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Gesichtsmuskeln sind angespannt, aller wahre natürliche Ausdruck verschwindet, und der ganze Mensch ist wie ein versiegelter Brief. Aber die falsche Würde hat nicht immer Unrecht, das mimische Spiel ihrer Züge in scharfer Zucht zu halten, weil es vielleicht mehr aussagen 5 könnte, als man laut machen will; eine Vorsicht, welche die wahre Würde freylich nicht nöthig hat. Diese wird die Natur nur beherrschen, nie verbergen; bey der falschen hingegen herrscht die Natur nur desto gewaltthätiger innen, indem sie außen bezwungen ist. * Schiller.

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* Indessen giebt es auch eine Feyerlichkeit im guten Sinn, wovon die kunst Gebrauch machen kann. Diese entsteht nicht aus der Anmassung, sich wichtig zu machen, sondern sie' hat die Absicht, das Gemüth auf etwas wichtiges vor- 229 zubereiten. Da wo ein großer und tiefer Eindruck geschehen soll, und es dem Dichter darum zu thun ist, daß nichts davon verloren gehe, so stimmt er das 15 Gemüth vorher zum Empfang deffelben, entfernt alle Zerstreuungen und setzt die Einbildungskraft in eine Erwartungsvolle Spannung. Dazu ist nun das Feyerliche sehr geschickt, welches in Häufung vieler Anstalten besteht, wovon man den Zweck nicht absieht, und in einer absichtlichen Verzögerung des Fortschritts, da, wo die Ungeduld Eile fodert. In der Musik wird das Feierliche durch eine 20 langsame gleichförmige Folge starker Töne hervorgebracht; die Stärke erweckt und spannt das Gemüth, die Langsamkeit verzögert die Befriedigung, und die Gleichförmigkeit des Takts läßt die Ungeduld gar kein Ende absehen.

Das Feierliche unterstützt den Eindruck des großen und erhabenen nicht wenig, und wird daher bey Religionsgebräuchen und Mysterien mit großem Erfolg 25 gebraucht. Die Wirkungen der Glocken, der Choralmusik, der Orgel sind bekannt; aber auch für das Auge gibt es ein Feyerliches, nehmlich die Pracht, verbunden mit dem Furchtbaren, wie bey Leichenzeremonien, und bey allen öffentlichen Aufzügen, die eine große Stille, und einen langsamen Takt beobachten.

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VI.

Dom Erhabenen.

(Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen.)

Erhaben nennen wir ein Objekt, bey dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Ueberlegenheit, ihre Freyheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den Kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch d. i. durch Ideen erheben.

Nur als Sinnenwesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen find wir frey.

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Der erhabene Gegenstand giebt uns erstlich: als Naturwesen unsre Abhängigkeit zu empfinden, indem er uns zweytens: mit der Unabhängigkeit bekannt macht, die wir als Vernunftwesen über die 3 Natur, sowohl in uns als ausser uns behaupten.

Wir sind abhängig, insofern etwas ausser uns den Grund enthält, warum etwas in uns möglich wird.

Solange die Natur ausser uns den Bedingungen conform ist, unter welchen in uns etwas möglich wird, solange können wir unsre Abhängigkeit nicht fühlen. Sollen wir uns derselben bewußt werden, so muß die Natur mit dem was uns Bedürfniß, und doch nur durch ihre Mitwirkung möglich ist, als streitend vorgestellt werden, oder, was eben soviel sagt, fie muß sich mit unsern Trieben im Widerspruch befinden.

Nun lassen sich alle Triebe, die in uns, als Sinnenwesen, wirksam sind, auf zwey Grundtriebe zurück führen. Erstlich besißen wir einen Trieb unsern Zustand zu verändern, unsre Existenz zu äußern, wirksam zu seyn, welches alles darauf hinausläuft, uns Vorstellungen

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TH. 3,

A: Neue Thalia, Bd. 3 (1793), S. 320–394 und 4, S. 52–73. (Döring Nachlese S. 240 ff. und Hoffmeister Nachlese Bd. 4, S. 520 ff. 320-366 find nicht verglichen.)

zu erwerben, also Vorstellungstrieb, Erkenntnißtrieb heißen kann. Zweytens besißen wir einen Trieb unsern Zustand zu erhalten, unsere Eristenz fort'zusehen, welches Trieb der Selbsterhaltung genannt wird. 322 Der Vorstellungstrieb geht auf Erkenntniß, der Selbsterhaltungs5 trieb auf Gefühle, also auf innre Wahrnehmungen der Existenz.

Wir stehen also durch diese zweyerley Triebe in zweyfacher Abhängigkeit von der Natur. Die erste wird uns fühlbar, wenn es die Natur an den Bedingungen fehlen läßt, unter welchen wir zu Erkenntnissen gelangen; die zweyte wird uns fühlbar, wenn sie den 10 Bedingungen widerspricht, unter welchen es uns möglich ist, unsre Existenz fortzusehen. Eben so behaupten wir durch unsere Vernunft eine zweyfache Unabhängigkeit von der Natur: erstlich: indem wir (im theoretischen) über Naturbedingungen hinausgehen, und uns mehr denken können, als wir erkennen; zweytens: indem wir (im 15 praktischen) uns über Naturbedingungen hinwegseßen, und durch unsern Billen unsrer Begierde widersprechen können. Ein Gegenstand, bey dessen Wahrnehmung wir das erste erfahren, ist theoretisch groß, ein Erhabenes der Erkenntniß. Ein Gegenstand, der uns die Unabhängigkeit unsers Willen zu empfinden giebt, ist praktisch groß, 20 ein Erhabenes der Gesinnung.

Bey dem Theoretischerhabenen steht die Natur als Objekt der 323 Erkenntniß, im Widerspruch mit dem Vorstellungstriebe. Bey dem Praktischerhabenen steht sie als Objekt der Empfindung, im Widerspruch mit dem Erhaltungstrieb. Dort wurde sie bloß als ein 25 Gegenstand betrachtet, der unsre Erkenntniß erweitern sollte; hier wird sie als eine Macht vorgestellt, die unsern eigenen Zustand bestimmen kann. Kant nennt daher das Praktischerhabene das Erhabene der Macht oder das Dynamischerhabene, im Gegensaß von dem Mathematischerhabenen. Weil aber aus den Begriffen dynamisch und 30 mathematisch gar nicht erhellen kann, ob die Sphäre des Erhabenen durch diese Eintheilung erschöpft sey oder nicht, so habe ich die Eintheilung in das Theoretisch- und Praktisch-Erhabene vorgezogen.

Auf was Art wir in Erkenntnissen von Naturbedingungen ab35 hängig sind, und dieser Abhängigkeit uns bewußt werden, wird bey 3: welches] (Vielleicht ist „welcher“ zu lesen)

Entwicklung des Theoretischerhabenen hinreichend ausgeführt werden. Daß unsre Existenz als Sinnenwesen, von Naturbedingungen ausser uns abhängig gemacht ist, wird wohl kaum eines eigenen Beweises bedürfen. Sobald die Natur ausser uns das bestimmte Verhältniß 5 zu uns ändert, auf' welches unser physischer Wohlstand gegründet ist, 32 so wird auch sogleich unsre Existenz in der Sinnenwelt, die an diesem physischen Wohlstande haftet, angefochten und in Gefahr gefeßt. Die Natur hat also die Bedingungen in ihrer Gewalt, unter denen wir existiren, und damit wir dieses, zu unserm Daseyn so unentbehrliche 10 Naturverhältniß in Acht nehmen sollten, so ist unserm physischen Leben an dem Selbsterhaltungstriebe ein wachsamer Hüter, diesem Triebe aber an dem Schmerz ein Warner gegeben worden. Sobald daher unser physischer Zustand eine Veränderung erleidet, die ihn zu seinem Gegentheil zu bestimmen droht, so erinnert der Schmerz an 15 die Gefahr, und der Trieb der Selbsterhaltung wird durch ihn zum Widerstand aufgefordert.

Ist die Gefahr von der Art, daß unser Widerstand vergeblich seyn würde, so muß Furcht entstehen. Ein Objekt also, dessen Existenz den Bedingungen der unsrigen widerstreitet, ist, wenn wir uns ihm an 20 Macht nicht gewachsen fühlen, ein Gegenstand der Furcht, furchtbar.

Aber es ist nur furchtbar für uns, als Sinnenwesen, denn nur als solche hängen wir ab von der Natur. Dasjenige in uns, was nicht Natur,' was dem Naturgeseß nicht unterworfen ist, hat von 3 der Natur ausser uns, als Macht betrachtet, nichts zu befahren. Die 25 Natur, vorgestellt als eine Macht, die zwar unsern physischen Zustand bestimmen kann, aber auf unsern Willen keine Gewalt hat, ist dy namisch oder praktisch erhaben.

Das Praktischerhabene unterscheidet sich also darinn von dem Theoretischerhabenen, daß es den Bedingungen unsrer Existenz, dieses 30 nur den Bedingungen der Erkenntniß widerstreitet. Theoretischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung der Unendlichkeit mit sich führet, deren Darstellung sich die Einbildungskraft nicht gewachsen fühlt. Praktischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung einer Gefahr mit sich führt, welche zu besiegen sich unsre physische 35 Kraft nicht vermögend fühlt. Wir erliegen an dem Versuch, uns von 11: diesen A.

dem ersten eine Vorstellung zu machen. Wir erliegen an dem Versuch, uns der Gewalt des zweyten zu widerseßen. Ein Beyspiel des ersten ist der Ocean in Ruhe, der Ocean im Sturm ein Beyspiel des zweyten. Ein ungeheuer hoher Thurm oder Berg kann ein Erhabenes der Erkenntniß abgeben. Bückt er sich zu uns herab, so wird er sich in ein Erhabenes der Gesinnung verwandeln. Beide haben aber wieder das mit' einander gemein, daß sie gerade durch ihren Widerspruch 326 mit den Bedingungen unsers Daseyns und Wirkens, diejenige Kraft in uns aufdecken, die an keine dieser Bedingungen sich gebunden fühlt; eine Kraft also, die einerseits sich mehr denken kann als der Sinn faßt, und die andrer Seits für ihre Unabhängigkeit nichts fürchtet und in ihren Aeußerungen keine Gewalt erleidet, wenn auch ihr sinnlicher Gefährte unter der furchtbaren Naturmacht erliegen sollte.

Ob aber gleich beide Arten des Erhabenen ein gleiches Verhältniß zu unserer Vernunftkraft haben, so stehen sie doch in einem ganz verschiednen Verhältniß zu unsrer Sinnlichkeit, welches einen wichtigen Unterschied, sowohl der Stärke als des Interesse, zwischen ihnen begründet.

Das Theoretischerhabene widerspricht dem Vorstellungstrieb, das Braktischerhabene dem Erhaltungstrieb. Bey dem ersten wird nur eine einzelne Aeußerung der sinnlichen Vorstellungskraft, bey dem zweyten aber wird der lezte Grund aller möglichen Aeußerungen desselben, nehmlich die Existenz, angefochten.

Nun ist zwar jedes mißlingende Bestreben nach Erkenntniß mit Unluft verbunden, weil einem thätigen Trieb dadurch widersprochen 327 wird. Aber bis zum Schmerz kann diese Unlust nie steigen, solange wir unsere Existenz von dem Gelingen oder Mißlingen einer solchen Erkenntniß unabhängig wissen, und unsere Selbstachtung nicht dabey leidet.

Ein Gegenstand aber, der den Bedingungen unsers Daseyns widerstreitet, der in der unmittelbaren Empfindung Schmerz erregen würde, erregt in der Vorstellung Schrecken; denn die Natur mußte zu Erhaltung der Kraft selbst ganz andere Anstalten treffen, als sie zu Unterhaltung der Thätigkeit nöthig fand. Unsre Sinnlichkeit ist also bey dem furchtbaren Gegenstand ganz anders interessirt, als bey dem Unendlichen; denn der Trieb der Selbsterhaltung erhebt eine viel lautere Stimme als der Vorstellungstrieb. Es ist ganz etwas anders, ob wir um den Besitz einer einzelnen Vorstellung, oder ob

Siller, sämmtl. Schriften. Hist.-krit. Ausg. X.

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