß es ihn ganz natürlich finde, und nicht über ihn erstaune? Und alles dieses, weil man eben steht, daß der Materialismus gegen: wärtige Geltung hat? Wie? Kann ein Volk unsrer Zeit, und ein solches, so weit sein, sich wie ein Thier an die bloße Materie anzuklammern, ohne daß sie im Stande wäre, es durch einen tieferen Gedanken an sich zu fesseln?

Gewiß nicht; der Materialismus ist da, aber die, die von ihm reden, wissen nicht, daß er selber nur ein Resultat ist. Sie stehen an der Oberfläche der Erscheinung, und glauben das Wesen erfaßt zu haben, während es ihren Händen entschlüpft, so wie man von ihnen mehr fordert, als eine Erzählung dessen, was sie erfahren haben. Und jener Grund, als dessen Resultat er erscheint, ist nicht blos die Gestaltung der Dinge in der Kaiserzeit; auch diese war nur ein förderndes Moment. Er selber

liegt nirgend anders, als mitten in der Idee der Persönlichkeit, und erst hier ist es möglich zu begreifen, warum derselbe Materialismus, dasselbe Drängen nach Geld und Gut allmählig auch in unserm deutschen Vaterlande sein Werk beginnt, und weit ents fernt ist, auf dem legten Höhepunkte angelangt zu sein.

Denn so wie der Gedanke der freien Persönlichkeit in das materielle Leben hineintritt, so muß er die Forderung seiner Unabhängigkeit auf das materielle Bedürfniß übertragen. Selbstständig ist der, der nichts bedarf, als was er sich selber erwirbt, und der soviel erwirbt, als er bedarf. Hier zieht die Idee der Persönlichkeit einen Kreis, den sie allein ausfüllen muß, wenn fie unabhängig sein will. Das ist der Gedanke, auf dem das Leben Englands beruht, und das ist zugleich der erste Schritt, den die Idee der abstracten Persönlichkeit thun muß, um sich mit der materiellen Wirklichkeit in ihr wahres Verhältniß zu sehen. Damit nähert sie sich der Materie, und wendet ihr ihre Kräfte zu, sei es auf welche Weise es wolle. Ihre Thätigkeit wird materiell, denn ihre Anforderungen sind es, und diese Richtung, die sie nicht zur Seite liegen laffen kann noch darf, ist der Materialismus. Auf diesem Wege findet er seine tiefere Bedeutung, er ist an sich berechtigt, denn er folgt mit Nothwendigkeit aus einem anerkannten Princip, und das Unrechte an ihm ist nur, daß er sich zu hoch zu stellen sucht. Jeder Mensch geht in seinem Einzelleben die Periode desselben durch, das Bedürfniß und den Kampf um eine materiell feste Stellung; viel Schönes, mehr Nügliches noch verdanken wir ihm; will man ihn ohne Weiteres in einem Volke verurtheilen?

Allerdings aber hat dieser Materialismus in Frankreich eine eigenthümliche Gestalt angenommen, und diese ist es, die im Stande war, einen neuen Gegensaß in der Gesellschaft felbft hervorzurufen, und außerhalb derselben den inneren Gehalt über die äußere Form vergessen zu lassen. Wir geben hier, indem wir diese bezeichnen, nicht den Charakter einer bestimmten Zeit, sondern vielmehr den der ganzen geistigen Richtung seit der Revolution; wenn es sich um die Geschichte von Principien handelt, darf man wohl eine Reihe von Jahrzehnden als ein Ganzes ansehen.

Zuerst nämlich hatten die gewaltigen äußeren Verhältnisse dem Geiste der Zeit keine Muße in Frankreich gelassen, tiefer auf das Wesen der Persönlichkeit und ihrer wahren Stellung in der

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