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V.

Das Proletariat der Gegenwart.

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die unserer gegenwärtigen Gesellschaft eigenthümliche Erscheinung, diejenige, die am meisten Gefahr droht und am meisten innere und äußere Arbeit Aller fordert, das Proletariat ist. Gewiß ist es falsch, von einer bestimmten Definition desselben ausgehen, und durch den Inhalt dieser Definition seine Gestalt und die Aufgaben, die es hervorruft, begrenzen zu wollen. Ein Theil des lebendigen Lebens, will es vor allem aus diesem Leben selber heraus verstanden sein.

Wir haben auf die allgemeinste wirthschaftliche Thatsache unseres Jahrhunderts, auf den Sieg des Capitals über die Arbeit und auf die mit ihm gegebene Beherrschung der Nichtbesißenden durch die Besißenden hingewiesen. Wir dürfen dieselbe für das Folgende daher vorausseßen.

In der That aber war dieselbe weder die alleinige noch auch nur die allein allgemeine Thatsache des Güter- und des Staatslebens. Ihr gingen zwei andere zur Seite, beide auf das Engste mit ihr verbunden und daher auch mit ihr zusammen Ein gemeinsames großes Resultat erreichend.

Das Ende des vorigen Jahrhunderts war die Zeit, in welcher zum erstenmale die Maschinen als ein neues und bedeutendes Element der arbeitenden Kraft auftraten. Seit ihrem Entstehen hat die Technologie, die Productions- und Consumtionslehre einen bisher nie geahnten Umfang erhalten, und das Güterleben ganz unbezweifelt eine neue Epoche begonnen. Lange indessen ist es schon anerkannt, daß die Maschinen nicht blos einen industriellen, sondern zugleich einen wesentlich socialen Einfluß ausgeübt haben. Um diesen Einfluß sich in seiner ganzen Ausdehnung zu vergegenwärtigen, muß man einen Schritt weiter in das Verhältniß von Arbeit und Lohn zurückgehen, und die sociale Seite dieses Verhältnisses auffassen.

Die Arbeit hat, wie alles Andere, ihren Werth. Dieser Werth trennt sich von dem Product und wird zum selbständigen im Arbeitslohne. Arbeit und Arbeitslohn entsprechen sich daher stets gegenseitig, und zwar so, daß sowohl die Quantität als die Qualität der Arbeit das Maß des Lohnes bedingt.

Denkt man sich nun diesen Arbeitslohn, abgesehen von diesem Bedingtsein durch die Arbeit, so bildet derselbe ein kleines Capital für sich. Die

nächste Bestimmung dieses Capitals ist die, das Bedürfniß des Arbeiters zu befriedigen. Dasjenige was übrig bleibt, wird durch fortwährende Samınlung der eigentliche Besiz des Arbeiters, sein Capital. Es ergiebt sich mithin daraus, daß der Arbeiter durch den Arbeitslohn sich ein Capital erwerben kann; der wirkliche Erwerb dieses Capitals aber hängt dem Obigen zufolge von dem Verhältnisse ab, in welchem der Arbeitslohn zu demjenigen steht, was der Arbeiter zur Befriedigung seiner Bedürfnisse gebrauchen muß.

Nun ist gesagt worden, daß die Bestimmung dieses Arbeitslohnes, mit ihr also auch die Möglichkeit ein Capital zu erwerben, nicht eine willkührliche sein kann, sondern daß die Arbeit das Bedingende für den Lohn ist. Die große Verschiedenheit des Arbeitslohnes innerhalb des Umfanges desjenigen, was man damit im allgemeinsten Sinne bezeichnen kann, deutet aber schon auf das Entschiedendste darauf hin, daß auch innerhalb des Begriffes der Arbeit höchst wesentliche Unterschiede stattfinden müssen. Und dies zeigt sich in der That sogleich als vollkommen richtig.

Das ganze Gebiet der Arbeit scheidet sich nämlich in drei große Gruppen: die rein geistige, die freie oder diejenige Arbeit, in welcher die materielle und mechanische Thätigkeit den Gegenstand nach dem persönlichen Willen gestaltet, und die blos mechanische. Das Bedingtsein des Maßes des Lohnes durch die Arbeit besteht darin, daß der Lohn so groß sein muß, um dasjenige Bedürfniß des Arbeiters durch sich zu befriedigen, was der Arbeiter durch seine Arbeit dem anderen befriedigt hat. Der Lohn geistiger Arbeit ist daher ein höchst verschiedener, je nachdem die, für welche sie geschieht, ihren Werth anerkennen oder nicht; der Lohn der freien Arbeit ist nothwendig ein zusammengefeßter, indem erstlich die mechanische Thätigkeit bezahlt wird nach dem sogleich anzugebenden Grundsatz, dann aber zugleich auch die geistige, die formende, bildende, gestaltende, die wir als Kunst, Geschmack, Geschick bezeichnen. Der Lohn für diesen geistigen Inhalt der wirklichen Arbeit wird durch die individuelle Fähigkeit bestimmt; er steht daher stets über dem mechanischen, und kann sogar sehr groß sein. Die blos mechanische Arbeit als Erscheinung der blos mechanischen Kraft des Arbeiters kann nicht größer sein als nöthig ist, um diejenigen Bedürfnisse bei dem Arbeiter zu befriedigen, die derselbe bei anderen befriedigt, die rein natürlichen und mechanischen. Wir scheiden daher den freien und den mechanischen Arbeitslohn.

Halten wir diese Unterscheidung nun zusammen mit dem über den Erwerb eines Capitals für den Arbeiter Gesagten, so ergiebt sich der allgemeine

Grundsaß, daß ein solcher Erwerb für die freie Arbeit durch den freien Arbeitslohn ein möglicher und erreichbarer ist, während derselbe für die mechanische Arbeit und den mechanischen Arbeitslohn der Regel nach unerreichbar bleibt. Es folgt daraus, daß die Bewegung, welche die allgemeine Gestalt der freien und mechanischen Arbeit beherrscht, zugleich entscheidend wird für die Entstehung eines Capitals in der Classe der Arbeitenden, und mithin auch über die Grenze der Besißenden und Nichtbesißenden und über die Grundlagen der Gesellschaft selber entscheiden.

Somit find wir jezt auf dem Punkte angelangt, wo die Einführung der Maschinen ihre eigentliche Bedeutung erhält. Sie selber greift zusammen mit einem zweiten Princip der Gütererzeugung, dem Grundsaß, daß die Theilung der Arbeit die Vorausseßung aller Entwicklung der Industrie sein muß.

Natürlich hatte es bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts so gut wie jezt stets freie und mechanische Arbeit gegeben, und mithin auch einen freien und einen mechanischen Arbeitslohn. Allein die Vertheilung beider unter die Masse der Arbeiter war eine wesentlich andere.

Wir haben bereits an einem anderen Drte*) genauer nachgewiesen, daß in den Anfängen der Arbeit eines Volkes stets die mechanische und die freie Arbeit in demselben Arbeiter verbunden erscheinen. Später entwickelt fich dies allerdings dahin, daß sich beide Elemente in derselben Arbeitsfamilie zu trennen beginnen; allein diese Trennung, deren Natur am Deutlichsten in dem Verhältniß von Meister, Gesellen und Lehrlingen erscheint, wird niemals eine absolute, so lange der Mensch mit Werkzeugen, dem Mittel seiner persönlichen Arbeitskraft, arbeitet. Das Handwerk, dessen Grundlage das individuelle Bedürfniß, dessen Mittel das Werkzeug, und dessen Lohn die Befriedigung des zugleich natürlichen und höheren Bedürfnisses ist, läßt daher auch keine absolute Scheidung zwischen mechanischem und freiem Lohne, und mithin auch keine allgemeine Unmöglichkeit für den Einzelnen, durch seine Arbeit zu einem Capitale zu gelangen, entstehen. Der Erwerb eines Capitals und damit die Möglichkeit, aus der Classe der Nichtbefizenden in die der Besizenden überzugehen, ist auf diese Weise gleichsam in die Individualität des Einzelnen selber hinein verlegt; sein Erwerb ist durch ihn selber bedingt, und ein so großer Widerspruch ist es, mehr als die durch die eigene Individualität bedingte Stellung im Leben zu verlangen, daß aus dem Schooße des tüchtigen Handwerkerstandes regelmäßig nicht

*) Zeitschrift für Staatswissenschaft. Jahrgang 1846. J. 2.

nur nicht ein Kampf der beiden Classen der Gesellschaft, sondern im Gegentheile sogar die kräftigsten Elemente zur Erhaltung des Bestehenden hervorgehen.

Dies nun beginnt sich auf dem Punkte zu ändern, wo die Maschinen eintreten und das Princip der Theilung der Arbeit praktisch auf grös ßerer Grundlage angewandt wird.

Wenn man das Werkzeug als das Mittel der persönlichen arbeitenden Kraft bezeichnet, so sind die Maschinen das Mittel der arbeitenden Naturkraft. Die Arbeit der Naturkraft ist nothwendig eine mechanische; und man kann den Saß vielleicht nicht zu kühn finden, daß dieselbe bestimmt ist, überhaupt alle mechanische Arbeit für das menschliche Geschlecht zu übernehmen. Natürlich aber begann sie zuerst in einzelnen Gebieten der Arbeit, und hier erzeugte die Maschine eine doppelte Folge. Zunächst theilte sie die mechanische Arbeit von der freien ab und machte die in den Maschinen beschäftigten Arbeiter zu Theilen der Maschinenarbeit; dann sezte sie, weil fie mit der persönlichen mechanischen Arbeit concurrirte, den Arbeitslohn der mechanischen Arbeiter auf den Maschinenlohn, dasjenige Maß des Lohnes, das nur eben für die Befriedigung der natürlichen und allgemein menschlichen Bedürfnisse ausreicht, herab. Anfänglich nun waren im Verhältniß zur übrigen Arbeit nur wenige Arbeiter bei den Maschinen beschäftigt, und diese bezogen guten Lohn, da man ihrer mehre bedurfte als man finden konnte. Bald aber stieg ihre Zahl; die Masse und der Umfang der Maschinen wuchs, und jezt zeigte es sich, daß die Maschinen sich allmählig sogar eines großen Theiles derjenigen Arbeiten zu bemächtigen fähig seien, die bisher von Menschen als Handwerke betrieben waren. Diese früheren Handwerker wurden dadurch gezwungen, ihr Handwerk aufzugeben und entweder unterzugehen oder sich an die Maschinenarbeit anzuschließen. Denn sie konnten eben deshalb mit dem lezteren nicht concurriren, weil ihre Arbeit, wie oben gezeigt, nothwendig neben dem mechanischen Lohn noch einen freien enthält, dessen die Maschine nicht bedarf. Eine dritte Classe von Handarbeitern erhielt sich eine Zeit lang; allein ihr Loos war ein elendes, da sie gezwungen wurden, sich für ihre Handarbeit mit jenem bloßen Maschinenlohn begnügen zu lassen. Auf diese Weise entstand ein Kreis von Arbeitern, der an die Maschinen angeschlossen und sich mit dem Umfange derselben erweiternd, wesentlich auf jenen mechanischen Lohn angewiesen war. Es ist nun zwar eine oft wiederholte, aber darum nicht weniger falsche Behauptung, daß der Maschinenlohn nicht hoch genug sei, um die allgemein menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, und daß aus dem zu geringen Maße des

selben das mannichfache Elend des Arbeiters entspringe. Es ist das geradezu eine theoretische und praktische Unwahrheit, deren Nachweis wir hier nicht erst zu geben brauchen. Eben so unwahr ist es, daß die Zahl der Arbeiter oder die Masse des Arbeitsbedarfes durch die Maschinen vermindert worden sei; man kann es als eine jezt allgemein anerkannte Thatsache betrachten, daß gerade das Gegentheil der Fall ist. Sondern der eigenthümliche Einfluß der Maschinen beruht darauf, daß der Arbeitslohn nie hoch genug steht, um zu einem eigentlichen Capital für den Arbeiter werden zu können, und daß selbst, wo dieses der Fall wäre, das zur Maschinenarbeit erforderliche Capital so groß ist, daß ein Arbeiter nie zum Unternehmer werden kann, wie das im Handwerk der Regel nach immer der Fall ist. Die Maschinenarbeit bildet daher durch das in ihr ruhende Gefeß der Gütervertheilung aus den Arbeitern einen Stand, das ist eine Classe von Menschen, die aus dem Kreise der ihr durch ihre Geburt und Erziehung gegebenen Beschäftigung durch eigene Anstrengung nicht in eine höhere oder bessere Classe der Regel nach übergehen können.

Diese hochwichtige Thatsache erhielt nun ihre besondere Bedeutung durch zwei andere Momente, welche gleichfalls sich an die Maschinenarbeit anschlossen.

Zuerst liegt es im Wesen dieser arbeitenden Naturkraft, daß sie nur dann wirklich erhebliche Resultate erreicht, wenn ihre Aufgaben getheilt werden. Je besonderter die Anwendung der Naturkraft ist, desto besser ist ihr Produkt. Diese durch die Natur der Maschinen bedingte Theilung der Arbeit fing nun natürlich alsbald auch an, für alle bei den Maschinen Beschäftigten zu gelten. Jeder Einzelne erhielt jezt eine Aufgabe, die immer dieselbe und stets auf eine ganz bestimmte Thätigkeit beschränkt war. Dies hatte wiederum zur Folge, daß der Maschinenarbeiter bald den freien Blick über das Ganze der Thätigkeit, in der er selber nur ein Glied war, verlieren mußte, und daß ihm damit zugleich die Möglichkeit verloren ging, ein wirkliches, mehrere Elemente in sich zusammenfassendes Unternehmen zu leiten; ja auch das ließ sich am Ende nicht läugnen, daß das körperliche Leben mit dem geistigen zugleich litt. Und selbst bei den wirklichen Maschinen und ihrer Arbeit blieb diese praktische Anwendung der Arbeitstheilung nicht stehen. Als man die großen Vortheile erkannte, die sich mit ihr verbanden, begann man, dieselbe auch auf diejenigen Handwerke zu übertragen, die derselben fähig waren. Die einzelnen Theile des Handwerks erhielten eigene Arbeiter, und da es nun in dem Wesen der bildenden Arbeit liegt, vor Allem mit dem Ganzen sich zu beschäftigen, während sich die mechanische auf den Theil be

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