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214.

Scharnhorft an York nach Abschluß der preußisch= französischen Allianz. 26. Febr. 1812.

(Droysen, Das Leben des Feldm. Grafen York, I, S. 236.)

Herzlichst und innigst danke ich Ihnen für das Andenken, welches Ihr Brief vom 18. d. (Febr.) mir beweiset. In einer so bestürmten, wankenden Lage, in einer solchen finstern Finsternis der Zukunft, wie die unsrige ist, kommt jedes Gemüt in Bewegung und wünscht eine gegen= seitige Mitteilung. Ich erlaube mir indessen keine Meinung über unsere politischen Schritte. Wir unterliegen einem labyrinthischen Gewirre, welches die Zukunft entwickeln wird, und welches eben so sehr ein Resultat unserer besonderen Lage, als anderer Umstände ist. Ich habe jetzt feinen andern Wunsch mehr, als einen ehrenvollen Tod, wenn das Verhängnis ein Unglück für den Regenten und den Staat herbeiführen sollte.

215.

Gneisenau an Stein' nach Abschluß der preußisch= französischen Allianz.

1812.

(Perz, Das Leben des Ministers Freih. v. Stein, III, 29.)

Breslau, d. 2. April 1812.

In dem Alter, worin andere sich zur Ruhe begeben, stürze ich mich abermals in die großen Weltbegebenheiten. Ich bin hier auf der Durchreise und will mich demnächst nach St. Petersburg verfügen. Jst dort nichts für meine Pläne zu thun, wie ich fast fürchte (denn den beiden Kaisern ist an dem Krieg nichts gelegen), so gehe ich nach Schweden und England, vielleicht nach Spanien, nicht um dort etwas wirken zu wollen, sondern um eine verdrußvolle Zeit in dem Geräusch kriegerischer Thätigkeit hinzubringen und mich zu zerstreuen, dessen ich bedarf. Wenn man fünf Jahre gekämpft und gearbeitet hat2 und sein mit Erfolg gesegnetes Werk durch einen unglücklichen Federzug vernichtet sieht, so wird es dem mit Kummer belasteten Gemüt wohl Bedürfnis, einen andern Himmel aufzusuchen, unter dem die sorgsam gepflegte und schwer verletzte Pflanze vielleicht wieder aufblühen möge. In welchem vortrefflichen Rüstungszustande wir waren, würde die Welt kaum glauben, sofern es bekannt gemacht werden könnte.

Wie die Sachen zuletzt gekommen sind, sah ich schon damals voraus, und ich trat nur deswegen nicht sogleich aus dem Staatsdienst, um meine

1 Stein lebte zu Prag im Eril.

2 an der Reorganisation der Landesverteidigung.

Freunde nicht mutlos zu machen und auszuharren, wie ich selbigen versprochen hatte. Auch konnten äußere Glücksfälle die Sachen vielleicht besser wenden. Bei erfolgter Unterzeichnung verlangte und erhielt ich meine Entlassung. Ich habe nun mein Hauswesen bestellt, meine sieben Kinder noch gesegnet, und morgen setze ich meinen Stab weiter.

Erhalten mir Ew. Excellenz Jhr Wohlwollen. Immer werde ich es durch treue Anhänglichkeit zu verdienen trachten. Gott segne Sie. Mit der reinsten Verehrung

Eurer Excellenz

unterthäniger Diener
N. v. Gneisenau.

216.

Deutschlands Lage im Jahre 1812.

(Eine Denkschrift Steins an den Kaiser Alexander, vom 18. Juni.

- Pert a. a. D. III, 68 ff.)

Da alles den Ausbruch des Krieges ankündigt, so ist es nötig, die Möglichkeit zu untersuchen, die Kräfte Deutschlands zu Gunsten Rußlands und seiner Verbündeten wirksam zu machen; sie stehen jetzt zur Verfügung Napoleons, und es kommt darauf an, Mittel zu finden, um sie aufzulösen, oder gegen ihn zu richten, indem man die Meinungen so weit erhebt, daß sie sich offen gegen ihn aussprechen.

Die Stimmung der deutschen Bevölkerung ist gegen die jetzige Ordnung der Dinge und gegen deren Urheber erbittert; sie sieht ihre Unabhängigkeit, ihr Blut, ihr Vermögen dem Vorteil der Fürsten2 geopfert, welche sie verraten haben, um ein augenblickliches Dasein zu fristen; sie wird durch fremde Horden unterdrückt, gequält und beleidigt; sie wird gezwungen, gegen Völker zu kämpfen, die teils ihre natürlichen Verbündeten, teils in keiner feindlichen Beziehung zu ihr sind; alle Einrichtungen, alle alten Gebräuche sind vernichtet, und es bleibt keine Spur des Glückes übrig, welches diese zahlreiche und gebildete Nation vor zwanzig Jahren genoß.

Der Adel sieht sich seiner Vorrechte und der glänzenden Stellungen beraubt, welche die Kirche und die Ritterorden ihm darboten, er sieht sich der Konskription unterworfen mit einer Härte, wie nicht einmal in Frankreich; der Landmann wird durch Steuern und Einquartierungen erdrückt; jeder Handelszweig ist vernichtet oder in Schleichhandel verkehrt; die Fabrik-Werkstätten stocken in Folge des ausschweifenden Kontinentalsystems, welches die Bande zerreißt, die man seit drei Jahrhunderten mit Amerika anzuknüpfen gearbeitet hat. Man betrachtete bisher diesen Weltteil als einen der wirksamsten Beförderer der Bildung, welchem man eine fortschreitende Zunahme der Zahlungsmittel und eine Vervielfältigung der Gegenstände des Tausches und Genusses verdankte; aber ein von Ehrgeiz

1 Stein befand sich infolge einer Einladung seit dem 12. Juni im russischen Hauptquartier zu Wilna. 2 Rheinbundfürsten.

geblendeter Mann, unterstützt durch die Feigheit der Fürsten, welche er unterdrückt, zerreißt diese Verhältnisse, macht Europa arm und führt es der Barbarei zu. Durch diese gewaltsame Ordnung der Dinge leidet vorzüglich Deutschland, dessen gewerbliche Erzeugnisse großenteils in Amerika verbraucht wurden, und diese Quelle des Nationalreichtums ist jezt völlig verstopft.

Eine unruhige, tyrannische, mißtrauische Polizei überwacht die öffentliche Meinung; Litteratur, Briefwechsel, öffentliche Lehrstühle, alles ist ihr unterworfen; das gesellige Zutrauen, alle Bande der Freundschaft werden zerrissen, erschwert, und in diesem weiten Lande sieht man nichts, als Unglückliche, die ihre Fesseln schütteln, und einige Elende, die darauf stolz sind.

Ein solcher Zustand der Dinge, der nur auf einer Gewalt beruhet, welche alle Willen, alle Meinungen zusammendrückt, kann nur so lange als die Thätigkeit dieser eisernen Hand dauern; und jedesmal, daß sich eine Aussicht auf Erleichterung eröffnete, sah man die Menschen sich bewegen, um ihre Ketten wo möglich zu brechen.

Dieses wird ebenso sein und ist es in der jetzigen Zeit, da man einen großen Kampf wieder beginnen und eine Stüße für die Unglücklichen darbieten sieht, welche einen Wechsel verlangen; man kann diese Stimmung der Gemüter benutzen, um der Unterdrückung allmählich Hindernisse zu schaffen und in der Folge einen geraden und offenen Widerstand gegen sie aufzureizen.

Man kann diese Stimmung der Gemüter verstärken und erhöhen, wenn man in Deutschland Schriften verbreitet, die ein treffendes Gemälde der unheilvollen und herabwürdigenden Lage dieses Landes darbieten. Der 2. Teil des Geist der Zeit" von Arndt ist mit einer großen Kraft und einer erschreckenden Wahrheit geschrieben. In Schweden gedruckt, hat er nicht in Deutschland eindringen können. Man müßte einen neuen Abdruck veranstalten und ihn auf dem Wege des Schleichhandels auf der galizischen Grenze Herrn Gruner in Prag zuschicken,* damit er das Buch in Deutschland in Umlauf setze, und Herrn Arndt hierherziehen, um ihn bei der Abfassung der Flugschriften zu gebrauchen, welche man in Deutschland verbreiten ließe.

Auch verdiente das vortreffliche Werk von Fabre über das Innere von Frankreich ins Deutsche übersetzt und in Deutschland verteilt zu werden.

Bei einer so leselustigen Nation bilden die Schriftsteller eine Art Macht durch ihren Einfluß auf die öffentliche Meinung. Es wird nüßlich sein, sich sie durch Auszeichnungen irgend einer Art, akademische Ehren, Orden u. dgl. zu verbinden. Die Herren Schleiermacher in Berlin, Steffens und Bredow in Breslau, Heeren in Göttingen, Luden in Jena sind unter den Gelehrten ausgezeichnet. . . .

3 Vgl. Quellenbuch Nr. 206 u. 207. 4 preuß. Staatsrat, der unermüdlich für Deutschlands Erhebung im Steinschen Sinne thätig war. 5 Diesen Maßregeln fügte Stein in seiner Denkschrift noch andere bei. Der Kaiser erklärte seine vollständige Zustimmung und befahl Stein, zur Ausführung seiner Pläne zu schreiten.

217.

Der russische Feldzug.

1812.

a.

Clausewitz an den Freiherrn vom Stein über die Schlacht an der Berefina.

(Mitgeteilt von M. Lehmann: Historische Zeitschrift, herausg. von H. v. Sybel, Bd. 61, S. 110 ff.)

Bei Borissow den 18./30. November 1812.

Bonaparte ist mit etwa 40 000 Mann durch; als hätte eine höhere Macht es beschlossen, ihn dies Mal noch nicht ganz zu stürzen, ist er in einem Loch durchgedrungen, wo er gerade am ersten hätte verloren sein müssen. Hielt der Admiral Tschitschakoff den Punkt von Sembin, der sich nur 12 Meilen von seiner Stellung von Borissow befand, nur mit 10 000 Mann besetzt, so war es unmöglich, ihn zu forcieren, und jeder andere Weg war damals zu spät; in 24 Stunden hätte der Hunger herrischer geboten, als der Gebieter Napoleon, und das Äußerste wäre geschehen. Er ist wütend gewesen vor dem Übergang, hat alles um sich her mißhandelt, und Sorge und Angst haben in sichtbaren Spuren auf seiner Stirn gewohnt; sowie die Brücken fertig und die ersten Truppen defiliert waren, heiterte er sich auf, behandelte jedermann freundlich, ließ sich zu essen geben und sagte: Voilà comment on passe un pont sous la barbe de l'ennemi. Er hat sich übrigens selbst damit beschäftigt, seinen Wagen über die Brücke zu führen, welches auch so ziemlich der einzige ist, der gerettet worden ist. Bei alledem hat er hier Haar lassen müssen; Graf Witgenstein hat ihm in zwei Tagen über 10 000 Mann Gefangene abgenommen, davon 5000 mit fünf Generälen sich durch Kapitulation ergaben, weil sie abgeschnitten waren. Überhaupt kann ihm der Punkt der Beresina 15 000 Mann gekostet haben mit der sämtlichen Bagage. Noch wird er bis zum Niemen manches verlieren, wenn der Graf die Märsche ausführt, die er sich vorgesetzt hat. Platow folgt ihm, und einige Kavallerieregimenter sind bereits auf der Straße von Wilna voraus, um das abzuschneiden, was ihm an Lebensmitteln, Schuhen 2c. von daher entgegenkommen könnte. Er wird schwerlich viel über 20 000 Mann über die Grenze bringen. Was ihm Preußen und Österreicher zuführen, wird dann seine erste Stütze sein; wie überhaupt die Osterreicher auch an der Beresina zu seiner Rettung mittelbar durch ihre Bewegung vorwärts viel beigetragen haben; denn Tschitschakoff stand nur 26 000 Mann stark an der Beresina. Er hat es um das Haus Osterreich verdient, diese Rettung!!!

Ew. Excellenz haben keinen Begriff von dem Anblick, welchen die Landstraße gibt. Tausende von toten Menschen und Pferden liegen auf derselben, Sterbende wimmern in den Gebüschen, gespensterhafte Menschen ziehen in Haufen vorüber und schreien und jammern und weinen nach

Brot; sie schleppen sich in Lumpen, in denen man mit Mühe erkennt, daß es französische Soldaten sind; fast keinen sieht man mehr, der noch ein menschliches Aussehen hätte: dies läßt mich auf den Zustand jener Armee schließen, und ich glaube deshalb, daß außer den Garden nichts über die Grenze kommt. Ich habe Lust gehabt, in einem etwas lebhaften Schreiben ein Bild von diesem Elende zu entwerfen, um durch Ew. Excellenz Vermittelung dasselbe gedruckt nach Deutschland und Frankreich zu befördern, damit die Menschen dort nicht ewig hintergangen werden und das Elend kennen lernen, in welches sie ihre Brüder in die Ferne senden. Mangel an Ruhe und Muße hat mich bis jetzt abgehalten. .

b.

Fluchtlied.

1812.

(Hildebrand, Soltaus hist. Volkslieder, 2. Hundert. Leipzig 1856.

Hiernach bei Ziegler,

Deutsche Soldaten und Kriegslieder aus 5 Jahrh. [1386-1871]. Leipzig 1884.)

Mit Mann und Roß und Wagen

So hat sie Gott geschlagen.

Es irrt durch Schnee und Wald umher
Das große mächt'ge Franschenheer.
Der Kaiser auf der Flucht,

Soldaten ohne Zucht.

Mit Mann und Roß und Wagen 2c.

Jäger ohne Gewehr,

Kaiser ohne Heer,

Heer ohne Kaiser,

Wildnis ohne Weiser.

Mit Mann 2c.

Trommler ohne Trommelstock,

Kürassier' im Weiberrock,

Ritter ohne Schwert,

Reiter ohne Pferd.

Mit Mann 2C.

Fähnrich ohne Fahn',

Flinten ohne Hahn,
Büchsen ohne Schuß,
Fußvolk ohne Fuß.
Mit Mann 2c.

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