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ihnen ihr Leben gegeben hat; es verbirgt sich hinter den Resultaten, mit denen sie auftreten, ja hinter dem Bedürfniß selber, das Socialismus und Communismus hervorrief, ein Punkt, durch den sie mit dem innersten Kern der Gegenwart Frankreichs zusammenhängen. Sie sind Erscheinungen, die der inneren Geschichte des französischen Volkes selbst angehören; Erschei nungen, die wohl im Stande sind, Aufschlüsse über ein Gebiet zu geben, das scheinbar noch unbeachtet daliegend, dennoch schon durch sein eignes Gewicht sich unter den Hauptfragen unsrer Zeit eine Stellung erworben hat, so gerne auch manche ihm seine ganze Bedeutung läugnen, oder doch ihr den wichtigsten Theil bestreiten möchten.

Unverkennbar aber ist es zu gleicher Zeit, wie ohne das Bewußtsein jenes höheren Gesichtspunktes allerdings sowohl der Socialismus wie der Communismus allen höheren Werth, ja fast alles Interesse verlieren. Denn an und für sich betrachtet, sind sie weder sehr großartige Systeme, noch auch wahrhaft kühne Gedanken zu nennen. Zu dem ersten fehlt ihnen die eigenthümliche philosophische Bildung, zu dem lezteren ein wahres Verhältniß zur Wirklichkeit. Es ist wenig in ihnen, was tief logisch, weniger noch, was wirklich ausführbar wäre. Verzeihlich ist daher die Gleichgültigkeit, mit der man sie bis jezt aufgenommen hat; denn diese Gleichgültigkeit ist durch sie selber verschuldet. Wir selber würden glauben, eine unfruchtbare Arbeit zu unternehmen, wenn es möglich wäre, bei ihnen einfach stehen zu bleiben. Allein grade das, was uns ermuntert hat, die Darstellung derselben zu versuchen, ist die Gewißheit, daß ihre eigentliche Bedeutung weder gering, noch schwer verständlich ist, wenn man es nicht scheut, sie da zu suchen, wo sie allein gefunden werden kann.

Hätten wir im Folgenden den Socialismus allein zu behandeln, so würden wir leicht aus einem ihm eigends zukommenden Standpunkte die Aufmerksamkeit zu feffeln im Stande sein. Beide socialistischen Theoricen, sowohl der Saint-Simonismus als der Fourierismus, haben keinen Augenblick angestanden, alle ihre Säße auf Einen lezten Grund zurückzuführen und aus der Masse dessen, was sie sezen und anrathen, ein förmliches System zu machen. Will man nun den Inhalt der Philosophie rein auf die logische Entwickelung beschränken, so haben jene Systeme allerdings kein Recht, hier genannt zu werden. Allein stellt man die Idee derselben allgemeiner, und bezeichnet mit ihr jede systematische geistige That, wodurch das Gottes- und Weltbewußtsein zu einer bestimmten innern Anschauung des Daseienden auf der einen, des Sollens auf der andern Seite gelangt, so nehmen unläugbar die Socialisten in der Entwickelung der französischen Phi

losophie einen höchst wichtigen Plaß ein. Man hat das rein philosophische Element in ihnen zu oft über dem praktischen übersehen, weil sie sich die ungeheure Aufgabe stellten, das materielle Leben der Gesellschaft nicht blos im Allgemeinen, sondern sogar im Einzelnen aus einem abstracten Princip heraus ordnen zu wollen; man hat ihre Deductionen nicht für wissenschaftlich, oder doch nicht für philosophisch gelten lassen wollen, weil sie bei einer Organisation der Industrie als ihrem eigentlichen Ziel anlangen. Allein darin hat man Unrecht; man kann den tiefen Fortschritt des Geistes selber, der in ihnen der französischen Nation überliefert ist, auf keine Weise läugnen, und wir werden unten, so weit es der Raum dieser Arbeit zuläßt, die Nothwendigkeit nachweisen, sich hier vor Einseitigkeit zu hüten. Dennoch kann dies uns nicht den lehten Standpunkt der Auffassung aller der Bewegungen abgeben, die wir als Socialismus und Communismus bezeichnen. Man fühlt schon, che man zur Sache selbst übergeht, daß der Socialismus allein genommen, noch einer weitern Erfüllung bedarf, die ihm erst durch den Communismus gegeben wird; und sucht man sie beide in einer allgemeineren Idee zu vereinen, so wird das philosophische Element wiederum nebensächlich. Es ist wichtig, um jene Erscheinungen an sich zu verstehen; aber es ist nicht das, womit sie an die Gegenwart Frankreichs selbst gefestet find. Ihre wahre Lebenskraft schöpften sie aus einem andern Quell, und dieser ist es, nach dem wir suchen. Wo aber soll das Band gefunden werden, das den Socialismus mit dem Communismus, beide mit dem innersten Leben ihrer Gegenwart verbirgt? Ist es ein wahres, und wirklich zum Kern der heutigen Zustände Frankreichs gehörendes, so kann es nicht plöglich entstanden sein, sondern muß als Resultat seiner ganzen neuesten Geschichte erscheinen; und hier verbirgt es sich nicht. Die Elemente des Staatsverbandes sind allmählig zu andren geworden; unter ihnen ist ein vollkommen neues aufgetaucht, das vor der ersten Revolution absolut unbeachtet wie ungeachtet daniederlag, dem Niemand das Recht zugestand, selbstständig zu wollen oder zu denken, ja dem sich weder der Staat noch der Einzelne mit Liebe oder thätlicher Unterstüßung zuwendete, es unter seiner Würde haltend, denen zu helfen, die Gott selbst gleichsam bei der Vertheilung geistiger und materieller Gabe vergessen hatte. Es ist das Proletariat; die ganze Classe derer, die weder Bildung noch Eigenthum als Basis ihrer Geltung im gesellschaftlichen Leben besigen, und die sich dennoch berufen fühlen, nicht ganz ohne jene Güter zu bleiben, die der Persönlichkeit erst ihren Werth verleihen. Diese Classe, ihre Berechtigung und ihr Loos ist es, die sowohl der Socialismus als der Communismus im Auge haben; die ganze Bedeu

tung des Proletariats kommt den Erscheinungen zu, von denen wir reden, denn von dem Gefühle des Unglücks, in das es versunken ist, sind sie ausgegangen, und alle träumerischen Hoffnungen und Pläne desselben sind in ihnen zusammengefaßt und zum Theil als innerlich vollendetes System dargestellt. Nicht wie der Reiche reicher, nicht wie der Weise weiser werden. soll, ist hier abgehandelt; es frägt sich nicht nach den Theorien des Staatsrechts oder der Staatsverwaltung, nicht einmal nach dem, was hier doch so nahe zu liegen scheint, dem Armenwesen; das einzige Ziel ist die angemessene Vertheilung der ihrer Idee nach allgemeinen Güter, des Besizes und der Intelligenz, an diejenigen, denen sie in der gegenwärtigen Lage der Dinge versagt worden sind. Das ist der gemeinsame Grundsaß für alles, was Communismus und Socialismus heißt, obgleich sie in allem Uebrigen auf das entschiedenste sich selber von einander scheiden, und wirklich geschieden sind.

Was aber ist es, was dies Proletariat selbst in unserer Gegenwart zu einer solchen Bedeutung erhebt, daß es sogar den Erscheinungen, die es auch nur von ferne berühren, den Refler seiner eignen Wichtigkeit zu geben vermag? Von jcher gab es Arme in allen Staaten und Völkern; ja ihre Zahl war zum Theil noch größer, wie sie gegenwärtig ist. So fanden sich zu Ludwigs XIV. Zeit 40,000 Arme allein in Paris, was verhältnißmäßig mehr ist, wie die heutige Masse derer, die der öffentlichen Unterstüßung bedürfen, und Vauban entwirft in seinem oft citirten Reisebericht eine Schilderung des allgemeinen Elends, die uns einen Zustand des niederen Volkes verräth, gegen den der gegenwärtige fast ein glücklicher genannt werden kann. Aehnlich fand man es in andern Ländern und zu andern Epochen; dennoch war von der Bedeutung des Proletariats, ja vom Proletariat selbst keine Rede. Was ist es denn, was gerade in unserer Zeit das Leben jener Classe uns als selbständiges entgegentreten läßt?

Wenden wir uns zuerst zu Frankreich selbst. Es ist noch das innere Verhältniß der Elemente feiner Gesellschaft nicht, das wir hier schon erfassen wollen; es mag uns dieses Moment zuerst in seiner rein äußern Gestalt seine Wichtigkeit vergegenwärtigen. Vor der Revolution gab es in Wahrheit eben nur jene drei Stände, die sich in den Etats généraux repråsentirt fanden, den Adel, die Geistlichkeit, und den dritten Stand. Da bricht die Revolution aus; der König ruft seinem Heer, umgiebt die Assemblée in Versailles mit Bajonetten und droht, das schon Errungene unter dem Donner seiner Kanonen zu begraben. Plößlich erhebt sich Paris; es zicht nach Versailles, und der König wird zum ersten Mal von seinem Volke gezwungen, die Vertreter des Volks als eine Macht anzuerkennen. Noch einmal

versucht der Nachfolger Ludwig's XIV., von den Tuilerien aus seine Macht sich wieder zu gewinnen, und die Empörung zu bändigen. Da wird das Schloß mit den Waffen in der Faust gestürmt, und der König, Gefangener seines Volkes, erliegt unter dessen Wuth. Jezt folgt die furchtbare Zeit des Terrorismus; ein einziger Mann hält durch die Gewalt des Schreckens die ganze königliche Macht in seiner Hand, und herrscht dictatorisch über dasselbe Volk, das er schwören läßt, für seine Freiheit sterben zu wollen. Wer waren jene Streiter, die die Nationalversammlung befreiten, die die Tuilerien eroberten, die Robespierre auf seinem Plaße erhielten, und die Garde Henriot's bildeten? Was anders sind jene,,tricoteuses," jene ,,aimables faubourgs," als eben die Proletarier, die plößlich durch das Bedürfniß muthiger und bewaffneter Arme eine vorher nie geahnte Bedeutung erhielten! Seit jener Zeit haben sie eine Stelle in der Geschichte Frankreichs. Ihre Wichtigkeit konnte ihnen nicht verborgen bleiben; hätten sie sie auch selber nicht gefühlt, so gab es hundert Redner, die sich ihnen zuwandten, und ihnen für ihre Thaten dankten, um neue von ihnen fordern zu können. Unter den gewaltigsten Stürmen der Revolution, in den Kämpfen, die die junge Republik in Paris wie an der Gränze ihren Feinden lieferte, lernte das Proletariat zweierlei; zuerst begriff es sich selber allmählig als einen eigenen Stand, dann aber erkannte es seine Bedeutung in allem, was Revolution heißt. Dieses Resultat überlieferte die Republik der Kaiserzeit, die Kaiserzeit der Restauration. Schon schien es vergessen, als plöglich die Julirevolution jene schlummernde Kraft aufs Neue erweckte, jezt aber furchtbarer, weil sie nun mit bestimmten Ansprüchen aufzutreten beginnt. Denn neben der Lust am bloßen Kampf und der Liebe zum Ruhm ist auch hier endlich das unmittelbare materielle Bedürfniß in sein unverjährbares Recht eingetreten. Was haben ihm, dem Armen, dem Nichtbesizer, alle Revolutionen denn genügt? hat er seine Stellung verbessern, seinen Unterhalt sichern, seine Genüsse vermehren, seiner Familie die Unabhängigkeit sichern können? Ist er all dem Reichthum, der ihm besonders in Paris so nahe liegt, all den Freuden, die damit verbunden sind, all der Achtung, ja den Rechten, die er mit sich führt, auch nur um einen Schritt näher gerückt? Muß es ihm nicht als ein furchtbarer Widerspruch, ja als ein Hohn erscheinen, wenn man zugleich ihn preist als den tapfern Mitkämpfer für die Befreiung seines Vaterlandes, als einen Hauptgründer des Glücks seines Landes, während die Wahlgefeße ihn von allem Recht an der Staatsgewalt, seine Armuth ihn von allem Genuß ausschließen? Das beginnt jezt der Proletarier zu fühlen; er beginnt allmählig ein selbständiges Wollen, einen eignen Zweck zu haben,

und zu erkennen, daß er bis dahin nur für Andre gearbeitet und geblutet hat. Dazu kommt das Bewußtsein seiner Kraft; die Erinnerung an das, was durch ihn geschehen ist, macht ihm Pläne und Hoffnungen möglich, die als Rückhalt einer physischen Macht bedürfen; er weiß, daß diese ihm nicht fehlen wird, wenn er nur erst das bestimmte Ziel gesezt hat, und so wird allmählig aus dem Chaos dieser eigenthums- und bildungslosen Masse ein Ganzes, dem keiner, wenn auch die Berechtigung, doch seine Bedeutung versagen kann.

Das ist jenes neue Element, das, mitten in die Gesellschaft Frankreichs hingestellt, wohl ein gefährliches genannt werden darf; gefährlich durch seine Zahl und seinen oft bewiesenen Muth, gefährlich durch das Bewußtsein seiner Einheit, gefährlich endlich durch das Gefühl, daß es nur durch Revolution zur Verwirklichung seiner Pläne gelangen kann.

Und kaum ist es nöthig, von dem französischen Boden den Blick auf Dasjenige hinzuwenden, was mit gleichem Wesen, wenn auch in andrer, durch andre Nationalität beherrschter Form in dem benachbarten England sich gebildet hat. Auch hier hat das Ende des vorigen Jahrhunderts die untersten Schichten der Gesellschaft in einer Weise bewegt, die jenes Land früher nicht gekannt hat; langsam aber unaufhaltbar hat sich eine Masse aus der Bevölkerung abgelöst, die man schon fast nach Millionen zählt, und die in der äußeren Gestalt wie in der inneren Anschauung ihres Lebens eine tiefe, fast unüberschreitbare Kluft zwischen sich und denjenigen findet, die sie für die Glücklicheren und Mächtigeren halten. Schon hat sich diese Masse eine eigene selbstgeschaffene Organisation gegeben; schon hat sie eigene Organe und eigene Führer; schon hat sie in festen Principien den Mittelpunkt der Ueberzeugungen ihrer Mitglieder aufgestellt; ja sie hat schon begonnen, einen Kampf mit den übrigen Theilen des Volkes zu eröffnen, der bereits mehr als eine blutige Entscheidung, mehr als einen Märtyrer jener Principien gefunden hat. Das Proletariat Englands, minder aufbrausend und minder unbedachtsam, ist darum nicht minder mächtig, nicht minder gefährlich als das französische, und nicht minder hat sich darum dort wie hier der Blick ernster Beobachtung dieser neuen Gestalt in dem Leben der Völker zugewendet.

Denn in der That giebt es, will man anders jener Beobachtung das Recht nicht absprechen, aus dem bereits Geschehenen und Begonnenen einen Schluß auf das Künftige zu ziehen, kaum ein Verhältniß in dem ganzen Umfange des Völkerlebens, das in gleichem Maße ein bedenkliches genannt werden könnte. Wo sonst einem staatlichen Zustand ein äußerer und selbst

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