Page images
PDF
EPUB

Staats - Wörterbuch.

In Berbindung mit deutschen Gelehrteu

berausgegeben von

Dr. J. C. Bluntschli und K. Brater.

Siebenter Band.

Stuttgart und Leipzig, 1862.

Expedition des Staats- Wörterbuch §.

2481

Morus.

Sir Thomas More, gewöhnlich mit seinem latinisirten Namen Thomas Morus genannt, ist ums Jahr 1480 in London geboren. Sein Vater, John More, ein tüchtiger Jurist, zuleßt Richter der Kingsbench, ließ ihm eine sorgfältige aber strenge Erziehung geben. Zuerst besuchte er die St. Antonsschule in London, die unter Nikolaus Holt für die beste galt; dann kam er ins Haus des Kardinals Morton († 1500). Dieser hatte durch seine bedeutende Persönlichkeit großen Einfluß auf More; er erkannte seine Talente und sandte ihn auf die Universität Oxford. Dort erhielten seine Studien die Richtung auf die klassische Literatur. Zwar hatte die scholastische Gelehrsamkeit noch lange dort die Oberhand, und das Studium des Griechischen brachte in den Verdacht des Keßerei; aber Einzelne wirkten eifrig in humanistischem Sinne, so damals William Grochn, Thomas Linacre und William Lilly. An sie schloß M. sich an, studierte den Plato und Aristoteles und übte sich in Uebersetzungen. Daneben freilich eignete er sich auch die scholastischen Formen der Dialektik und Redekunst an und sammelte theologische Kenntnisse. Im Jahre 1498 kam Erasmus nach Orford und trat bald in enge Verbindung mit More. Er hat ohne Zweifel seinen Blick von den Studien aufs Leben erweitert und ihm die Ziele für sein weiteres Streben gezeigt; er ist ihm für die Art seiner schriftstellerischen Produktionen Vorbild geworden und hat ihn die Satire als Waffe gegen die Verkehrtheiten der Zeit brauchen gelehrt. Eine dauernde, durch lange fortgesetzten Briefwechsel unterhaltene Verbindung beider Männer knüpfte sich an das erste Zusammentreffen. Die Einflüsse des Erasmus machten fich zunächst darin geltend, daß More lucianische Gespräche übersetzte und Mönche, Legenden u. f. f. offener angriff.

Doch diese Studien wurden gegen den Willen des Vaters getrieben, der durchaus wollte, daß der Sohn sich der Rechtsgelehrsamkeit widme. Er ging also zu seiner Ausbildung darin zuerst nach New Inn, dann nach Lincolns Inn, zeichnete sich bald durch seine Redefertigkeit aus und gewann die höchsten Grade.

Einer Nachricht (in der Biographie seines Schwiegersohnes Roper) zufolge wurde er noch sehr jung ins Parlament gewählt und widersezte sich dort muthig einer von Heinrich VII. angesonnenen Geldbewilligung, was auf ihn und seinen Bater den Zorn des Königs zog. Vor diesem flüchtete er sich in die Zurückgezogenheit der Londoner Karthause, wo er, doch ohne ein Gelübde abzulegen, 4 Jahre verlebte.

[ocr errors]

Es entsprach das einem Zuge in feinem Wesen, der sich sein ganzes Leben hindurch gleich geblieben ist, der Achtung vor den Ordnungen der Kirche und der Hochhaltung ascetischer Uebungen. So frei sein Urtheil und so groß seine Neigung zum Spott war, so fest war er in den Gewohnheiten seines Lebens an die Grundfäße früherer Jahrhunderte gebunten. Er legte auf Fasten, Kasteiungen, Geißelungen großen Werth; er trug sein Leben lang das Cilicium; und so voll

Bluntsli und Brater, Deutsches Staats-Wörterbuch. VII.

1

« PreviousContinue »