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der höchsten bürgerlichen und staatlichen Stellung emporschwingen zu können. Hier war, auf seinen engsten Raum zusammengedrängt, das Gebiet, in dem das Princip der Gleichheit absolut galt; die gleiche Berechtigung Aller zu Allem war das jezt unverlierbare Resultat der Revolution geworden.

Dieses Resultat stellte nun innerhalb des ganzen Volkes eine Masse von Menschen zusammen, von denen es Jeden zunächst auf sich selber anwies. Die Revolution hat das Feld eröffnet, auf dem jezt die Kräfte sich versuchen mögen. Die Zeit des unmittelbaren Kampfes ist vorbei; dieser Kampf hatte Keinem erlaubt, allein zu stehen.

Es wäre nun eine eigene Aufgabe, den Weg genauer zu verfolgen, den die neue Staatsgewalt einschlug, um zur Festigkeit zu gelangen. Wir müssen die Lösung derselben jedoch der Verfassungsgeschichte überlassen. Die drei Hauptgeseze sind bekanntlich die vierte eigentliche Verfassung vom 13. December 1799, das Senatus - Consulte organique vom 4. August 1802 und das Senatus - Consulte organique vom 18. Mai 1804. Man kann diese Geseze in zwei Säßen charakterisiren. Sie machen die Staatsgewalt zur allein herrschenden über alle allgemeinen Angelegenheiten, und verweisen die demokratischen Formen in die Angelegenheiten der Gemeinde. Allein diese lezteren sind keine Gemeindeverfassungen, sondern nur Gemeindeordnungen; es ist eine Communaleinrichtung, die in fortschreitender Ausbildung seit 1799 nur dazu dient, die Macht der Staatsgewalt bis in die untersten Stufen des Volkslebens hineinzutragen. Das Recht des Volkes ist gebrochen, und dem Kampfe der Parteien in der Gesellschaft ist die organisirte Militärdespotie gefolgt. Mag man nun über diesen Erfolg urtheilen, wie man will, das Eine blieb, daß er jenen Kampf aufhob. Indem er die Staatsgewalt auf eine Höhe erhob, auf der kein Einzelner sie mehr angreifen konnte, gab er der Kraft jedes Einzelnen eine andere Richtung. Und diese Richtung ist es, die wir nun genauer betrachten müssen.

Das Princip der Nivellirung aller Unterschiede gilt für den Einzelnen nur bis zu dem Punkte, wo er die Möglichkeit ersieht, sich selber über alle Anderen zu erheben. Dieses Gesez des Lebens verläugnet der Mensch weder im Staat, noch in der Gesellschaft, weder in der Revolution, noch im Frieden. So wie die Schranken gebrochen und die freie Bahn Allen eröffnet ist, stürzen sie vorwärts, Jeder für sich an die Erreichung des Zieles denkend. Dieses Ziel erscheint als ein tausendfaches, für Jeden in anderer Gestalt und mit anderem Reiz; dennoch ist es seinem Wesen nach nur Eins, und Ein Wort bezeichnet es vollkommen. Es ist die Geltung unter den Nebenstehenden.

Wo nun in einer Gesellschaft keine objectiven Bestimmungen find, die dem Einzelnen seine Stellung oder seine Richtung anweisen, da kann auch nur ein an die Persönlichkeit als solche geknüpftes Moment ihm jenen ersehnten Vorrang geben. Dieses Moment wird es demnach sein, nach welchem Alle trachten; es wird dassselbe die Basis der gemeinsamen Bewegung und den Charakter der Zeit bilden, in der wir jene sich erheben sehen.

Wo nun sollen wir jenes Moment in der Gesellschaft im engeren Sinne finden? Es ist nicht mehr eine höhere Stelle in der Staatsverwaltung; denn sie gewährte nur das Recht, ein mehr verantwortliches Werkzeug zu sein. Es ist gleichfalls nicht die Bedeutung, die sich der kühne Redner oder der geistreiche Schriftsteller zu erringen vermögen; denn die,,unverjährbare Freiheit der Rede und des Gedankens war,,begraben unter Waffenglanz.“ Was blieb da denen übrig, die nun einmal heraus wollten aus dem Kreise des Alltäglichen, und über ihren Mitbürgern nach einem Plaze suchten? Es gab nur Ein Mittel, ein Mittel, das gewaltig und doch nicht revolutionår, unterwürfig und doch bedeutend ist; das war der Besiz. Von ihm durfte man Alles erwarten, was unter solcher Herrschaft der Einzelne für sich sein und werden konnte; Genuß und Achtung, Unabhängigkeit und selbst Bedeutung lag in ihm verborgen, und das Streben nach demselben stieß gegen keine höhere Gewalt und nicht einmal gegen die öffentliche Meinung an. Und wie es sich nun immer zeigt, daß sich die Zeit desto ent schiedener auf Einen Weg hindrängt, je fester die anderen verschlossen sind, so geschah es auch hier. Die Laufbahn der Administration ward weniger gesucht, die publicistische gänzlich verlassen; Alles, was nicht dem Heer angehörte, wandte sich mit aller Kraft dem Besiße zu.

Es ist eine bekannte und oft ausgesprochene Thatsache, daß während der Kaiserzeit die materiellen Interessen Frankreichs ́eine Berücksichtigung und zugleich einen Aufschwung erlebten, wie dies seit Colbert's Ministerium weder geschehen, noch auch möglich gewesen war. Die Wissenschaft der Volkswirthschaft aber ist in unsren Tagen weit genug, um zu wissen, daß solche Erhebung des Güterlebens einer Nation nicht durch Regierungsmaßregeln hervorgebracht werden kann. Wo sie stattfindet, da liegt ihr stets ein tieferer Drang zum Grunde; denn die materielle Arbeit hat ihr rechtes Leben in dem Zweck, für den sie geschieht. Der Zweck aber jenes Aufschwunges war eben für den Einzelnen die Erreichung der Geltung, die von jezt an nur noch der Besiz geben zu können schien. Frankreich ward reich,

weil grade durch die Despotie des Kaiserthums ihm jezt die Epoche kam, in welcher für jeden Einzelnen der Reichthum die Macht ist.

Es ist dieses eins der Hauptresultate, die von der Kaiserzeit der folgenden Periode überliefert sind. Das französische Leben hat sich nie wieder von dieser Tendenz losreißen können. Wohl wäre es zu wünschen, daß diejenigen weniger Recht haben möchten, die selbst der unmittelbaren Gegenwart zürnend ihren egoistischen, engherzigen Materialismus vorwerfen. Aber es ist leider nur zu unläugbar, daß er den Punkt bildet, um den sich auch jezt noch arbeitend die Kräfte und Gemüther bewegen. Tausend Stimmen, ja tausend Beweise hört man von allen Seiten, daß in alle Fächer und Verhältnisse des ganzen administrativen und politischen Lebens, bis mitten in den Kern derselben die Verkäuflichkeit der Ueberzeugungen und Personen einen wahrhaft in Erstaunen seßenden Grad erreicht hat. Von allen Seiten flagt man, daß der Journalismus nur des Geldes wegen conservativ, nur der Abonnenten wegen oppositionell sei; man schilt die Kunst, nicht daß sie nach Brod gehe, sondern daß sie ihre höhere Aufgabe um des Gewinnes willen verlasse und zum Diener des Publikums werde; ja man beklagt sich, daß in der Gesellschaft der Besiz des Geldes mehr Werth und Geltung habe, als die höchste Intelligenz und die edelsten SitWer sich überzeugen will, wie wenig davon übertrieben ist, der muß selbst nach Frankreich gehen und einen Blick in dieses Leben thun, um die goldne Achse zu erkennen, auf der sich seine Räder bewegen. Es ist leider nur zu wahr; sehr wenig ist nicht feil in Frankreich; und was das Bedenklichere ist, von noch wenigerem will Frankreich selbst es glauben.

Kommt ein solcher Zustand über Nacht in ein Volk? Nein, die Gründe liegen tiefer, und der Beginn muß weit gesucht werden. Wir führen sie in ihrem Ursprung auf die Kaiserzeit zurück; nicht als ob sie sich hier plöglich entwickelt hätten, oder als ob Napoleon die Ursache gewesen; sie ergeben sich aus der Natur der Verhältnisse selbst und arbeiten langsam und unsicht bar fort, bis sie das Ruder des Geschehenden ergreifen. Dann aber erhalten sie eine Stelle im allgemeinen Bewußtsein und mit derselben einen Namen. Die erstere haben wir bezeichnet; das Wort für jene Tendenz ist Materialismus.“

Auch dieses ist eins von jenen Wörtern, die vor allen des klaren Verständnisses bedürfen, ehe man sie gebraucht. Es ist wahr, der Materialismus ist das Princip des heutigen Frankreichs; aber was enthält er denn als wahren Kern, an den sich das innere Bedürfniß doch anschließen muß? Ift er nichts als ein vages Anbeten der Materie? Nichts als ein thierischer

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Trieb nach Besiz? Nichts als das Gefühl, daß der Besiz den Genuß verschafft? Nichts als ein jämmerliches Verhandeln des Eigensten, was ein Mensch hat, für eine Handvoll Gold? Und man will, wie es geschehen ist, einem ganzen Volk vorwerfen, daß es täglich sich zu solchem Handel verstehe, ja daß es ihn ganz natürlich finde, und nicht über ihn erstaune? Und alles dieses, weil man eben sicht, daß der Materialismus gegenwärtige Geltung hat? Wie? Kann ein Volk unsrer Zeit, und ein solches, so weit sein, sich wie ein Thier an die bloße Materie anzuklammern, ohne daß sie im Stande wäre, es durch einen tieferen Gedanken an sich zu fesseln?

Gewiß nicht; der Materialismus ist da, aber die, die von ihm reden, wissen nicht, daß er selber nur ein Resultat ist. Sie stehen an der Oberfläche der Erscheinung, und glauben das Wesen erfaßt zu haben, während es ihren Händen entschlüpft, so wie man von ihnen mehr fordert, als eine Erzählung dessen, was sie erfahren haben. Und jener Grund, als dessen Resultat er erscheint, ist nicht bloß die Gestaltung der Dinge in der Kaiserzeit; auch diese war nur ein förderndes Moment. Er selber liegt nirgends anders als mitten in der Idee der Persönlichkeit; und erst hier ist es möglich zu begreifen, warum derselbe Materialismus, dasselbe Drängen nach Geld und Gut allmählig auch in unserm deutschen Vaterlande sein Werk beginnt, und weit entfernt ist, auf dem leßten Höhepunkte angelangt zu sein.

Denn so wie der Gedanke der freien Persönlichkeit in das materielle Leben hineintritt, so muß er die Forderung seiner Unabhängigkeit auf das materielle Bedürfniß übertragen. Selbständig ist der, der nichts bedarf, als was er sich selber erwirbt, und der soviel erwirbt, als er bedarf. Hier zieht die Idee der Persönlichkeit einen Kreis, den sie allein ausfüllen muß, wenn sie unabhängig sein will. Das ist der Gedanke, auf dem das Leben Englands beruht, und das ist zugleich der erste Schritt, den die Idee der abstracten Persönlichkeit thun muß, um sich mit der materiellen Wirklichkeit in ihr wahres Verhältniß zu sehen. Damit nähert sie sich der Materie, und wendet ihr ihre Kräfte zu, sei es auf welche Weise es wolle. Ihre Thätigkeit wird materiell, denn ihre Anforderungen sind es, und diese Richtung, die sie nicht zur Seite liegen lassen kann noch darf, ist der Materialismus. Auf diesem Wege findet er seine tiefere Bedeutung, er ist an sich berechtigt, denn er folgt mit Nothwendigkeit aus einem anerkannten Princip, und das Unrechte an ihm ist nur, daß er sich zu hoch zu stellen sucht. Jeder Mensch geht in seinem Einzelleben die Periode desselben durch, das Bedürfniß und den Kampf um eine materiell feste Stellung; viel Schönes, mehr

Nügliches noch verdanken wir ihm; will man ihn ohne Weiteres in einem Volfe verurtheilen?

Allerdings aber hat dieser Materialismus in Frankreich eine eigenthümliche Gestalt angenommen, und diese ist es, die im Stande war, einen neuen Gegensatz in der Gesellschaft selbst hervorzurufen und außerhalb derselben den inneren Gehalt über die äußere Form vergessen zu lassen. Wir geben hier, indem wir diese bezeichnen, nicht den Charakter einer bestimmten Zeit, sondern vielmehr den der ganzen geistigen Richtung seit der Revolution; wenn es sich um die Geschichte von Principien handelt, darf man wohl eine Reihe von Jahrzehnten als ein Ganzes ansehen.

Zuerst nämlich hatten die gewaltigen äußeren Verhältnisse dem Geiste der Zeit keine Muße in Frankreich gelassen, tiefer auf das Wesen der Persönlichkeit und ihrer wahren Stellung in der materiellen Welt einzugehen. Dennoch war jene Idee das alte Erbtheil der Väter und ward eifrig gepflegt und geglaubt. Sie schloß sich daher, da ihr nichts Höheres und Besseres geboten ward, mit aller Kraft, der sie fähig ist, an ihre materielle Seite an. Das Resultat war nicht bloß eine Würdigung derselben, die uns in Deutschland abgeht, sondern eine Ueberschäßung, die für uns auf immer unmöglich ist. Es entstand der Gedanke, daß die Bestimmung des Menschen inmitten der Materie eben der Besiß derselben, daß sie das höchste Gut der Erde und die Basis aller Gesellschaft sei. Auf diese Weise ordnete sie sich nicht bloß alle Wissenschaft, sondern jede That der Menschheit unter; es erhob sich aus ihr der alte Gedanke Diderots, daß das Interêt personel der eigent liche Mittelpunkt unseres irdischen Daseins sei, und der Nußen ward das Maß für Alles, nicht blos für das Gute, sondern auch für das Schlechte. Dies ist der gegenwärtige Charakter des französischen Materialismus; das Nügliche ist für den Staat wie für den Einzelnen das Wahre und das Schöne, und der Vortheil ist zur Moral geworden. Bedürfte dieses eines strengeren Beweises, so würde es ihn eben in der Idee des Socialismus finden, die wir später entwickeln werden.

Dann aber enthält jenes Princip zugleich den äußeren Einfluß auf die Gesellschaft, für deren Zustand und deren Bewegungen er die Basis abgab. Es ist ein anerkannter Saß, daß, wo die Hochschätzung des Reichthums Plaz greift, die Zurückseßung der Armuth ihr zur Seite steht. Die Besizenden stellen sich nicht allein in die vordersten Reihen, sondern sie beginnen allmählig die Berechtigung des Armen erst zu übersehen, dann zu bezweifeln, endlich zu verneinen. Vergleicht man den Gang, den der Reichthum in seiner Bedeutung für die Gesellschaft nimmt, mit dem, durch wel

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