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Wer daher die Staatsgewalt besißt, der befigt mit ihr die anerkannt rechtliche Macht, auch die Verhältnisse des Privatrechts, des Eigenthums, zu ordnen wie er will.

So wie daher der Druck der oberen, besißenden Classe auf die niedern in der eben bezeichneten Weise ein zu harter wird, so erfolgt fast unbedingt die Erscheinung, daß die arbeitende Classe fich der Staatsgewalt zu bemächtigen sucht, um vermöge derselben das Verhältniß zwischen Arbeit und Besiz neu zu ordnen. Die besigende Classe erkennt dies sehr wohl an. Sie ist daher bereit, mit aller Kraft die Staatsgewalt gegen die nichtbesißende zu vertheidigen; denn sie weiß, daß sie in derselben ihr Eigenthum gegen den Angriff der Nichtbesizenden vertheidigt. So entsteht denn ein Kampf um die Verfassung, der von den Classen der Gesellschaft, und zwar wesentlich für oder gegen das Bestehen ihrer bisherigen Ordnung geführt wird. Dieser Kampf kommt in den verschiedensten Gestalten vor; allein Ein Grundsaß beherrscht denselben. Das Gebiet der höchsten menschlichen Güter ist kein geringes; ja einzelne Theile desselben haben wieder besondere Abtheilungen und Arten — wie der materielle Besiz — die für sich von entscheidender Wichtigkeit sind. Niemals nun handelt es sich in jenen Kämpfen um alle menschlichen Güter und ihre Vertheilung zugleich; sondern immer wird nur Ein Gut der Gegenstand des Kampfes sein. Die Geschichte der Gesellschaft hat nun zu zeigen, welches Gut in den verschiedenen Zeiten dasjenige ist, dessen neue Vertheilung durch den Erwerb der Staatsgewalt angebahnt werden soll.

Allein die gewaltsame Umwälzung führt zur Gewalt, die Gewalt zur Unfreiheit. Einen segensreichen Weg schlägt die friedliche ein; sie ruht in der Hand der Menschen, aber sie will mit Opfern erkauft sein. Wir können sie nur mit wenig Worten bezeichnen.

Wenn die Herabsetzung des Ertrags der Arbeit so weit gegangen ist, daß die persönliche Entwicklung des Arbeiters darunter leidet, so muß das arbeitlose Einkommen zu Gunsten derselben beschränkt werden, und der von diesem Einkommen Lebende den Ausfall wieder durch eigene Arbeit ersezen. Die Masse des Reichthums wird dadurch nicht vermindert, sondern vermehrt; der Einzelne verliert kein Einkommen, da ihm eben nur so viel genommen werden muß, als er durch eigene Arbeit wieder erseßen kann; der Stand der Arbeiter aber wird dadurch in diejenige Stellung versezt, die er im Grunde selber nur fordert, und aus der niemals eine Umwälzung hervorgehen kann. Wie dies nun geschehen muß, in welcher Ordnung, in welchem Maße, das hat die praktische Anwendung der Wissenschaft der Gesellschaft,

die Regierungswissenschaft zu untersuchen und nachzuweisen. Dies sind die Hauptsäße für die Bewegung der Gesellschaft. Von ihnen aus werden wir nun das Entstehen der heutigen Gestalt derselben betrachten.

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IV.

Der Gegensatz in der heutigen europäischen Gesellschaft.

Es kommt uns für das Folgende hier wesentlich darauf an, das unendlich weite und reiche Gebiet, das vor den heutigen Zuständen in der Geschichte der europäischen Gesellschaft daliegt, mit wenigen Worten zu umfassen. Wir müssen uns daher begnügen, nur den Character derselben anzugeben.

Die germanische Gesellschaft beginnt mit dem Grundsaße, daß in Gemeinde und Staat der Grundbesig und seine Vertheilung die Ordnung aller Form der Gemeinschaft ist. Die Gleichheit dieser Vertheilung ist der Ausgangspunkt; aus ihr folgt die Gleichheit der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Gleichheit des öffentlichen Rechts.

Als die Germanen die römische Welt brachen, ging mit der Eroberung nicht die gesellschaftliche Bedeutung des Grundbesizes als des höchsten menschlichen Gutes, sondern nur die Gleichheit desselben unter. Es entstand in den verschiedenen germanischen Reichen die größte Ungleichheit des Grundbesizes; aus ihr erhob sich der Stand des Adels, und die Abhängigkeit der Hintersassen, die Herrschaft des ersteren, die Unterdrückung der leßteren. Der Dienst der Gottheit und die Hochachtung geistiger Güter erzeugte daneben den Stand der Geistlichen und Gelehrten, die unabhängig waren, wie das Gut das ihnen vertraut war, die aber neben dem Verhältniß der Grundbefizer standen wie ihre Lebensaufgabe, die dem rein innern Leben angehörte.

Jene Unterdrückung des ursprünglich freien Bauernstandes führte alsbald zum Lurus des Adels, zu den schmachvollsten Erpressungen desselben. Daraus entstanden Empörungen der Bauerschaften, deren großartigste Beispiele die Jacquerie in Frankreich und der Bauernkrieg in Deutschland waren. Sie endeten mit dem Siege der Gewalt; die Bauern wurden elender denn zuvor; der Adel herrschte.

Daneben aber bahnte sich nun in den Städten die Werkthätigkeit, die Industrie ihren Weg. Nicht auf den Grundbesig angewiesen, stand sie fast vollkommen neben demselben; sie bildete einen eigenen Stand der

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Gesellschaft. Innerhalb dieses Standes ergab es sich aus der Natur der Anfänge aller Arbeit, daß sich jeder einzelne Zweig dieser Werkthätigkeit wieder ale ein Besonderes ansah; diese Zweige schlossen sich daher gegen einander ab, und das innere gesellschaftliche Leben der Städte bietet uns einen fortwährenden Kampf der arbeitenden Körperschaften, der Zünfte, Innungen und Gewerbe, die nur nach Außen hin als Einheit auftreten.

So lößt sich die Gesellschaft in jene vier großen Gruppen auf, die wir unter dem Namen der Stände kennen. Unter diesen Ständen findet keine Unterordnung statt, nur Gegensaß und Haß; die Ordnung der Gesellschaft erscheint als eine absolut einheitslose, aufgelößte, innerlich und äußerlich unmächtige. Es war keine Möglichkeit vorhanden, durch die Elemente der Gesellschaft zu ihrer Einheit zu gelangen.

Unterdessen aber begann sich diese Einheit auf einem andern Wege zu bilden, dessen genauere Darlegung der Rechtsgeschichte angehört. Mitten unter jener Zersplitterung erhob sich die, ihrem Wesen nach_centrale einheitliche Macht des Senats in dem germanischen Königthume.

Dieses Königthum fing an, sich mit einem Organismus von Beamteten zu umgeben, jeden besondern Theil des Ganzen sich unter zu ordnen, und damit die gesonderte Stellung jener Elemente der Gesellschaft zu untergraben. Langsam schritt es fort, nicht ohne Erfolg; als es aber endlich alle Sondernisse und alle allgemeinen Angelegenheiten seinem Willen und seiner Verwaltung unterworfen hatte, war das Princip, auf welchem der besondere Stand des alten Adels, der Geistlichkeit und der Bürger geruht, innerlich gebrochen. Es gieb kein durch den Grundbesiz oder durch eine besondere Thätigkeit bedingtes Eigenthum an der Staatsgewalt und ihren Rechten; alle waren derselben gleichen Macht unterworfen, und eben in dieser Unterwerfung waren alle Stände gleich. Diese Gleichheit kann man allerdings eine bloß negative nennen, denn sie bestand nur in der Gleichheit der Unterthanschaft für alle; aber ihre positive Bedeutung lag darin, daß die Standesunterschiede jezt ihrem Wesen nach vernichtet waren, und daß mithin die Bevorzugung eines besonderen Standes dem anderen gegenüber jezt als Ungerechtigkeit und Willkühr erscheinen mußte. Es ergab sich daher, daß jede Fortbildung des öffentlichen Rechts und der öffentlichen Zustände, wollte sie anders nicht in absoluten Widerspruch treten mit dem ganzen Volksleben, eine für alle Stände gleiche werden würde. Man fühlte und erkannte dies; es ward allmählig auch den kurzsichtigsten Staatsmännern klar, daß jede innere Bewegung des Staats eine unberechenbare Folge von Umgestaltungen der Gesellschaft nach sich ziehen würde, und mit betrübtem Ge

müthe sah man den unvermeidlichen Augenblick von tausend Seiten zugleich nahen, der diese neue Ordnung der Dinge bringen sollte. Ein tiefes Schweigen lag am Ende des vorigen Jahrhunderts auf allen Völkern und Staaten.

Da brach mit unvergleichlicher Wuth der Sturm in Frankreich los. Er riß mit einem Athemzuge die alten Staaten nieder, zerschmetterte den Widerstand des zähen Hergebrachten, schüttelte die Völker durch einander, trug mit unwiderstehlicher Gewalt den Samen der neuen Zeit von der einen Gränze Europa's zur andern, und nachdem er alle geschichtlichen Ueberlieferungen und die ganze Gewohnheit des staatlichen und volklichen Lebens niedergebrochen, schien er, nachdem er fast dreißig Jahre, ein europäischer dreißigjähriger Krieg, gewüthet, jezt dem neuen Geschlecht, das unter ihm erwachsen war, nichts übrig zu lassen, als ein ganz neues Leben aller unter allen zu beginnen.

War dem nun wirklich so? War von Demjenigen, was das vorige Jahrhundert begonnen, nichts zurückgelassen? Waren wirklich jene Bande abgeschnitten, welche die Epochen der Geschichte unter einander verbinden und nirgends das Entstehen eines absolut Neuen zugelassen haben?

Läßt man alles Dasjenige zur Seite, was die Schlachten vorbereiten und was die Diplomatie erledigt, die Gestalt der einzelnen Staaten und des ganzen europäischen Staatensystems, so kann es nicht fraglich sein, daß das allgemeinste Resultat dieser Zeit sich in einem Sage erfassen und in seiner innigen Verbindung mit dem vorigen Jahrhundert darlegen läßt.

Der Bruch der alten Staatsgewalt hatte die um ihre Eristenz ringenden Staaten auf die selbständige Macht der Elemente des Staatsverbandes selber angewiesen. Die Masse des Volks hatte die Aufgabe des Staats übernommen; die Völker hatten die Staaten gerettet. Als diese in ihrer Selbständigkeit wieder dastanden, da war es nun nicht mehr möglich, das alte Verhältniß zwischen Volk und Staatsgewalt, die Gleichheit aller Stände, Klaffen, Angehörigen des Staats in der gleichen öffentlichen Rechtlosigkeit, in der reinen Unterthanschaft wieder herzustellen. Man mußte dem Volke allenthalben sein Recht zugestehen, den Willen des Staats zu bilden und seine wirkliche Thätigkeit zu berücksichtigen; die alte blos negative Gleichheit der Stände ward zu einer positiven mit ihrem Antheil an dem öffentlichen Recht erfüllten, zu einer Gleichheit des Staatsbürgerthums. Der Begriff und das Recht des Staatseigenthums war das Resultat der Kämpfe, die als ernste Taufzeugen an der Wiege unseres Jahrhunderts gestanden haben. Es ist der Wendepunkt der neuen Zeit; wir müssen sein Wesen betrachten ehe wir weiter gehen.

Stein. I.

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Das Staatsbürgerthum ist allerdings die Gleichheit aller dem Staate angehöriger Persönlichkeit; aber das bedeutet diese Gleichheit nicht, daß durch sie jeder Einzelne unmittelbar dem Andern als ein wirklich Gleicher zur Seite gesezt werde. Der Begriff desselben geht von der Erkenntniß aus, daß alles wahrhaft Berechtigte in jedem Einzelnen ein durch ihn selber Erworbenes sein muß; es enthält dasselbe daher nur das Princip, daß jede Persönlichkeit als solche als fähig anerkannt wird, die Rechte des vollen Staatsbürgerthums zu erwerben; die Gleichheit des Staatsbürgerthums unseres Jahrhunderts sezt daher für jeden Unterthan des Staats nur die gleiche Möglichkeit, diejenige Stufe der persönlichen Entwicklung zu erreichen, welche jedem den allgemeinen Antheil an der Staatsgewalt verleiht. Sie verweist daher den Einzelnen auf sich selbst, der Staat des Staatsbürgerthums giebt dem Einzelnen keine Staatsbürgerschaft, sondern er anerkennt die erworbene. Dieser Erwerb aber selber ist damit zugleich ein absolut freier; es giebt keine Bedingungen für die Staatsbürgerschaft, die nicht innerhalb des Bereichs jeder Persönlichkeit lägen, und diese, wir möchten sagen, absolut persönliche Qualität der Bedingungen der vollen Staatsbürgerschaft für Jeden, stellt eben alle Einzelne ihrem Princip nach in gleiche Reihe.

So wie dies entschieden war, war es zugleich natürlich, daß jene Bedingungen einen Werth bekamen, dem sie bis dahin, weil man durch sie nicht das höchste Recht hatte erreichen können, niemals gehabt hatten. Daraus ergab sich dann, daß man sich diesen, jeßt die staatsbürgerliche Ehre und das staatsbürgerliche Recht enthaltenden und seßenden Bedingungen mit einer so allgemeinen Energie und Haft zuwandte, wie dies niemals früher hatte geschehen können. Ein ganz neues, unvergleichlich thätiges Leben beginnt nunmehr in Europa; alle Kräfte des menschlichen Lebens werden angespannt, alle Glieder der Gesellschaft stürzen sich in die eröffnete Bahn, und machtvoll trägt bald die Bewegung der Arbeit einen Schaß der allgemeinen Güter in das menschliche Geschlecht hinein zum Genuß und zur Vertheilung, dessen Umfang und Inhalt Alles übertrifft, was die ganze Geschichte der Welt jemals aufzuweisen vermochte.

Mit dieser Erscheinung, deren Bild wir hier nicht zu entfalten brauchen, gewinnt die beobachtende Wissenschaft eine neue Aufgabe. Da jene Güter jezt nicht blos mehr wie früher Reichthum und Armuth, sondern zugleich das staatsbürgerliche Recht und seine Ehre bedingen, so beherrschen damit auch die Geseze, nach welchen sie sich vertheilen, mehr als die Masse des Besizes, die dem Einzelnen zufällt. Ob derselbe ein staatsbürgerliches

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