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Volkes die Frage auf, in welcher Weise jenem Zwiespalt des Bestehenden abgeholfen werden könne. Wo ein Volk zu einer solchen Frage kommt, da ist es stets entschieden, daß die Art, wie es sie auffaßt, dem allgemeinen Gesetze der Bewegung des menschlichen Lebens entspricht. Es ist früher gezeigt, wie der Gegensaß in der Gesellschaft nothwendig zu einem Kampfe um die Staatsgewalt werden muß, so wie ein Theil der Gesellschaft sich der Staatsgewalt bemächtigt. Es war nicht zu bezweifeln, daß das Königthum in Beziehung auf alle seine Attribute factisch in den Händen des privilegirten Adels war. Es war ferner nicht zu läugnen, daß der leßtere wesentlich durch die bestehende Form der Staatsgewalt in seiner Stellung geschüßt ward; das Recht des einen war zum Rechte des andern geworden. Wichtig und mächtig genug mochte daher jener Stand der Nichtprivilegirten sein, und tief und großartig waren ohne Zweifel die Wahrheiten, die seine Einheit bildeten, allein an eine Verwirklichung derselben war nicht zu denken, so lange der Staat und die Staatsgewalt blieben, was sie waren. Jene rein gesellschaftliche Idee der Gleichheit reichte deshalb nicht aus; vermochte sie nicht zugleich einen Staat zu erzeugen, so mußte sie einer jener Utopien bleiben, die seit Jahrtausenden über die Menschheit von Zeit zu Zeit hinzuziehen pflegen, ohne mehr zu bewirken, als eine unbestimmte Sehnsucht nach einem Leben, das die Erde nur dem arbeitlosen Traume bietet. Das fühlte das Volk und das erkannten seine Denker; und daher war der neue Begriff und das neue Recht des Staats die nächste und wichtigste Aufgabe jener an sich resultatlosen Ideen.

Auch hier nun ist es durchaus falsch zu nennen, daß die Staatsidee der Revolution ein durchaus Frankreich Eigenthümliches sei. Wie Freiheit und Gleichheit, so ist auch der Begriff des Staatsvertrages von Deutschland nach Frankreich gewandert; nur daß auch er hier sogleich einen wesentlich anderen Inhalt erhielt.

Der Gedanke, daß der Staat durch einen Vertrag entstanden, geordnet und beherrscht sei, ist durch Hobbes zum ersten Mal aufgestellt; von ihm ging er durch Pufendorf nach Deutschland hinüber, und hat alle Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts erfüllt. Allein der Charakter dieser Theorie lag darin, daß diese Philosophie annahm, es entäußere sich das Volk der Staatsgewalt durch den Vertrag, und nachdem derselbe geschlossen, stehe der Staat mit seiner Form als absolut und unverleßlich da. Es ist hier nicht der Ort, den tiefen Sinn darzulegen, den diese unklare Vorstellung enthielt; so wie sie aber mit Wolff nach Frankreich hinüberkam, trat ihr der Zweifel entgegen. Ein ewiger Vertrag, der die freie Persönlichkeit

zur unfreien, die gleiche zur ungleichen machen sollte? Ein Volk, das eins mal das Recht hatte einen Staat zu sehen und zu ordnen, und nicht ein zweitesmal? Ein Staat, der jede Entwicklung des Volkes hemmte, als ein durch das Volk selber gefeßter anerkannt? Das schien, das war damals ein Widerspruch. Mit wem denn schließt dieses Volk den Vertrag? Ift die Staatsgewalt schon da, während dieser Vertrag geschloffen wird? Entsteht sie nicht vielmehr erst durch den Vertrag? Und wenn dem so ist, ist jener Vertrag alsdann nicht vielmehr eine Selbstbestimmung des als frei gefeßten Volkswillens, und nicht ein Vertrag zwischen zweien, von denen der eine, die Staatsgewalt, ja erst durch diesen Act des Volkswillens entsteht, in ihm enthalten ist, durch ihn, für ihn lebt und herrscht? Kann der Wille ein absoluter sein, der allein auf einem selbständigen anderen beruht? Es ist unmöglich; die Idee des Vertrags ist entweder absolut falsch, oder sie muß sie zu einem anderen Resultate führen. Es ist nicht die durch jenen Volkswillen und seinen Vertrag gesezte Staatsgewalt das Selbstherrliche und Absolute im Staate; es ist nur der Volkswille selber die Souverainetät; der Volkswille bleibt souverain, und die Staatsgewalt, die er einseßt, handelt nur in feinem Namen, in seinem Auftrage. Der Staat ist mithin das Volk, der Volkswille ist der Staatswille, und der Staatsvertrag ist nichts Anderes, als diejenige Aeußerung des Volkswillens, durch welche derselbe gewissen Personen das Mandat ertheilt, die Staatsgewalt in seinem Namen zu verwalten. Darum denn ist natürlich kein Volk an seine Staatsform gebunden, wie das der eigentliche Staatsvertrag will, sondern jedes Volk bleibt frei in dem Recht, sich jeden Augenblick eine neue Verfassung zu geben, und den Inhabern der Staatsgewalt ihr Mandat wieder abzunehmen, sobald es dies für angemessen erachtet. Der Staatsvertrag ist nur der Auftrag des Volks, und der Staat ist der absolut souveraine Volkswille.

Das war die Gestalt, in welcher die französische Gesellschaft die Idee des Staatsvertrages, den alle Philosophen als wahr anerkannten, auffaßte. Es ist klar, daß hier eine mächtige und tiefgreifende Umwandlung der Ideen vor sich ging, die zunächst nur die Kritik jener man kann fast sagen kindlichen Vorstellung vom Staatsvertrage, wie sie bei Pufendorf und Wolff bestand, enthielt. Ihr positives Resultat aber war die Sonverainetåt des Volkes. Wo nun war dies Volk? Von je her hat sich der minder berechtigte Theil der Gesellschaft das eigentliche Volk genannt; so auch zu jener Zeit in Frankreich. Das Volk war eben die selbständige Claffe der Unprivilegirten in der Gesellschaft; im Gefühl ihrer Masse und ihrer Macht

nahmen sie jene Säge für sich in Anspruch; sie verschmelzen die Vorstellung der'Gleichheit mit der ihrer gemeinschaftlichen Souverainetåt; sie sezen sich, ihre Zwecke, ihren Willen, als Staat, Staatszweck, Staatswillen, und diese Idee der Volkssouverainetät erschien in jedem Einzelnen als die Freiheit. Das war mithin der Sinn jener beiden welthistorischen Worte, die, von Deutschland nach Frankreich auf wissenschaftlichem Wege gebracht, jezt mit neuem Inhalt von Frankreich nach Deutschland zurückkamen. Die Freiheit war das souveraine Volksrecht, das neue Princip des Staats; die Gleichheit war das Recht der Gemeinschaft, das neue Princip der Gesellschaft.

Es muß uns hier eine Bemerkung erlaubt werden, die einem weitvers breiteten Irrthum begegnen soll. Es ist, man kann fast sagen, zur Sitte geworden, Montesquieu als einen der Hauptvertreter der Staatsideen des vorigen Jahrhunderts zu bezeichnen. Es giebt kaum eine schiefere Ansicht. Montesquieu's Standpunkt ist der der englischen Verfassung. Die aber beruhte damals wie jezt auf dem entschieden festgehaltenen und durchgeführten Princip ständischer Unterscheidung des Volkes. Seine Freiheit war die der abgeschlossenen und innerhalb ihrer Sphären frei und souverain beschließenden Stände, die harmonische Einheit des Adels und des Nichtadels; feine Politik war das Gleichgewicht der drei Staatsgewalten; sein Recht die nackte Unverleßlichkeit des einzelnen Staatsbürgers durch die Willkühr der Staatsgewalt. Er hat niemals an die Volkssouverainetät, an die Gleichheit, an die Freiheit seines Jahrhunderts gedacht, viel weniger von ihnen geredet; er war der Wortführer Derjenigen, welche die ständische Gesellschaft mit ihrer Vertheilung von Vorrechten und Zurücksegungen mit der Volksfreiheit in Einklang bringen wollten; es giebt keinen tieferen Unterschied als den zwischen seiner Auffassungsweise und der eines Rousseau. Montesquieu schließt die alte Politik ab, wie Wolff die alte Philosophie; und im sicheren Gefühle dieses wesentlichen Unterschiedes hat die französische Revolution nie an ihn gedacht, wo es auf ihr eigenstes Grundprincip ankam; nur in der Eintheilung der Staatsgewalten, nicht in der Auffaffung derselben hat Montesquieu's berühmtes Werk auf die folgende Zeit Einfluß gehabt. Wie“, rief Helvetius aus, als ihm Montesquieu sein Manuscript zur Ansicht sandte, er denkt uns diesen Coder des Lehnrechts als Grundlage der Staatsverfassung aufzulegen?" Und Sieyes, dem Niemand seine Autorität in der Darstellung der öffentlichen Meinung bestreiten wird, widmet in seiner Hauptschrift „Qu'est-ce que le tiers-État" der Behauptung "Que l'esprit d'imitation n'est pas propre à nous bien conduire" (Chap.

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IV §. VII) einen eigenen Abschnitt, in welchem er die Idee einer balance des pouvoirs und einer der englischen nachgebildeten Verfassung gänzlich vers wirft und die Volksvertretung im neuen Sinne fordert. Es ließe sich auch wohl für deutsche Publicisten, wie Möser und Schlözer, nachweisen, daß Montesquieu ihnen nur gezeigt hat, was die alte Verfassung hätte sein können, nicht aber, was die neue zu werden bestimmt war. Doch nur darauf darf es uns hier ankommen, den neuen Ideenkreis der Zeit grade auf diejenigen zurückzuführen, die im höheren Sinne des Wortes die Träger desselben waren.

Und hier nun steht entschieden Rousseau an der Spiße, ein Mann, der die geheimen und unklaren Vorstellungen seines Volkes mit einer Wärme und Bestimmtheit aussprach, die ihm nothwendig den ersten Plaß unter den Mitstrebenden einräumen mußten. Rousseau's Contrat social ist das Werk, das die alte Vertragstheorie definitiv vernichtet hat. Man meint wohl, daß der Contrat social eine neue Vertragstheorie gebildet habe; das ist entschieden falsch. Rousseau hat im Gegentheil der alten Staatsidee den Vertrag genommen und an seine Stelle die absolute Souverainetät des Willens der Gleichen, die volonté générale, hingestellt; der Vertrag bleibt zwar im Staate, aber es ist derselbe nur der Act, durch welchen die Obrig= keit ihren Auftrag erhält. Das sind die Ansichten des Volkes seiner Zeit, in ein System gebracht; und darin lag seine Gewalt. Aber Rousseau ging einen Schritt weiter, und um diesen Schritt, der sein Eigenthum ist, hat er die Revolution weiter gebracht. Wenn das Volk souverain ist, wer und was hat ihm diese Souverainetåt genommen? Nicht der Wille des Volkes, nicht das Recht; es ist das Recht des Stärkeren, durch welches die Herrscher die Herrschaft über den souverainen Volkswillen haben, und die Pflicht des Gehorsams ist nur die Nothwendigkeit des Schwachen dem Mächtigen gegenüber. „Obéissez aux puissances", rief er aus. Si cela veut dire, cédez à la force, le précepte est bon, mais superflu. Je vous reponds qu'il ne sera jamais violé. Toute puissance vient de Dieu, mais toute maladie en vient aussi. Qu'un brigand me surprenne, quand je pourrai soustraire la bourse, suis-je en conscience obligé de la donner? - Convenons donc, que force n'est pas droit, et qu'on n'est obligé d'obéir qu'aux puissances légitimes." Hier liegt das Band, das jenen Contrat social so eng mit der Revolution verknüpft. Denn ein Volk ist gegen sich selbst aufrichtig; es will, wo es auf gewaltsame That sinnt, nicht bloß den Zweck derselben gerechtfertigt wissen; ihm heiligt er nicht das Mittel. Es will zugleich einen Haltpunkt haben, die Gewalt als solche zu

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rechtfertigen, und grade dieses wird ihm in dem Gedanken geboten, daß es, wenn die Zustände, die es angreift, auf der Gewalt beruhen, nur die Gewalt der Gewalt, das Gleiche dem Gleichen entgegenseßt. Fast in allen Schriften, die einen lang nachhaltigen öffentlichen Einfluß haben, findet sich irgend eine Stelle, wo die Bedeutung, die sie haben, in wenig Worten zus sammengepreßt liegt. Diese aber hebt das Publikum als den Kern der ganzen Sache heraus; und so ist es nicht zu läugnen, daß der Contrat social sich dem französischen Volke in dem bedenklichen Sah resumirte: Convenons donc, que force n'est pas droit!

Wir haben uns bei diesen Theorien etwas länger aufgehalten. Allein in der That find grade sie mehr als Theorien; sie sind die Thatsachen des geistigen Lebens des französischen Volkes, und aus ihnen wie aus einem reichen und kraftvollen Boden schoß der Saame in jenen machtvollen Bewegungen auf, die wir oft verdammen, oft beklagen, oft rühmen, aber immer anstaunen sehen.

Mit diesen Theorien und Säßen hatte nun die unberechtigte Masse des Volks ihr System des Staatsrechts begründet; in ihnen war der Schritt gethan, der von den Gegenfäßen in der Gesellschaft zum Kampfe gegen die Staatsgewalt führt; der dritte Stand war ein bewußtes Ganze und hatte die Fahne gefunden, der er zu folgen bereit war. Aber dennoch waren jene Principien noch abstract und gleichsam ohne Leib; das gegebene Verhältniß war einmal da, und noch mangelte jener Uebergang der Ideen in das praktische Leben, durch welchen sie für alle die, die im Wirklichen leben, selber erst ihre Wirklichkeit und damit die Gültigkeit des Erreichbaren und Greifbaren erhalten. Nach diesem Uebergange suchte das Volk, und um so dringender, je näher die Noth des Staats die Berufung seiner Vertreter in Aussicht stellte. Da trat einer jener Männer auf, wie sie in solchen Zeiten von dem allgemeinen Bedürfniß gleichsam geschaffen werden und die mit praktischem Blick, mit Erkenntniß der Lage, mit Kunde der Literatur und mit Klarheit des Wortes begabt, zu sagen berufen sind, was eigentlich geschehen soll. Die Schrift des Abbé Sieyes „Qu'est-ce que le tiers - État" war während der Versammlung der Notablen 1788 verfaßt und erschien zuerst im Januar 1789; mehrere Auflagen folgten sich rasch; sie ward zur Grundlage des Anfanges der Revolution. Sieyes sprach mit dürren Worten aus, daß der Tiers-État das Haupt der Nation, die Nation selber sei - „le Tiers embrasse tout ce qui appartient à la Nation, et tout ce qui n'est pas le Tiers, ne peut se regarder comme étant de la Nation. Qu'est-ce que le Tiers? TOUT!" so schließt er sein erstes Capitel. Dieser dritte

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