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seßungen nicht mehr zutreffen, soll es sogleich zum Auslaufen binnen vierundzwanzig Stunden veranlaßt werden. — In ähnlicher Weise disponirte die Neutralitäts-Proclamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika vom 8. October 1870,1) in welcher auch sonst sehr ausführliche Regeln über das Asylrecht der Kriegsschiffe der Kriegsparteien aufgestellt sind. Die Veranlassung zu den strengen Festsetzungen war gewesen, daß französische Kriegsschiffe in den Gewässern vor Newyork gekreuzt und von dort aus das Auslaufen deutscher Postdampfer bedroht hatten. Die Neutralitätserklärung der portugiesischen Regierung vom 28. Juli 18702) gestattete grundsätzlich das Einlaufen und den Aufenthalt der Kriegsschiffe der kriegführenden Mächte, wenn sie keine Prisen mitführten, untersagte aber Verstärkung der Besaßungen, der Armirung, Einnahme von Waffen und Munition u. s. w. Die schwedische und norwegische Regierung erklärte durch Erlaß vom 2. August 1870 ihre fünf Kriegshäfen Stockholm innerhalb der Festung Warholm, Christiania (Oscarsborg), Carlskrona (Kungsholm), Marstrand (Carlsten), Carl— Johann-Barns (Bastion Norska Lejonet) - als geschlossen.

IV. Caper können hinsichtlich der Befugniß zum Aufenthalt in neutralen Häfen niemals günstiger gestellt sein wie Kriegsschiffe. Die neueren Bestrebungen auf Abschaffung der Caperei haben vielmehr dahin geführt, daß Capern sowie den von solchen aufgebrachten Prisen das Einlaufen in neutrale Häfen entweder ohne Einschränkung oder nur mit Ausnahme des Falls dringender Seegefahr untersagt wird.3) Liegt ein solcher Nothfall vor, so dürfte, auch wenn die Ausnahme nicht ausdrücklich festgesetzt ist, eine Zurückweisung als gerechtfertigt nicht erachtet werden können, wenigstens soweit die Caper unter der Autorität und Flagge eines Staats fahren, welcher der Vereinbarung von 1856 über die Abschaffung der Caperei nicht beigetreten ist. Selbstredend wird in derartigen Fällen strengste Ueberwachung und, nach Beseitigung der Gefahr, unverzügliche Ausweisung zu erfolgen haben.

1) A. M. B. Nr. 179 und Staatsarchiv Bd. 20 Nr. 4391.

2) A. M. B. Nr. 181.

3) Schon in den zahlreichen bei Ausbruch des orientalischen Krieges im Jahre 1854 ergangenen Neutralitätserklärungen von der argentinischen Conföderation, Belgien, Brasilien, Bremen, Chili, Dänemark, Hamburg, Hannover, Lübeck, Mecklenburg-Schwerin, Niederlande, Norwegen, Desterreich, Oldenburg, Portugal, Sardinien, Schweden, beide Sicilien, Spanien, Toscana.

V. Der neutrale Staat darf in seinem Gebiet solche Unternehmungen einer Kriegspartei nicht zulassen, welche, obwohl an sich ohne kriegerischen Charakter, dazu geeignet oder gar bestimmt sind, den militärischen Interessen dieser Kriegspartei dienlich zu sein.

Ueber die Zurückweisung von Kabelschiffen von neutralen Pläßen s. bei Dahn, der Seekrieg." 1)

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§ 40.

Militärische Actionen der Kriegführenden im neutralen Gebiet im Besonderen.

I. Aus den bisher entwickelten Grundsätzen, nach welchen das neutrale Seegebiet kein Feld für die kriegerische Action im eigentlichen Sinne sein darf, 2) folgt im Besonderen:

1) Unftatthaft und völkerrechtswidrig ist jedes Gefecht innerhalb dieses Gebiets, 3) ingleichen jedes Gefecht außerhalb desselben, aber in solcher Nähe, daß die Geschosse das neutrale Gebiet erreichen. 4)

2) Ebenso unzulässig ist jede Verfolgung eines feindlichen Kriegsschiffs in das neutrale Gebiet hinein. Bynkershoek 5) und nach ihm auch Andere erachten freilich eine solche Verfolgung, wenn sie sich unmittelbar an das Gefecht anschließt und der Feind ein Asyl im neutralen Gebiet sucht, für statthaft, ingleichen die Nehmung daselbst. Die Unvereinbarkeit dieser an und für sich durchaus willkürlichen Anschauung mit den Fun

1) Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine, Bd. 5. S. 127 ff.

4 Ausführliches und zahlreiche Quellenangaben darüber s. namentlich bei Azuni, II. S. 291 ff. und Calvo, II. S. 408 ff.

3) Ein Fall eclatanter Neutralitätsverleßung war der Ueberfall und die Wegnahme der Corvette der conföderirten Staaten von Nordamerika „Florida“ durch den Unionsdampfer,Wachusetts“ im Hafen von Bahia am 7. October 1864. S. Bericht darüber in der Hansa, Jahrg. 1864 Nr. 25 S. 203, 204. Ueber die von der Vereinigten Staaten-Regierung Brasilien gegebene Genugthuung s. bei Caumont, S. 264 Nr. 57 bis 60. Die österreichischen Vorschriften über die Zulassung fremder Kriegsschiffe seßen im § 15 fest: „In österreichischen Häfen ist es nicht gestattet, daß zwei oder mehrere Schiffe fremder Nationen thätliche Feindseligkeiten gegen einander unternehmen, und diejenigen, welche zuerst den Frieden brechen, sind nach vorangegangenem und fruchtlos gebliebenem schriftlichen Proteste wie feindliche Schiffe zu behandeln.“

4) Bederken mit Bezug auf den zweiten Saß s. im Staatsarchiv, Bd. 9 Nr. 1939. 5) Quaest. jur. publ. lib. I. c. VIII.

damentalsäßen von der Integrität des neutralen Gebiets liegt indeß klar zu Tage. 1)

Streitig ist ferner die Frage, ob einem vom Feind verfolgten Schiff im neutralen Hafen ein Asyl gewährt werden darf? Für die Zulässigkeit spricht sich namentlich Geßner 2) aus; derselbe erachtet auch die von Galiani aufgestellte Einschränkung, wonach das Asyl nur in dem Fall zu gewähren sei, daß das verfolgt gewesene Schiff außer Dienst gestellt wird und bis zur Beendigung des Krieges in dem neutralen Hafen zu verbleiben sich verpflichtet, sowie daß dessen Besatzung sich verbindlich macht, nicht ferner an dem Kriege theilzunehmen, für unbegründet.3) Wir pflichten dieser Ansicht bei und würden eine Einschränkung, wie sie Galiani aufstellt, selbst in dem Falle nicht für gerechtfertigt erachten, wenn den Schiffen der Kriegführenden das Einlaufen in die Gewässer des betreffenden neutralen Staats beziehungsweise in den betreffenden Hafen verboten war, weil ein solches Verbot sich im Zweifel doch nur auf das ungezwungene Einlaufen bezieht.

Ortolan ist übrigens der Meinung, daß die Verpflichtung der Kriegführenden, sich im neutralen Seegebiet jeder Gefechtsaction zu enthalten, unter Umständen nicht zu rigoros aufzufassen sein dürfte. 4)

1) Surland, § 675; Twiss, II. § 177; Calvo, II. § 1078; v. Kaltenborn, a. a. D. S. 25; Marco, S. 41 u. v. a. Vergl. auch das russische Reglement von 1869 §§ 27 und 28.

2) D. d. N. S. 78.

3) S. auch v. Kaltenborn, II. S. 34, 35.

4) Er läßt sich hierüber dahin aus (II. S. 287 ff.): „La détermination un peu vague des portions de la mer réputées mers territoriales, la nature variée des côtes qui les bornent peuvent entraîner dans la pratique des infractions plutôt apparentes que réelles à la règle que nous venons d'exposer. Par exemple, si des navires ennemis se rencontrent dans des mers territoriales neutres baignant une étendue considérable de côtes a peu près désertes, incultes et non défendues, ces navires devront-ils oublier leur qualité d'ennemis? Faudra-t-il prendre à la lettre ces clauses de divers traités publics qui commandent l'abstention des hostilités dans tout l'espace des eaux mesuré à partir des côtes par la portée du canon? Celui qui veut forcer son ennemi légitime au combat devra-t-il attendre patiemment d'être bien sûr de se trouver au delà de cet espace pour commencer l'attaque, et fournir par là à cet ennemi la possibilité de lui échapper? En s'en tenant rigoureusement au principe, il est certain qu'on devrait agir ainsi. Cet espace de mer est soumis à l'empire et à la juridiction de l'État dont il baigne les côtes; de ce qu'il n'y a pas de forts ou de moyens de défense à proximité pour faire respecter cet empire, ce n'est

3) Als unstatthaft gilt ferner die unmittelbare Verfolgung eines das neutrale Seegebiet verlassenden feindlichen Kriegsoder Kauffahrteischiffs, weil eine solche den Beginn einer militärischen Action gegen den Feind auf neutralem Gebiet einschließen würde. 1) Es ist in diesem Sinne vielfach reglementarisch verordnet, in neuerer Zeit auch conventionell festgesetzt worden und darf als eine Regel des internationalen Rechts aufgestellt werden: daß ein Kriegsschiff, welches sich in einem neutralen Hafen befindet, nicht gleichzeitig mit einem Schiff des Gegners in See gehen, daß es vielmehr diesen Hafen erst verlassen darf, nachdem vierundzwanzig Stunden von jenem Zeitpunkt ab verfloffen sind, 2) und nicht früher, als bis das feindliche Schiff aus Sicht gekommen

pas une raison pour les puissances belligérantes de le mépriser. Il serait régulier de s'abstenir en toute situation de tout acte d'hostilité en deça de cette ligne qu'on appelle ligne de respect. Mais, en fait, on conçoit que les opérations militaires d'une action maritime ne comportent pas une précision mathématique aussi rigoureuse; que l'officier commandant, lorsqu'il n'a en vue qu'une côte inculte, inhabitée, dénuée de tout signe de la puissance territoriale, puisse se laisser entraîner au delà de la règle précise, et qu'il soit évident cependant qu'il n'a pas eu l'intention d'offenser l'État neutre ni de violer son droit d'empire. Nous pensons que les circonstances de faits pareils devraient entrer en ligne de compte comme causes d'excuse.

Mais la violation de l'immunité attachée au territoire neutre est surtout flagrante et manifeste lorsque des hostilités sont exercées dans des eaux closes, telles que celles des ports et des rades. C'est alors un droit et un devoir pour l'État auquel appartiennent ces ports et ces rades d'user contre les contrevenants de la force dont il dispose sur les lieux. Ainsi l'artillerie des forts et des batteries doit être employée contre l'attaquant pour l'obliger à discontinuer le combat. Il en est de mème dans des mers littorales, sur des côtes ouvertes oùr il existe des moyens de défense.

Les hostilités dont il est question ne constituent pas moins une grave infraction aux obligations envers les neutres lorsqu'elles ont lieu soit sur des rades foraines non fortifiées, soit même sur ces portions de la mer, découpées par des lignes droites tirées d'un cap à l'autre, que les Anglais appellent king's chambers, soit encore dans les baies formées par les embouchures des fleuves. L'absence des moyens de force pour réprimer cette infraction n'en diminue pas l'illégalité."

1) Jacobsen (S. 588) citirt eine Entscheidung Sir W. Scotts, welcher eine solche Verfolgung für zulässig erklärt, wenn das verfolgende Schiff den neutralen Hafen nicht zu seiner eigentlichen Station für Capturen gemacht hat, sondern zufällig dort lag und die Annäherung des Feindes bemerkte.

2) S. namentlich die Neutralitätserklärungen in den Anlagen, auf welche auch in Betreff gewisser Modificationen des Princips hingewiesen wird.

ist, sowie daß der neutrale Staat die Pflicht hat, soweit es in seiner Macht steht, für die Beobachtung dieser Regel einzutreten.

Dem nachfolgenden Auslaufen steht, da nur die Verfolgung des absegelnden Feindes unzulässig ist, nichts mehr entgegen, sobald der lettere, sei es noch in dem neutralen Seegebiet, sei es außerhalb desselben aber noch in Sicht von dem neutralen Plaß, ohne zwingenden Anlaß zu Anker gegangen ist; freilich wird der Neutrale unter Umständen Veranlassung zu nehmen haben, einem solchen Festlegen oder Beidrehen zum Zweck des weiteren Aufenthalts in seinem Gebiet entgegenzutreten.

II. Unzulässig ist ferner im neutralen Gebiet jede unmittelbare oder mittelbare Ausübung des Prisenrechts. Daraus folgt: Es darf daselbst weder gegen feindliche noch gegen neutrale Kauffahrteischiffe eine Anhaltung beziehungsweise Durchsuchung in Scene gesetzt werden oder eine Wegnahme oder Wiederwegnahme stattfinden. Jngleichen ist die Verfolgung eines Kauffahrteischiffs in neutrales Gebiet zum Zweck der Anhaltung, Durchsuchung oder Wegnahme ebenso unstatthaft, wie diejenige eines feindlichen Kriegsschiffs.')

Wird vorstehenden Grundsätzen zuwider auf neutralem Gebiet eine Prije gemacht, welche, abgesehen von dem Ort der Aufbringung, legal ist, so ist nur der neutrale Staat zuständig, die Legalität anzufechten. Die Handhabung einer parteilofen Neutralität begreift in einem solchen Fall die Pflicht, die Herausgabe der Prise an den oder die Eigenthümer zu fordern und je nach Lage der Verhältnisse selbst mit Gewalt die Freigabe zu bewerkstelligen; daneben hat der neutrale Staat einen Anspruch auf Genugthuung. 2) (S. auch § 58 IV.)

Es hat also in Fällen dieser Art der Eigenthümer der Prise ein selbstständiges Recht auf Anfechtung ihrer Legalität nicht; derselbe kann aus der Verletzung der Rechte eines Dritten, d. i. des neutralen Staats, eine Reclamation nicht herleiten. 3) Nach Anderer Meinung sind

1) Russisches Prisen-Reglement von 1869 § 20.

2) Von Interesse ist die amtliche Correspondenz, betreffend die Wegnahme der norddeutschen Bark „Frey“ durch den französischen Kriegsdampfer „Desair“ am 28. October 1870 in der Nähe der englischen Küste in Sicht des Leuchtthurms von Dungeneß; s. die Broschüre von Hopf: Die Wegnahme der „Frey“ in britischen Gewässern.

3) Wheaton, El. II. . 88, 89; Ortolan, II. S. 298; Phillimore, III. § 350; Hautefeuille, D. e. d. IV. S. 265 ff.; Bluntschli, § 786 Note 3; Hopf, a a. D.; Wildman, II. S. 147; Geßner, a. a. D. S. 344.

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