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XII

Ueber den Gartenkalender auf das Jahr 1795.

Schöne Künste.

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Tübingen, b. Cotta: Taschenkalender auf das Jahr 1795 für Natur und Gartenfreunde. Mit Abbildungen von Hohenheim und andern Kupfern. 290 S. gr. 12.

5 Seit den Hirschfeldischen Schriften über die Gartenkunst ist die Liebhaberey für schöne Kunstgärten in Deutschland immer allgemeiner geworden, aber nicht sehr zum Vortheil des guten Geschmacks, weil es an festen Principien fehlte und alles der Willkühr überlassen blieb. Den irregeleiteten Geschmack in dieser Kunst zu berichtigen, werden 10 in diesem Kalender vortreffliche Winke gegeben, die von dem Kunstfreunde näher geprüft, und von dem Gartenliebhaber befolgt zu werden verdienen.

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Es ist gar nichts ungewöhnliches, daß man mit der Ausführung einer Sache anfängt, und mit der Frage: ob sie denn auch wohl 15 möglich sey? endigt. Dieß scheint besonders auch mit den so allgemein beliebten ästhetischen Gärten der Fall zu seyn. Diese Geburten des nördlichen Geschmacks sind von einer so zweydeutigen 100 Ab'kunft, und haben bis jeßt einen so unsichern Charakter gezeigt, daß es dem ächten Kunstfreunde zu verzeihen ist, wenn er sie kaum einer flüchtigen Aufmerksamkeit würdigte, und dem Dilettantism zum Spiele

A: Allgemeine Literatur-Zeitung. Numero 332. Sonnabends, den 11. October 1794. Sp. 99–104. B: Kleinere prosaische Schriften, Th. 4 (1802), 6. 225 ff. K: Werke 1813. 8, 2, 290 ff. b: Dieselben, andrer Druck. B: Werke 1844. 10, 429. M: Werke 1860. 12, 318 ff.

1: fehlt A.
16: ästhe

14: Tübingen bey (bei W M) Cotta. B-M. — 5: Hirschfeld'schen K.
tischen Gärten B b (und so find alle in A gesperrten Worte in B b nicht gesperrt.)
17: zweideutigen b.

Siller, sämmtl. Schriften. Hist.-krit. Ausg. X.

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dahin gab. Ungewiß, zu welcher Classe der schönen Künste sie sich eigentlich schlagen solle, schloß sich die Gartenkunst lange Zeit an die Baukunst an, und beugte die lebendige Vegetation unter das steise Joch mathematischer Formen, wodurch der Architect die leblose schwere 5 Masse beherrscht. Der Baum mußte seine höhere organische Natur verbergen, damit die Kunst an seiner gemeinen Körpernatur ihre Macht beweisen konnte. Er mußte sein schönes selbstständiges Leben für ein geistloses Ebenmaaß, und seinen leichten schwebenden Wuchs für einen Anschein von Festigkeit hingeben, wie das Auge sie von 10 steinernen Mauern verlangt. Von diesem seltsamen Jrrweg kam die Gartenkunst in neuern Zeiten zwar zurück, aber nur, um sich auf dem entgegengesezten zu verlieren. Aus der strengen Zucht des Architects flüchtete sie sich in die Freyheit des Poeten, vertauschte plößlich die härteste Knechtschaft mit der regellosesten Licenz, und 15 wollte nun von der Einbildungskraft allein das Gesez empfangen. So willkührlich, abentheuerlich und bunt, als nur immer die sich selbst überlassene Phantasie ihre Bilder wechselt, mußte nun das Auge von einer unerwarteten Decoration zur andern hinüberspringen, und die Natur, in einem größern oder kleinern Bezirk, die ganze Mannich 20 faltigkeit ihrer Erscheinungen, wie auf einer Musterkarte, vorlegen. So wie sie in den französischen Gärten ihrer Freyheit beraubt, da für aber durch eine gewisse architectonische Uebereinstimmung und Größe entschädiget wurde; so sinkt sie nun, in unsern sogenannten englischen Gärten, zu einer kindischen Kleinheit herab, und hat sich 25 durch ein übertriebenes Bestreben nach Ungezwungenheit und Vannichfaltigkeit von aller schönen Einfalt entfernt, und aller Regel entzogen. In diesem Zustande ist sie größtentheils noch, nicht wenig begünstigt von dem weichlichen Charakter der Zeit, der vor aller Bestimmtheit der Formen flieht, und es unendlich bequemer findet, die Gegenstände 30 nach seinen Einfällen zu modeln, als sich nach ihnen zu richten. Da es so schwer hält, der ästhetischen Gartenkunst ihren Plat unter den schönen Künsten anzuweisen, so könnte man leicht auf die

2: sollte, K. 12—13: Architects] (Die starke Form braucht Schiller auch sonst: Ein Marmorblock kann lebende Gestalt durch den Architekt und Bildhauer werden. Aesthet. Erziehung, 15. Brief, S. 82–83.) —

springen, B b.

-

21: Freiheit B 6.

13: Freiheit b.

- 18: hinüber

Vermuthung gerathen, daß sie hier gar nicht unterzubringen sey. Man würde aber Unrecht haben, die verunglückten Versuche in derselben gegen ihre Möglichkeit überhaupt zeugen zu lassen. Jene beiden entgegengeseßten Formen, unter denen sie bis jeßt bey uns aufgetreten 5 ist, enthalten etwas wahres, und entsprangen beide aus einem gegründeten Bedürfniß. Was erstlich den architectonischen Geschmack betrifft, so ist nicht zu läugnen, daß die Gartenkunst unter Einer Kategorie mit der Baukunst stehet, obgleich man sehr übel gethan hat, die Verhältnisse der leztern auf sie anwenden zu wollen. Beide Künste ent10 sprechen in ihrem ersten Ursprunge einem physischen Bedürfniß, welches zunächst ihre Formen bestimmt, bis das entwickelte Schönheitsgefühl auf Freyheit dieser Formen drang, und zugleich mit dem Verstande der Geschmack' seine Foderungen machte. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, sind beide Künste nicht vollkommen frey, und die Schön- 101 15 heit ihrer Formen wird durch den unnachlaßlichen physischen Zweck jederzeit bedingt und eingeschränkt bleiben. Beide haben gleichfalls mit einander gemein, daß sie die Natur durch Natur, nicht durch ein künstliches Medium nachahmen, oder auch gar nicht nachahmen, sondern neue Objecte erzeugen. Daher mochte es kommen, daß man 20 sich nicht sehr streng an die Formen hielt, welche die Wirklichkeit darbietet, ja sich wenig daraus machte, wenn nur der Verstand durch Ordnung und Uebereinstimmung und das Auge durch Majestät oder Anmuth befriediget wurde, die Natur als Mittel zu behandeln, und ihrer Eigenthümlichkeit Gewalt anzuthun. Man konnte sich um so eher 25 dazu berechtigt glauben, da offenbar in der Gartenkunst wie in der Baukunft durch eben diese Aufopferung der Naturfreyheit sehr oft der physische Zweck befördert wird. Es ist also den Urhebern des architectonischen Geschmacks in der Gartenkunst einigermaßen zu verzeihen, wenn sie sich von der Verwandschaft, die in mehrern Stücken zwi30 schen diesen beiden Künsten herrscht, verführen ließen, ihre ganz verschiedenen Charaktere zu verwechseln, und in der Wahl zwischen Ordnung und Freyheit die erstere auf Kosten der andern zu begünstigen.

Bb.

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29: Verwandtschaft, B b.

12: Freiheit B b. 13: Forderungen K W M. - Gesichtspuncte b. 15: unnachläßlichen B b K W M. (Vgl. oben zu S. 92, 3. 29.) jette B. 21: därbietet B. 26: Naturfreiheit B b. 32: Freiheit b.

Auf der andern Seite beruht auch der poetische Gartengeschmack auf einem ganz richtigen Factum des Gefühls. Einem aufmerksamen Beobachter seiner selbst konnte es nicht entgehen, daß das Vergnügen, womit uns der Anblick landschaftlicher Scenen erfüllt, von der Vor5 stellung unzertrennlich ist, daß es Werke der freyen Natur, nicht des Künstlers, sind. Sobald also der Gartengeschmack diese Art des Genusses bezweckte, so mußte er darauf bedacht seyn, aus seinen Anlagen alle Spuren eines künstlichen Ursprungs zu entfernen. Er machte sich also die Freyheit, so wie sein architectonischer Vorgänger 10 die Regelmäßigkeit zum obersten Geseß; bey ihm mußte die Natur, bey diesem die Menschenhand siegen. Aber der Zweck, nach dem er strebte, war für die Mittel viel zu groß, auf welche seine Kunst ihn beschränkte; und er scheiterte, weil er aus seinen Grenzen trat, und die Gartenkunst in die Mahlerey hinüberführte. Er 15 vergaß, daß der verjüngte Maaßstab, der der leztern zu statten kommt, auf eine Kunst nicht wohl angewendet werden konnte, welche die Natur durch sich selbst repräsentirt, und nur in sofern rühren kann, als man sie absolut mit Natur verwechselt. Kein Wunder also, wenn er über dem Ringen nach Mannichfaltigkeit ins Tändel20 hafte, und weil ihm zu den Uebergängen, durch welche die Natur ihre Veränderungen vorbereitet und rechtfertigt, der Raum und die Kräfte fehlten, ins Willkührliche verfiel. Das Ideal, nach dem er strebte, enthält an sich selbst keinen Widerspruch; aber es war zweckwidrig und grillenhaft, weil auch der glücklichste Erfolg die un25 geheuren Opfer nicht belohnte.

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Soll also die Gartenkunst endlich von ihren Ausschweifungen zurückkommen, und wie ihre andern Schwestern zwischen bestimmten und bleibenden Grenzen ruhn, so muß man sich vor allen Dingen deutlich gemacht haben, was man denn eigentlich will; eine Frage, woran 102 30 man, in Deutschland wenigstens, noch nicht genug gedacht zu haben scheint. Es wird sich alsdann wahrscheinlicherweise ein ganz guter Mittelweg zwischen der Steifigkeit des französischen Gartengeschmacks und der geseßlosen Freyheit des sogenannten englischen finden; es wird sich zeigen, daß sich diese Kunst zwar nicht zu so hohen Sphären 15: Maßstab, B. 17: insofern B b. 28: ruhen, W M.

9: Freiheit b. 33: Freiheit b.

versteigen dürfe, als uns diejenigen überreden wollen, die bey ihren Entwürfen nichts als die Mittel zur Ausführung vergessen, und daß es zwar abgeschmackt und widersinnig ist, in eine Gartenmauer die Welt einschließen zu wollen, aber sehr ausführbar und vernünftig, 5 einen Garten, der allen Foderungen des guten Landwirths entspricht, sowohl für das Auge, als für das Herz und den Verstand zu einem charakteristischen Ganzen zu machen.

Dieß ist es, worauf der geistreiche Vf. der fragmentarischen Beyträge zur Ausbildung des deutschen Gartengeschmacks, 10 in diesem Kalender, vorzüglich hinweis't, und unter allem, was über diesen Gegenstand je mag geschrieben worden seyn, ist uns nichts bekannt, was für einen gesunden Geschmack so befriedigend wäre. Zwar sind seine Ideen nur als Bruchstücke hingeworfen, aber diese Nachlässigkeit in der Form erstreckt sich nicht auf den Inhalt, der 15 durchgängig von einem feinen Verstande und einem zarten Kunstgefühle zeugt. Nachdem er die beiden Hauptwege, welche die Gartenkunst bisher eingeschlagen, und die verschiedenen Zwecke, welche bey Gartenanlagen verfolgt werden können, namhaft gemacht und gehörig gewürdiget hat, bemüht er sich, diese Kunst in ihre wahren Grenzen 20 und auf einen vernünftigen Zweck zurückzuführen, den er mit Recht „in eine Erhöhung desjenigen Lebensgenusses seßt, den der Umgang „mit der schönen landschaftlichen Natur uns verschaffen kann.“ Er unterscheidet sehr richtig die Gartenlandschaft (den eigentlichen englischen Park), worin die Natur in ihrer ganzen Größe und Frey25 heit erscheinen, und alle Kunst scheinbar verschlungen haben muß, von dem Garten, wo die Kunst, als solche, sichtbar werden darf. Ohne der erstern ihren ästhetischen Vorzug streitig zu machen, begnügt er sich, die Schwierigkeiten zu zeigen, die mit ihrer Ausführung verknüpft, und nur durch außerordentliche Kräfte zu besiegen sind. Den 30 eigentlichen Garten theilt er in den großen, den kleinen und mittlern,

5: Forderungen K W M. 7: Vf. (Schiller an Dannecker, Jena, 5. Oct. 1794: „Rapps Aufsätze im Gartenkalender haben mir viel Vergnügen gemacht; in einem öffentlichen Blatte wird Er meine Meinung darüber finden.“ A. v. Keller, Beiträge zur Schillerlitteratur. 1859. S. 53. Heinrich v. Rapp, Hofrath und Bankdirector, starb 9. März 1832 in Stuttgart. K. G.) — 10: unter allem was B b. 14: Nachläßigkeit B. 16: beyden B. 19: Gränzen B. 24-25: Freiheit b. 30: fleinern B W M.

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