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neuen politischen Systems, zu welchem die fünf curo päischen Hauptmächte, nicht blos in ihrer gegenseitigen Bes zichung, sondern auch nach ihrer neugeordneten Stellung zu den gesammten übrigen europäischen Reichen und Staaten, sich vereinigt hatten, von welchen aber kein Abgeordneter zu dem Congresse von Aachen eingeladen worden war. Die beiden darauf folgenden Congresse, wo über die Angelegenheiten Neapels, Piemonts, Spaniens und Griechens lands entschieden ward, zeigten, in welchem Sinne die zu Aachen aufgestellten Grundsäge in Beziehung auf andere Staaten geltend gemacht wurden. - Um aber den Besorgnissen im Voraus zu begegnen, welche die übrigen, zum Aachner Cons gresse nicht eingeladenen, europäischen Mächte aus den wichs tigen Bestimmungen dieser Declaration schöpfen möchten, ward in der Petersburger Zeitung '), unmittelbar vor dem Abdrucke der Beschlüsse des Aachner Congresses, erklärt: „Ins dem wir den Hauptact und die beim Schlusse der freundschafts lichen Conferenzen bekannt gemachten Declarationen mittheilen, halten wir es für nöthig, zu bemerken, daß diese merkwürdigen Acten ganz und gar keine Bedingung enthalten, die dem schon von allen Mächten angenommenen Systeme der Einmüthigkeit und der Freiheit in den Grundsäßen fremd. sind, sondern vers mittelst dessen, ohne doch jemandes Unabhängigkeit anzugreifen, zugleich alle separate Bündnisse, die mit dem Ganzen der allgemeinen politischen Masse nicht verträglich sind, verworfen werden." — In demselben Geiste, aber unter mildern Formen, erklärte sich der Concipient der Aachner Declaration selbst in den Wiener Jahrbüchern 2) darüber: „Nirgends ist in den Aachner Verhandlungen ein Wort, das auf ein neues Tribunal, auf ein Amphiktyonengericht hindeutet. Die Souveraine, oder ihre Minister, sprachen in jenen Denkmälern nie anders, als im eigenen Namen, von ihren eigenen Verhandlungen, Grundsäßen und Wünschen; sie schreiben keinem andern Staate Regeln vor; sie maßen sich über Niemand den

1) Petersb. Zeit. vom 18. Dec. 1818.

2) Wiener Jahrb. 1819. St. 1. S. 314.

entferntesten Schein der Suprematie oder Gerichtsbarkeit an; sie erklären, daß sie, selbst bei künftigen persönlichen Vereinis gungen, wenn ihr gemeinschaftliches Interesse dergleichen rath sam machen sollte, sich nie mit den Angelegenheiten fremder Staaten, es sey denn, daß sie ausdrücklich dazu aufgefordert würden, beschäftigen wollen.“

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Die wichtigsten Ereignisse seit dem Aachnet Congresse.

Seit dem Congreffe von Aachen gehörte Frankreich unter die fünf europäischen Hauptmächte, welche das Schicksal des Erdtheils leiteten. Eine neue politische Ordnung der Dinge hatte seit dem Wiener Congresse im innern Leben der meisten Staaten und in ihren auswärtigen Verhalts nissen begonnen. Allein in mehreren Staaten zeigte sich auch unverkennbar eine gereizte Stimmung, die zum Theile noch aus der mächtigen Aufregung der Völker im Jahre 1813 zur Bekämpfung der Dictatur Napoleons herrührte, und zum Theile aus der zu rasch erwarteten und verlangten Befriedigung gewisser Bedürfnisse des öffentlichen Lebens hervorging. Daß in dieser Zeit selbst viele Schriftsteller eine zu überspannte Sprache führten, und durch den angenommenen Ton Mißtrauen und Besorgnisse bei den Mächtigen erregten, trat unvers fennbar hervor; und unláugbar ist in diesen wichtigen Jahren. der Entscheidung durch zu vorlaute Forderungen viel Gutes in seiner Entwickelung gehindert worden. Dazu kam Sands blutige That (23. März 1819), die den teutschen Boden ents weihte. Sehr ernsthafte Maasregeln wurden darauf zunächst von den Ministern der teutschen Regierungen zu Karlsbad beschlossen, und zu Frankfurt am Main (20. Sept. 1819) bekannt gemacht *). Bald darauf trat (25. Nov. 1819) zu Wien ein neuer Ministercongreß der sämmtlichen Mitglieder des teutschen Bundes zusammen, dessen Ergebniß in

*) Diese und die Ergebnisse der Schlußacte der teutschen Ministerials conferenzen werden unter Teutschland besonders aufgestellt.

ter, am 15. Mai 1820 zu Wien unterzeichneten, und am 8. Jun. zu Frankfurt als allgemeines Gesch aufgestellten, Schlußs acte der über Ausbildung und Befestigung des teutfchen. Bundes zu Wien gehaltenen Ministe rialconferenzen ausgesprochen ward.

Noch während der Zeit aber, daß diese Befchlüsse zue festern Gestaltung des teutschen Staatenbundes in Wien ge faßt würden, geschah es, daß in Spanien ein Theil des nach Amerika bestimmten Heeres die von den Cortes am 19. März 1812 bekannt gemachte Verfassung annahm, und bei seinem weitern Vordringen nach Madrid auch die übrigen Massen des Volkes und des Heeres dafür bestimmte, so daß der König Ferdinand 7 (März 1820) sich genöthigt sah, diese Verfassung anzuerkennen und zu beschwören *).

Bevor noch die europäischen Hauptmächte ihre Ansicht über dieses folgenreiche Ereigniß aussprachen, folgte das neapolitanische Heer dem Vorgange des spanischen (2. Jul. 1820), so daß der König Ferdinand 4 von Neapel gleichs falls - doch unter den für Neapel nöthigen Modificationen die spanische Verfassung annehmen mußte.

Beide Ereignisse veranlaßten die fünf Hauptmächte Euros pens, auf einem Congresse sich zu versammeln, der (20. Det. 1820) in Troppau begann, und sodann (6. Jan. 1821) nach Laybach verlegt ward. Kaum war aber das selbst der Aufbruch eines dstreichischen Heeres nach Neapel beschlossen und der Feldzug eröffnet worden, als auch (9. März 1821) in Piemont eine ähnliche Revolution von einem Theile des sardinischen Heeres versucht, und, durch die Führer desselben, von dem Könige von Sardinien die Annahme der spanischen Verfassung verlangt ward. Allein sowohl die Res volution in Neapel, als die in Piemont, ward, nach dem Vordringen östreichischer Heeresmaffen, schnell unterdrückt, und in beiden Reichen die alte Ordnung der Dinge hergestellt.

*) Diese Vorgänge in Spanien, Portugal, Neapel, Piemont und Griechenland werden in der Specialgeschichte dieser Staaten ausführlich dargestellt.

Bon weit längerer Dauer und größern Folgen war das gegen der Aufstand der Griechen gegen die Türken, der (März 1821), noch während des Beisammenseyns der europäischen Hauptmächte zu Laybach, zugleich in der Mols dau und in Morea begann.. Der Wohlstand, zu dem die Griechen auf den Inseln durch ihre glücklichen Handelsunters nehmungen während der leßten Kriege sich erhoben; die neus europäischen politischen Ansichten, welche in den Herzen der aufblühenden griechischen Jünglinge einen fruchtbaren Boden fanden; die Nähe des, unter brittischem Schuße stehenden, jonischen Freistaates, und die innige, unter dem Namen Hes tária, schon im Jahre 1814 zur Zeit des Wiener Congresses geschlossene, wissenschaftlich - politische Verbindung, führten dieses Ergebniß herbei, bei welchem Ypsilanti, nach seiner bes stimmten Erklärung, auf auswärtige Unterstügung rechnete. Allein der gewählte Zeitpunct, wo Fürsten und Diplomaten mit Ernst und Militairgewalt die als revolutionair bezeichneten Bewegungen im Innern der Staaten bekämpften, war der Sache der Griechen höchst ungünstig. Der Kaiser Alexander, damals zu Laybach anwesend, betrachtete den Schritt Ypsilanti's, den er aus der Reihe seiner Generale strich), und die Sache der Griechen aus dem Gesichtspuncte einer Revolution; so blieben die Griechen sich selbst überlassen. Die Moldau ward daher bald wieder von den Türken bezwungen; dagegen ges wann die Sache der Griechen in Morea und auf den Inseln des Archipelagus, ungeachtet aller Kämpfe und Grausamkeiten der Türken gegen die Griechen, so bedeutende Fortschritte, daß die europäischen Hauptmächte, theils wegen dieser Angelegenheit, theils wegen der fortdauernden Bewegung in Spanien, zu Verona (Oct. 1822) zu einem neuen Congresse zus sammentraten, dessen Ergebnisse in einer Circulardepesche von den Ministern Oestreichs, Rußlands und Preußens (14. Dec. 1822) bekannt gemacht wurden.

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Ergebnisse des Congresses zu Troppau-Laybach. Das erste wichtige Actenstück des Troppau - Laybacher Congresses war eine Circulardepesche der Höfe von Vōlip Weltgeschichte IV. 6te Auf.

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Destreich, Rußland und Preußen an ihre Ge sandten und Geschäftsträger bei den teutschen und nordischen Höfen vom 8. December 1820. Sie hatte die Bestimmung, die falschen Gerüchte über den Zweck und die Resultate der Troppauer Conferenzen zu beseitigen. „Die Begebenheiten vom 8. März in Spanien, die vom 2. July in Neapel, und die Katastrophe von Portugal hätten nothwendig bei allen, welche für die Ruhe der Staaten zu forgen verpflichtet wären, ein tiefes Gefühl von Besorgniß und Kummer erwecken, zugleich aber ein Bedürfniß rege machen müssen, sich zu vereinigen, und gemeinschaftlich in Erwägung zu ziehen, wie allen den Uebeln, die über Europa auszubrechen drohten, zu begegnen sey. Es sey natürlich gewesen, daß diese Gefühle mit besonderer Lebhaftigkeit auf die Mächte wirken mußten, welche neuerlich die Revolution besiegt hatten, und sie ihr Haupt wieder emporheben sahen; eben so natürlich, daß diese Mächte, um ihr zum drittens male zu widerstehen, zu denselben Mitteln ihre Zuflucht nahmen, wovon fie in jenem denkwürdigen Kampfe, der Europa von einem zwanzigjährigen Joche befreite, so glücks lichen Gebrauch gemacht hatten. Es hätten daher zu Trops pau die Minister, welche daselbst von ihren Monarchen uns mittelbar mit bestimmten Vorschriften versehen werden konn ten, über Grundsähe des Verfahrens in Bezug auf Staaten sich vereiniget, deren Regierungsform eine gewaltsame Zerstdrung erlitt, und über die friedlichen oder zwingenden Maaßregeln, die in Fällen, wo eine wesentliche und heilsame Einwirkung sich erwarten ließ, solche Staaten in den Schoos des Bundes zurückführen könnten." Dann fährt diese Des pesche, in Beziehung auf die Revolution in Neapel, fort: ,,Da die Revolution von Neapel täglich mehr Wurzel faßt; da keine andere die Ruhe der benachbarten Staaten so lange und so augenscheinlich in Gefahr seht; da auf keine andere so unmittelbar und so schnell gewirkt werden kann; so übers zeugte man sich von der Nothwendigkeit, in Rücksicht auf das Königreich beider Sicilien nach den oben angeführten Grundfäßen zu verfahren. Um zu diesem Ende versöhnende Maasregeln einzuleiten, beschlossen die zu Troppau versam

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