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kantonale Strafgesetz und dem Mangel jeglicher Reglementation nicht zufrieden und hält den aktuellen Zustand für unhaltbar. 3. Das Genfer Reglement concernant les visites sanitaires, vom 13. Januar 1885, ist infolge der Schaffung des Bureau de salubrité publique (1884) an Stelle des früher bestandenen Reglements getreten und hat seither folgende Modifikationen erlitten: a. Die ursprünglich neben den inskribierten Bordelldirnen genannten eingeschriebenen Einzelprostituierten (femmes en cartes) sind nicht mehr toleriert, weil dieselben sich der ärztlichen Kontrolle nicht regelmässig unterzogen, häufige Infektionen verursachten und vielfach zu öffentlichem Skandal auf der Strasse Veranlassung gaben.

b. Anfänglich fand die ärztliche Untersuchung mindestens alle 5 Tage statt. Die Erfahrungen führten indessen dazu, wöchentliche zweimalige Untersuchung vorzuschreiben

Eine früher in Lausanne bestandene halbamtliche periodische ärztliche Kontrolle, der sich eine gewisse Zahl von Prostituierten freiwillig unterwarf, ist infolge der stattgefundenen Verschärfung der Strafbestimmungen betreffend die Kuppelei und die Prostitution am 17. Juni 1898 als ungesetzlich aufgehoben worden.

In Neuenburg war die Prostitution reglementiert bis zum Jahre 1891 (Promulgation des neuen Code pénal), wo alle diesbezüglichen Vorschriften aufgehoben und die Prostituierten dem allgemeinen Recht unterstellt wurden.

4. Die Untersuchung der Prostituierten findet in Genf in einem besonders hiezu bestimmten Lokal statt und wird von den zwei Aerzten des Gesundheitsbureaus, dem ärztlichen Direktor und seinem Adjunkten, vorgenommen. Jede Prostituierte ist verpflichtet sich wöchentlich zweimal zur Untersuchung einzufinden; es können aber auch häufigere Untersuchungen angeordnet werden Die Untersuchung soll stets eine vollständige sein und sich auf die Haut, die Mundhöhle, die Geschlechtsteile und den After erstrecken. Das Spekulum wird stets appliziert, die Untersuchung auf Gonokokken dagegen nicht regelmässig ausgeführt. Die Untersuchungen finden unter den strengsten antiseptischen Kautelen statt, die jede Gefahr einer Infektion ausschliessen.

In den übrigen Städten, wo Bordelle geduldet werden oder im

Geheimen existieren, pflegen die Bordellbesitzer in der Regel von sich aus im Interesse des Geschäfts ihre Dirnen mehr oder weniger regelmässig ärztlich untersuchen zu lassen. So werden z. B. die Insassen der zwei öffentlichen Häuser in Solothurn durch die von den Inhabern angestellten Privatärzte zweimal pro Woche untersucht.

Im übrigen werden in den meisten Städten nur die polizeilich wegen Unzucht oder Anlockung dazu aufgegriffenen oder in Bordellen betroffenen und eingebrachten Dirnen auf das Vorhandensein einer venerischen Krankheit untersucht, in Bern durch den Polizeiarzt, in Basel durch den zweiten Physikus, in St-Gallen durch den Bezirksarzt, etc. Dabei kommt ausser der Inspektion und der Spekulumuntersuchung an einzelnen Orten (Basel, St-Gallen) auch die mikroskopische Untersuchung auf Gonokokken zur Anwendung.

Mit diesen Untersuchungen kann jeder praktische Arzt betraut werden; doch werden vorzugsweise Spezialisten dazu auserwählt. 5. In Genf wird jede krank befundene Dirne sofort in den Kantonsspital geschickt. Dort wird sie in einer besondern Abteilung von den Aerzten des Bureau de salubrité behandelt und erst nach vollständiger Heilung wieder entlassen. Die Unterbringung im Kantonsspital ist obligatorisch; eine ambulatorische Behandlung gibt es nicht.

Ebenso werden in den meisten andern Städten die eingebrachten Dirnen, welche sich als geschlechtskrank erweisen, in der Regel polizeilich einem Krankenhaus zur ärztlichen Behandlung eingeliefert, in Zürich und St-Gallen (1) ins Kantonsspital, in Bern und Thun in die venereologisch-dermatologische Klinik in Bern, in Neuenburg, La Chaux-de-Fonds und Locle ins Hôpital de Chantemerle (Spezialkrankenhaus für Venerische) in Neuenburg, in Luzern in eine Sonderabteilung des Stadtspitals, etc. In Basel werden liederliche, wegen Unzucht eingebrachte Weibspersonen, die an einer venerischen Krankheit leiden, vom zweiten Physikus im Gefängnis behandelt und auch nach Absolvierung der Strafe bis zu ihrer Heilung in Polizeigewahrsam zurückbehalten. In den Basler Bürgerspital werden nur solche Prostituierte aufgenommen, welche sich freiwillig melden und für welche Kostengarantie geleistet wird. (1) Ausländerinnen werden in St-Gallen abgeschoben.

Ob die in den geduldeten oder im Geheimen gehaltenen Bordellen in Solothurn, Zürich und Bern ärztlich als geschlechtskrank befundenen Insassen in den Spital gesandt werden, ist uns nicht bekannt.

6. Ueber die heimliche Prostitution fehlen genauere Nachrichten. Neben den vagierenden Dirnen (femmes en chambre), die in den grössern Städten prävalieren, gibt es, namentlich in den kleinern Städten, auch Kellnerinnen, Fabrikarbeiterinnen, Schneiderinnen, etc., welche sich zeitweise der Prostitution hingeben. In einzelnen Städten mit Waffenplätzen soll die Prostitution unter dem Deckmantel des Kellnerinnenberufs und anderer Berufsarten ziemlich verbreitet sein. In gewissen Fabrik centren äussert sich die heimliche Prostitution hauptsächlich in der Weise, dass Arbeiterinnen, Angestellte, etc, sich längere oder kürzere Zeit dem nämlichen Liebhaber hingeben.

Angaben über die mutmassliche Zahl der heimlich Prostituierten fehlen. Einzig aus Zürich liegen Zahlen vor über die Dirnen, welche wegen Anlockung zur Unzucht an öffentlichen Orten polizeilich eingebracht und bestraft worden sind. Nach einer Zusammenstellung aus den Jahren 1878-1888 wurden in Zürich und Aussengemeinden, dem jetzigen Gross-Zürich, jährlich 89 bis 248 Dirnen verhaftet. Im Jahre 1897 stieg die Zahl derselben auf 598, im Jahre 1898 auf 474.

7. Die Prostituierten rekrutieren sich nach erhaltenen Angaben hauptsächlich aus Landstreicherinnen, stellenlosen Dienstmädchen, Kellnerinnen, Schneiderinnen, Modistinnen, Fabrikarbeiterinnen, etc. In der Mehrzahl der Fälle sind es ausländische Frauenzimmer, die ihr Gewerbe bereits anderwärts betrieben haben.

So waren von den 264 im Jahre 1898 in Genf kontrollierten. Dirnen nur 34 Schweizerinnen (Bern 19; Zürich 3; Aargau, Luzern, Wallis je 2; Freiburg, St-Gallen, Thurgau, Neuenberg je 1) und 230 Ausländerinnen. Von letztern stammen aus:

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Als allgemeine Ursachen, welche zur Prostitution führen, geben die meisten Berichte in erster Linie Subsistenzlosigkeit und Armut an, ferner Leichtsinn und Verführung Als lokale Ursachen werden z. B. für Zürich angeführt: Universität, Polytechnikum, andere höhere, meist von Ausländern frequentierte Anstalten, Fremdenstadt, grosser Zudrang fremder Kellnerinnen und Dienstmädchen. Analog mögen die lokalen Ursachen in Genf, Basel, Bern und Lausanne sein. An einzelnen Orten üben die häufigen Militärschulen und-Wiederholungskurse einen deutlich konstatierbaren begünstigenden lokalen Einfluss auf die Prostitution aus.

8. Da nur in Genf eine Kontrolle der Prostituierten besteht, so kann über das Alter der überwachten Prostituierten und über die durchschnittliche Dauer ihrer Gewerbsausübung auch nur für Genf referiert werden.

Von den in dem Jahre 1898 kontrollierten 264 Prostituierten standen im Alter von:

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Das mittlere Alter derselben beträgt 25-26 Jahre.

1hr Gewerbe betreiben sie im Durschnitt 4-5 Jahre. Doch gibt es solche, welche dasselbe bereits nach einigen Monaten wieder aufgeben, während andere wiederum viel länger dabei verbleiben. Das während des letzten Jahrzehnts beobachtete Maximum ist 16 Jahre.

9. Einrichtungen zur Verhütung der Prostitution oder zur Unterstützung von Prostituierten, welche ihr Gewerbe aufgeben wollen, sind in der Schweiz ziemlich verbreitet. So existieren in den meisten Schweizer Städten dank der Thätigkeit des schweiz. Frauenbunds zur Hebung der Sittlichkeit und des Vereins der

Freundinnen junger Mädchen Logierhäuser (Mägdeherbergen, Arbeiterinnenheime, Bahnhofheime, Marthahäuser, etc.), worin stellenlose weibliche Dienstboten und obdachlose Frauenspersonen Unterkunft finden (Genf 10; Zürich 10; St-Gallen 5; Basel, 4; Bern, 3; Lausanne, 2; Vevey, 2; Biel, Luzern, Neuenburg, La Chaux-de-Fonds, Herisau, Chur, Liestal, Zug je 1). Ferner habe diese Frauenvereine eine Anzahl von Asylen für gefallene Mädchen oder Prostituierte, die ihr schändliches Gewerbe aufgeben wollen, gegründet, so z. B. in Genf, Lausanne, Neuenburg, Basel, Bern, Zürich, St.-Gallen, etc. Schon bis zum Jahre 1889 waren durch die Thätigkeit des schweiz. Frauenbunds 55 Anstalten zum Wohle und zum Schutze der weiblichen Jugend geschaffen worden und seither ist die Zahl derselben auf 97 gestiegen.

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Zu den Institutionen zur Verhütung der Prostitution gehört namentlich auch die von dem Verein der Freundinnen junger Mädchen auf den Bahnhöfen der grösseren Städte (Genf, Neuenburg, Basel, Zurich, Bern, Biel) ausgeübte Ueberwachung. Bei der Ankunft der Perzonenzüge ist stets eine mit einem besondern Abzeichen versehene Freundin anwesend, um ankommenden einzelreisenden Mädchen ihre Hülfe und ihren Schutz anzubieten. Sowohl auf den Banhöfen als in den Eisenbahnwagen sind Affichen angebracht, welche auf diese Einwichtung aufmerksam machen. Es bildet dieser Aufsichtdienst in Verbindung mit dem nationalen und internationalen Informationsdienst und der Gründung von Placierungsbureaux eine ausserordentlich wichtige und segensreiche Ergänzung der übrigen privaten und officiellen prophylaktischen Thätigkeit auf diesem Gebiete.

10. Prostitution Minderjähriger kommt vor, doch ziemlich selten. Um dieselbe möglichst zu verhindern, sehen die Strafgesetze einiger Kantone eine Verschärfung der für Kuppelei angedrohten Strafe vor, wenn durch die Kuppelei Personen jugendlichen Alters zur Unzucht verleitet werden (St-Gallen, Neuenburg Mädchen unter 20 J., Thurgau solche unter 17 J., Wallis unter 15 J., Genf unter 14J.). Die Verkuppelung Pflegebefohlener wird fast von allen kantonalen Strafgesetzen höher bestraft.

Ebenso sehen die meisten Strafgesetze strenge Strafbestimmungen gegen die Unzucht mit Pflegebefohlenen vor und

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