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Vorhang ein wenig lüftet, wie um dir den Gott zu zeigen. Was siehst du dann? Ein Krokodil, eine inländische Schlange oder irgend ein anderes gefährliches Thier. Damit erscheint dir der Gott der Ägypter, eine Bestie, die sich auf einem Purpurteppich herumwälzt. -Man hat nicht nöthig, nach Ägypten zu reisen und so hoch in der Geschichte hinaufzugehen, um auf die Verehrung des Krokodils zu stoßen: man kann ihr gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in Frankreich begegnen. Leider liegen hundert Jahre zwischen uns und jenem Jahrzehnt, eine zu lange Zeit, um uns ein richtiges Bild zu gestatten. Heutzutage erblicken wir am Horizont heitere, uns wegen der Luftschichte, die dazwischen liegt, nur noch verschönerte Gestalten, schwankende Umrisse, die jeder Zuschauer nach seinem Geschmack auffasst, keine scharfgefassten echtmenschlichen Züge, sondern nur einen Haufen von schwankenden Umrissen, die leichtbeweglich um die malerischen Bauten sich bilden oder zerfließen. Ich wollte diese schwankenden Umrisse in der Nähe ansehen und habe mich in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts versezt und dort zwölf Jahre gelebt und, so gut ich konnte, wie Clemens von Alexandrien, zuerst den Tempel, dann den Gott scharf ins Auge gefasst. Es genügte aber nicht bloß mit dem leiblichen Auge, ich musste auch die Theologie erfassen, welche diesen Cult begründete, das sind die Dogmen, die 1789 proclamiert, vorher aber von Jean Jacques Rousseau aufgestellt wurden: sie heißen VolksSouveränität, Menschenrechte, Gesellschaftsvertrag, und sind leidlich bekannt. Nachdem sie einmal angenommen waren, haben sie aus sich selbst ihre praktischen Folgen entwickelt. Nach Verfluss von drei Jahren haben sie das Krokodil in den Tempel gebracht und hinter dem goldenen Vorhang auf dem Teppich von Purpur aufgestellt. In der That, durch Regsamkeit seiner Kinnbacken und der Fassungskraft seines Magens war es zum voraus für diesen Plaz bestimmt und in seiner Eigenschaft als böses und menschenfressendes Vieh ist es ein Gott geworden. Wer das einmal begriffen hat, der lässt sich weder durch die Formeln blenden, die es weihen, noch durch die Pracht täuschen, die es umgibt; man kann es nur als ein gemeines Vieh ansehen, es in seinen verschiedenen Stellungen beobachten, wenn es auf die Lauer geht, wenn es mit den Klauen packt, wenn es frisst, wenn es hinunterschlingt, wenn es verdaut. Ich habe ganz im einzelnen den Bau, die Bildung und das Spiel seiner Organe studiert, sein Thun und seine Gewohn= heiten, seine Neigungen, seine Fähigkeiten und seine Begierlichkeit mir ge= merkt. Der Stoff war überreich, ich habe Tausende von Einzelbemerkungen mir niedergeschrieben, Hunderte von allen Gattungen mir zergliedert, mir nur die merkwürdigen Arten und die charakteristischen Exemplare vorbehalten. Doch der Plaz fehlt mir, ich musste manches aufgeben; meine Sammlung war zu reich geworden. Was ich vorführen durfte, findet man in diesem Buch, etwa zwanzig individuelle Gestalten von verschiedener Bildung, welche

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ich, was schwierig ist, lebendig zu erhalten versuchte, wenigstens sind sie ungefärbt und vollständig, namentlich die drei dicksten, welche in ihrer Art mir wahrhaft merkwürdige Thiere zu sein scheinen, Thiere, wie die Gottheit jener Zeit sich in keinem bessern verkörpern konnte. Wahrheitsgetreue und wohlerhaltene Küchenbücher zeigen uns, wie kostspielig dieser Cult war; man kann ganz genau berechnen, wie viel die heiligen Krokodile in zehn Jahren gefressen haben, ihre Leibspeisen und ihr gewöhnliches Mahl. Natürlich wählte sich der Gott die fettesten Opfer, doch seine Gefräßigkeit war so groß, dass er blindlings auch die mageren hinunterschlang und in größeren Mengen als die fetten: übrigens kraft seiner Begier und durch eine unfehlbare Wirkung seiner Stellung fraß er ein oder zweimal in jedem Jahre Seinesgleichen, sofern er nicht von ihnen gefressen wurde."

So urtheilt in unserem Jahrzehnt ein Franzose über die Revolution, die man sonst die große nennt, und auf die viele Franzosen heute noch stolz sind. Die gute Meinung darüber, meint er, sei erst Mode geworden seit 1825, wo die Zeitgenossen derselben weggestorben waren, und Frankreich allmählich zu einer neuen Revolution Neigung fasste; erst von da an habe man begonnen, Krokodile für Philanthropen zu halten, weil einige unter ihnen nur Schuldige fraßen und doch etwas Genie und Vaterlandsliebe in ihnen zu finden wäre.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

welch schöne Namen, wenn sie

im richtigen Sinne erfasst und verwirklicht werden.') Welch schreckliche Erinnerungen erwecken sie, wenn wir an die Jahre 1792-1795 in der französischen Revolution denken. Unter Freiheit wurde Zügellosigkeit verstanden, Sprengung aller Bande, ob guter oder böser, nüglicher oder schädlicher. Aus der falsch verstandenen Gleichheit erwuchs die allgemeine Erniedrigung, und die verheißene Brüderlichkeit verwandelte sich bald in den allgemeinen Verdacht, in den Bürgerkrieg, in die Selbstzerfleischung des Volkes. Wie rasch haben die Franzosen in drei Jahren das Capital von dreizehn Jahrhunderten aufgehaust! Wie viel ist nicht, seit mit Chlodwig die wilden Franken getauft wurden, in Frankreich für ein edleres Leben von hochgesinnten Männern und Frauen gestiftet worden! Schulen, Krankenhäuser, Klöster, Kirchen - wie schnell war alles zugrunde gerichtet, waren die Milliarden des Vermögens der Kirche vergeudet - alles aufgezehrt im Namen der Freiheit, Gleichheit,

1) Es sind christliche Namen, die Revolutionspartei hasste aber die christliche Weltanschauung. Dagegen nennt der edle Greis, der unter dem Namen Leo XIII. die Zierde des Römischen Stuhles ist, in der herrlichen Sammlung seiner Rundschreiben: „Die Freiheit, das herrlichste Gut, welches die Natur uns gegeben" (III. Sammlung der Rund schreiben, verfasst von Leo XIII. S. 6), und hebt hervor, wie niemand die Freiheit nebst der Einfachheit, Geistigkeit und Unsterblichkeit des Geistes lauter verkündet hat, als die katholische Kirche (S. 10). Die Freiheit besteht aber in einem Staate nicht darin, dass jeder thun kann, was er will, sondern darin, dass jeder nach dem Geseze und der gesunden Vernunft leben kann".

Brüderlichkeit, ohne einen Gedanken, was die künftige Zeit bedürfe. Die Ehegeseze vor der Revolution zum Beispiel waren streng. 1793 wurde die Civilehe eingeführt und die alte Strenge des christlichen Familienlebens nahm rasch ab. Die Erklärung der Unzufriedenheit eines der Gatten vor dem Richter genügte zur Ehescheidung. Mit einem Leichtsinn ohnegleichen wurden infolge davon Ehen geschlossen und wieder gelöst. Die Gesellschaft war in kurzer Zeit wie aufgelöst, ein Chaos. Religion, Rechtschaffenheit, Schamhaftigkeit waren in kurzer Zeit wie verflogen, aber auch der edlere Genius der Nation. Der Abschluss der Ehe war ein Fleischhandel. Im Jahre 1797 gab es in Paris mehr denn 20.000 geschiedene Gatten. Von verbotenen Verwandtschaftsgraden redete man gar nicht mehr. Und in welcher Verwilderung wuchsen die armen Kinder solcher Ehen auf.

Graz, 14. September 1894.

Dr. J. B. v. Weiß.

Inhalts-Verzeichnis.

Die französische Revolution. Vom 6. October 1789 bis zum 30. Septem-
ber 1791.

Vom Umzuge des Königs nach Paris bis zum Ende der National-Versammlung.
Die National-Versammlung in Paris.

Angriff auf das Kirchenvermögen

Ende der Provinzen. Anfang der Departements. Die Wahlordnung
Untergang der Parlamente. Die Versammlung begibt sich der Regierung
Mirabeau verbindet sich mit dem König

Die Geschichte von Favras

Der Bürgereid

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Das Heer. Das Recht über Krieg und Frieden

Die Aufhebung des Erbadels am 19. Juni 1790

Seite

1-259

1

4

11

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30

40

42

51

Das große Bundesfest am 14. Juli 1790

56

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Mirabeau und Montmorin verbinden sich zur Rettung der Monarchie. Mirabeaus

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Vom Tode Mirabeaus bis zur Flucht des Königs nach Varennes

161

Ostern 1791 in Paris

166

Kaiser Leopold II. Die Emigranten

174

Die National-Versammlung. Nichtwiederwahl. Die Guillotine. Raynal

176

Die Flucht des Königs nach Varennes

185

Zurück von Varennes nach Paris!

206

Das Interregnum. 25. Juni bis 30. September 1791. Was soll aus dem König

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Das Geseß gegen die Auswanderer.

333

Die geseßgebende Versammlung gegen die eidweigernden Priester. Das Veto des
Königs

341

Der Hof und die Parteien. Pétion, Maire von Paris .

357

Die Schweizer von Chateauvieux .

365

Kriegsfrage

371

Narbonne, Kriegsminister 7. December 1791 bis 9. März 1792

378

Steigende Aufregung in Paris. Die Pike und die rothe Müze

396

Minister Narbonne entlassen. Delessart angeklagt. Das ganze Feuillans-Ministe

rium fällt.

401

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Das Lager der Föderierten. Fall des Ministeriums der Girondisten

505

Der 20. Juni 1792

528-599

Folgen des 20. Juni 1792

553

Der 20. Juni in den Departements. Misshandlung der Priester .

560

Lafayette in Paris. Pläne zur Rettung des bedrängten Königs. Lafayette, Lally-
Tolendal und Montmorin

564

Steigende Aufregung. Vergniauds Rede gegen den König am 3. Juli 1792

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Die lezten Verhandlungen des geseßgebenden Körpers vor dem 10. August

612

Es wird Ernst mit dem Kriege. Das Manifest des Herzogs von Braunschweig. Kaiser Franz II.

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