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III.

Die Bewegung der Gesellschaft.

Allerdings sind die Völker und Zeiten unter einander auf die mannigfachste Weise verschieden in ihren äußeren wie in ihren inneren Verhältnissen. Allein wie alle Grundbestände menschlichen Lebens Allen gemein sind, so hat auch jedes Volk seine eigenthümliche Gesellschaft; und gerade in seiner Gesellschaft pflegt ein Volk seine höchste Eigenthümlichkeit zu besißen. Denn die Grundformen der übrigen Einheiten der Menschen sind so nothwendige und absolute, daß die Gewalt des Einzelnen sie nie wesentlich ändern kann-; erst in der Gesellschaft entsteht und gilt die Individualität, und darin liegt mit ihrem Reichthum zugleich die Schwierigkeit, sich dieselbe zur vollen und klaren Anschauung zu bringen.

Man kann nun hier im Allgemeinen sagen, daß die Besonderheit der einzelnen Gesellschaft einer Zeit und eines Volkes wesentlich auf demjenigen beruht, was ein solches als sein höchstes Gut anerkennt. Es würde dann die Aufgabe der Wissenschaft der Gesellschaft sein im Gemeineren nachzuweisen, wie die eigenthümliche Natur dieses höchsten Gutes das ganze gesellschaftliche Leben eines Volkes zu gestalten vermag, und damit würden alle jene Arbeiten, als Ethnographie, Völkerbeschreibungen, ja selbst bloße Reisen und Zeitbilder ihren tieferen wissenschaftlichen Hintergrund an jener Wissenschaft finden. Eine solche Auffassung aber ist weder leicht noch schnell verarbeitet; sie gehört der mächtigen Zukunft an, der unsre Zeit auch in dieser Beziehung entgegen geht.

Demnach aber zeigt es sich schon bei der ersten allgemeineren Betrachtung, daß die Gleichheit des Begriffs der Gesellschaft in der durchgreifenden Gleichheit der Bewegungen sich manifestirt, die in diesen verschiedensten Formen der Gesellschaft stattfinden. Und da auch unsre Gegenwart in der gewaltigen Erschütterung ihrer Zustände dennoch nur jener Bewegung angehört, so wird die Betrachtung des Wesens und Inhalts der lezteren besser als irgend ein anderes dasjenige begreifen lassen, was um uns vorgeht.

Es ist im vorigen Abschnitte gezeigt worden, wie die Gesellschaft diejenige Ordnung der menschlichen Gemeinschaft ist, welche durch die Vertheilung der allgemeinen Güter an die Einzelnen entsteht. Es ist aber zugleich dargelegt, wie es kommt, daß diese Vertheilung durch das Recht des persönlichen Eigenthums eine dauernde wird. An diesen Punkt hat man die Betrachtung der Bewegung in aller Gesellschaft anzuknüpfen.

Das Eigenthum, als der persönliche Antheil am allgemeinen Gute, behält natürlich den Character des lezteren; wie dieses ist es durch die Arbeit entstanden, und will daher auch durch die Arbeit erhalten und zur Befriedigung verarbeitet werden. Nun aber ist die Arbeitskraft des Einzelnen eine beschränkte; und wo daher das Eigenthum ein größeres ist als die einzelne Arbeitskraft, da bedarf der Einzelne nicht blos des Stoffes, sondern auch der Arbeit des Andern. Ferner kann das Eigenthum des Einzelnen aus demselben Grunde kleiner sein als seine Arbeitskraft; ja er kann gar keins haben. Da nun die Arbeit allein die Bedürfnisse nicht befriedigt, so sucht sie den Stoff bei dem, der ihn nicht mehr zu bearbeiten vermag; und der Einzelne giebt seine Arbeit hin, um die Befriedigung seiner Bedürfnisse von dem zu erhalten, der den Stoff besißt. Es ist dies eine ganz alltägliche und gewöhnliche Erscheinung; nur hat man fast immer vergessen ihre gesellschaftliche Bedeutung anzuerkennen.

Da nämlich das menschliche Dasein von der Befriedigung jener Bedürfnisse abhängt, so ergiebt sich bald, daß derjenige der nur Arbeit hat, der Arbeiter, eben damit abhängig wird von dem der ihm den Stoff giebt. Diese Abhängigkeit nun beruht allerdings ihrem Wesen nach auf der Gemeinsamkeit der Interessen von Arbeitern und Besißenden; allein es liegt etwas in der menschlichen Natur, das diese natürliche Grundlage allmählig in eine ganz andere verwandelt.

Jener Stoff, den der Besigende hingiebt an den Arbeiter, ist wie oben gesagt, sein ausschließliches und persönliches Eigenthum; er kann, durch das Recht geschüßt, ihn vorenthalten oder hingeben; er kann mithin auch die Bedingungen vorschreiben, unter denen er ihn dem Arbeiter hingiebt. Zugleich aber ist dieser Stoff absolut nothwendig für den lezteren; der Arbeiter kann sich jener Bedingungen nicht entziehen, ohne seine ganze Eristenz in Frage zu stellen. Es liegt daher in jenen Verhältnissen von Arbeit und Besig mehr als eine bloß individuelle höhere Geltung des Besizers neben dem Arbeiter; es enthält dasselbe vielmehr eine Herrschaft des Besizers über den Arbeiter, eine Ab hängigkeit des leßteren von dem ersteren. Und da nun jenes Eigenthum ein Eigenthum der Familie ist, so entsteht eine dienende Herrschaft und Abhängigkeit, eine Abhängigkeit der Familien und Geschlechter von den Familien und Geschlechtern.

Diese Abhängigkeit hat alsbald eine weitere Folge. Der Besiz der höchsten Güter erzeugt die höchste Macht, der Mangel derselben Unmächtigfeit. Die in der Gesellschaft herrschenden Familien und Geschlechter nehmen daher, nach der Natur der Dinge, die höchste Macht überhaupt für sich in

Anspruch, und erreichen sie; sie gewinnen die Staatsgewalt, die Gewalt dieses höchsten persönlichen Lebens der Menschheit, und die Abhängigkeit der Besizlosen wird dadurch zu einer Unterwerfung derselben unter den Besit, die Besizenden wird die von ihnen besessene Staatsgewalt.

Dies ist der nothwendige Weg aller gesellschaftlichen Bewegung; auf diesem Punkte aber angelangt, scheiden sich nun die Menschen und Völker in zwei, die ganze Menschheit umfassende Classen, deren Charakter über das ganze Folgende entscheiden muß.

Jene Ordnung der Gemeinschaft, wie wir sie so eben entwickelt haben, beruht allerdings nicht auf der Willkühr oder der Gewalt einzelner Menschen. Sie ist vielmehr das einfache und bis zu einem gewissen Grade ihrer Verwirklichung unvermeidliche Ergebniß der wirkenden Natur von Besitz und Arbeit. Die Gestalt der Gesellschaft die daraus hervorgeht, ist eben deshalb über die That, ja fast über die Freiheit des Einzelnen erhaben; sie erscheint als eine selbstbedingte Macht, der sich der Einzelne nothwendig unterwerfen muß. Diese Selbstbedingtheit des Verhältnisses, das alle beherrscht, kann der einfache Verstand sich nur als einen Willen der Gottheit vorstellen; und so entsteht bei der einen Classe der Menschen und Völker der Grundsaß, daß jene Gestalt der Gesellschaft eine göttliche Ordnung menschlicher Dinge sei.

Wo dies nun der Fall ist, da ist die Geschichte der Gesellschaft mit dem obigen Zustande bei ihrem Endergebniß angelangt. Die Herrschenden herrschen im Namen Gottes, die Unterworfenen dienen der sie beherrschenden Gottheit; die Gränzen werden scharf und schärfer gezogen, und die Bewegung ist abgeschlossen. Solche Völker pflegen eine große Gewalt nach Außen hin zu entwickeln, weil sie zu gehorchen verstehen, und mit Eifer gehorchen, da in ihrem Herrschen ihre Gottheit ihnen gebietet. Aber sie besigen diese Gewalt nur kurze Zeit, weil die einzelne Persönlichkeit, dieser Urquell aller menschlichen Kraft, in der Unterdrückung untergeht, und ihnen die Niederlage wie der Sieg ein göttliches Geseß ist, dem sie vergebens und nur durch eine Versündigung sich entgegen seßen.

Ganz anders aber ist es bei der zweiten Artung der Menschen und Völker. In diesem überlebt das Bewußtsein der freien Persönlichkeit die äußere Unterdrückung, und hier entwickelt sich alsdann eine Bewegung, deren Grundgestalt, sich immer und unter allen Verhältnissen gleich, folgende Hauptzüge umfaßt.

Da diese Artung das Princip der freien und selbständigen Persönlichkeit anerkennt, so erkennt sie gleichfalls ihre nächste und hochwichtige Con

sequenz, das persönliche Eigenthum an. Sie erkennen daher ferner das Recht der einmal Besizenden an, den Arbeitern die Bedingungen ihrer Theilnahme an Besiz und Ertrag vorzuschreiben; sie erkennen damit denn auch endlich die Abhängigkeit an, welche sich daraus allerdings ergeben muß.

Allein es bleibt ihnen dabei das Bewußtsein, daß sie selber doch freie und selbständige Persönlichkeiten sind, und daß das Recht des Eigenthums, eine Consequenz dieses Princips, nicht die Unterdrückung seines eigenen Princips der Freiheit und Selbständigkeit der Persönlichkeit bei ihnen zur Folge haben könne. Es lebt daher in irgend einem Maße und in irgend einer Gestalt bei ihnen der Gedanke, daß die Anwendung des persönlichen Eigenthums zur Erzeugung der persönlichen Abhängigkeit eine Grenze haben müsse. In diesem Gedanken ist der Kern aller ihrer Bewegung, ja aller ihrer Freiheit enthalten.

Diese Grundlage des Lebens in der Gesellschaft der freigeborenen Völker und Menschen tritt nun auf einem Punkte in Wirksamkeit, den wir in aller Geschichte ihrer Gesellschaft wiederfinden.

Der Antheil, den der Arbeiter für die Benußung des Stoffes an den Eigenthümer von seinem Ertrage abgiebt, ist natürlich immer geringer, als der, den er selber erhielt und für sich verzehrt. Allein die Vielheit der Arbeiter kann dennoch zusammen genommen sehr leicht einen solchen Ertrag geben, daß der Eigenthümer von dem, was die Arbeiter ihm geben, ohne eigene Arbeit leben kann.

Wo dies nun der Fall ist, da entsteht ein Verhältniß das man, um es richtig zu verstehen, vor allen Dingen vorurtheilsfrei betrachten muß. Es ist das arbeitlose Einkommen, das man in der Wirthschaftslehre die Rente nennt. Dieses arbeitlose Einkommen hat ein Moment in sich, das von entscheidender Bedeutung wird.

Da jeder Besiß nur als Befriedigung und Genuß seine Bestimmung erfüllt, so wird auch jenes arbeitlose Einkommen nur zu Befriedigung und Genuß, wie jedes andre, verwendet. Allein Wunsch und Bedürfniß des Menschen ist unendlich; und man klage diese Unendlichkeit nicht an, da nur sie die Quelle alles menschlichen Reichthums ist. Nur Eins ist ihre natürliche und nothwendige Gränze; das ist die Arbeit selber. Die Arbeit als Vorausseßung des Erwerbs zeigt, wie weit der Genuß gehen kann; und die Fülle des Genießens, die der Arbeit folgt, ist wiederum der Ersaß dafür, daß die Arbeit und mit ihr der Genuß dennoch in der Wirklichkeit endlich bleiben. Es ist eins der tiefsten und weisesten Grundgeseze des menschlichen Lebens, daß die Arbeit erst den rechten Genuß giebt, und den

Genuß an kleinen Dingen zu einem großen macht; ohne dieses Gesez würden Millionen Menschen ewig ohne einen frohen Augenblick, und der Abstand zwischen dem Besizenden und Nichtbesigenden ein unausfüllbarer, ein unmenschlicher sein.

Nun aber erzeugt das arbeitlose Einkommen, indem es die Arbeit für den Einzelnen überflüssig macht, nothwendig den Wunsch, nur genießen zu wollen. Dieser Wunsch hat keine Gränzen, wie der Genuß selber sie nicht hat; jede Sättigung erzeugt den Trieb nach Neuem und Größerem. Allein jede Sättigung bedarf als ihrer Vorausseßung der Arbeit, des Ertrags. Diesen Ertrag erhält jenes Einkommen allerdings von den Arbeitern, die mit seinem Besize wirthschaften. Aber dieser Ertrag, und mithin die Rente, ist ein beschränkterer; er läßt sich nicht über ein gewisses Maß hinaus vermehren. Es kommt daher eine Zeit, wo das Bedürfniß des Besizers weiter geht als die Rente; und dieser Zeitpunkt ist von je her der entscheidende für die Verhältnisse der Gesellschaft gewesen.

Denn hier liegt es nun am nächsten, die Abgabe des Arbeiters für die Benutzung des Eigenthums zu erhöhen. Diese Erhöhung kann ihren Grund darin haben, daß der Besiz als solcher ertragsfähiger wird; allein dies ist der bei weitem feltnere Fall. Gewöhnlich ist es, daß dieselbe nur durch die Beschränkung der persönlichen Bedürfnisse des Arbeiters möglich wird. Diese Beschränkung erreicht alsdann bald den Punkt, wo sie zu einer Beschränkung auf das aller Nothdürftigste, und mithin eine Aufhebung der Entwicklung der Persönlichkeit durch die Güter, eine Aufhebung der Freiheit wird. Jezt tritt das Recht in den früher erwähnten Widerspruch mit dem Wesen der Persönlichkeit; und hier beginnen die Umwälzungen in der Gesellschaft.

Diese Umwälzungen find nun zweierlei Art. Sie sind entweder friedliche oder gewaltsame. Wir müssen beide Arten einen Augenblick betrachten, da sie allein im Stande sind, auf ein weites und wenig bearbeitetes Gebiet Licht zu werfen.

Jener Widerspruch zwischen dem Recht und der Persönlichkeit ist ein absoluter und gänzlich unlöslicher, so lange man sich bloß das Verhältniß Einzelner zu Einzelnen denkt. Es scheint, daß man dem einen nicht genügen könne, ohne das andere zu vernichten. Nur eine Macht giebt es, welche zugleich das Recht sezt, und dennoch die Persönlichkeit des Einzelnen beschränken, ja aufheben kann. Diese Macht ist der Staat. Der Staat steht über allen, über der Gesellschaft als höchste und absolut selbständige Gewalt; dennoch ist die Entwicklung jedes Einzelnen seine höchste Aufgabe.

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