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Handel, Gewerbe und die damit eng verbundenen Kommunikationsmittel haben einen nie geahnten Aufschwung genommen; doch muß auch hier Maß und Ziel gehalten werden, damit nicht der Schwindelgeist uns Wunden schlage. Den Kommunikationswegen müssen nach wie vor bedeutende Mittel zu Gebote gestellt werden, aber sie dürfen nur mit Rücksicht auf alle Staatsbedürfnisse bemessen, und dann müssen die Etats innegehalten werden.

Die Justiz hat sich in Preußen immer Achtung zu erhalten gewußt. Aber wir werden bemüht sein müssen, bei den veränderten Principien der Rechtspflege das Gefühl der Wahrheit und der Billigkeit in alle Klassen der Bevölkerung eindringen zu lassen, damit Gerechtigkeit auch durch Geschworne wirklich gehandhabt werden kann.

Eine der schwierigsten und zugleich zartesten Fragen, die ins Auge gefaßt werden muß, ist die kirchliche, da auf diesem Gebiete in der letzten Zeit viel vergriffen worden ist. Zunächst muß zwischen beiden christlichen Konfessionen eine möglichste Barität obwalten. . . . Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchenwesen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur möglich ist. Die wahre Religiosität zeigt sich im ganzen Verhalten des Menschen; dies ist immer ins Auge zu fassen und von äußerem Gebahren und Schaustellungen zu unterscheiden. Nichtsdestoweniger hoffe ich, daß je höher man im Staate steht, man auch das Beispiel des Kirchenbesuchs geben wird. Der katholischen Kirche sind ihre Rechte verfassungsmäßig festgestellt. Ubergriffe über diese hinaus sind nicht zu dulden. Das Unterrichts

wesen muß in dem Bewußtsein geleitet werden, daß Preußen durch seine höheren Lehranstalten an der Spitze geistiger Intelligenz stehen soll und durch seine Schulen die den verschiedenen Klassen der Bevölkerung nötige Bildung gewähren, ohne diese Klassen über ihre Sphären zu heben. Größere Mittel werden hierzu nötig werden.

Die Armee hat Preußens Größe geschaffen und dessen Wachstum erkämpft; ihre Vernachlässigung hat eine Katastrophe über sie und dadurch über den Staat gebracht, die glorreich verwischt worden ist durch die zeitgemäße Reorganisation des Heeres, welche die Siege des Befreiungsfrieges bezeichneten. Eine vierzigjährige Erfahrung und zwei kurze KriegsEpisoden haben uns indes auch jetzt aufmerksam gemacht, daß manches, was sich nicht bewährt hat, zu Änderungen Veranlassung geben wird. Dazu gehören ruhige politische Zustände und Geld, und es wäre ein schwer sich bestrafender Fehler, wollte man mit einer wohlfeilen Heeresverfassung prangen, die deshalb im Momente der Entscheidung den Erwartungen nicht entspräche. Preußens Heer muß mächtig und angesehen sein, um, wenn es gilt, ein schwerwiegendes politisches Gewicht in die Wagschale legen zu können.

Und so kommen wir zu Preußens politischer Stellung nach außen. Preußen muß mit allen Großmächten im freundschaftlichsten Vernehmen stehen, ohne sich fremden Einflüssen hinzugeben und ohne sich die Hände frühzeitig durch Traktate zu binden. Mit allen übrigen Mächten ist das freundliche Verhältnis gleichfalls geboten. In Deutschland muß Preußen moralische Eroberungen machen durch eine weise Gesetzgebung

bei sich, durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie der Zollverband es ist, der indes einer Reform wird unterworfen werden müssen. Die Welt muß wissen, daß Preußen überall das Recht zu schützen bereit ist. Ein festes, konsequentes und, wenn es sein muß, energisches Verhalten in der Politik, gepaart mit Klugheit und Besonnenheit, muß Preußen das politische Ansehen und die Machtstellung verschaffen, die es durch seine materielle Macht allein nicht zu erreichen imstande ist.

Auf dieser Bahn Mir zu folgen, um sie mit Ehren gehen zu können, dazu bedarf ich Ihres Beistandes, Ihres Rates, den Sie mir nicht ver sagen werden. Mögen wir uns immer verstehen zum Wohle des Vaterlandes und des Königtums von Gottes Gnaden!

259.

König Wilhelms Thronbeßteigung.

2. Jan. 1861.

An Mein Volk.

(Erlaß vom 7. Januar. Hahn, Kaiser Wilhelms Gedenkbuch, S. 92 ff.)

König Friedrich Wilhelm der Vierte ruht in Gott. Er ist erlöst von den schweren Leiden, die er mit frommer Ergebung trug. Unsere Thränen, die in gerechter Trauer fließen, wolle der Herr in Gnaden trocknen; des Entschlafenen gesegnetes Andenken wird in Meinem, in Euren Herzen nicht erlöschen.

Niemals hat eines Königs Herz treuer für seines Volkes Wohl geschlagen. Der Geist, in welchem Unseres Hochseligen Vaters Majestät, der Heldenkönig so nannte ihn der nun heimgegangene königliche Sohn nach den Jahren des Unheils sein Volk wiederaufrichtete und zu den Kämpfen stählte, an welchen Mein verklärter Bruder hochherzig teilnahm, war König Friedrich Wilhelm dem Vierten ein heiliges Erbteil, welches Er treu zu pflegen wußte. Überall gewährte Er edlen Kräften Anregung und förderte deren Entfaltung. Mit freier königlicher Hand gab Er dem Lande Institutionen, in deren Ausbau sich die Hoffnungen desselben erfüllen sollten. Mit treuem Eifer war Er bemüht, dem gesamten deutschen Vaterlande höhere Ehre und festere Einigung zu gewinnen. Als eine unheilvolle Bewegung der Geister alle Grundlagen des Rechts erschüttert hatte, wußte Meines in Gott ruhenden Bruders Majestät die Verwirrung zu enden, durch eine neue politische Schöpfung die unterbrochene Entwickelung herzustellen und ihrem Fortgange feste Bahnen anzuweisen.

Dem Könige, der so Großes zu begründen wußte, dessen unvergeßliches Wort: „Ich und Mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen" auch Meine Seele erfüllt, gebührt ein hervorragender Platz in

der glorreichen Reihe der Monarchen, welchen Preußen seine Größe verdankt, welche es zum Träger des deutschen Geistes machten.

Dies hohe Vermächtnis Meiner Ahnen, welches sie in unablässiger Sorge, mit ihrer besten Kraft, mit Einsetzung ihres Lebens gegründet und gemehrt haben, will Ich getreulich wahren. Mit Stolz sehe Ich Mich von einem so treuen und tapferen Volke, von einem so ruhmreichen Heere umgeben.

Meine Hand soll das Wohl und das Recht aller in allen Schichten der Bevölkerung hüten, sie soll schützend und fördernd über diesem reichen Leben walten. Es ist Preußens Bestimmung nicht, dem Genuß der erworbenen Güter zu leben. In der Anspannung seiner geistigen und sittlichen Kräfte, in dem Ernst und der Aufrichtigkeit seiner religiösen Gesinnung, in der Vereinigung von Gehorsam und Freiheit, in der Stärkung seiner Wehrkraft liegen die Bedingungen seiner Macht; nur so vermag es seinen Rang unter den Staaten Europas zu behaupten.

Ich halte fest an den Traditionen Meines Hauses, wenn Ich den vaterländischen Geist Meines Volkes zu heben und zu stärken Mir vorsetze. Ich will das Recht des Staats nach seiner geschichtlichen Bedeutung befestigen und ausbauen und die Institutionen, welche König Friedrich Wilhelm der Vierte ins Leben gerufen hat, aufrecht erhalten. Treu dem Eide, mit welchem Ich die Regentschaft übernahm, werde Ich die Verfassung und die Gesetze des Königreichs schirmen. Möge es Wir unter Gottes gnädigem Beistand gelingen, Preußen zu neuen Ehren zu führen.

Meine Pflichten für Preußen fallen mit Meinen Pflichten für Deutschland zusammen. Als deutschem Fürsten liegt Mir ob, Preußen in derjenigen Stellung zu kräftigen, welche es vermöge seiner ruhmvollen Geschichte, seiner entwickelten Heeresorganisation unter den deutschen Staaten zum Heile aller einnehmen muß.

Das Vertrauen auf die Ruhe Europens ist erschüttert. Ich werde Mich bemühen, die Segnungen des Friedens zu erhalten. Dennoch können Gefahren für Preußen und Deutschland heraufziehen. Möge dann jener Gott vertrauende Mut, welcher Preußen in seinen großen Zeiten beseelte, sich an Mir und an Meinem Volke bewähren und dasselbe Mir auf Meinen Wegen in Treue, Gehorsam und Ausdauer fest zur Seite stehen! Möge Gottes Segen auf den Aufgaben ruhen, welche sein Ratschluß Mir übergeben hat.

Berlin, am 7. Januar 1861.

Wilhelm.

260.

Deutschlands Beruf.

1861.

Von E. Geibel.

(E. Geibels gesammelte Werke, Bd. IV: „Heroldsrufe". Stuttgart 1883.)

Soll's denn ewig von Gewittern
Am umwölkten Himmel braun?
Soll denn stets der Boden zittern,
Drauf wir unsre Hütten baun?
Oder wollt ihr mit den Waffen
Endlich Rast und Frieden schaffen?

Daß die Welt nicht mehr in Sorgen
Um ihr leicht erschüttert Glück
Täglich bebe vor dem Morgen,
Gebt ihr ihren Kern zurück:
Macht Europas Herz gesunden,
Und das Heil ist euch gefunden!

Einen Hort geht aufzurichten,
Einen Hort im deutschen Land!
Sucht zum Lenken und zum Schlichten
Eine schwerterprobte Hand,

Die den güldnen Apfel halte

Und des Reichs in Treuen walte!

Sein gefürstet Banner trage

Jeder Stamm, wie er's erfor,
Aber über alle rage

Stolzentfaltet eins empor;

Hoch, im Schmuck der Ehrenreiser

Wall' es vor dem deutschen Kaiser!

Wenn die heil'ge Krone wieder

Eine hohe Scheitel schmückt,

Aus dem Haupt durch alle Glieder

Stark ein ein'ger Wille zückt:

Wird im Völferrat vor allen

Deutscher Spruch aufs neu' erschallen.

Dann nicht mehr zum Weltgesetze
Wird die Laun' am Seinestrom,

Dann vergeblich seine Neze
Wirst der Fischer aus in Rom,
Länger nicht mit seinen Horden.
Schreckt uns der Koloß im Norden.

Macht und Freiheit, Recht und Sitte,
Klarer Geist und scharfer Hieb
Zügeln dann aus starker Mitte
Jeder Selbstsucht wilden Trieb,
Und es mag am deutschen Wesen
Einmal noch die Welt genesen!

261.

Preußen und die Frankfurter Bundesreformakte.*)

1863.

(Aus einer Denkschrift des Staatsministeriums v. 15. Sept. 1863. Hahn, Fürst Bismarc, I, 149.)

Die ausgedehnten Befugnisse, welche in der Reformakte dem aus wenigen und ungleichen Stimmen zusammengesetzten Direktorium, mit und ohne Beirat des Bundesrates, gegeben werden; die unvollkommene und den wirklichen Verhältnissen nicht entsprechende Bildung der an Stelle einer National-Vertretung vorgeschlagenen,, Versammlung von BundesAbgeordneten", welche durch ihren Ursprung auf die Vertretung von Partikular Interessen, nicht von deutschen Interessen hingewiesen ist, und die auf einen fleinen Kreis verhältnismäßig untergeordneter Gegenstände beschränkte und dennoch vage und unbestimmte Befugnis auch dieser Versammlung lassen jede Bürgschaft dafür vermissen, daß in der beabsichtigten neuen Organisation des Bundes die wahren Bedürfnisse und Interessen der deutschen Nation und nicht partikularistische Bestrebungen zur Geltung kommen werden.

Diese Bürgschaft kann Eurer Majestät Staats-Ministerium nur in einer wahren, aus direkter Beteiligung der ganzen Nation hervorgehenden National-Vertretung finden. Nur eine solche Vertretung wird für Preußen die Sicherheit gewähren, daß es nichts zu opfern hat, das nicht dem ganzen Deutschland zu gute komme. Kein noch so künstlich ausgedachter Organismus von Bundesbehörden kann das Spiel und Widerspiel dynastischer und partikularistischer Interessen ausschließen, welches sein Gegengewicht und sein Korrektiv in der NationalVertretung finden muß. In einer Versammlung, die aus dem ganzen Deutschland nach dem Maßstab der Bevölkerung durch direkte Wahlen hervorgeht, wird der Schwerpunkt, so wenig wie außer Deutschland, so auch nie in einen einzelnen, von dem Ganzen sich innerlich loslösenden Teil fallen; darum fann Preußen mit Vertrauen in sie eintreten. Die

*) Österreich hatte zu einem Fürstenkongreß in Frankfurt eingeladen, um über die Reform der Bundesverfassung zu beraten. Die Verhandlungen fanden ohne Preußens Beteiligung vom 22. bis 31. August statt. Mit einem Kollektivschreiben der Fürsten gelangte der Entwurf einer Reformakte in die Hände der preußischen Regierung.

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