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in seinem Begriffe, und die Lösung seiner inneren Gegenfäße aus diesem Begriffe? Ist die Gesellschaft keine unorganische und zufällige Masse, sondern eine selbständige und eigenthümliche Form des menschlichen Lebens, so wird sie als solche Einen Punkt in sich tragen, wo sie mit Einem Gedanken erfaßt und in der Vielgestaltigkeit ihrer äußeren Erscheinung überscheint und beherrscht werden kann. Und dieser Punkt ist der Begriff der Gesellschaft.

Will man diesen Begriff aber feststellen, so muß man vor Allem die Vorstellung fern halten, als sei es die Aufgabe desselben, wesentlich die heutige Gestalt der Gesellschaft zu erklären. Jede Gemeinschaft der Menschen wird zur Gesellschaft; in jeder Gesellschaft daher, möge sie so verschieden sein wie sie wolle, muß jener Begriff sich wiederfinden. Grade dadurch erst wird es möglich, der Vorstellung Herr zu werden, als sei unsre Gesellschaft in ihren Zuständen und Widersprüchen ein ganz Abnormes, und als habe mit einem absolut neuen Element eine absolut neue und unerhörte Ordnung der Dinge Plaz gegriffen. Es liegt eine eigenthümlich beruhigende und klärende Gewalt bei der Betrachtung aller tiefeinschneidenden Widersprüche in dem Bewußtsein, daß sie dem Gange einer Entwicklung angehören, die mit über die Gränzen des eigenen Lebens, ja über die des einzelnen Volkes selber hinausreichen. Das, was uns beengt und beängstigt, wird dadurch zu einem Theile der menschlichen Welt überhaupt, ein Inhalt der unendlichen Macht, die diese Welt erzeugt und geleitet hat, cine Aufgabe ihrer Kraft und Vorsehung; vor ihr kann und wird es keinen absoluten Widerspruch, keinen ewigen Kampf, keine Verzweiflung an der Lösung der Fragen geben, die das enge Einzelleben nur zu oft mit ihrer Pein bewegen; und wenn der treue Glaube nicht mehr ausreicht, um ihm die feste Hoffnung endlicher Versöhnung des Widerstreitenden über die Noth des Augenblicks zu erheben, der wird in der Geschichte, die nie geruht hat, che sie aus dem Guten das Bessere erzeugte, die Ueberzeugung wiederfinden, daß grade da, wo die Menschen verzweifeln, die Menschheit sich zu den großartigsten Entfaltungen ihres Lebens vorbereitet. Dieses Bewußtsein aber fordert Eins; es kann und wird nur dann entstehen, wenn man eben das Einzelne als eine Erscheinung eines wahrhaft allgemeinen, das ist eines durch die Natur des persönlichen Lebens selber gegebenen Verhältnisses begreift; und die einzig mögliche Form, in der dies geschehen kann, ist die Erkenntniß des in allen Wandelungen sich Gleichbleibenden, des Begriffs des Dinges; darin, und nicht in einer logischen Uebung suchen und sehen wir die hohe Bedeutung begrifflicher Auffassung; der Begriff ist es, der uns hier wiedergeben soll, was die Thatsache des Einzellebens nur zu oft zu verlieren scheint; und dieser Be

griff selber will zunächst durch ruhige und festhaltende Beobachtung des Allgemeinen in dem Einzelnen gefunden werden.

In jedem einzelnen Menschen lebt ein Widerspruch, den wir auf dem Grunde jeder Arbeit, jeder Mühe, jeder Hoffnung, jedes Bedürfnisses wiederfinden; er ist der Widerspruch zwischen dem, was der Mensch, der zum Bewußtsein seiner selbst gelangt, sein möchte, und dem, was er wirklich ist; zwischen seiner Bestimmung und seiner Wirklichkeit. Dieser Widerspruch tritt zuerst und am greifbarsten auf in dem Verhältniß des Menschen der Natur gegenüber; er weiß, fühlt, erkennt, daß sie ihm zum vollen Genuß der Herrschaft gegeben ist; aber er als Einzelner vermag es nicht, sie sich in ganzem Maaße zu unterwerfen; die räumliche und zeitliche Gränze die ihn umgiebt, macht es dem Einzelnen ewig unmöglich jenen Widerspruch zu lösen.

Eben darum giebt es keinen einzelnen Menschen. Die unendliche Beschränktheit des Einzelnen wird aufgehoben in der Unbeschränktheit der Vielheit, die für die Erreichung der in jedem Einzelnen gegebenen Bestimmung eine unendliche Kraft, eine unendliche Zeit bietet; und die bekannte Theorie, welche die Macht und das Wohlsein eines Staates einfach nach der Zahl seiner Einwohner bestimmen wollte, ist nichts anderes als die praktische Anwendung dieses noch sehr unentwickelten Saßes.

Jede Vielheit erscheint nun nothwendig, zuerst als ein bloßes Nebeneinanderstehen ihrer einzelnen Mitglieder. Allein da sie ihrem Wesen nach da ist, um die Begränztheit des Einzelnen aufzuheben, sein Dasein mit der Kraft in dem Leben aller zu erfüllen und auf diese Weise die Bestimmung der Idee der Persönlichkeit zu verwirklichen für alle sowohl als für den Einzelnen, so müssen nothwendig die Einzelnen der Vielheit in Beziehung zu einander treten, für einander da sein. Dieses für einander Sein, als ein selbständiges Moment des Lebens auftretend, ist die Einheit der Menschen. Auf diese Weise entwickelt sich aus Einzelheit und Vielheit die Einheit in der Menschheit.

Indem nun diese Einheit ihrem Wesen nach für die Erreichung der menschlichen Bestimmung gesezt ist, die Bestimmung des Menschen aber in ihrem Objecte als eine verschiedene erscheint, so ergiebt es sich, daß auch jene Einheit der Menschen, an die Verwirklichung menschlicher Bestimmung in diesem Objecte sich anschließend, eine verschiedene sein wird.

Da aber in aller Form jener Verwirklichung der Idee der Persönlichkeit die Freiheit und Vollendung derselben stets das allgemeine Ziel bleibt, so haben alle Formen der Einheit das mit einander gemein und ihre Wahrheit

darin, daß sie eben ihre eigene höchste Vollendung in dem Maße erreichen, in welchem sie die Vollendung aller Einzelnen fördern und sehen. Und das tiefere Eingehen auf jede derselben zeigt, daß ihre ganze Besonderheit eben nur dazu dient, durch sie in jedem Einzelnen die Idee der höchsten persönlichen Vollendung in besonderer Weise zu erreichen.

Da aber ferner diese Einheit die nothwendige Bedingung der vollen Entwicklung des Individuums ist, so hat dieselbe eben in dieser ihrer Nothwendigkeit zugleich ihre absolute Selbständigkeit. Man kann und wird mithin niemals das Wesen der menschlichen Einheit bloß aus ihrem Verhältniß zu dem Einzelnen und seinem Leben ganz erfassen; die tiefere Erkenntniß der Dinge wird stets gezwungen, sie für sich zu betrachten, und von dem Einzelnen absehend, in ihr selber, erscheine sie nun in welcher Gestalt sie wolle, das Gesez und das Wesen ihres eigenen Lebens zu begreifen. So geschieht es, daß man die Einheit der Menschen als ein Moment am absolut selbständigen Leben des Einzelnen, aber auch das absolut selbständige Leben der Einzelnen wieder als bloßes Moment an dem der Einheit zugleich betrachten muß, um ganz das Wesen beider und ihr Verhältniß zu einander zu verstehen.

Nun kann man im Allgemeinen sagen, daß alle Formen jener Einheit bis jezt nach allen Seiten hin wenigstens untersucht worden sind; in jedem Falle muß es genügen, an diesem Orte auf dieselben verwiesen zu haben. Die Ehe, die Einheit welche das Geschlecht giebt, die Familie, die Einheit, welche durch Zeugung und Erziehung entsteht, der Vertrag, die Einheit welche der einzelne Willensact der mehreren sezt, die Gemeinde, die Einheit, welche die örtliche Berührung hervorruft, die Kirche, die Einheit des Gottesbewußtseins und seines Bekenntnisses, der Staat endlich, die` Einheit, welche als die selbständige allgemeine Persönlichkeit sich zu allgemeinem persönlichen Willen und That erhebt, bilden den Gegenstand zu mannichfaltiger und gründlicher Forschungen, als daß wir hier weiter uns mit demjenigen, was an den lezteren verkehrt und was richtig sein mag, weiter beschäftigen könnten. Aber Eine Form jener Einheit ist bis jezt nie beachtet worden, hauptsächlich deshalb, weil sie noch nie als Ganzes, sondern stets nur in ihren Theilen einen selbständigen Willen gehabt hat. Diese ist es, die wir, und zwar nach den oben angegebenen Ausgangspunkten, nunmehr untersuchen müssen.

Die Bestimmung des Menschen dem natürlichen Dasein gegenüber ist die, die ganze Welt der natürlichen Dinge sich, seiner Bestimmung, seiner Freiheit zu unterwerfen. Dies Verhältniß der Persönlichkeit zu jener Natur

Stein. I.

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der Dinge äußert sich bloß potentiell - als das Gefühl der höheren menschlichen Aufgabe, in dem Wunsch und dem Bedürfniß; es erscheint äußerlich als die Arbeit, das Bestimmtwerden des Natürlichen durch die That des Persönlichen, und vollzieht sich als Genuß der Harmonie, welche aus der Verwirklichung der höchsten Bestimmung in der wirklichen Welt entsteht.

Unter allen Verhältnissen, in denen die Beschränktheit des Einzelnen neben seiner Unendlichkeit dem Menschen klar wird, ist jener Kreislauf von Bedürfniß, Arbeit und Genuß derjenige, der den Mangel und Widerspruch in der Einzelheit am deutlichsten zeigt. Nicht einmal dazu ist der Einzelne fähig alle Genüsse zu genießen, welche das menschliche Leben bietet ; vielweniger alle Arbeit zu übernehmen, die jene vorausseßen. Das Maß des Wirklichen und Natürlichen, das der Mensch als Einzelner sich vormalen kann, ist das Maß der Armuth.

Die Vielheit der Menschen allein, unendlich reich an Kraft, ist auch unendlich reich an Fähigkeit zu Arbeit und Genuß. Allein die Einzelnen neben einander gestellt, würden nur die unendliche Vervielfältigung der Armuth sein. Erst indem sie für einander arbeiten, kann jeder Einzelne das Maß seiner Bedürfnisse mit dem Maße seiner Genüsse erfüllen.

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Dies für einander Arbeiten beginnt nun zuerst in dem engen Verhältniß weniger Einzelnen zu einander, da das Ziel der Arbeit, der Genuß, ein individueller ist, und daher anfänglich die Bekanntschaft mit dem persönlichen Bedürfniß des Anderen die Voraussetzung des Arbeitens für ihn bildet. Allein das Wesen der Persönlichkeit ist ein allen gleiches; die wesentlichen Bedürfnisse sind demnach nicht minder allen gleich, und so zeigt es sich bald, daß die Arbeit für irgend ein wesentliches Bedürfniß des Menschen stets auch eine Arbeit für das Bedürfniß eines Menschen ist. Dieses Wesen der Persönlichkeit macht es daher möglich, für alle zu arbeiten, indem man für ein bestimmtes menschliches Bedürfniß, für einen bestimmten Genuß arbeitet. In diesem Saße ist die Gemeinschaft der menschlichen Arbeit gegeben. Es ist möglich, daß Einer für viele, ja daß Einer für Alle arbeitet.

Jezt aber ergiebt sich ein zweiter Sat. Wenn der Genuß oder die volle und harmonische Befriedigung des Wunsches und Bedürfnisses in der vollen und harmonischen Beherrschung des Gegenstandes durch die Persönlichkeit, in dem innerlichen und äußerlichen Aufnehmen des objectiven Lebens in das subjective liegt, so wird dieser Genuß des einzelnen Objects nur dadurch erreicht werden können, daß dasselbe durch die volle, innerlich und

äußerlich vollendete Arbeit des Einzelnen dem Genusse dargeboten würde. Da nun der bestimmte Genuß wie die bestimmte Befriedigung an dem bestimmten Object gefunden wird, so kann zwar der Einzelne für viele und alle dadurch arbeiten, daß er viele Gegenstände für das Bedürfniß und den Wunsch der Einzelnen bereitet; aber die Vollendung dieser Arbeit wird erst dann erreicht, wenn er mit seiner ganzen Persönlichkeit eine bestimmte, mithin besondere Arbeit für alle übernimmt.

Indem dies geschieht, macht derselbe die Arbeit der anderen für dieses Object überflüssig; er giebt ihnen damit die Möglichkeit, eine andre Arbeit mit derselben Kraft und Vollendung zu betreiben, und so folgt der Saz, daß, indem der Einzelne die einzelne Arbeit übernimmt und sie zur völligen Ausbildung bringt, alle Einzelnen alle einzelne Arbeit, mithin die menschliche Arbeit überhaupt, zu vollenden, den höchsten Genuß aller zu befriedigen im Stande sind. Das ist die Einheit menschlicher Arbeit. Es ist jest nothwendig, daß Einer für viele und alle arbeite.

Hieran schließt sich einfach der dritte Saß, der den Begriff der Gesellschaft vorbereitet. Grade dadurch, daß der Einzelne eine bestimmte Arbeit übernimmt und vollzieht, und damit die Vollziehung dieser Arbeit durch andre überflüssig macht, wird es sich ergeben, daß die anderen eine andre bestimmte Arbeit übernehmen, und daß sich mithin die ganze Vielheit der Menschen in alle menschliche Arbeit theilt. Diese Theilung der Arbeit aber zeigt nun bald, daß eine Arbeit zur Bedingung und Voraus sezung der anderen wird. Die getheilten Arbeiten fangen daher an in einander zu greifen; es entsteht der Grundsaß, daß Einer nicht so sehr für den Genuß als für die Arbeit des anderen arbeitet; und so ergiebt fich die Ordnung der menschlichen Arbeit. Es ist demnach endlich nothwendig, daß der Einzelne nicht mehr regellos und willkührlich für andre, sondern daß er für diese Ordnung der menschlichen Arbeit als Glied derselben arbeite.

Auf diese Weise wird aus dem allgemeinen Saß, daß die Vielheit ein für einander Leben der Einzelnen erzeugen und sein müsse, der eigentliche Inhalt desselben gefunden; das für einander Sein zeigt sich als die Ordnung der gemeinschaftlichen Arbeit aller für alle.

Das bisher Gesagte enthält nun im Grunde nicht mehr und nicht we niger, als das, was unter dem bekannten Grundsaß der Theilung der Arbeit zusammen gedacht zu werden pflegt. Der Uebergang zum Begriffe der Gesellschaft entsteht erst durch ein anderes Moment, das man fast nie mit jenem in Verbindung bringt.

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